BIBLIOTHEK DER PHILOSOPHEN
GELEITET VON FRITZ MAUTHNER
VIERTER BAND
DIE SCHRIFTEN ZU
J G.FIGHTES
ATHEISMUS-STREIT
HERAUSGEGEBEN VON
HANS LINDAU
i • 9 ■ 1-2
MÜNCHEN BEI GEORG MÜLLER
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Einleitung VII
1 . Zusammenfassende Darstellung der Vorgänge
in einem Briefe Fi cht es an Professer Rein-
hold [Jena, 22. Mai 1799] 1
2. Über den Grund unsers Glaubens an eine
göttliche Weltregierung. [Philosophisches
Journal, Bd 8 (1798), S. 1 — 20.] ... 21
3. Entwickelung des Begriffs der Religion. Von
Herrn Rektor Forberg. [Philosophisches
Journal, Bd 8 (1798), S. 21 — 46.] ... 3j
4 • Schreiben eines Vaters an seinen studierenden
Sohn über den Fichtischen und Forbergischen
Atheismus [1 798] Sg
5. Notgedrungene Protestätion gegen ein fal-
sches Gerücht. [Gabler. Intelligenzblatt der
„Allgemeinen Literaturzeitung" 1799,^. i3,
S. 101.] 89
6. J. G. Fichtes des phil. Doktors und ordent-
lichen Professors zu Jena Appellation an
das Publikum über die durch ein Kurf.
Sachs. Konfiskationsreskript ihm beigemes-
senen atheistischen Äusserungen. 1799. . . 92
7. Fichte an Schiller. [Jena, 18. Januar 1799.] 1 5 1
8. Schiller an Fichte. [Jena, 26. Januar 1799.] 1S2
VI
Inhaltsverzeichnis
Seite
9. Fichte an Jacobi [Jena, 18. Januar 1799*] • 1 54
1 o. Jacobi an Fichte [Eutin, 3 — 2 1 . März 1 799.] 1
1 1 . Der Herausgeber des philosophischen Jour-
nals gerichtliche Verantwortungsschriften
gegen die Anklage des Atheismus. Heraus-
gegeben von J. G. Fichte. [1799.] — J. G.
F i c h t e s als Verfassers des ersten angeklagten
Aufsatzes und Mitherausgebers des phil. Jour- N
nals Verantwortungsschrift. . . . 196
1 a . Weimar isches Reskript. [27. Dezember 1798.] 270
13. Gothaisches Reskript. [3. April 1799.] • . 272
1 4. Erste Petition der Studenten. [Jena, 20. April
«799-] *7 5
1 5. Antwort von Carl August. [Weimar, 24* April
«799-] »77
16. Zweite Petition der Studenten 278
17. Antwort von Carl August. [Weimar, 10. Ja-
nuar 1800.] 280
18. Rückerinnerungen, Antworten, Fragen.
[»799-J »*i
1 9. Aus einem Privatschreiben. [Im Jänner 1 800.]
Von Fichte. [Philosophisches Journal, Bd 9
(1800), S. 358—39o.] 328
20. Äusserungen Goethes an und über Fichte. . 355
Erläuterungen 369
Register 372
EINLEITUNG
FICHTES Atheismus-Streit ist bereits öfters darge-
stellt und beurteilt worden*). Man wird nicht müde,
sich in die Betrachtung dieser Vorfalle zu versenken, die
das Schauspiel einer Gedankenschlacht bieten und den
Reiz der einander gegenüber oder nebeneinander ste-
henden Persönlichkeiten so lebendig offenbaren.
Den Anlass zur Beschuldigung des Atheismus boten
zwei Aufsätze im „Philosophischen Journal" von 1 798 :
eine Abhandlung des Rektors der gelehrten Schule in
Saalfeld, Forberg, die den Begriff der Religion auf
eine anstössige Weise entwickelte, und Johann Gottlieb
Fichtes Aufsatz „Über den Grund unsers Glaubens an
eine göttliche Weltregierung". Fichte wollte durch
dieses eigene Bekenntnis die etwaige üble Wirkung
des Skeptizismus seines Schülers entkräften, nachdem
er mit seinem Ansinnen, die bedenkliche Arbeit über-
haupt nicht, oder doch nur mit beigefugten Anmer-
*) Vgl. besonders Immanuel Hermann Fichte (t83o und 186a),
Karl Hase (18 56), ferner Kuno Fischer, Friedrich Paulsen (in der
Sammlung: Philosophia militans), Heinrich Rickert und Fritz
Medicus,
VIII J. G. Fichtes Atheismus-Streit
kungen, zu veröffentlichen, bei Forberg auf Wider-
stand gestossen war. So setzte er denn nun ruhig den
Forbergischen Aufsatz hinter seine Worte, als dürfe
dieser spätere Redner, ohne Gefahr für die vorausge-
gangene Darstellung, das Ergebnis einer religions-
philosophischen Untersuchung von Bedeutung ab-
schliessend aussprechen.
Zeugte dies Verfahren bereits von einer gewissen
edlen Sorglosigkeit, so war der Inhalt der Fichtischen
Arbeit erst recht dazu geeignet, Entrüstung bei einer
oppositionellen kirchlichen Partei zu erwecken. Fichte
nahm nämlich in einer Weise auf Forberg Bezug, die
dem Wortlaute nach als ein noch radikalerer Nihi-
lismus in religiösen Dingen ausgelegt werden konnte.
Es schien, als sei es Fichte nicht genug, dass Forberg
Gottes Dasein theoretisch bezweifelte; es sollte nicht
bezweifelt, sondern fest und deutlich geleugnet werden.
In Wahrheit hat es freilich kaum einen Menschen
gegeben, auf den der Vorwurf der Irreligiosität weni-
ger gepasst hätte, als auf Johann Gottlieb Fichte. Aber
die echte Religiosität wird ja gewöhnlich von der tra-
ditionellen verfolgt. Dass in der Kirchengeschichte die
Ketzer vielfach ein innigeres und tieferes persönliches
Verhältnis zu dem haben, was das innerste Anliegen
der Kirche sein sollte, ist eine uralte Erfahrung, die
bei jeder neuen Wendung des Geisteslebens in die
Augen springt. Auch bei Fichte fehlen nicht die
Symptome dieses typischen Falls; er hat das selbst
wohl erkannt und ans Licht gehoben.
Als Ankläger sind gegen Fichte und Forberg eine
anonym gebliebene polemische Denunziation: „Das
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn" und, vermut-
lich auf Grund dieser Denunziationsschrift, der kur-
Einleitung
IX
sächsische Hof, dem sich alsbald eine ganze Reihe
andrer Höfe anschloss, aufgetreten.
Der Verfasser des „Schreibens eines Vaters" be-
gleitet die Äusserungen Fichtes und Forbergs mit
kritischen Glossen.
Seiner Ansicht nach ist die Religion ein wichtiges
Hilfsmittel zur Sittlichkeit. Glaubt der Mensch nicht
an „einen höheren Richter, der in das Verborgene
siehet", an keinen „Zustand der Vergeltung, wo das
Röse, welches hier ungeahndet bleibt, bestraft werden
wird; so wird er nur soviel Gutes tun, als ihm nötig
zu sein scheint mit Ehren durch die Welt zu kommen ;
er wird sich aber nicht das geringste Redenken dar-
aus machen, alles zu tun, was ihn gelüstet, und was
ihm zeitlichen Vorteil bringt, wenn er nur mit einiger
Wahrscheinlichkeit hoffen kann, dass es nicht an das
Tageslicht kommen werde".
Hier wird also der Standpunkt des praktischen Politi-
kers eingenommen. Die Einschätzung des mensch-
lichen Willens zum Guten und des Vermögens, der Ver-
nunft die Herrschaft über die Gewalt der Regierden
zu sichern, ist sehr niedrig. Die Religion kann allein
dazu helfen, den Menschen sittlich zu machen.
„Wie gut würde es . . . um die menschliche Ge-
sellschaft stehen, wenn alle, oder nur die meisten Men-
schen Religion hätten!"
Die Religion hat demnach die Stellen der fehlen-
den Furcht (vor üblen Folgen) zu füllen. Wo etwa diese
Furcht nach menschlicher Klugheitserwägung ausblei-
ben könnte, hat die Religion gleichsam die Furcht-
linie zu verlängern und da mit transzendenter Gewalt
Disziplin herzustellen, wo der immanente Klugheits-
standpunkt dies nicht .zu erreichen vermöchte. Da&
X
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
ist allerdings dem erhabenen Standpunkte Fichtes
gegenüber sehr klein gedacht von der Würde der Re-
ligion. Die unsittliche Unfreiheit des Menschen in den
Motiven der Handlung wird durch eine abergläubische
Furcht vor Strafe im Jenseits nicht aufgehoben,
.sondern befestigt. Der Verfasser meint: „Die lebhafte
Erinnerung an Gott, den Urheber seiner Natur, den
stets gegenwärtigen Zeugen aller seiner Handlungen,
Wünsche und Vorsätze, seinen höchsten Wohltäter,
aber auch seinen höchsten Gesetzgeber und Richter,
dem er Dank, Liebe und Gehorsam schuldig ist, und
von dessen Wohlgefallen oder Missfallen sein ewiges
Wohl und Wehe abhängt, diese lebhafte Erinnerung
wird sein moralisches Gefühl verstärken und ihm Kraft
verleihen, die stärksten Reizungen zum Bosen zu be-
siegen ..." Hier erwartet der Verfasser von einer an
sich noch nicht sittlichen Haltung die besten sittlichen
Folgen. Es ist in der Tat unendlich wichtig, die Rei-
zungen zum Bösen zu besiegen; allein kann das durch
xlen Hinblick auf die Gottheit als ein Wesen, „von
dessen Wohlgefallen oder Missfallen" unser „ewiges
Wohl oder Wehe abhängt", mit Sicherheit erreicht
werden? Wer diese Frage bejahen möchte, der hätte
doch wohl auch noch weiter zu untersuchen, ob in
der Stellung zu einem Wesen, von dessen Wohlgefallen
unser Wohl und Wehe abhängt, nicht etwas liegt,
Jas gleichfalls zu überwinden wäre, selbst wenn es
•als Hilfskonstruktion zur Sittlichkeit die schwache
Natur einmal gestützt haben könnte.
In der Naturbeherrsch theit lassen wir uns durch den
Drang nach Wohl und die Flucht vor dem Wehe
leiten. Soll etwas Höheres erreicht werden als dieser
Zustand, so kann es nicht auf demselben Boden be-
Einleitung
XI
gründet werden, sondern es ist eine neue Grundlegung
erforderlich. Der Versuch einer solchen wird von dem
Verfasser nicht gewürdigt, sondern für gefahrlich ge-
halten.
Man kann ihm das Zeugnis nicht versagen, dass er
mit Vorsicht die niedere Stufe wenigstens erhalten
wissen will, ehe man die praktische Tragfähigkeit der
höheren erprobt hat. (Vgl. aber unten S. i4°»)
Als Verfasser der mit G. unterzeichneten Anklage-
schrift wurde D. Gabler bezeichnet, der dagegen im
Intelligenzblatt der „Allgemeinen Literaturzeitung"
(1799, Nr. i3, S. 101) mit grosser Energie protestierte
(s. S. 89).
Der Verdacht Fichtes fiel auf seinen Kollegen Gru-
ner, von dem er — allerdings ohne Namensnennung
— in seiner gerichtlichen Verantwortungsschrift ein
unerfreuliches Bildnis entwirft. (S. 240 ff.) Gruner hat
darauf mit derber Grobheit geantwortet*).
Das Dresdener Oberkonsistorium, das zunächst den
Forbergischen Aufsatz beanstandete, richtete am 29.
Oktober 1 798 an den Kurfürsten von Sachsen Friedrich
August den Gerechten einschreiben, in dem die Anre-
gung gegeben wird, „bei den Fürstlich Sächsischen Hö-
fen, auf deren Akademie zu Jena die gefahrlichen Grund-
sätze . . . am lautesten gelehrt und am eifrigsten ver-
breitet werden, darauf anzutragen, dass diejenigen
*) Ein Verzeichnis der Streitschriften überhaupt siehe in
der Zeittafel zu meinem Buche „Die Theodizee im achtzehnten
Jahrhundert". Leipzig, Engelmann 1 9 1 1 . Vgl. ferner die
bibliographische Zusammenstellung von Julius Hil/s (Worte
Fichtes, Minden i. W. 1910) und K. G. Bretschneiders Ver-
such einer systematischen Entwicklung aller in der Dogmatik
' vorkommenden Begriffe, Leipzig i8o5, S. 187 k
XII
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Lehrer jener hohen Schulen, welche sich dabei am ge-
schäftigsten beweisen, darüber in Anspruch genommen
und nach Befinden bestraft werden möchten"*).
Am 19. November erfolgte das Kurfürstl. Sachs.
Reskript (s. Seite 92 f., vor Fichtes Appellation). Da
auch in Helmstädt kursächsische Studenten sich be-
fanden, so schloss sich bald ein ähnlich warnendes
Schreiben an die braunschweig-wolfenbüttelsche Re-
gierungan. Preussen verhielt sich zurückhaltend ; doch
sind die Gründe dieser Zurückhaltung für Fichte kei-
neswegs schmeichelhaft gewesen. In einer Kabinetts-
ordre Friedrich Wilhelms III. (25. März 1799) heisst
es : „Ich habe zwar aus den . . . Auszügen . . . erse-
hen, dass die Verfasser . . . sich bemüht haben, das
Dasein Gottes als eines selbständigen Wesens wegzu-
räsonieren, und missbillige dies ebensosehr, als ich die
Halbphilosophen bedaure, die ihre Vernunft in dem
Grade verlieren. Ich besorge indessen hiervon keine
gemeinschädlichen Folgen, weil der Glaube an Gott
durch Ihn selbst so fest und unerschütterlich gegrün-
det ist, dass alle Angriffe gegen denselben ewig so
ohnmächtig bleiben werden, als sie es bisher gewesen
sind. Am wenigsten werden die Herausgeberund Mit-
arbeiter jenes Journals, das bisher kaum dem Namen
nach bekannt war und hier in keinem Buchladen an-
getroffen wurde, Anhänger ihrer traurigen Lehre fin-
den, wofern ihre Schriften, die der Aufmerksamkeit
der Regierung ganz unwürdig sind, nicht durch öffent-
liche Schritte aus der Dunkelheit hervorgezogen wer-
den, in der sie bisher gar nicht bemerkt wurden. Dies
würde offenbar geschehen, wenn Ich jenes Journal in
Meinen Staaten, worin es bisher kaum hie und da ei-
*) Vgl. dazu Kantstudien Bd. 11, S. a33ff.
Einleitung
XIII
nen T^eser gefunden hat, verbieten wollte. Wenn es
die Regierungen zu Hannover und Dresden getan ha-
ben, so mögen diese dazu dringendere Veranlassung
gehabt haben, in deren Ermanglung Ich einen zu-
reichenden Grund finde, ihrem Beispiele nicht zu fol-
gen . . ."
Als Fichte später in Berlin sich aufhalten wollte,
lautete der königliche Spruch grossmütig und geist-
voll, in guter friderizianischer Art : „Ist Fichte ein so
ruhiger Bürger, als aus allem hervorgeht, und so ent-
fernt von gefahrlichen Verbindungen, so kann ihm
der Aufenthalt in meinen Staaten ruhig gestattet wer-
den. Ist es wahr, dass er mit dem lieben Gott in Feind-
seligkeiten begriffen ist, so mag dies der liebe Gott
mit ihm abmachen, mir tut das nichts."
Die Erhalter der Universität Jena verhielten sich
in ihren Äusserungen weitaus weniger erfreulich. Selbst
der so vortreffliche Herzog Karl August bewahrte, ge-
genüber den Studentenkundgebungen zugunsten Fich-
tes, eine wortkarg ablehnende Haltung. (S. S. 27 7 ff.)
Was nun die Beurteilung der Gegner Fichtes im
allgemeinen anlangt, so wird sie sich heute bereits
von einem Gesichtspunkt der Kompensation aus nach
einer Richtung hinleiten lassen dürfen, die seinerzeit
Fichte zugute gekommen wäre; denn inzwischen sind
die damals Starkeren so entschieden die Schwächeren
geworden, dass es offene Tore einreissen hiesse, sie erst
noch ins Unrecht setzen zu wollen. Nicht geradezu
Verteidigung, wohl aber Entschuldigung ihres Vor-
gehens, statt sie noch weiter belasten zu wollen,
scheint am Platze.
Es sind die eingesetzten Hüter der öffentlichen Ord-
nung, die sich hier im Interesse der ihrer Obhut an-
XIV
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
vertrauten Güter gegen scheinbare Gefahr zur Wehr
gesetzt haben. Sie haben das Wohl des Ganzen in ih-
rer Weise unstreitig im Auge gehabt; und es ist ge-
schichtlich sehr wohl zu verstehen, dass auf ihrer Seite
alle anti-autoritären, der freien Selbständigkeit des
Einzelnen zustrebenden Tendenzen wo nicht mit ent-
schlossener Missbilligung, so doch mit begründetem
Argwohn betrachtet werden mussten. Die französische
Revolution hatte das Schreckbild der entfesselten Anar-
chie geboten. Dem gegenüber schienen die patriar-
chalischen, landesväterlichen Institutionen einen heil-
samen Beruf zu erfüllen. Dem sich über Wohl und Wehe
kühn hinwegsetzenden Heroismus der idealistischen
Erhabenheit gegenüber mochte die Gegenpartei den
Vorzug psychologischer Besonnenheit und reifer Er-
fahrung nicht ganz ohne einen Schein des Rechts für
sich in Anspruch nehmen. Vieles von dem, was
dieser junge Mann in Jena so verwegen Neues lehrte,
das ihm die leicht entflammten Herzen der Jugend
im Sturme zutrug, wurde von der Generation der Vä-
ter mit ruhigeren und kühleren Blicken betrachtet,
geprüft und auf ihrer Wage zu leicht erfunden.
Ich sehe hier ab von den allzu plumpen Entstellun-
gen des Pamphlets, gegen die sich ja der angegriffene
Wortlaut selbst im Geiste des Lesers sofort als unan-
getastet wieder aufrichtet. Die Partei des Angriffs hätte
mit grösserer Schärfe, und das heisst zugleich mit we-
niger UngeschlifFenheit, geführt werden können, als
dies hier geschehen ist; eine blosse Gewaltaktion ohne
jede innere Meinung, das Rechte zum Siege zu brin-
gen, war doch wohl nicht am Werke. Die Liebe zum
Bestehenden, durch Überlieferung und Alter gleich-
sam Geheiligten, ist an und für sich keine wertlose
Einleitung
XV
Richtung, sondern positiv tüchtig, solange Haltbares
durch sie vor exzentrisch-revolutionären Neuerungs-
gelüsten bewahrt bleibt.
So lässt sich denn auf der einen Seite alles das, was
die bestehende Macht zum Rechte fügen will, gegen
das Fähnlein der rein rationalen Tendenzen in Har-
nisch gebracht und zum Streite verbündet vorstellen.
Hier Ordnung, Sicherheit, Gediegenheit, Zusammen-
schluss der geschichtlichen Mächte, soweit sie konso-
lidiert sind, Autorität, politisches Beharrungsvermögen
und Argwohn gegen das noch nicht Dagewesene, in
philosophischer Beziehung aber Dogmatismus und Ma-
terialismus, Theokratie und Theonomie, eine pessi-
mistisch gefärbte Psychologie und ein nicht ganz tief-
gehender sittlicher Eudämonismus ; dort dagegen
Autonomie, Rationalismus und der Idealismus der kri-
tischen Schule, eine heroische Ethik, Disziplinierung
durch das eigene Innere und Zukunftsglaube als Ver-
nunftreligion.
Des Atheismus angeklagt werden namentlich zwei
Gruppen von Denkern : die allzu Verständigen und —
so seltsam es zunächst klingen mag — die allzu Herz-
lichen. Die allzu Verständigen ermangeln scheinbar
der Gemütsfühlung mit den Tiefen der religiösen Über-
lieferung. Den allzu Herzlichen tut die Überlieferung
nicht Genüge. Sie bauen sich aus dem Reichtum ihrer
eignen Innerlichkeit einen neuen Tempel.
Gegen beide richtet sich die Entrüstung des Ver-
treters einer Religionsgesinnung, die positiv am Bestän-
de des ehrwürdig Alten festhalten und diesen Bestand
vor der Zersetzung durch den Verstand ebenso wie
XVI
.1. G. Fichte8 Atheismus-Streit
vor der Auflösung durch das Gemüt des Einzelnen
bewahren möchte.
In Forberg und Fichte haben wir zwei solche typi-
sche „Atheisten".
„Es wurde mir ein Verweis zuerkannt," schreibt
Forberg (Lebenslauf eines Verschollenen, S. 55), „den
ich, die Sache aus dem Standpunkt der Gegner be-
trachtend, nicht unbillig fand und mir daher leicht
gefallen Hess." Diese charakteristische Leichtigkeit
zeigt uns den Mann des starken Verstandes: die Ge-
danken, die nicht mit Gefühlsgepäck belastet sind,
gleiten schnell und leicht dahin, wie Schlitten, die die
Oberfläche des Eises nur obenhin streifen und sich
nicht, tiefe Furchen grabend, einsenken. Der Verstän-
dige ist der Gewandtheit in höherem Grade fähig, als
-der tiefsinnige Grübler. Forberg vermag sein Schift-
lein rasch hierhin und dorthin zu lenken. Ein schar-
fes Umbiegen und Wenden stört ihn nicht. Seine
Stärke ist es, denselben Gegenstand bald nacheinander
von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten.
In dieser Fertigkeit liegt Schicksal und Schuld des
Denkers gleichsam eingeschlossen. Er trennt die Re-
gion der theoretischen Spekulation vollständig ab von
jener andern, die er die praktische nennt, und in der
die Gedanken Gewalt fürs Handeln haben (Enkratie).
In der theoretischen Spekulation geht alles ohne Kon-
sequenzen für die Praxis zu. Hier mag man aufstellen,
was man will, es bleibt ohne Belang für das wirk-
liche Leben. Man kann es ebenso schnell wieder um-
stossen, wie man es aufgestellt hat, und dann neue
Kombinationen versuchen.
Forberg bringt seinen beweglichen Verstand in die-
ser Weise ohne tiefere Verbindlichkeit an alle mög-
Einleitung
XVII
liehen scharf einschneidenden Fragestellungen heran.
Man kann es ja einmal versuchen und sehen, was da-
bei herauskommt! Das theoretische Interesse scheint
er mit spekulativer Neugier in Verbindung bringen
zu wollen und nimmt es nicht sonderlich ernst. „Ernst
ist das Leben* 4 , heiter die unter dem Gesichtspunkte
der Kunst betrachtete spielende Theorie. Wer mit sol-
chen Voraussetzungen an Kant und Fichte herangeht,
ist allerdings von der deutschen Gründlichkeit dieser
Denker „fast wie ein Franzos" weiter entfernt, als es
den Deutschen lieb ist.
Forberg erklärte sich mit Fichtes Wissenschaftslehre
einverstanden, machte aber den Vorbehalt, dass er sie
nicht ernsthaft glauben, sondern unter seine Kategorie
des „als ob" stellen dürfe. Das Weltbild erklären, „als
ob" das Ich absolut wäre, schien ihm eben ein guter
Einfall wie andere Einfälle. Er liess es dahingestellt
sein, ob die letzte Wahrheit damit entdeckt worden
sei. Im Grunde verhielt er sich doch überlegen skep-
tisch und hatte durch die Anwendung seiner „als ob"-
Kategorie eine derartige Auflockerung des Bodens be-
wirkt, dass dieser nur noch die leichtesten Zelte der
Spekulation, keine bleibenden Lebenswohnsitze mehr
zu tragen vermochte*).
Es lässt sich nicht bestreiten, dass in einem solchen
Verfahren etwas bestechend Elegantes, ja der Anmut
Nahes liegt, und dass der geistvolle Denker, der die Phi-
losophie so überaus gleichmütig betrieb, sie sich so
durchaus weltmännisch in einer gewissen Distanz vom
Herzen zu halten wusste, seinerseits nicht den finstern
, 'gl. hierzu den Abschnitt über Forberg in der von Hans
Vaihinger herausgegebenen „Philosophie des als ob" (Berlin,
1911) s. 733 ff.
II
XVIII J 0. Fichtes Atheismus-Streit
Ernst verdient, mit dem man ihm vielfach zu begeg-
nen geneigt scheint. Man sollte doch auch diesen of-
fenen und leichten Sinn schätzen, der vieles zu verstehen
alle Zeit sich höflich bereit hält, wenn er auch nicht
tu einer wahren Intimität des Verständnisses gelangen
sollte. Der Vorwurf der Frivolität entspringt vielleicht
doch einer engen Befangenheit. Der Vorwurf der Überr
zeugungslosigkeit überhaupt aber hat zur Vorausset-
zung, dass es dem also Gescholtenen an Einsichten
fehle, die für uns den Charakter der Evidenz besitzen.
Kann ein solcher Vorwurf überhaupt gemacht wer-
den?
Hier kommen wir auf das Thema, das Forberg selbst
an einem wichtigen Spezialfall erörtert hat.
Es handelt sich um den Widerstreit zweier Gesichts-
punkte, der sich etwa in folgenden Fragen zum Aus-
druck bringen lässt: Soll ich meine Freiheit aufgeben
und mich auf ein Weltbild, eine bestimmte Art der
Weltanschauung, festlegen? Oder soll ich meine Frei-
heit behalten und das Instrument der „als ob"-Kate-
gorie, die mich vor jeder dogmatischen Festlegung
bewahrt, niemals aus der Hand geben?
Wer so fragen kann, muss sich selbstverständlich
für den Standpunkt der grösseren Freiheit entscheiden.
Dass nicht jeder so fragen kann, wird dem, der es
nicht schon an sich selber erlebt, Fichtes Beispiel ein-
leuchtend machen. Ihm ist die unendliche Freiheit
des „Räsonnements", die in einem skeptischen Rela-
tivismus wurzelt, durchaus nicht der Weisheit letzter
Schluss. Er will der chaotisch auf und nieder wogen-
den Dialektik eine feste Grenze ziehen und an einem
Einleitung
XIX
absolut sichern Punkte Fuss fassen. Nicht das ist ihm die
rechte Freiheit, willkürlich hier oder dort sich nieder-
lassen zu können, sondern frei zu sein von psychologi-
schen Einflüssen der Sinnenwelt und so der übersinn-
lichen Vernunftnotwendigkeit allein zu gehorchen. Er
sucht zur eigenen Selbstbestimmung die eindeutig rein
bestimmende Instanz. Forberg war gleichsam polythe-
istisch orientiert; Fichte will den strengen Monotheis-
mus einer absolut obersten Einheit. Nicht gut scheint
ihm die Vielherrschaft der Motive, eines soll herrschen
in alle Ewigkeit.
Die theoretische Einstellung des Willens wird nicht
als spielende Neugier aufgefasst, sondern als das ern-
steste Anliegen. Damit bekommt die Wahrheit den
allerhöchsten Lebenswert, und Praxis und Theorie
klaffen nicht auseinander. Was nicht wahr, was nicht
notwendig in der Vernunft begründet ist, das ist, so
schön es aussehen mag, doch schliesslich wertlos. Vom
willkürlichen Annehmen („als ob") will dieser Mann
nichts wissen. Der Glaube seines Herzens enthält nichts
Hypothetisches. Eine Metaphysik als Begriffsdichtung
über der Erfahrung würde ihn wenig befriedigt haben.
„Was in der Vernunft gegründet ist, ist schlechthin
notwendig; und was nicht notwendig ist, ist ebendar-
um vernunftwidrig. Das Fürwahrhalten desselben ist
Wahn und Traum, so fromm auch etwa geträumt
werden möge."
So stellt sich denn Fichte dem Glaubensfanatismus
nicht wie Forberg mit der kühlenÜberlegenheit des Ver-
standes gegenüber, sondern seinerseits mit demselben
herzlichen Lebensernste, den die Gläubigen für sich
beanspruchen. Er ist ein philosophischer Protestant vom
Schlage Luthers, Mit erfrischender Klarheit und
ir
XX
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
Kraft protestiert er gegen die Zumutungen des Dog-
mas, über die er sich hinaus weiss. Er verwirft den
kosmologischen und physikoteleologischen Gottesbe-
weis mit kühner Gebärde als „vermeinte Notwendig-
keit, von der Existenz [kosmologisch] oder Beschaf-
fenheit [physikoteleologisch] der Sinnenwelt auf einen
vernünftigen Urheber zu schliessen".
Der Gott, dem ich vertraue,
Wohnt nicht im Himmelszelt,
Der Grund, auf den ich baue,
Steht fester als die Welt.
Es gibt eine Tätigkeit des Ich von solcher radikalen
Beschaffenheit, dass in sie die Affizierung durch Dinge
der Sinnlichkeit nicht hineinreicht. Die Sinnlichkeit
ist nicht das Erste (dem Ursprünge nach) und auch
nicht das Letzte (dem Zwecke nach), sondern das Erste
und Letzte, Grund und Ziel des Daseins, ist im Über-
sinnlichen. „Ich selbst und mein notwendiger Zweck
sind das Übersinnliche."
Wie beweist dies Fichte? Er beweist es gar nicht,
sondern bezeichnet es als den höchsten Punkt der De-
duktion, von dem aus alle Beweise zu Tal fliessen.
Alle Beweise setzen einen unbeweisbar hoch gelegenen
Punkt voraus, als das schlechthin Wahre, das sich
durch sich selbst offenbart. Veritas se ipsam patefacit
(Spinoza). Alles Erklären macht abhängig. Einen
Grundsatz erklären wollen, heisst ihm seine Grundsätz-
lichkeit rauben. Wäre er beweisbar, so wären die
Stützen seiner Beweisführung die letzten Grundsätze,
nicht er selber.
Also unbeweisbar und hoch über alle Abhängig-
keiten der Erklärung erhaben ist ihm die evidente
Wahrheit. An ihrer Erkenntnis kann die Bewegung
Einleitung
XXI
des Verstandes an sich vorübergehen, aber es verbie-
tet ihr eine Befehlsstimme aus dem Herzen, dies zu
tun. Wenn auch die Spekulation in ihrer Ungebun-
denheit, wie Forberg sie aufiasst, über alles hinweg-
schweifen kann, der Wille zu den höchsten Werten
kann dies nicht, der Wille zur Wahrheit ruft aus der
sittlichen Region, aus dem Zentrum des Lebens selbst,
die ungebunden schweifende Bewegung der Spekula-
tion zu einem unaufhebbaren Urteile. Der Wille wird
durch die Einsicht zur Anerkennung verpflichtet und
verbunden. So tief hängen Theorie und Praxis zusam-
men, dass sie unlösbar sich zur letzten Einheit im Ich
verbinden. Der Erkenntniswille ist durch eine unwi-
derstehliche, sittliche Nötigung gezwungen, an einer
Stelle stillzustehen, zu einer Aussage ja zu sagen und
unverrückbar daran festzuhalten, wenn er sich nicht
selbst zerbrechen will, bevor er überhaupt irgendeine
praktische Aufgabe in Angriff genommen hat. Diesen
Willen zur Wahrheit, den von Natur aus alle Ver-
nunftgeschöpfe haben, wie schon Aristoteles es gross
aussprach, macht Fichte zum Grunde aller Gewissheit.
Eine andre Gewissheit kann es nicht geben, als diese
selbst im Willen begründete und beschlossene Sicher-
heit der Richtung zum Richtigen, zum Gesollten. In-
haltlich sei noch nichts über den Gegenstand der Über-
zeugung geäussert, formal ist die Überzeugungssicher-
heit in der Richtung nach dem Richtigen hin veran-
kert, also im guten Willen, der übersinnlich rein ist.
„Ich kann nicht weiter, wenn ich nicht mein Inne-
res zerstören will; ich kann nur darum nicht weiter
gehen, weil ich weiter gehen nicht wollen kann. Hier
liegt dasjenige, was dem sonst ungezähmten Fluge
des Räsonnements seine Grenze setzt, was den Geist
XXII
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
bindet, weil es das Herz bindet; hier der Punkt, der
Denken und Wollen in eins vereinigt und Harmonie
in mein Wesen bringt. Ich könnte an und für sich
wohl weiter, wenn ich mich in Widerspruch mit mir
selbst versetzen wollte; denn es gibt für das Räsonne-
ment keine immanente Grenze in ihm selbst, es geht
frei hinaus ins Unendliche und muss es können; denn
ich bin frei in allen meinen Äusserungen, und nur ich
selbst kann mir eine Grenze setzen durch den Willen.
Die Überzeugung von unsrer moralischen Bestimmung
geht sonach selbst schon aus moralischer Stimmung
hervor, und ist Glaube] und man sagt insofern ganz
richtig: das Element aller Gewissheit ist Glaube. —
So musste es sein; denn die Moralität, so gewiss sie
das ist, kann schlechterdings nur durch sich selbst,
keineswegs etwa durch einen logischen Denkzwang
konstituiert werden."
In diesen Worten Fichtes erhält der Sinn des so-
genannten praktischen Primats der Vernunft seinen
an Energie wohl kaum noch zu übertreffenden Aus-
druck. Der bei Forberg noch spielende Begriff eines
praktischen Vernunftglaubens bekommt das kunst-
und spielentrückte, ernste Aussehen tiefster Überzeu-
gung. „Es gibt keinen festen Standpunkt als den an-
gezeigten, nicht durch die Logik, sondern durch die
moralische Stimmung begründeten; und wenn unser
Räsonnement bis zu diesem entweder nicht fortgeht
oder über ihn hinausgeht, so ist es ein grenzenloser
Ozean, in welchem jede Woge durch eine andre fort-
getrieben wird."
Das Sollen ist bei Fichte das Erste. Er geht nicht
vom psychologischen Können aus, sondern vom Gesoll-
ten als dem Gegenstande unsrer Zwecksetzung. Die
Einleitung
XXIII
Beziehung des gesollten Gegenstandes zum Ich be-
trachtet er als das unableitbar zuerst Gegebene. Ge-
geben ist mithin die Aufgabe, das aufgegebene „Du
sollst" ist in einer übersinnlichen Weltordnung ge-
geben. „Wer da sagt: ich muss doch erst wissen, ob
ich kann, ehe ich beurteilen kann, ob ich soll, der hebt
entweder den Primat des Sittengesetzes und dadurch
das Sittengesetz selbst auf, wenn er praktisch, oder er
verkennt gänzlich den ursprünglichen Gang der Ver-
nunft, wenn er spekulierend so urteilt."
Die Sinnenwelt geht nach ewigen Gesetzen ihren
Gang fort, „um der Freiheit eine Sphäre zu bilden".
Die sittliche Tat erhält nicht durch den Erfolg in der
Sinnenwelt ihre Sanktion. „Guter Wille", sagt auch
Goethe, „ist höher als aller Erfolg." Denn der gute
Wille gehört einer ganz andern Ordnung an, als die
in der Sinnenwelt gelingenden oder misslingenden Ta-
ten. Die sittliche Tat gelingt „unfehlbar" innerhalb
ihrer Ordnung.
In der Sinnenwelt offenbaren sich unsere Pflichten.
Doch das Gute ist nicht zu definieren als das, was in
der Sinnenwelt gute Wirkung tut, was sich als pas-
send der Natur „gattet". Diese Etymologie des Guten
wäre nicht im Fichtischen Sinne. Gut ist, nach Fichte,
was aus der echten Gattung stammt, aus der über-
sinnlichen Selbstbestimmung zum Rechten. Nicht von
der Peripherie, von der Wirkung aus [Pragmatismus],
sondern aus dem Zentrum, aus der Reinheit des Mo-
tivs entspringt die Sanktion des Guten (S. 3i6).
So bezeichnet er denn alles Klügeln über den Er-
folg des Guten als wahrhaften Atheismus, nämlich
tiefen Unglauben. Und er verwirft als Aberglauben je-
den Schritt über die sittliche Ordnung hinaus, als sei
XXIV
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
diese zufallig und bedürfe ausserhalb ihrer selbst noch
einer absoluten Befestigung. Wie seine „transzenden-
tale" Spekulation das Absolute aus der dritten Person,
dem absoluten „es", dem „absoluten Sein" in die erste
Person, das absolute „Ich" verlegt, so will er auch
hier in der lebendigen Ordnung (Pevolution crea-
trice) allein, nicht noch darüber hinaus in einem Wesen,
das diese Ordnung stiftet, die Gottheit verehren. In
dieser Resignation gegenüber aller theologischen Me-*
taphysik findet er die Festigkeit und Zuversicht seiner
Stellung zum Metaphysischen. „Es ist gar nicht zwei-
felhaft, sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der
Grund aller anderen Gewissheit, das einzige absolut
gültige Objektive, dass es eine moralische Weltord-
nung gibt, dass jedem vernünftigen Individuum seine
bestimmte Stelle in dieser Ordnung angewiesen und
auf seine Arbeit gerechnet ist; dass jedes seiner Schick-«
sale, inwiefern es nicht etwa durch sein eigenes Be-
tragen verursacht ist, Resultat ist an diesem Plane;
dass ohne ihn kein Haar feilt von seinem Haupte und
in seiner Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache;
dass jede wahrhaft gute Handlung gelingt, jede böse
sicher misslingt, und dass denen, die nur das Gute
recht lieben, alle Dinge zum besten dienen müssen/ 4
Die titanische Grösse des so unendlich ethisch orien^
tierten, scheinbar die Erfahrung überspringenden Phi-
losophierens war sicherlich nicht nach jedermanns
Geschmack; und die Gefehr einer fanatischen Ein-
seitigkeit der Spekulation mochte besonders den Geist
bedenklich stimmen, der wie kein anderer der ruhigen
Bildung das Wort zu reden wusste. Goethe, der Gegner
Einleitung
XXV
der französischen Revolution war seiner tiefsten Natur-
anlage nach auch ein Gegner jener „Wissenschaftsleh-
re", die Sendling als das zweite weltbewegende Ereig-
nis jener Zeit neben der französischen Revolution nam-
haft machte. Er hat den Eindruck, den diese Rich-
tung auf ihn machte, in der wundervollen Bakkalau-
reusszene seines Faust festgehalten.
„Erfehrungswesen ! Schaum und Dunst!
Und mit dem Geist nicht ebenbürtig!
Gesteht! was man von je gewusst,
Es ist durchaus nicht wissenswürdig.
Mephistopheles (nach einer Pause).
Mich deucht es längst, ich war ein Tor;
Nun komm' ich mir recht schal und albern vor.
Bakkalaureus.
Das freut mich sehr! da hör' ich doch Verstand;
Der erste Greis, den ich vernünftig fand! . . ."
Und dann:
„Wenn ich nicht will, so darf kein Teufel sein.
Mephistopheles (abseits).
Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein.
Bakkalaureus.
Dies ist der Jugend edelster Beruf!
Die Welt, sie war nicht, eh 1 ich sie erschuf;
Die Sonne führt 1 ich aus dem Meer herauf.
Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
Die Erde grünte, blühte mir entgegen;
Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
Wer, ausser mir, entband euch aller Schranken
Philisterhaft einklemmender Gedanken?
Ich aber frei, wie mir's im Geiste spricht,
XXVI
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Verfolge froh mein innerliches Licht,
Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
Die Helle vor mir, Finsternis im Rücken. (Ab.)
Mephistopheles.
Original, fahr hin in deiner Pracht! —
Wie würde dich die Einsicht kränken !
Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,
Das nicht die Vorwelt schon gedacht? —
Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet;
In wenig Jahren wird es anders sein;
Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet.
Er gibt zuletzt doch noch 'nen Wein.
(Zu dem jungern Parterre, das nicht applaudiert)
Ihr bleibt bei meinem Worte kalt,
Euch guten Kindern lass' ich's gehen;
Bedenkt! der Teufel, der ist alt;
So werdet alt, ihn zu verstehen!"
In der Darstellung des Atheismusstreites, die Goe-
the in seinen Tages- und Jahresheften rückblickend
gibt, heisst es, das Gelindeste sei gewesen, dem Philo-
sophen, der alle Vermittlung verschmäht hatte,
seine Entlassung zu erteilen, und zu spät habe Fichte
seine Übereilung bereut, so wie die ihm Wohlgesinn-
ten sie beklagten. Dies scheint indessen nicht in allen
Punkten richtig zu sein. Denn Fichte schrieb am 20.
August 1799 an seme Gattin ohne Reue und Zerknir-
schung diese Zeilen:
„Siehe, meine Gute, ich sehe die Sache jetzt so an :
Dass ich keinen Verweis haben wollte und mit dem
Abschiede drohte [er tat dies in einem privaten Schrei-
ben an Voigt (siehe S. 9 ff.)], war ganz recht und
meine Sache; es reuet mich nicht im geringsten, und
ich würde dasselbe in demselben Falle wiederholen.
Einleitung
XXVII
Dass sie die Dimission annahmen, ist ihre Sache; dass
sie dabei die Form nicht so ganz beobachteten [indem
das Privatschreiben an Voigt als offizielle Eingabe be-
handelt wurde (vgl. S. 16)], gleichfalls die ihrige,
nicht die meine. Ich zürne nicht auf sie, denn ich habe
meinen Willen. Ich wollte keinen Verweis, und ich
habe keinen. Dieser Abschied wird mich nicht unglück-
lich machen. Ich billige ganz meinen ersten Brief.
Ich missbillige bloss den zweiten, den mir Paulus her-
auspresste." (Vgl. S. 17 ff.)
Und mit Schärfe urteilt Reinhold (12. Juni 1799) :
„Es muss durchaus bekannt werden, dass Sie unschul-
dig daran sind [nämlich an der offiziellen Verwertung
des ersten Privatschreibens an Voigt], dass die Regie-
rung sich selbst gesagt sein lassen wollte, was Sie nur
Voigt gesagt haben, und dass allerdings Sie gegen
Ihren Willen und um keines andern Grundes, als der
von der Regierung selbst so genannten Unbedachtsam-
keit, Amt und Brot verloren haben." So entschei-
det auch Karl Hase: „Er [nämlich Fichte] ist bei ei-
nem unbedachten Worte [der Drohung seiner Dimis-
sion in dem Briefe an Voigt] ergriffen worden, um ei-
ner Unbequemlichkeit und Verlegenheit ein Ende zu
machen."
Dem Hofe von Weimar war es darum zu tun, sich
den andern Höfen gegenüber nicht in ein feindseliges
Verhältnis zu setzen. So war es ihm vielleicht willkom-
men, dass Fichte sich eines Fehlers schuldig machte, bei
dem man ihn fassen und dadurch sich seiner entledi-
gen konnte, wenn er von Rechts wegen eine solche Be-
handlung auch nicht verdient hatte. Wie wenig Fichte
sich durch diesen Ausgang seiner Sache niederschlagen
liess, geht aus diesen Zeilen eines Briefes hervor, den er
XXVIII J. G. Fichtes Atheismus-Streit
am 28. Oktober 1 799 an seine Frau richtete : „. . . Dann
möchte ich wissen, wo denn nun das grosse Unglück
steckt, das uns betroffen haben soll? Die alberne Denk-
art, die da glaubt nur auf der Scholle, auf der sie
sitzt, glücklich sein zu können, teilst Du auch diese?
Du solltest doch bedenken, dass es nichts Zufalligeres
und Unwesentlicheres gibt als den Wechsel äusserer
Verhältnisse. — Ich wette mit Dir, soviel Du willst,
nach 1 o Jahren bin ich ein im ganzen deutschen Publi-
kum durchgängig geschätzter und verehrter Mann.
Dies sind nur die ersten kräftigen Gegenstösse gegen
die gewaltsame Einwirkung meines Geistes, der sich
nun nicht mehr verleugnen lässt. Das muss alles durch-
gefochten werden. Ich werde es an mir nicht fehlen
lassen und werde endlich siegen. Welchem Mann, der
nur kräftig wirkte, ist es anders gegangen?"
Und am 5. November 1799 schrieb er seiner Gattin:
„Ich habe bei der Ausarbeitung meiner gegenwärtigen
Schrift einen tiefern Blick in die Religion getan als noch
je. Bei mir geht die Bewegung des Herzens nur aus voll-
kommener Klarheit hervor; es konnte nicht fehlen,
dass die errungene Klarheit zugleich mein Herz er-
griff.
„Glaube mir, dass diese Stimmung an meiner un-
erschütterlichen Freudigkeit und an der Milde, wo-
mit ich die Ungerechtigkeiten meiner Gegner ansehe,
grossen Anteil hat. Ich glaube nicht, dass ich ohne
diesen fatalen Streit und ohne die bösen Folgen des-
selben jemals zu dieser klaren Einsicht und zu dieser
Herzensstimmung gekommen wäre; und so hätten ja
die mir zugefügten Gewalttätigkeiten schon jetzt eine
Folge, die weder Du noch ich wegwünschen werden."
Diese schöne Abgeklärtheit nach dem Kampfe zeigt
Einleitung
XXIX
uns deutlicher, als alle kleinliche Untersuchung der
Einzelheiten es zu erreichen vermöchte, wer hier der
Sieger war und wer der Unterlegene. Von Anfang bis
zu Ende steht unser Denker mit Mächten im Bunde,
die ein irdisches „Gouvernement" nicht regieren kann.
— Er hat in einer erneuten Untersuchung des Gegen-
standes unsres religiösen Glaubens auf die Anklage des
Atheismus geantwortet. Er hat nicht geschwiegen,
sondern bekannt, was er glaubte. Das Ergebnis seiner
Haltung war äusseres Unglück bei reinem Gewissen. Auf
Glück hatte es seine heroische Seele nicht abgesehen.
Nun aber kam zu ihm auch nicht Glück, sondern in
allem äusseren Unglück etwas, das besser ist als Glück.
Doch auch Goethe, der sein Haupt so oft wie mäch-
tig in die Region des reinen objektiven Schauens zu
erheben wusste, hat sich aus allem Unzulänglichen
aufgerafft, wenn er mit der ihm eigenen Kraft gesteht :
„Es war eine der tüchtigsten Persönlichkeiten, die man
je gesehen, und an seinen Gesinnungen in höherem Be-
tracht nichts auszusetzen ."
Ein gewaltiger Antipode des Islam (im Sinne von
tatenloser Ergebenheit in eine festgelegte Ordnung
der Dinge) war jedenfalls Johann Gottlieb Fichte, der
die Aufgabe, das zu Verwirklichende, in seinem über-
geschichtlichen Lichtscheine scharf und klar erkannte.
In der Überwindung des Geschichtlich-Irrationalen
durch das Vernünftige lebte aber nicht nur das Zeit-
alter der Aufklärung, sondern leben wir alle.
I.
ZUSAMMENFASSENDE DARSTELLUNG DER
VORGÄNGE IN EINEM BRIEFE FIGHTES AN
PROFESSOR REINHOLD*)
Jena, 22. Mai 1799.
Mein teurer Freund!
ES ist in meiner Gegenwart von mehreren würdigen
Männern die Meinung geäussert worden, ich sei,
nachdem man sich nicht begnügt, überhaupt dem Pu-
blikum zu sagen, dass ich meine Entlassung gefordert
und sie erhalten habe, sondern ihm noch überdies meh-
rere Aktenstücke vorgelegt, ich sei, sage ich, nunmehr
verbunden, demselben Publikum auch von meiner Seite
Rechenschaft über diese Aktenstücke und über die Um-
stände, die meine Entlassung begleitet, abzulegen. Ich
befinde mich soeben in Absicht dessen, was man Pu-
blikum nennen mag, in einer Stimmung, dass ich mei-
nem eigenen Urteile über das, wozu man diesem ver-
bunden oder nicht verbunden sei, nicht füglich trauen
*) Aus : Immanuel Hermann Fichte : Johann Gottlieb Fichtes
Leben. Bd. 2 2 (1862), S. 84 ff.
Fichte 1
2
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
kann; aber ich weiss, was ich dem Wunsche meiner
Freunde, ihre Liebe, ihr Zutrauen, ihre Achtung gegen
mich nicht geschmälert zu sehen, schuldig bin. Sie,
inniggeliebter Freund, sollen es sein, welchem ich diese
Rechenschaft gebe, und von Ihnen soll es abhängen,
ob sie noch vor mehreren abgelegt wird.
Unsere Verantwortungsschriften, die Sie hierbei ab-
gedruckt erhalten, hätten dem gewöhnlichen Geschäfts-
gange nach an den Prorektor der Universität einge-
schickt werden sollen. Sie wurden unmittelbar an die
Herzoge zu Weimar, Gotha, Koburg, Meiningen ein-
gesendet, mit folgender Bittschrift*), welche die Grün-
de dieser Übergehung des akademischen Senats ent-
hält.
Es war unter allen, die ich über diese Sachen ur-
teilen gehört, keiner, der nicht die sonderbare Verle-
genheit unserer Höfe in dem Gedränge zwischen der
zu schonenden Meinung des grossen Publikums und
zwischen öffentlichen sowohl als persönlichen Bezie-
hungen zu dem requirierenden Hofe und zu andern
Höfen empfunden hätte. Natürlich konnte auch mir
diese Ansicht nicht entgehen.
Ebensowenig konnte mir unbekannt sein, was die
Höfe in solchen Fällen wünschen, und wie denn auch
gewöhnlich dergleichen bedenkliche und verfängliche
Angelegenheiten abgetan zu werden pflegen. Man un-
terhandelt nämlich schriftlich oder mündlich mit ir-
gendeinem Mitgliede des Geheimrats, mit welchem
man in nähern Beziehungen steht, oder zu dem man
das grösste Vertrauen hat. Man erkundigt sich, was
man sagen und was man nicht sagen solle, welche
*) Sie ist als unwesentlich von I. H. Fichte nicht abgedruckt
worden.
Darstellung der Vorgänge
3
Schritte man tun und welche man nicht tun solle,
und erhält dafür die Zusage, dass die Sache so und so
beendigt werden solle; welche Beendigung gewöhnlich
daraufhinausläuft, dass der Untergebene der guten Sache
(d.h. um die Regierung aus der Verlegenheit zu ziehen)
dieses oder jenes Opfer zu bringen habe.
Ich hatte wohl ehemals dieser Politik mich gefügt.
Als im Jahre 1 795 durch die Unentschlossenheit der
Höfe und durch das Misstrauen des Staats meine vor-
gehabte Ausrottung der akademischen Orden*) zu mei-
nem Nachteil ausfiel und ich dadurch genötigt wurde,
Jena auf ein halbes Jahr zu verlassen, ergingen des-
wegen die ehrenrührigsten Gerüchte über mich ins
Publikum. Ich verfasste, um diese Gerüchte zu wider-
legen, eine sorgfältige Geschichtserzählung jener Un-
terhandlungen und Begebenheiten, welche der Publi-
zität zu übergeben ich ohne Zweifel das vollkommenste
Recht und durch die auf meine Ehre geschehenen
Angriffe die dringendste Aufforderung hatte. Ich teilte
jedoch diese Geschichtserzählung in der Handschrift
einem Mitgliede des Geheimrats, dieser sie dem Her-
zoge mit, und ich erhielt den Bescheid : man wünsche,
dass ich diese Sache möchte ruhen lassen. Ich wäre
ein Mensch ohne Lebensart gewesen, wenn ich diesen
Wunsch nicht als einen Befehl respektiert hätte. Ich
tat es, ich Hess die Sache ruhen und erhielt dafür die
kräftige Unterstützung des Hofes in einer Streitig-
keit, welche mir gleich nachher die philosophische
*) Fichtes Versuch, die drei Jenenser Studentenorden, deren
Treiben ihm unsittlich schien, aufzulösen, scheiterte, als die
Studenten sich von dem einflussreichen Lehrer an den Hof
verraten glaubten.
1^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Fakultät erregte und in der sie dem Buchstaben des
Gesetzes nach vollkommen recht hatte.
Man wünschte und erwartete von mir auch in die-
ser Sache des angeschuldigten Atheismus einen sol-
chen Versuch der Unterhandlung, dergleichen Erkun-
digungen und Verabredungen. Die Beweise, die ich
dafür habe, sind folgende. Ich erhielt beim Anfange
des Handels durch mehrere gemeinschaftliche Freunde
Grüsse, Kondolenzen wegen der mir erregten Un-
ruhen, Versicherungen von Wohlwollen, Erinne-
rungen an das ehemalige freundschaftliche Verhältnis
von einem gewissen Mitgliede des Geheimrats, den
ich persönlich zu sprechen vermied. Ferner, als meine
Appellation erschienen war, wurde mir von sicherer
Hand gemeldet*), man wundere sich höhern Orts, dass
ich nicht erst angefragt habe, ob ich eine solche Appel-
lation erscheinen lassen solle ; warum ich denn an das
Publikum appelliere; ich habe es ja lediglich mit
ihnen, mit helldenkenden, wohlwollenden Regie-
rungen zu tun ; an sie habe ich mich zu wenden, u. dgl.
Man bemerke hierbei : meine Appellation war nicht
gegen das kursächsischeRequisitionsschreiben, in Rück-
sicht dessen ich es allerdings nur mit meiner Regie-
rung zu tun hatte, gerichtet; die erstere war ausge-
arbeitet und zum Teil abgedruckt, ehe ich von der
Existenz eines solchen Requisitionsschreibens auch nur
wusste ; sie ging nur gegen die in allen Zeitungen vor
dem Publikum liegende Beschuldigung des Atheismus
im „Konfiskationsedikte". Und in welcher Rücksicht
sollte ich denn anfragen, ob ich eine Appellation an das
Publikum erscheinen lassen dürfe? Doch nicht um
juristisch ein Recht zu erhalten, das ich als Gelehrter
•) Siehe Seite i53 (Schiller an Fichte).
Darstellung der Vorgänge
5
und als zensurfreier Professor unstreitig schon hatte,
sondern aus politischen Rücksichten, nach denen ich
mich fügen müsse und wolle, wie man ohne weiteres
voraussetzte. Die Verwunderung, warum ich nicht an-
gefragt habe, war sonach eine Verwunderung, warum
ich nicht unterhandelt habe.
Die Artikel des zu schliessenden Vertrags würden
folgende gewesen sein : ich solle in dieser Sache so wenig
Aufsehen erregen als irgend möglich, meine Verteidi-
gung ganz leicht und ohne Ernst und Stärke führen,
auf den Streitpunkt selbst so wenig als möglich mich ein-
lassen, bemänteln, verdecken, einige Unvorsichtigkeit
zugestehen, Besserung versprechen u. dgl. Dagegen
werde man mich mit einem gelinden Verweise der zu-
gestandenen Unvorsichtigkeit durchlassen, dieses an
Kursachsen berichten, für mich interzedieren, in mei-
nem Namen Besserung versprechen und bei irgendeiner
andern Gelegenheit mir wiederum zu Willen sein. Dass
dieses die Bedingungen gewesen sein würden, dafür
habe ich folgende Beweise: man hat, nachdem meine
Verteidigung eingegangen, sich wiederholt beklagt,
dass ich die Sache viel zu ernsthaft genommen, die
Regierungen in die Enge getrieben und ihnen keinen
Ausweg übriggelassen. Ferner, man erzählt selbst ge-
flissentlich, dass man von weimarischer Seite vom An-
fange des Streits an sorgfältig an den übrigen Höfen
unterhandelt und es endlich mit Mühe dahin gebracht,
dass auf die Sache selbst nicht eingegangen, sondern
uns nur ein leichter Verweis einiger Unvorsichtigkeit
gegeben werden solle ; dass sonach das Urteil fertig ge-
wesen, ehe die Verantwortung der Beklagten einge-
gangen und die letztere nur zum Schein gefordert
worden, welches sich auch aus der Beschaffenheit die-
6
J. G. Fichte» Atheismus-Streit
ses Urteils ergibt, indem dasselbe zu unserer Verteidi-
gung nicht eben passt. Die Gründe dieser Bedingun-
gen sind leicht einzusehen. Zu einem reinen Urteile
in der Sache : entweder dass die Beschuldigung des Athe-
ismus, der Anstössigkeit und Gefährlichkeit der Fich-
teschen Lehre grundlos und Kursachsen mit seinem
Begehren abzuweisen sei, oder dass diese Beschuldigung
gegründet und Fichte als Irrlehrer seines Amtes zu
entsetzen sei, zu einem solchen reinen Urteile und
Rechtsspruche, wie er in dieser Sache gefallt werden
sollte, war die Politik wenigstens des weimarischen
und wahrscheinlich noch eines zweiten ernestinischen
Hofes gewiss nicht zu bringen. Es musste vermittelt,
es musste ein Seitenweg eingeschlagen werden, der die
beiden interessierten Parteien, Kursachsen und das
grosse Publikum, schonte ; und diesem Seitenwege soll-
te ich mich fügen. Recht gegen den mächtigen An-
kläger erhalten konnte ich bei ihnen nicht; vielleicht
sollte ich auch so wenig als möglich verletzt werden,
aber diese Schonung musste als Gnade erscheinen.
So konnte wohl der Hof rechnen, aber nicht ich.
Ich war dieser geheimen Gänge überhaupt schon seit
langem müde, hatte seit geraumer Zeit auch in andern
Angelegenheiten nicht nachgesucht noch angefragt;
besonders aber wollte ich es in dieser Sache nicht tun.
Ich glaubte es der Wahrheit schuldig zu sein, glaubte,
es sei von unübersehbar wichtigen Folgen, dass die
Höfe zu einem reinen Rechtsurteile genötigt würden,
dass ich wenigstens von meiner Seite nichts täte, um
ihnen die Abweichung davon möglich zu machen.
Fiele dieses reine Urteil für mich aus, so habe die
Wahrheit einen wichtigen, dem grossen Haufen impo-
nierenden Sieg erfochten. Fiele es gegen mich aus, so
Darstellung der Vorgänge ^
wüssten von nun an alle freien Denker, wie sie mit
den gegenwärtigen Regierungen daran wären und was
sie von denselben zu erwarten hätten. Zu diesem Zwek-
ke ist meine Verantwortungsschrift geschrieben; aus
diesen Gründen vermied ich es, während des Laufs
dieser Sache irgendeinen Geheimrat zu sprechen oder
ihm zu schreiben.
Wäre ich doch diesem über ein Vierteljahr hindurch
bis wenige Tage vor der endlichen Entscheidung fest-
gehaltenen Entschlüsse nur noch diese wenigen Tage
über treu geblieben ! Was sie auch getan hätten, einen
Schein des Rechts hätten sie nicht über mich gewin-
nen sollen. Hätte ich ihnen doch nicht diesen Schein
durch ein unglückliches Herausgehen aus meinem Cha-
rakter in die Hände gegeben! Möge ich durch meine
Reue, durch das freimütige Geständnis meines Fehlers,
durch die unangenehmen Folgen desselben für mich
ihn sattsam abbüssen können!
Ach, es ist so schwer, wenn man von lauter klugen,
politischen Menschen umgeben ist, streng rechtlich zu
bleiben! Dass bei Herannahung einer grossen Ent-
scheidung die Phantasie sich verirre, dass sie durch
die gewohnte Vorspiegelung des grösseren gemeinen
Resten, welcher oft wohl auch unsere eigene Requem-
lichkeit und das Widerstreben, aus dem gewohnten
Gleise herauszugehen, uns selbst unbewusst, zugrunde
liegen mag, wenigstens unsere Gedanken verleite, ist
vielleicht noch zu verzeihen, wenn wir uns nur nicht
bis zur Nachgiebigkeit gegen ihre Vorspiegelungen hin-
reissen lassen.
Es erschien mir als sehr möglich, dass man mir
durch den akademischen Senat einen harten, meine
Ehre angreifenden Verweis zukommen lasse; ich konnte
8
J. G. Fichte» Atheismus-Streit
sicher berechnen, dass derselbe nicht innerhalb der
Kenntnis der Regierungen und des Senats bleiben,
sondern von den boshaftesten Anmerkungen begleitet
auf mehreren Seiten an das grössere Publikum ge-
bracht werden würde. Es war mir klar und ist es noch,
dass nach einer solchen Behandlung die Ehre mir ge-
bieten würde, meine Stelle niederzulegen. Die Phan-
tasie spiegelte mir vor, es sei Pflicht der Klugheit," es
erfordere die Sorge für das Beste der Wissenschaft,
dieser Notwendigkeit vorzubeugen, das Ausserste zu
vermeiden und in dieser Absicht einen Mann, der in
die zu fassende EntSchliessung den bedeutendsten Ein-
fluss haben musste, auf die Notwendigkeit, in dem
befürchteten Falle meine Stelle niederzulegen, auf-
merksam zu machen. Kurz, es war mein vorüber-
gehender Einfall, einem gewissen Mitgliede des Ge-
heimen Konsilii zu schreiben, dass ich nach einem
öffentlichen, meiner Ehre nachteiligen oder nachteilig
werden könnenden Verweise mich für genötigt halten
würde, meine Dimission zu begehren, privatim aber
und so, dass es zwischen der Regierung und mir bleibe,
mir alles wolle sagen lassen, was ihnen mir zu sagen
gefallen könne.
Ob ich mir selbst überlassen diesem Einfalle würde
nachgegeben haben, und nicht vielmehr mein erster
Entschluss, durch nichts mich von der Bahn der of-
fenen gerichtlichen Verhandlung abbringen und die
Regierung ganz auf ihre eigene Gefahr handeln zu
lassen, wieder eingetreten sein würde, darüber wage
ich nicht etwas Entscheidendes zu behaupten; nach
meiner ganzen Kenntnis von mir selbst aber glaube
ich das letztere.
Aber ich blieb mir nicht selbst überlassen. Ich
Darstellung der Vorgänge g
teilte meinen Einfeil der einzigen Autorität, die es in
dieser Gegend ja für mich gegeben hat, der Autorität
des mir bekannten Biedersinns, der grössern Welter-
fahrenheit und Kälte mit. Man billigte diesen Einfall,
man nahm eigenen Anteil an ihm, so dass dieses
Schreiben eine gemeinschaftliche Angelegenheit wurde;
man fand Gefahr beim Verzuge; in einigen Stunden
wurde der Entschluss gefasst, der Brief entworfen, von
der andern Seite durchgesehen und gebilligt, geschrie-
ben und abgeschickt. Hier ist dieser Brief, in denjenigen
Zusammenhang gestellt, in welchen er gehört.
„Ich habe, verehrungs würdiger Herr Geheimrat,
in der bekannten Angelegenheit keinem Manne am
Platze extra acta mich mitteilen wollen. Jetzt sind
unsere Verantwortungsschriften eingelaufen, und es
ist daran, mein Schicksal und vielleicht das Schicksal
einer berühmten Universität zu entscheiden. Nach
reiflicher Überlegung halte ich es denn doch für Pflicht,
ein Wort dazwischen zu reden, ehe beides entschie-
den wird.
„Ich wende mich an Ew. Hochwohl geboren als an
denjenigen, der mich hierher gerufen und der eine
Zeitlang die Güte gehabt, meine Angelegenheit für
einen Teil der seinigen zu halten. Ich überlasse es
gänzlich Ihrer eigenen Weisheit, inwiefern Sie von
dem, was ich Ihnen sagen werde, weiteren Gebrauch
machen oder lediglich Ihre eigenen Ratschläge und
Massregeln dadurch bestimmen lassen wollen.
„Kein Wort über den Streitpunkt selbst. Was ich
in der Appellation, was ich in meiner Verantwortungs-
schrift darüber gesagt, ist nicht viel mehr als nichts.
Ich vermag es nicht auszusprechen, wie ungeheuer
das Missverständnis ist. Man hat nicht die leiseste
10
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Ahnung von der eigentlichen Tendenz meines Systems,
noch haben Ankläger und die aufgestellten Richter
den Beruf, diese Ahnung zu haben ; und davon hängt
doch die Beurteilung der einzelnen Teile desselben ab.
Wären nur erst noch einige Jahre mehr in das Meer
der Zeit verflossen ! Dann wird man es einsehen, dass,
wie ich in einer soeben unter meinen Händen befind-
lichen Schrift sage, der Vorwurf, den man mir macht,
dem völlig gleich ist, den man einem Maler machen
würde, dass seine gemalten Pferde nicht etwa nur —
nicht gingen wie wirkliche Pferde, sondern nicht flö-
gen wie ein Pegasus, und den Blinde, die sein Werk
nur durch das Tappen kennten, ihm machten. Ich
möchte die Beschämung nicht teilen, die nach wenigen
Jahren alle empfinden werden, die in dieser Sache
nicht so ganz recht gehandelt, wenn sie ihres Anteils
daran sich erinnern werden.
„Die Frage, warum man einen Professor der Philo-
sophie, der weit entfernt ist, Atheismus zu lehren, zur
Verantwortung zieht und den Generalsuperintenden-
ten dieses Herzogtums, dessen öffentlich gedruckte
Philosopheme in der Tat dem Atheismus so ähnlich
sehen wie ein Ei dem andern*), nicht zur Verantwor-
tung zieht, diese Frage, die ich aus Diskretion nicht
getan habe, wird nächstens ein anderer tun, wenn ich
es nicht verbitte; und ich werde es sicher nicht ver-
bitten, wenn man noch einen Schritt vorwärts gegen
mich tut.
*) Herders Ansichten werden wir heute wohl ebensowenig wie
die Spinozas als atheistisch bezeichnen. Fichtes Gereiztheit
erklärt sich, wenn man bedenkt, dass damals gerade Herders
Metakritik erschien. Vgl. dazu LH. Fichte: Paulus und Fichte
(Freihafen 1840. II, S. 211).
Darstellung der Vorgänge | |
„Jetzt nehme ich mir nur die Freiheit, eine Stelle
in meiner Verantwortungsschrift zu kommentieren.
,Man wird mir*, sage ich in derselben, ,wohl auch
keinen gerichtlichen Verweis geben ; man wird gegen
meine Ehre, die mir lieber ist, als mein Leben, nichts
tätlich unternehmen.*
„Das habe ich gesagt, weil ich zu dem Entschlüsse
leiten möchte, es nicht zu tun, nicht aber, als ob ich
wüsste oder so sicher darauf rechnen könnte, dass man
es nicht tun würde. Persönliche Beziehungen au f mich,
die sich ergeben haben sollen, neuerlich entstandene Be-
ziehungen auf die ganze Universität und, was mehr ist,
die Beziehungen auf Kursachsen dürfen wohl, um dem
letztern eine Art von Genugtuung zu geben, auf den
Entschluss leiten, mir durch den akademischen Senat
eine derbe Weisung zukommen zu lassen und zu
rechnen, dass ich, wenn auch nicht in gleichem Grade
dafür interessiert, den Verfasser vom Grabmal des
Leonidas*) kein Dementi bekommen zu lassen, den-
noch diesen Verweis ruhig hinnehmen werde.
„Ich muss erklären, verehrtester Herr Geheimrat,
dass darauf nicht zu rechnen ist; das darf ich nicht,
das kann ich nicht. — Ich darf nicht. Mein Benehmen
in dieser ganzen Sache von Anfang an bis hierher ist
meiner innigsten Überzeugung nach nicht nur tadel-
los, sondern preiswürdig, und es ist verächtlich, das
Preiswürdige, es sei an andern oder an uns selbst,
öffentlich schelten zu lassen, inwieweit es an uns liegt,
den Tadel desselben abzuwehren. — Ich kann nicht.
Ich bin gerade durch meine Feinde schon lange
und jetzt mehr als je in eine Lage getrieben, die die
*) Heinrich Ludwig von Wurmb verfasste 1798 „Das Grabmal
des Leonidas". [Dresden.]
12
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
strengste Unbescholtenheit zur Bedingung meiner
Existenz macht. Freund und Feind erwartet diese von
mir und mutet sie mir an. Ich kann, ohne alles zu
verlieren, etwas Unanständiges ebensowenig öffent-
lich erdulden als tun. Jener Verweis würde in kurzer
Zeit in allen Zeitungen abgedruckt erscheinen und
mit lautem Hohngelächter und Schadenfreude von
meinen Feinden aufgenommen werden. Jeder recht-
liche Mensch würde fühlen, dass es mir die Ehre ver-
böte, Regierungen, die mich eines solchen Verweises
für wert geachtet hätten, länger unterworfen zu sein,
und die allgemeine Verachtung würde mich treffen,
wenn ich es bliebe. Es würde mir nichts übrig sein,
als den Verweis durch Abgebung meiner Dimission
zu beantworten und diesen Brief, den ich mir gegen-
wärtig die Ehre gebe, Ew. etc. zu schreiben, der all-
gemeinsten Publizität zu übergeben.
„Es ist Schuldigkeit, noch folgendes hinzuzusetzen.
Mehrere gleichgesinnte Freunde, welche man für be-
deutend für die Akademie erkannt hat, und welche in
der Verletzung meiner Lehrfreiheit die ihrige als mit-
verletzt ansehen würden, sind auch über die Ansicht,
die ich Ew. etc. soeben vorgelegt, mit mir einig ; sie
haben mir ihr Wort gegeben, mich, falls ich auf die
angegebene Weise gezwungen würde, diese Akademie
zu verlassen, zu begleiten und meine ferneren Unter-
nehmungen zu teilen; sie haben mich berechtigt,
Ihnen dieses bekannt zu machen. Es ist von einem
neuen Institute die Rede; unser Plan ist fertig, und
wir können dort denselben Wirkungskreis wieder zu
finden hoffen, welcher allein uns hier anzuziehen ver-
mochte, und die Achtung, welche man auf diesen Fall
uns hier versagt haben würde.
Darstellung der Vorgänge £ 3
„Ich empfehle diese Sache Ihrer Weisheit und Ge-
rechtigkeitsliebe, mich selbst aber und meine übrigen
Angelegenheiten Ihrem gütigen Wohlwollen und bin
mit der gewohnten Verehrung
Ew. etc."
Jena, den 22. März 1799.
Ich habe vorläufig noch zwei Anmerkungen zu die-
sem Schreiben zu machen. Die erste: Ob ich das voll-
kommenste, gegründetste Recht haben mochte, die
Stelle: „Mehrere gleichgesinnte . . . berechtigt, Ihnen
dies bekannt zu machen" — zu schreiben, überlasse
ich der Beurteilung derer, die meinen Charakter durch
persönlichen Umgang kennen. Wenn vor dem grössern
Publikum mein Recht nur durch Anführung der Um-
stände dargetan werden kann, so will ich vor dem-
selben lieber Unrecht behalten. Ich habe über diesen
Punkt keinem andern, wohl aber mir selbst das un-
verbrüchlichste Stillschweigen aufgelegt und werde
es beobachten*). Die zweite: In die folgende Stelle:
„Es ist von einem neuen Institut die Rede etc.", lese
*) Dr. Augusti an I. H. Fichte. [I. H. Fichte: Joh. Gottl.
Fichtes Leben und lit. Briefwechsel, i 2 (1862), S. 3oo.] „Von
einer Zusicherung, welche Ihr seliger Vater von mehreren
Professoren und Dozenten erhalten haben soll, dass sie eben-
falls ihre Dimission fordern würden, wenn er die seine er-
hielte, habe ich niemals etwas Offizielles erfahren. Aber so
viel weiss ich, dass ein ziemlich allgemeines Gerücht folgende
Männer als diejenigen nannte, welche eine solche Versicherung
gegeben hätten: 1. Kirchenrat Paulus, 2. Justizrat Hufeland,
3. Geh. Hofrat Loder, 4« Geh. Hofrat Hufeland, 5. Professor
Ilgen, 6. Professor Niethammer, 7. Privatdozent Dr. Kilian." —
In der Tat haben alle die Genannten bald Jena verlassen.
I ^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
man nicht mehr hinein, als die Worte sagen. Unter
dieser Voraussetzung enthält sie die strengste Wahr-
heit; weitere Kunde wird kein verständiger und bil-
liger Mann von mir verlangen. Zur Ausführung des
entworfenen Plans war freilich auf ein Worthalten
und eine Entschlossenheit gerechnet, welche nicht ein-
traten.
Damit der durch mich nun mit ausdrücklichen Wor-
ten, aber durch starke Bezeichnung des entgegenge-
setzten öffentlichen und gerichtlichen Verweises an-
gegebene Ausweg des Privatverweises nicht übersehen
werde, veranstaltete ich, dass er dem Manne, an den
der Brief gerichtet war, noch denselben Tag, als er
ihn erhalten, in einer mündlichen Unterredung an-
gegeben und alle zu besorgenden Folgen eines öffent-
lichen Auftritts ihm noch einmal mit Ausführlichkeit
und Stärke vorgelegt wurden. Alles dies geschah den
22. März und die folgenden Tage.
Den 2. April wurde mir folgendes Reskript und
Postskript ausserhalb der Akten bekannt:
Von Gottes Gnaden Karl August,
Herzog von Sachsen etc.
An den akad. Senat zu Jena!
Unsern gnädigsten Gruss zuvor! Würdige, Hoch-
und Wohlgelahrte, liebe Andächtige und Getreue ! Die
nach Inhalt Eures Berichts vom 23. dieses Monats von
den Herausgebern des „Philosophischen Journal", den
Professoren Fichte und Niethammer, bei Euch ange-
zeigte Einsendung der wegen beigemessener Atheisterei
ihnen abgeforderten Verantwortung ist an Uns wirk-
lich erfolgt, und Wir haben aus dieser Verantwortungs-
schrift zu ersehen gehabt, wie obgedachte Professoren
Darstellung der Vorgänge j 5
die gerügten Stellen des „Philosophischen Journal" mit
einer Erklärung der von ihnen angenommenen philo-
sophischen Terminologie von jenem Vorwurf befreien
wollen.
Ob nun wohl philosophische Spekulationen kein
Gegenstand einer rechtlichen Entscheidung sein kön-
nen, so müssen Wir demungeachtet die von den Her-
ausgebern des „Philosophischen Journal" unternom-
mene Verbreitung der nach dem gemeinen Wortver-
stande so seltsamen und anstössigen Sätze als sehr un-
vorsichtig erkennen, indem Wir doch berechtigt sind,
von akademischen Lehrern zu erwarten, dass sie die
Reputation der Akademie eher durch Zurückhaltung
dergleichen zweideutiger Äusserungen und Aufsätze
über einen so wichtigen Gegenstand prospizieren
sollten.
Wir begehren daher andurch gnädigst, Ihr wollet
den Professoren Fichte und Niethammer nach einge-
gangenen konformen Reskripten der fürstlichen Höfe
ihre Unbedachtsamkeit verweisen und ihnen eine bes-
sere Aufmerksamkeit auf die in das Publikum zu
bringenden Aufsätze anempfehlen.
Wir versehen Uns auch künftig von allen akademi-
schen Lehrern, dass sie sich solcher Lehrsätze, welche
der allgemeinen Gottesverehrung widerstreiten, in ih-
ren Vorträgen enthalten werden.
An dem geschieht Unsere Meinung, und Wir sind
Euch mit Gnaden gewogen.
Gegeben Weimar, den 29. März 1799.
Karl August,
Herzog zu Sachsen.
i6
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Postsc riptum.
Auch
Würdige etc. geben Wir Euch aus der abschriftlichen
Beilage *) zu ersehen, wie der Professor Fichte Euers
Orts in einer Zuschrift, welche er an ein Mitglied
Unsers Geheimen Konsilii erlassen, deklariert hat,
einen in der Sache wegen der ihm beigemessenen
Atheisterei ihm zugehenden Verweis durch Abgebung
seiner Dimission zu beantworten **).
Da ihm nun in Unserm Hauptreskript dieser Ver-
weis hat zuerkannt werden müssen, so haben Wir
die EntSchliessung gefasst, die anerklärte Abgebung
seiner Dimission Unsers Teils sofort anzunehmen.
Wir begehren daher andurch gnädigst, Ihr wollet
demselben, wenn über seine Dimissionsabgebung Con-
formia eingegangen sind, die Entlassung erteilen, auch
ihm von dieser Unserer EntSchliessung vorläufige Er-
öffnung tun, wie Wir denn auch denjenigen, die ihm
seinem Anführen nach zu folgen gedenken, die Ent-
lassung vorzuenthalten nicht gemeint sind.
Datum ut in Rescr. Weimar, den 29. März 1799.
Karl August,
Herzog zu Sachsen.
Ich sollte glauben, jedem Unbefangenen müssen in
Absicht des Gebrauchs, den man von meinem oben-
stehenden Briefe gemacht, und des Verfahrens, das
*) Diese Beilage ist mein obenstehender Brief vom 22. März.
[Anm. von Joh. Gottl. Fichte.]
**) Warum schrieb der Konzipient nicht: beantworten zu
wollen, welches die Wortfolge zu fordern scheint? [Anm. von
J. G. Fichte.]
Darstellung der Vorgänge i ^
man darauf gegründet, folgende Bedenklichkeiten
aufstossen: i. wie dieser Brief als aktenmässig be-
trachtet und darauf ein öffentlich gültiger Beschluss
habe gegründet werden können; 2. wie, wenn er auch
für aktenmässig zugestanden würde, die in demselben
enthaltene Vorherverkündigung meiner Dimissions-
abgabe auf einen bestimmten Fall für die wirklich
geschehene Niederlegung meines Amts habe genom-
men und der noch in der Mitte liegende freie Willens-
akt mir habe entzogen werden können; 3. wie endlich,
wenn auch dies hätte geschehen dürfen, man habe urtei-
len können,dass die in meinem Briefe gesetzteBedingung
durch das herzogliche Reskript wirklich eingetreten.
Meine Freunde, die mich der Akademie zu erhalten
wünschten, vermittelten, dass die Publikation des
weimarischen Reskripts an den Senat einige Tage ver-
schoben wurde, damit etwa während der Zeit der Hof,
ohne sich zu kompromittieren, seinen Entschluss in
der Stille zurücknehmen könnte, und beredeten mich,
um eine solche Zurücknahme womöglich zu veran-
lassen, den folgenden Brief an denselben Geheimrat
zu schreiben. Ich gab diesem Rate meiner Freunde
um so eher nach, da durch den Inhalt des ersten
Briefes die Sache eine gemeinschaftliche Angelegen-
heit geworden war und ich die EntSchliessung der
übrigen noch nicht kannte. Es wird in diesem Briefe
der oben bemerkte dritte Punkt zur Sprache gebracht
und eine authentische Erklärung in Rücksicht des-
selben gegeben.
Hochwohlgeborener etc.
Ich habe extra acta erfahren, dass die Bedingungen,
unter denen allein mein Schreiben vom 22. März an
Fichte 2
I g J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Ew. etc. offiziell werden konnte, eingetreten sein
müssen, dass dieses Schreiben für eine wirklich ge-
schehene Abgebung meiner Dimission auf einen be-
stimmten Fall genommen, und dass geurteilt worden,
dieser Fall sei wirklich eingetreten.
Nur über die letztere Voraussetzung habe ich gegen-
wärtig die Ehre, eine bestimmtere Erklärung hinzu-
zufügen, teils um von meiner Seite keine Dunkelheit
oder Zweideutigkeit übrigzulassen, die auf die zu neh-
menden Massregeln einfliessen könnte, teils um meinen
Freunden, mit welchen einverstanden ich jenen Brief
schrieb, und welche glauben, dass es einer solchen wei-
tern Erklärung desselben bedürfe, Genüge zu tun.
Ich beschrieb die Umstände, unter denen ich genö-
tigt sein würde meine Dimission abzugeben, in einem
Schreiben vom a3. März in der Stelle: ,Ich bin gerade
durch meine Feinde . . . würde mich treffen, wenn
ich bliebe', sehr ausführlich und setzte hinzu : meine
Freunde würden in der Verletzung meiner Lehrfreiheit
die ihrige als zugleich mitverletzt betrachten. Ich redete
sonach von einer Verfügung, die als eine Verletzung
der Lehrfreiheit hätte angesehen werden können, und
von einem Verweise, der den Gebrauch derselben in
öffentlicher Untersuchung aller Gegenstände der Spe-
kulation ihrer Materie nach getroffen und die gegen
mich vorgebrachte Beschuldigung des Atheismus be-
stätigt und meine Religionslehre selbst angegriffen
hätte. Nur in diesem Falle der gescholtenen Freiheit
der Untersuchung und der Hemmung derselben konnte
ich den Entschluss, meine Stelle niederzulegen, als
unausbleiblich notwendig ankündigen, nur auf diesen
Fall habe ich ihn als unausbleiblich notwendig ange-
kündigt haben wollen, dem Zusammenhange und die-
Darstellung der Vorgänge j g
ser meiner authentischen Erklärung nach. Einen Point
(Thonneur der Eitelkeit, der um höherer Zwecke wil-
len eine kleine Demütigung nicht ertragen könnte,
habe ich nicht, noch habe ich ihn affektieren wollen.
In diesen von mir verstandenen Fall setzt mich nun
das ergangene herzogliche Reskript nicht. Die Lehre
selbst bleibt in demselben völlig an ihren Ort gestellt,
es wird ausdrücklich anerkannt, dass philosophische
Spekulationen kein Gegenstand einer gerichtlichen
Entscheidung sein können, und bloss das an uns ge-
tadelt, dass wir eine philosophische Terminologie ge-
wählt, in der unsere Philosopheme dem gemeinen
Sprachgebrauche nach als zweideutig und anstössig
erscheinen müssen. Jetzt völlig an seinen Ort gestellt,
inwiefern dieser Tadel überhaupt uns treffe und ob
nicht die Veranlassung desselben vermieden werden
könne, ist es wenigstens nicht der, den ich in meinem
Schreiben vom 22. März meinte, und ich will weder
vor mir selbst, noch vor dem Publikum das Ansehen
haben, dass ich aus dieser Ursache meine Stelle frei-
willig niedergelegt.
Ich bitte Ew. etc. dieses als eine authentische Er-
klärung meines Briefes vom 22. März und als einen
Teil desselben anzusehen, ihm dieselbe Offizialität zu
geben, welche jener erhalten, und insbesondere auch
ihn dem Durchlauchtigsten Herzoge vorzulegen, in-
dem mir in jedem zu erwartenden Falle viel daran
liegt, Höchstdemselben in meinem wahren Lichte zu
erscheinen.
Ich verharre etc.
Dieser Brief wurde jenem Geheimrat wirklich ein-
gehändigt, und er versprach, ihn dem Herzoge mit-
zuteilen. Es erfolgte nach einigen Tagen an den Pro-
*
1
20
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
rektor der Bescheid, mein Brief sei vom Herzoge nicht
angesehen worden als etwas in seiner EntSchliessung
ändernd. Das oben befindliche weimarische Reskript
und Postskript zirkulierte jetzt und wurde dem im
Postskript enthaltenen Befehle gemäss mir offiziell
mitgeteilt usw.
Fichte.
vwvvwvvvvvvvvvvvvvvvvvvvwvvvvvvvvvvv^^
II.
ÜBER DEN GRUND ÜNSERS GLAUBENS AN
EINE GÖTTLICHE WELTREGIERUNG
(Philosophisches Journal Bd. VIII,*) 1798)
DER Verfasser dieses Aufsatzes erkannte es schon
längst für seine Pflicht, die Resultate seines Phi-
losophierens über den oben angezeigten Gegenstand,
welche er bisher in seinem Hörsaale vortrug, auch dem
grösseren philosophischen Publikum zur Prüfung und
gemeinschaftlichen Beratung vorzulegen. Er wollte
dies mit derjenigen Bestimmtheit und Genauigkeit
tun, zu welcher die Heiligkeit der Materie für so viele
ehrwürdige Gemüter jeden Schriftsteller verbindet ; in-
dessen war seine Zeit durch andere Arbeiten ausge-
füllt, und die Ausfüh-[2]rung seines Entschlusses ver-
zog sich von einer Zeit zur anderen.
Indem er gegenwärtig, als Mitherausgeber dieses
Journals, den folgenden Aufsatz eines trefflichen phi-
losophischen Schriftstellers mit vor das Publikum zu
bringen hat, findet er von der einen Seite eine Erleich-
terung; da dieser Aufsatz in vielen Rücksichten mit
*) Die Seitenzahlen des Philosophischen Journals, nach denen
im folgenden zitiert wird, sind in den Text an den entspre-
chenden Stellen eingefügt worden.
22
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
seiner eigenen Überzeugung übereinkommt, er auf ihn
sich berufen, und dem Verfasser desselben es über-
lassen kann, auch mit in seinem Namen zu reden; von
einer anderen Seite aber eine dringende Aufforderung
sich zu erklären, indem derselbe Aufsatz in manchen
anderen Rücksichten seiner Überzeugung nicht sowohl
entgegen ist, als nur dieselbe nicht erreicht; und es
ihm doch wichtig scheint, dass die Denkart über diese
Materie, welche aus seiner Ansicht der Philosophie
hervorgeht, gleich anfangs vollständig vor das Publi-
kum gebracht werde. Er muss sich jedoch für jetzt
begnügen, nur den Grundriss seiner Gedankenfolge
anzugeben, und behält sich die weitere Ausführung
auf eine andere Zeit vor.
Was den Gesichtspunkt bisher fast allgemein ver-
rückt hat, und vielleicht noch lange fortfahren wird,
ihn zu verrücken, ist dies, dass man den sogenannten
moralischen, oder irgendeinen philosophischen Beweis
einer göttlichen Weltregierung für einen eigentlichen
Beweis gehalten ; dass man anzunehmen geschienen, [3]
durch jene Demonstrationen solle der Glaube an Gott
erst in die Menschheit hineingebracht, und ihr an-
demonstriert werden. Arme Philosophie! Wenn es nicht
schon im Menschen ist, so möchte ich wenigstens nur
das wissen, woher denn deine Repräsentanten, die doch
wohl auch nur Menschen sind, selbst nehmen, was
sie durch die Kraft ihrer Beweise uns geben wollen ;
oder, wenn diese Repräsentanten in der Tat Wesen
von einer höheren Natur sind, wie sie darauf rechnen
können, Eingang bei uns anderen zu finden, und uns
verständlich zu werden, ohne etwas ihrem Glauben
Analoges in uns vorauszusetzen? — So ist es nicht.
Die Philosophie kann nur Fakta erklären, keineswegs
Über den Grund unsers Glaubens
23
selbst welche hervorbringen, ausser dass sie sich selbst,
als Tatsache, hervorbringt. Sowenig es dem Philo-
sophen einfallen wird, die Menschen zu bereden, dass
sie doch hinfüro die Objekte ordentlich als Materie im
Räume, und die Veränderungen derselben ordentlich
als in der Zeit aufeinanderfolgend denken möchten ; so
wenig lasse er sich einfallen, sie dazu bereden zu wol-
len, dass sie doch an eine göttliche Weltregierung glau-
ben. Beides geschieht wohl ohne sein Zutun ; er setzt
es als Tatsache voraus; und er ist lediglich dazu da,
diese Tatsachen, als solche, aus dem notwendigen Ver-
fahren jedes vernünftigen Wesens abzuleiten. Also —
wir wollen unser Räsonnement keineswegs für eine
Überführung des Ungläubigen, sondern für eine Ablei-
tung der Überzeugung des Gläubigen gehalten wissen.
Wir haben nichts[4] zutun, als die Kausalfrage zu beant-
worten: wie kommt der Mensch zu jenem Glauben?
Der entscheidende Punkt, auf den es bei dieser Be-
antwortung ankommt, ist der, dass jener Glaube durch
dieselbe nicht etwa vorgestellt werde als eine will-
kürliche Annahme, die der Mensch machen könne
oder auch nicht, nachdem es ihm beliebe, als ein freier
Entschluss, für wahr zu halten, was das Herz wünscht,
weil es dasselbe wünscht, als eine Ergänzung oder Er-
setzung der unzureichenden Überzeugungsgründe
durch die Hoffnung. Was in der Vernunft gegründet
ist, ist schlechthin notwendig; und was nicht not-
wendig ist, ist eben darum vernunftwidrig. Das Für-
wahrhalten desselben ist Wahn und Traum, so fromm
auch etwa geträumt werden möge.
Wo wird nun der Philosoph, der jenen Glauben
voraussetzt, den notwendigen Grund desselben, den
er zutage fördern soll, aufsuchen? Etwa in einer ver-
2^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
meinten Notwendigkeit, von der Existenz oder der
Beschaffenheit der Sinnenwelt auf einen vernünftigen
Urheber derselben zu schliessen? Keineswegs; denn
er weiss zu gut, dass zwar eine verirrte Philosophie,
in der Verlegenheit etwas erklären zu sollen, dessen
Dasein sie nicht leugnen kann, dessen wahrer Grund
ihr aber verborgen ist, nimmermehr aber der unter
der Vormundschaft der Vernunft und unter der Lei-
tung ihres Me-[5]chanismus stehende ursprüngliche
Verstand, eines solchen Schlusses fähig ist. Entweder
erblickt man die Sinnenwelt aus dem Standpunkte des
gemeinen Bewusstseins, den man auch den der Natur-
wissenschaft nennen kann, oder vom transzendentalen
Gesichtspunkte aus. Im ersten Falle ist die Vernunft
genötigt, bei dem Sein der Welt, als einem Absoluten,
stehenzubleiben; die Welt ist, schlechthin weil sie ist,
und sie ist so, schlechthin weil sie so ist. Auf diesem
Standpunkte wird von einem absoluten Sein ausge-
gangen, und dieses absolute Sein ist eben die Welt;
beide Begriffe sind identisch. Die Welt wird ein sich
selbst begründendes, in sich selbst vollendetes, und
eben darum ein organisiertes und organisierendes
Ganzes, das den Grund aller in ihm vorkommenden
Phänomene in sich selbst und in seinen immanenten
Gesetzen enthält. Eine Erklärung der Welt und ihrer
Formen aus Zwecken einer Intelligenz ist, inwiefern
nur wirklich die Welt und ihre Formen erklärt werden
sollen, und wir uns sonach auf dem Gebiete der rei-
nen — ich sage der reinen Naturwissenschaft befinden,
totaler Unsinn. Überdies hilft uns der Satz: eine In-
telligenz ist Urheber der Sinnen weit, nicht das ge-
ringste, und bringt uns um keine Linie weiter; denn
er hat nicht die mindeste Verständlichkeit, und gibt
Über den Grund unsers Glaubens
25
uns ein paar leere Worte, statt einer Antwort auf die
Frage, die wir nicht hätten aufwerfen sollen. Die Be-
stimmungen einer Intelligenz sind doch ohne Zweifel
Begriffe; wie nun diese entweder in Ma-[6]terie sich
verwandeln mögen, in dem ungeheuren Systeme einer
Schöpfung^aus Nichts, oder die schon vorhandene Ma-
terie modifizieren mögen, in dem nicht viel vernünf-
tigeren Systeme der blossen Bearbeitung einer selb-
ständigen ewigen Materie, darüber ist noch immer
das erste verständliche Wort vorzubringen.
Erblickt man die Sinnenwelt vom transzendentalen
Gesichtspunkte aus, so verschwinden freilich alle diese
Schwierigkeiten ; es ist dann keine für sich bestehende
Welt : in allem, was wir erblicken, erblicken wir bloss
den Widerschein unsrer eignen inneren Tätigkeit,
Aber was nicht ist, nach dessen Grunde kann nicht
gefragt werden; es kann nichts ausser ihm angenom-
men werden, um dasselbe zu erklären.*) [7]
*) Man müsste denn nach dem Grunde des Ich selbst fragen.
Unter den allerdings originellen Fragen, welche an die Wissen-
schaftslehre ergingen, blieb jedoch diese dem neuesten göt-
tingischen Metaphysiker allein vorbehalten, welcher sie in
seiner Rez. der W. L. in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen
wirklich erhebt. Mit was für Leuten man nicht zu tun be-
kommt, wenn man sich in unserem philosophischen Jahrhun-
derte mit Philosophieren beschäftigt ! Rann denn das Ich sich
selbst erklären, sich selbst erklären auch nur wollen, ohne aus
sich herauszugehen, und aufzuhören, Ich zu sein? Wobeinach
einer Erklärung auch nur gefragt werden kann, das ist sicher
nicht das reine (absolut freie, und selbständige) Ich: denn
alle Erklärung macht abhängig»
Von derselben Art ist, und aus demselben Geiste geht her-
vor der Vorwurf desselben Rez., die W. L. habe ihren [7] Grund-
satz — sprich ihren Grundsatz — nicht — erwiesen. Wenn
26
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Von der Sinnenwelt aus gibt es sonach keinen mög-
lichen Weg, um zur Annahme einer moralischen Welt-
ordnung aufzusteigen ; wenn man nur die Sin-[8]nen-
weltrein denkt, und nicht etwa, wie dies durchjene Phi-
losophen geschah, eine moralische Ordnung derselben
unvermerkt schon voraussetzt.
Durch unseren Begriff einer übersinnlichen Welt
sonach müsste jener Glaube begründet werden.
Es gibt einen solchen Begriff. Ich finde mich frei
von allem Einflüsse der Sinnenwelt, absolut tätig in
mir selbst und durch mich selbst, sonach als eine
über alles Sinnliche erhabene Macht. Diese Freiheit
aber ist nicht unbestimmt; sie hat ihren Zweck: nur
erhält sie denselben nicht von aussen her, sondern sie
setzt sich ihn durch sich selbst. Ich selbst und mein
notwendiger Zweck sind das Übersinnliche.
An dieser Freiheit und dieser Bestimmung derselben
kann ich nicht zweifeln, ohne mich selbst aufzugeben.
Ich kann nicht zweifeln, sage ich, — kann auch
nicht einmal die Möglichkeit, dass es nicht so sei, dass
der Satz, von welchem sie ausgeht, bewiesen werden könnte,
so wäre er eben darum nicht Grundsatz ; sondern der höchste
Satz, aus dem er bewiesen würde, wäre es, und von diesem
sonach würde ausgegangen. Aller Beweis setzt etwas schlecht-
hin Unbeweisbares voraus. — Dasjenige, wovon die W. L.
ausgeht, lässt sich nicht begreifen, noch durch Begriffe mit-
teilen, sondern nur unmittelbar anschauen: Wer diese An-
schauung nicht hat, für den bleibt die W. L. notwendig grund-
los und lediglich formal ; . und mit ihm kann dieses System
schlechterdings nichts anfangen. Dieses freimütige Geständnis
wird hier nicht zum ersten Male abgelegt, aber es ist nun ein-
mal Sitte, dass, nachdem man eine Erinnerung im allgemeinen
vorgebracht, man sie noch jedem neuen einzelnen Gegner ins-
Über den Grund unsere Glaubens 2 7
jene innere Stimme täusche, dass sie erst anderwärts
her autorisiert und begründet werden müsse, mir den-
ken; ich kann sonach hierüber gar nicht weiter ver-
nünfteln, deuteln und erklären. Jener Ausspruch ist
das absolut Positive und Kategorische.
Ich kann nicht weiter, wenn ich nicht mein In-
neres zerstören will ; ich kann nur darum nicht weiter
gehen, weil ich weiter gehen nicht wollen kann. Hier [9]
liegt dasjenige, was dem sonst un gezähmten Fluge des
Räsonnements seine Grenze setzt, was den Geist bin-
det, weil es das Herz bindet ; hier der Punkt, der Den-
ken und Wollen in eins vereinigt und Harmonie in
mein Wesen bringt. Ich könnte an und für sich wohl
weiter, wenn ich mich in Widerspruch mit mir selbst
versetzen wollte; denn es gibt für das Räsonnement
keine immanente Grenze in ihm selbst, es geht frei
hinaus ins Unendliche und muss es können ; denn ich
bin frei in allen meinen Äusserungen, und nur ich
selbst kann mir eine Grenze setzen durch den Willen.
besondere mitteilen muss, und dass man darüber nicbt im
mindesten verdriesslich werden soll: und ich will hierdurch
mit aller Freundlichkeit dieser meiner Pflicht gegen jenen Geg-
ner mich erledigt haben. Das ?rpa)TOV <|>su8os desselben ist
dies, dass ihm noch nicht gehörig klar geworden, dass, wenn
überhaupt Wahrheit, und insbesondere mittelbare (durch Fol-
gerung vermittelte) Wahrheit sei, es ein unmittelbar Wah-
res geben müsse. Sobald er dies eingesehen haben wird, suche
er nach diesem Unmittelbaren so lange, bis er es findet. Dann
erst wird er fähig sein, das System der W. L. zu beurteilen,
denn erst dann wird er es verstehen ; welches bis jetzt, uner-
achtet seiner mehrmaligen Versicherungen, der Fall nicht ist ;
wie dies nun beim kalten Erwägen der obigen Erinnerungen
vielleicht ihm selbst wahrscheinlich werden wird. [8]
28
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Die Überzeugung von unserer moralischen Bestim-
mung geht sonach selbst schon aus moralischer Stim-
mung hervor und ist Glaube; und man sagt insofern
ganz richtig: das Element aller Gewissheit ist Glaube.
— So musste es sein ; denn die Moralität, so gewiss
sie das ist, kann schlechterdings nur durch sich selbst,
keineswegs etwa durch einen logischen Denkzwang
konstituiert werden.
Ich könnte weiter, wenn ich auch selbst in bloss theo-
retischer Hinsicht mich in das unbegrenzte Bodenlose
stürzen, absolut Verzicht leisten wollte auf irgendei-
nen festen Standpunkt, mich bescheiden wollte, selbst
diejenige Gewissheit, welche alles mein Denken be-
gleitet, und ohne deren tiefes Gefühl ich nicht einmal
auf das Spekulieren ausgehen könnte, schlechterdings
unerklärbar zu finden. Denn es gibt keinen festen Stand-
punkt, als den angezeigten, nicht durch die Logik, son-
dern durchf I o] die moralische Stimmung begründeten ;
jund wenn unser Räsonnement bis zu diesem entweder
nicht fortgeht, oder über ihn hinausgeht, so ist es ein
grenzenloser Ozean, in welchem jede Woge durch eine
andere fortgetrieben wird.
Indem ich jenen mir durch mein eignes Wesen ge-
setzten Zweck ergreife, und ihn zu dem meines wirk-
lichen Handelns mache, setze ich zugleich die Aus-
führung desselben durch wirkliches Handeln als mög-
lich. Beide Sätze sind identisch; denn, ich setze mir
etwas als Zweck vor, heisst: ich setze es in irgendeiner
zukünftigen Zeit als wirklich; in der Wirklichkeit
aber wird die Möglichkeit notwendig mitgesetzt. Ich
muss, wenn ich nicht mein eigenes Wesen verleugnen
will, das erste, die Ausführung jenes Zwecks mir vor-
setzen; ich muss sonach auch das zweite, seine Aus-
Über den Grund unser* Glaubens 2g
fiihrbarkeit annehmen: ja es ist hier nicht eigentlich
ein erstes und ein zweites, sondern es ist absolut eins;
beides sind in der Tat nicht zwei Akte, sondern ein
und ebenderselbe unteilbare Akt des Gemüts.
Man bemerke hierbei teils die absolute Notwendig-
keit des Vermittelten; wenn man mir noch einen
Augenblick erlauben will, die Ausführbarkeit des sitt-
lichen Endzwecks als ein Vermitteltes zu betrachten.
Es ist hier nicht ein Wunsch, eine Hofmung, eine
Überlegung und Erwägung von Gründen für und
wider, ein freier Entschluss, etwas anzunehmen, dessen
Gegenteil man[i 1] wohl auch für möglich hält. Jene
Annahme ist unter Voraussetzung des Entschlusses,
dem Gesetze in seinem Innern zu gehorchen, schlechthin
notwendig; sie ist unmittelbar in diesem Entschlüsse
enthalten, sie selbst ist dieser Entschluss.
Dann bemerke man die Ordnung des Gedanken-
ganges. Nicht von der Möglichkeit wird auf die Wirk-
lichkeit fortgeschlossen, sondern umgekehrt. Es heisst
nicht: ich soll, denn ich kann; sondern: ich kann,
denn ich soll. Dass ich soll, und was ich soll, ist das
Erste, Unmittelbarste. Dies bedarf keiner weiteren
Erklärung, Rechtfertigung, Autorisation; es ist für
sich bekannt und für sich wahr. Es wird durch keine
andere Wahrheit begründet und bestimmt; sondern
alle andere Wahrheit wird vielmehr durch diese be-
stimmt. — Diese Folge der Gedanken ist sehr häufig
übersehen worden. Wer da sagt: ich muss doch erst
wissen, ob ich kann, ehe ich beurteilen kann, ob ich
soll, der hebt entweder den Primat des Sittengesetzes
und dadurch das Sittengesetz selbst auf, wenn er prak-
tisch, oder er verkennt gänzlich den ursprünglichen
Gang der Vernunft, wenn er spekulierend so urteilt.
3o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Ich muss schlechthin den Zweck der Moralität mir
vorsetzen, seine Ausführung ist möglich, sie ist durch
mich möglich, heisst, zufolge der blossen Analyse: jede
der Handlungen, die ich vollbringen soll, und meine
Zustände, die jene Handlungen bedingen, verhalten
sich [12] wie Mittel zu dem mir vorgesetzten Zwecke.
Meine ganze Existenz, die Existenz aller moralischen
Wesen, die Sinnenwelt, als unser gemeinschaftlicher
Schauplatz, erhalten nun eine Beziehung auf Morali-
tät, und es tritt eine ganz neue Ordnung ein, von
welcher die Sinnen weit, mit allen ihren immanenten
Gesetzen, nur die ruhende Grundlage ist. Jene Welt
geht ihren Gang ruhig fort, nach [ihren ewigen Ge-
setzen, um der Freiheit eine Sphäre zu bilden; aber
sie hat nicht den mindesten Einfluss auf Sittlichkeit
oder Unsittlichkeit, nicht die geringste Gewalt über
das freie Wesen. Selbständig und unabhängig schwebt
dieses über aller Natur. Dass der Vernunftzweck wirk-
lich werde, kann nur durch das Wirken des freien
Wesens erreicht werden; aber es wird dadurch auch
ganz sicher erreicht, zufolge eines höheren Gesetzes.
Rechttun ist möglich, und jede Lage ist durch jenes
höhere Gesetz darauf berechnet ; die sittliche Tat ge-
lingt, zufolge derselben Einrichtung, unfehlbar, und
die unsittliche misslingt unfehlbar. Die ganze Welt
hat für uns eine völlig veränderte Ansicht erhalten.
Diese Veränderung der Ansicht wird noch deut-
licher erhellen, wenn wir uns in den transzendentalen
Gesichtspunkt erheben. Die Welt ist nichts weiter,
als die nach begreiflichen Vernunftgesetzen versinn-
lichte Ansicht unsers eignen innern Handelns, als
blosser Intelligenz, innerhalb unbegreiflicher Schran-
ken, in die wir nun einmal eingeschlossen sind, —
Über den Grund unsers Glaubens
3i
sagt die transzendentale Theorie ; und es ist dem Men-
schen nicht zu ver-[ 1 3]argen, wenn ihm bei dieser gänz-
lichen Verschwindung des Bodens unter ihm unheim-
lich wird. Jene Schranken sind ihrer Entstehung nach
allerdings unbegreiflich; aber was verschlägt dir auch
dies? — sagt die praktische Philosophie; die Bedeutung
derselben ist das Klarste und Gewisseste, was es gibt,
sie sind deine bestimmte Stelle in der moralischen
Ordnung der Dinge. Was du zufolge ihrer wahr-
nimmst, hat Realität, die einzige, die dich angeht, und
die es für dich gibt; es ist die fortwährende Deutung
des Pflichtgebots, der lebendige Ausdruck dessen, was
du sollst, da du ja sollst. Unsre Welt ist das versinn-
lichte Materiale unsrer Pflicht ; dies ist das eigentliche
Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Er-
scheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an
die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein mo-
ralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie
Wesen möglich ist. Niemand kann ohne Vernichtung
seine moralische Bestimmung so weit aufgeben, dass
sie ihn nicht wenigstens noch in diesen Schranken
für die künftige höhere Veredlung aufbewahre. —
So, als das Resultat einer moralischen Weltordnung
angesehen, kann man das Prinzip dieses Glaubens an
die Realität der Sinnenwelt gar wohl Offenbarung
nennen. Unsere Pflicht ist's, die in ihr sich offenbart.
Dies ist der wahre Glaube ; diese moralische Ordnung
ist das Göttliche, das wir annehmen. Er wird [i 4] kon-
struiert durch das Rechttun. Dieses ist das einzig mög-
liche Glaubensbekenntnis: fröhlich und unbefangen
vollbringen, was jedesmal die Pflicht gebeut, ohne
Zweifeln und Klügeln über die Folgen. Dadurch wird
dieses Göttliche uns lebendig und wirklich ; jede un-
3a
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
serer Handlungen wird in der Voraussetzung desselben
vollzogen, und alle Folgen derselben werden nur in
ihm aufbehalten.
Der wahre Atheismus, der eigentliche Unglaube
und Gottlosigkeit besteht darin, dass man über die
Folgen seiner Handlungen klügelt, der Stimme seines
Gewissens nicht eher gehorchen will, bis man den gu-
ten Erfolg vorherzusehen glaubt, so seinen eigenen
Rat über den Rat Gottes erhebt und sich selbst zum
Gotte macht. Wer Böses tun will, damit Gutes daraus
komme, ist ein Gottloser. In einer moralischen Welt-
regierung kann aus dem Bösen nie Gutes folgen, und
so gewiss du an die erstere glaubst, ist es dir unmög-
lich, das letztere zu denken. — Du darfst nicht lügen,
und wenn die Welt darüber in Trümmer zerfallen
sollte. Aber dies ist nur eine Redensart ; wenn du im
Ernste glauben dürftest, dass sie zerfallen würde, so
wäre wenigstens dein Wesen schlechthin widerspre-
chend und sich selbst vernichtend. Aber dies glaubst
du eben nicht, noch kannst, noch darfst du es glauben ;
du weisst, dass in dem Plane ihrer Erhaltung sicher-
lich nicht auf eine Lüge gerechnet ist.
[i5] Der eben abgeleitete Glaube ist aber auch der
Glaube ganz und vollständig. Jene lebendige und wir-
kende moralische Ordnung ist selbst Gott ; wir bedürfen
keines anderen Gottes, und können keinen anderen fas-
sen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus j ener mora-
lischen Weltordnung herauszugehen, und vermittels
eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch
ein besonderes Wesen, als die Ursache desselben, an-
zunehmen; der ursprüngliche Verstand macht sonach
diesen Schluss sicher nicht und kennt kein solches be-
sonderes Wesen; nur eine sich selbst missverstehende
Über den Grund unsers Glaubens 3 3
Philosophie macht ihn. Ist denn jene Ordnung ein
Zufälliges, welches sein könnte, oder auch nicht, so
sein könnte, wie es ist, oder auch anders; dass ihr ihre
Existenz und Beschaffenheit erst aus einem Grunde
erklären, erst vermittels Aufzeigung dieses Grundes
den Glauben an dieselbe legitimieren müsstet ? Wenn
ihr nicht mehr auf die Forderungen eines nichtigen
Systems hören, sondern euer eigenes Inneres befragen
werdet, werdet ihr finden, dass jene Weltordnung das
absolut Erste aller objektiven Erkenntnis ist, gleichwie
eure Freiheit und moralische Bestimmung das absolut
Erste aller subjektiven; dass alles übrige objektive
Erkenntnis durch sie begründet und bestimmt werden
muss, sie aber schlechthin durch kein anderes be-
stimmt werden kann, weil es über sie hinaus nichts
gibt. Ihr könnt jene Erklärung gar nicht versuchen,
ohne in euch selbst dem Range jener [ 1 6] Annahme Ab-
bruch zu tun und sie wankend zu machen. Ihr Rang
ist der, dass sie absolut durch sich gewiss ist und keine
Klügelei duldet. Ihr macht sie abhängig von Klügelei.
Und dieses Klügeln, wie gelingt es euch denn?
Nachdem ihr die unmittelbare Überzeugung wankend
gemacht habt, wodurch befestigt ihr sie denn ? Oh, es
steht misslich um euren Glauben, wenn ihr ihn nur
mit der Behauptung jenes Grundes, den ihr aufstellt,
zugleich behaupten könnt, und mit dem Hinfallen
desselben hinfallen lassen müsst.
Denn wenn man euch nun auch erlauben wollte,
jenen Schluss zu machen und vermittels desselben
ein besonderes Wesen, als die Ursache jener mora-
lischen Weltordnung anzunehmen, was habt ihr denn
nun eigentlich angenommen? Dieses Wesen soll von
euch und der Welt unterschieden sein, es soll in der
Fichte 3
3^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
letzteren nach Begriffen wirken, es soll sonach der
Begriffe fähig sein, Persönlichkeit haben undBewusst-
sein. Was nennt ihr denn nun Persönlichkeit und Be-
wusstsein? Doch wohl dasjenige, was ihr in euch selbst
gefunden, an euch selbst kennen gelernt, und mit diesem
Namen bezeichnet habt? Dass ihr aber dieses ohne Be-
schränkung und Endlichkeit schlechterdings nicht
denkt, noch denken könnt, kann euch die geringste Auf-
merksamkeit auf eure Konstruktion dieses Begriffs
lehren. Ihr macht sonach [17] dieses Wesen durch die
Beilegung dieses Prädikats zu einem Endlichen, zu
einem Wesen euresgleichen, und ihr habt nicht, wie
ihr wolltet, Gott gedacht, sondern nur euch selbst
im Denken vervielfältigt. Ihr könnt aus diesem Wesen
die moralische Weltordnung ebensowenig erklären,
als ihr sie aus euch selbst erklären könnt ; sie bleibt
unerklärt und absolut wie zuvor; und ihr habt in der
Tat, indem ihr dergleichen Worte vorbringt, gar
nicht gedacht, sondern bloss mit einem leeren Schalle
die Luft erschüttert. Dass es euch so ergehen werde,
konntet ihr ohne Mühe voraussehen. Ihr seid endlich ;
und wie könnte das Endliche die Unendlichkeit um-
fassen und begreifen?
So bleibt der Glaube bei dem unmittelbar Gege-
benen und steht unerschütterlich fest; wird er ab-
hängig gemacht vom Begriffe, so wird er wankend,
denn der Begriff ist unmöglich und voller Wider-
sprüche.
Es ist daher ein Missverständnis, zu sagen: es sei
zweifelhaft, ob ein Gott sei oder nicht. Es ist gar
nicht zweifelhaft, sondern das Gewisseste, was es gibt,
ja der Grund aller anderen Gewissheit, das einzige
absolut gültige Objektive, dass es eine moralische
Über den Grund unsers Glaubens
35
Weltordnung gibt, dass jedem vernünftigen Indivi-
duum seine bestimmte [18] Stelle in dieser Ordnung
angewiesen und auf seine Arbeit gerechnet ist; dass
jedes seiner Schicksale, inwiefern es nicht etwa durch
sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von
diesem Plane ; dass ohne ihn kein Haar fällt von sei-
nem Haupte und in seiner Wirkungssphäre kein
Sperling vom Dache; dass jede wahrhaft gute Hand-
lung gelingt, jede böse sicher misslingt, und dass
denen, die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum
Besten dienen müssen. Es kann ebensowenig von der
anderen Seite dem, der nur einen Augenblick nach-
denken und das Resultat dieses Nachdenkens sich red-
lich gestehen will, zweifelhaft bleiben, dass der Begriff
von Gott, als einer besonderen Substanz, unmöglich
und widersprechend ist: und es ist erlaubt, dies auf-
richtig zu sagen und das Schul geschwätz niederzu-
schlagen, damit die wahre Religion des freudigen
Rechttuns sich erhebe.
Zwei vortreffliche Dichter haben dieses Glaubens-
bekenntnis des verständigen und guten Menschen un-
nachahmlich schön ausgedrückt. „Wer darf sagen,"
lässt der eine eine seiner Personen reden,
„wer darf sagen,
Ich glaub 1 an Gott ?
Wer darf ihn nennen (Begriff und Wort für ihn
suchen)
Und bekennen,
Ich glaub 1 ihn? [19]
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen, ich glaub 1 ihn nicht?
Der Allumfasser, (nachdem man ihn nämlich erst
3*
36
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
durch moralischen Sinn, nicht etwa durch theo-
retische Spekulation ergriffen hat und die Welt
schon als den Schauplatz moralischer Wesen be-
trachtet)
Der Allerhalter,
Fasst und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht hier auf?
Schau' ich nicht Aug 1 in Auge dir,
Und dringt nicht alles
Nach Haupt nnd Herzen dir
Und webt im ewigen Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüir davon dein Herz, so gross es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn 1 es dann, wie du willst,
Nenns Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür. Gefühl ist alles,
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut."
[20] Und der zweite singt:
„ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Räume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist."
vvvvvvwvvvvvvvwvvvvvivvvv^^
III.
ENTWICKELUNG DES BEGRIFFS DER
RELIGION
VON
HERRN REKTOR FORBERG
RELIGION ist nichts anderes als ein praktischer
Glaube an eine moralische Welt-Regierung; oder
um denselben Begriff in einer bekannten geheiligten
Sprache auszudrücken, ein lebendiger Glaube an das
Reich Gottes, welches kommen wird auf die Erde.
Wer eine moralische Welt-Regierung glaubt, und
zwar praktisch glaubt, der hat Religion, und nur der
hat Religion.
Was eine moralische Welt-Regierung sei, ist aus
dem Wort von selbst klar. Wenn es in der Welt so zu-
[22]geht, dass auf das endliche Gelingen des Guten ge-
rechnet ist, so gibt es eine moralische Welt-Regierung.
Ist hingegen Tugend und Laster dem Schicksal völ-
lig gleichgültig, so gibt es keine moralische Welt-Re-
gierung.*) Der erhabene Geist, der die Welt nach mo-
ralischen Gesetzen regiert, ist die Gottheit; und dies
J Der Mensch ist, nach Fichte, das Wesen, dem Aufgaben ge-
schickt werden. Damit schwindet Forbergs „Schicksal".
38
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ist der einzige Begriff von Gott, dessen die Religion
bedarf, oder durch den vielmehr die Religion selbst
erst möglich wird. Die spekulativen Begriffe von
Gott, als dem allerrealsten, unendlichen, absolut-not-
wendigen Wesen, sind der Religion fremd, wenigstens
gleichgültig. Sie kann, wenn sie sie findet, etwas
Praktisches damit machen, sie kann sie aber auch
ohne Schaden entbehren, wenn sie sie nicht findet.
Die Religion kann ebensogut mit dem Polytheismus
als mit dem Monotheismus, ebensogut mit dem An-
thropomorphismus als mit dem Spiritualismus zusam-
menbestehen. Wenn nur Moralität die Regel der
Welt-Regierung bleibt, so ist es übrigens gleichgültig,
ob man sich eine monarchische oder eine aristokra-
tische Welt-Konstitution denkt, und hätten die über-
irdischen Menschen, die sich die Alten als Götter
dachten, nur moralischer gehandelt, so wäre auch
von seiten des Herzens nichts gegen sie einzuwenden
gewesen. Die Spekulation, die ihre Grenzen kennt,
hätte ohnehin nichts gegen sie einzuwenden, und die
Kunst möchte wohl eher ihre Entfernung beklagen.
Es gibt eine moralische Welt-Regierung, und eine
Gottheit, [a3] die die Welt nach moralischen Gesetzen
regiert; — wer dies glaubt, der hat Religion.
Es entsteht billig die Frage: worauf gründet sich
dieser Glaube?
Es gibt drei Quellen, woraus wir alle unsere Über-
zeugung am Ende schöpfen müssen. Sie heissen : Er-
fahrung^ Spekulation und Gewissen, Eine davon wird
also die Quelle der Religion sein müssen.
Wir lernen aus der Erfahrung, dass es eine mora-
lische Welt-Regierung gibt — das würde soviel heissen :
wir sehen in der Erfahrung vor Augen, dass es den
Forberg: Entwicklung des Begriff« der Religion 3g
Guten am Ende gelingt und den Bösen am Ende
misslingt. Allein gerade dies sehen wir in der Er-
fahrung eben nicht vor Augen, und es ist die alte
Klage aller Rechtschaffnen von jeher gewesen, dass
die böse Sache so oft über die gute triumphiert. Eher
Hesse sich aus der Erfahrung das Gegenteil folgern,
nämlich, dass die Welt nicht moralisch regiert werde,
oder dass wenigstens ein böser Genius mit einem gu-
ten um die Herrschaft der Welt streite, und bisweilen
der gute, gemeiniglich aber der böse die Oberhand
behalte. Wer die Gottheit ausser sich, im Lauf der
Dinge sucht, der wird sie niemals finden. „Werke
des Teufels" werden ihm auf allen Seiten begegnen,
aber nur selten, und immer schüchtern und zweifelnd,
wird er sagen können : „hier ist Gottes Finger !"
[24] Vielleicht ist die Spekulation glücklicher, eine
Gottheit zu finden, da es die Erfahrung nicht ist! —
Wäre dies, so müsste es gewisse theoretische Vernunft-
grundsätze geben, die auf das Dasein eines moralischen
Weltregenten mit Sicherheit schliessen Hessen. Man
hat deren mehrere aufgestellt, und die merkwürdig-
sten davon sind folgende gewesen: der blosse Begriff
eines allervollkommensten Wesens schliesst das Dasein
desselben schon in sich ; das Zufällige setzt etwas ab-
solut Notwendiges voraus, und Ordnung ist ohne einen
ordnenden Geist nicht möglich. Allein kein einziger
von allen diesen angeblichen theoretischen Vernunft-
grundsätzen wird bei schärferer Prüfung bewährt ge-
funden, jeder enthält in seinem Innern eine ganz
willkürliche und unerweisliche Voraussetzung, die
man nur aufzudecken braucht, um allen Schein so-
fort zu zerstreuen. Der blosse Begriff eines allervoll-
kommensten Wesens schliesst das Dasein desselben
^.0 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
nicht in sich ; denn der Begriff keines Dinges schliesst
das Dasein desselben in sich, nur in der Anschauung
ist Dasein, und nur, wenn Anschauung zum Begriff
hinzukommt, ist Begriff und Dasein vereinigt. Nicht
einmal der Begriff eines allervollkommensten Wesens
als eines Inbegriffs aller Realitäten schliesst das Da-
sein in sich. Denn das Dasein ist keine Realität, und
überhaupt keine Qualität. Wäre es eine Qualität, so
müsste man auf die Frage : was ist das? allenfalls auch
antworten können: es ist ein Ding, das ist — wie
doch ohne Zweifel kein Vernünftiger (im Ernst) ant-
worten wird.
[2 5] Das Zufallige setzt etwas absolut Notwendiges
voraus — haben andere gesagt und daraus auf das Da-
sein einer Gottheit geschlossen. Nur, was ist zufällig ? Ist
es das, dessen Nichtsein sich denken lässt? So gibt es
für das absolut Notwendige im ganzen Gebiete des
menschlichen Verstandes keinen Begriff, denn es ist
nirgends ein Ding aufzufinden, dessen Nichtsein sich
nicht auf der Stelle denken Hesse. Ist aber zufallig nur
das, was nicht immer war, sondern erst irgendeinmal
entstand ? So setzt es allerdings etwas voraus, wodurch
es entstand — eine Ursache, die ihm sein Dasein gab.
Nur, warum gab diese Ursache, wenn sie (als absolut
notwendig) immer vorhanden war, ihm sein Dasein
nicht eher? Konnte sie nicht? aber was machte die
Hindernisse, die ihr im Wege standen, eben jetzt ver-
schwinden? Wollte sie nicht? und was ging vor, um
ihren Willen zu ändern? So verwandelt sich das ab-
solut Notwendige in der Nähe selbst in ein Zufälliges,
und an der Grenze alles Fragens sehen wir uns un-
vermeidlich über diese Grenze hinausgetrieben.
Ordnung, sagen noch andere, ist ohne einen ord-
Forberg: Entwicklung des Begriffs der Religion ^ |
nenden Geist nicht möglich. — Und warum nicht?
Darum nicht, weil wir kein anderes Prinzip der Ord-
nung kennen, ausser den Verstand? Aber seit wann
ist die Grenze unserer Kenntnis die Grenze des Mög-
lichen geworden ? Und wo findet sich denn in der Welt
die Ordnung so unverkennbar, dass sich auf das Dasein
einer Gottheit [26] mit Sicherheit schliessen Hesse?
Im Physischen? Aber ein geschickter Baumeister ist
noch bei weitem kein moralischer Weltregent, ein
grosser Künstler noch lange kein Gott! Im Mora-
lischen ? Aber würde eine Lobrede auf die moralische
Ordnung einer Welt, „die im Argen liegt", nicht eher
wie eine Satire auf die Gottheit, als wie eine Demon-
stration ihres Daseins lauten? Könnte es in der Welt
wohl schlimmer aussehn, als es aussieht, könnte es
wohl ärger hergehn, als es hergeht, wenn ein böses,
wenn ein feindseliges, wenn ein übelwollendes Wesen
die Herrschaft der Welt führte, oder sich wenigstens
darein mit einem guten Genius teilte? Würde eine
Verteidigung des Satans wegen Zulassung des Guten
wohl weniger gründlich ausfallen, als die Vertei-
digungen der Gottheit wegen Zulassung des Bösen
bisher ausgefallen sind ? *) und wäre der Schluss von
dem Dasein einer lasterhaften Welt auf das Dasein
eines heiligen Gottes nicht zum mindesten sehr unge-
wöhnlich, sehr unnatürlich?
Wenn demnach weder Erfahrung, noch Spekulation
die Gottheit finden können, so bleibt uns nichts, als
das Gewissen übrig, um auf die Aussprüche desselben
eine Religion zu gründen. Und so ist es denn auch in
der Tat. Die Religion ist weder ein Produkt der Er-
*) Vgl. hierzu Pierre Bayles Dictionnaire, besonders Art.
Manicheens. (Anm. des Herausgebers.)
^2 3. G. Fichtes Atheismus-Streit
fahrung, noch ein Fund der Spekulation, sondern
bloss und allein die Frucht eines moralisch guten
Herzens. Der Erfahrung und der Spekulation ist die
Gottheit unzugänglich, nur der gute Mensch hat das
[27] Vorrecht, sie zu erkennen, nur ein reines Herz darf
die Gottheit schauen — und der Ausspruch eines
grossen Weisen: „selig sind, die reines Herzens sind,
denn sie werden Gott schauen!" erhält erst in der
gegenwärtigen Gedankenverbindung seinen wahren
und tiefen und heiligen Sinn!
Es fragt sich nun, wie und auf welchem Wege in
dem Herzen eines moralisch guten Menschen, und
nur in ihm, Religion entstehe.
Um es mit zwei Worten zu sagen: Religion ent-
steht einzig und allein aus dem Wunsch des guten
Herzens, dass das Gute in der Welt die Oberhand über
das Böse erhalten möge. In einem bösen Herzen ist
kein Wunsch der Art vorhanden. Ihm lässt sich da-
her so etwas, wie Religion, gar nicht zumuten. In-
dessen ist kein Mensch so böse, dass er im Ernst
wünschen könnte, das Böse möchte das Gute am Ende
ganz von dem Erdboden verdrängen. Dies wäre nicht
der Wunsch eines Bösewichts, sondern eines Satans.
Es gibt daher auf Erden zwar eine Religion der guten
Menschen, aber keine Religion der bösen. Der Glaube
an den endlichen Untergang des Guten, der Glaube
an ein Reich Satans auf Erden — wäre die Religion
der Hölle; aber in dem ärgsten Bösewicht ist nicht
diese, sondern nur Irreligion vorhanden.
Ich denke mir die Art und Weise, wie Religion in
einem guten Herzen entsteht, ungefähr so:
[28J Es ist eine ganz bekannte Sache, dass jeder
wünscht, an dem, woran er selbst Interesse nimmt,
Forberg: Entwicklung des Begriffs der Religion ^ j
möchten auch alle andern Menschen ausser ihm Interes-
se nehmen — das, was er für seine Person als wahr und
recht erkennt, möchten auch alle anderen Menschen
ausser ihm als wahr und recht erkennen. Dieser Wunsch
ist tief in der menschlichen Natur gegründet und
durch nichts auszurotten. Er geht vielmehr nur zu oft
in die heftigste Leidenschaft über. Ohne diesen in
dem Innern der menschlichen Natur gegründeten
Wunsch müsste es uns völlig gleichgültig sein, ob
andere unserer Meinung beistimmen, oder ob sie sie
verwerfen : statt, dass uns dies jetzt keineswegs gleich-
gültig ist, sondern vielmehr das eine uns inniges Ver-
gnügen und das andere bitteres Missvergnügen ver-
ursacht. Die Idee einer künftigen möglichen Überein-
stimmung aller Menschen in allen Urteilen schwebt
jedem denkenden Menschen unablässig vor Augen.
Jeder wünscht, dass seine Überzeugungen herrschend
und allgemeingeltend werden möchten. Der Zeitpunkt,
wo eine allgemeine Übereinstimmung aller Menschen
in allen Urteilen stattfände, wäre das goldne Zeitalter
für die Köpfe — wäre der Zeitpunkt, wo aller Irrtum
von dem Erdboden verschwunden und nichts als
Wahrheit in allen Köpfen angetroffen würde — die
Wahrheit hätte den Irrtum völlig besiegt, und das
Reich der Wahrheit wäre auf Erden erschienen! Es
ist der Endzweck aller denkenden Menschen, der End-
zweck, warum sie einander ihre Ge-[20,]danken mittei-
len, sie gegenseitig bestreiten und berichtigen, jenen
Zeitpunkt, soviel in ihren Kräften steht, zu beschleuni-
gen, zu machen, dass das Reich der Wahrheit bald auf
Erden erscheine. Alle denkenden Köpfe stehen durch
diesen gemeinschaftlichen Endzweck miteinander in
einer gewissen Verbindung, in einer gewissen Gesell-
^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
schaft. Diese Verbindung, in welcher alle denkenden
Menschen unwillkürlich und unabsichtlich, und selbst
oft ohne darum zu wissen, stehn, und deren Zweck ist,
alle Menschen in allen Urteilen nach und nach über-
einstimmend zu machen, die Ankunft des Reichs der
Wahrheit auf Erden zu beschleunigen — diese Ver-
bindung ist die Republik der Gelehrten, in der die Ver-
nunft das Oberhaupt und jeder denkende Mensch
ein Bürger ist. In der Republik der Gelehrten gilt nur
ein einziger Glaubensartikel, und dieser lautet: glaube,
dass das Reich der Wahrheit kommen wird auf Erden,
und tue nur du deines Orts, durch Mitteilung und Be-
lehrung, durch Forschen und Prüfen, alles, was du
kannst, dass es bald komme, und sei übrigens unbe-
kümmert um den Erfolg. Trachte du nur nach dem
Reich der Wahrheit, so wird dir das übrige, nämlich
der Erfolg schon von selbst zufallen ! — Das Reich der
Wahrheit ist indessen ein Ideal. Denn es ist bei der
unendlichen Verschiedenheit der Fähigkeiten, in der
sich die Natur so sehr gefallen zu haben scheint, nie-
mals zu erwarten, dass je ein Einverständnis aller
Menschen in allen Urteilen stattfinden werde. Das
Reich der Wahrheit [3o] wird also zuverlässig niemals
kommen, und der Endzweck der Republik der Ge-
lehrten wird allem Ansehn nach in Ewigkeit nicht
erreicht werden. Gleichwohl wird das in der Brust
jedes denkenden Menschen unver tilgbare Interesse für
Wahrheit in Ewigkeit fordern, dem Irrtum aus allen
Kräften entgegenzuarbeiten, und Wahrheit von allen
Seiten zu verbreiten, das heisst, gerade so zu verfah-
ren, als ob der Irrtum einmal gänzlich aussterben
könnte und die Alleinherrschaft der Wahrheit zu er-
warten wäre. Und eben dies ist der Charakter einer
Forberg: Entwicklung des Begriffs der Religion ^5
Natur, die, wie die menschliche, bestimmt ist, ins Un-
endliche sich Idealen zu nähern.
So wie die Idee einer künftigen möglichen Überein-
stimmung aller Menschen in allen Urteilen allen den-
kenden Menschen unablässig vor Augen schwebt, so
schwebt auch allen moralisch guten Menschen die
Idee einer allgemeinen Übereinstimmung im Guten,
die Idee einer allgemeinen Verbreitung von Gerechtig-
keit und Wohlwollen, vor Augen. Jeder Wohlgesinnte,
jeder, dem das Interesse der Tugend am Herzen liegt,
wünscht und muss wünschen, dass er nicht der einzige
Rechtschaffne auf Erden sei, dass alle Menschen um
ihn her dem Guten huldigen mögen, so wie er ihm
huldigt, dass das Laster nach und nach ganz von dem
Erdboden verschwinden, und dass endlich eine Zeit
kommen möge, wo nur gute Menschen friedlich und
freundlich auf Erden nebeneinander wohnen. Dieser
Zeitpunkt, [3 1] wenn er jemals einträte, wäre der Zeit-
punkt einer allgemeinen Herrschaft des Guten über
das Böse, wäre das goldne Zeitalter für die Herzen,
wäre das Reich des Rechts auf Erden. Es ist der innig-
ste Wunsch jedes Rechtschaffnen, dass dieser Zeit-
punkt einst kommen möge, und es muss dies der innigste
Wunsch jedes Rechtschaffnen sein, so gewiss er ein
Rechtschaffher ist, und so gewiss ihm, der die Tugend
liebt, das Interesse der Tugend nicht gleichgültig sein
kann. Allein es ist kein müssiger, kein tatloser Wunsch,
sondern es ist sein ernstlichstes Trachten, den Sieg
der guten Sache über die böse zu befördern, die Bos-
heit wo möglich ganz von der Erde zu verdrängen,
Missbräuche aller Art auszurotten, und die Ankunft
des Reichs der Gerechtigkeit und des Friedens (wel-
ches ist das Reich Gottes) auf Erden zu beschleunigen.
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Es ist der Endzweck aller guten Menschen, zu machen,
dass es überall recht in der Welt zugehe, und dass die
Gerechtigkeit über die Ungerechtigkeit endlich trium-
phiere. Da alle guten Menschen gemeinschaftlich zu
diesem Endzweck arbeiten, so findet insofern eine Ver-
einigung aller guten Menschen zur Erreichung dieses
einen Endzwecks statt. Diese Vereinigung aller guten
Menschen zur gemeinschaftlichen Beförderung alles
Guten ist nun die Kirche, und jeder Rechtschaffne ist
eben durch seine Rechtschaffenheit, aber auch nur
durch seine Rechtschaffenheit, ein Mitglied der Kirche,
ein Mitglied „der Gemeine der Heiligen auf Erden".
Der Zweck der Kirche ist, das. [3 2] Gute soll herrschen
über das Böse, das Reich des Rechts soll kommen auf
Erden. In dieser Kirche ist weder Streit, noch Zwie-
spalt. Es ist nur die Fahne der Rechtschaffenheit, um
die sich alle Mitglieder der Kirche versammeln. Es
ist nur eine Kirche, und alle Rechtschaffnen gehören
zu dieser einen. Sie ist die alleinseligmachende, und
ausser ihr ist kein Heil zu finden. Gäbe es mehr als
eine Kirche, so müsste es zweierlei Rechtschaffenheiten
geben müssen — und dies widerspricht sich, wie jeder
sieht, im Begriff!
Also — es ist der Wunsch und das Bestreben jedes
Rechtschaffnen, dem Guten über das Böse in der
Welt das Übergewicht zu verschaffen und das Böse,
wo möglich, am Ende ganz von dem Erdboden zu ver-
tilgen. Alle guten Menschen haben den gleichen
Wunsch, und das gleiche Bestreben, und so entsteht
eine Vereinigung aller guten Menschen zu einem End-
zweck, und diese Vereinigung ist die Kirche, oder
„die Gemeine der Heiligen auf Erden".
Allein nun entsteht billig die Frage: ist denn das
Forberg: Entwicklung des Begriffs der Religion ^
auch überall ein möglicher Endzweck, den sich die
guten Menschen zur Erreichung vorsetzen ? Sie wollen
die Alleinherrschaft des Guten zustande bringen, sie
wollen ein Reich des Rechts auf Erden aufrichten,
die Tugend soll in der Welt das Alltäglichste, das
Laster das Unerhörte, „die Sittlichkeit soll Sitte" wer-
den. Ist [33] das alles überhaupt auch möglich ? oder ist
es nicht vielmehr eine blosse und leere Schimäre?
Kann man hoffen, dass ein goldnes Zeitalter der Ge-
rechtigkeit und des ewigen Friedens jemals auf Erden
erscheinen werde, oder soll man vielmehr das Gegen-
teil fürchten, dass die Welt auch künftig, und in Ewig-
keit, „im Argen liegen" werde, wie bisher?
Es ist wahr, wenn der gute Mensch weniger auf
die Stimme seines Herzens in sich selbst als auf die
Stimme der Erfahrung um sich her hören wollte, so
würde er gar bald genötigt sein, seine Hoffnung
besserer Zeiten aufzugeben und damit zugleich auch
sein Bestreben fahren zu lassen, die Annäherung jener
bessern Zeiten durch alle Mittel, die in seinen Kräften
stehn, zu beschleunigen. Er für seine Person hat frei-
lich seine Pflicht unablässig vor Augen und im Her-
zen: er für seine Person tut freilich alles, damit des
Unrechts in der Welt weniger werde; aber er sieht
um sich — und wie wenige findet er, die gesinnt sind
wie er? Die Menge um ihn her tut von allem, was er
tut, gerade das Gegenteil, und, eben weil es die Menge
ist, mit ungleich glücklicherm Erfolg! Er entwirft
manchen wohltätigen Plan zur Beförderung des Wohls
seiner Brüder, zur Abstellung von Missbräuchen, zur
Ausrottung von Vorurteilen, zur Verbreitung aufge-
klärter Einsichten in allen Arten menschlicher Geschäf-
te; aber durch [34] die Bosheit der einen, und durch
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
die Dummheit der andern sieht er oftmals nur um
so mehr Verwirrung, Schaden und Unglück daraus
hervorgehn! Er will das Unrecht von der Erde ver-
tilgen, und doch wird rings um ihn herum „Unrecht
wie Wasser getrunken". Er trachtet danach, dass
das Reich Gottes, das ist, das Reich der Wahrheit
und des Rechts, komme auf Erden; aber am Ende
seiner Laufbahn sieht er es noch so fern als je — die
Menschen sind nicht besser geworden — das Unrecht
geht nicht weniger im Schwange — die Leidenschaf-
ten, und zwar die wildesten unter allen, Herrschsucht
und Habsucht, verheeren die Menschheit noch so
schamlos, wie sonst — die Sprache der Gerechtig-
keit, der Redlichkeit, der Treue klingt noch immer
in den Ohren der Welt wie Torheit — noch immer
ist die Erscheinung der Uneigennützigkeit, der Un-
bestechlichkeit, der Grossmut eine seltene, bewun-
dernswürdige Erscheinung — noch immer dauert
die unverantwortliche Barbarei der Kriege fort,
und Dinge, die man im kleinen und in Privat-
verhältnissen strafbar und schändlich findet, werden
im grossen, in öffentlichen Verhältnissen und in Ver-
bindungen, die zum Schutze des Rechts errichtet sein
wollen, und die sich eben deswegen heilig nennen
lassen, (in Staaten) nicht nur geduldet, sondern brin-
gen sogar Ehre und Ruhm! — Dies alles sieht der
moralisch gute Mensch. Was soll nun er, der einzelne,
gegen eine unmoralische Welt? Soll auch er auf-
hören, sich dem Strom des Unrechts entgegenzu-
setzen? [35] Soll er es lieber hinfort in der Welt gehen
lassen, wie es geht, ohne sich ferner anzustrengen,
oder wohl gar aufzuopfern für einen idealischen Zweck,
der nimmer erreicht wird? Soll er sich zurückziehen
Forberg: Entwicklung des Begriffs der Religion
und aufhören, vor dem Riss zu stehen, weil es mit
seinem Tun und Treiben, mit seinem Kämpfen und
Leiden denn doch am Ende vergeblich ist, und weil
die Welt, nach dem Urteil einiger, gegen die alten
Zeiten der Unschuld und Einfachheit und Biederkeit
gerechnet, nicht nur nicht besser, sondern eher schlim-
mer wird? Soll der Rechtschaffne so denken, und
soll er so handeln?
Nein — ruft ihm mit lauter Stimme sein gutes Herz
zu — du sollst Gutes tun und nicht müde werden!
Glaube an die Tugend, dass sie am Ende siegen wird !
Hoffe, dass das Recht über das Unrecht, die gute
Sache über die böse, am Ende sicher noch die Ober-
hand behalten wird! Wirke du, solang es Tag ist zu
wirken, und lass keine Gelegenheit vorbei, das Gute
zu stiften, das du stiften kannst, und bedenke, dass
nach dir eine lange Nacht kommen kann, wo niemand
wird Gutes tun können oder wollen, und wo das
Gute, das du gestiftet, der einzige Stern der Hoffnung
sein wird für „die Redlichen im Lande"! Tue du,
was du kannst, damit es besser und heller und auf-
geklärter und edler und redlicher und friedlicher
und gerechter in der Welt zugehe und sei unbeküm-
mert um den Ausgang! Glaube, dass nichts Gutes, was
du tust oder auch [36] nur entwirfst, sei es auch noch
so klein und unmerklich und unscheinbar, verloren
gehe in dem regellosen Laufe der Dinge ! Glaube, dass
dem Laufe der Dinge ein, dir freilich unübersehbarer,
Plan zum Grunde liegt, in dem auf das endliche Ge-
lingen des Guten gerechnet ist ! Glaube, dass das Reich
Gottes, das Reich der Wahrheit und des Rechts, kom-
men wird auf die Erde, und trachte du nur danach,
dass es komme! Glaube, dass eben auf das Trachten
Fichte 4
5o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
von dir einzelnem alles berechnet ist, und dass ein
erhabener Genius über das Schicksal waltet, der alles,
was du beginnst, vollendet, vielleicht erst nach Jahr-
hunderten vollendet ! Glaube, dass auf jeden Schritt,
den du um der guten Sache willen tust, scheint er dir
auch noch so verloren, im Plan der Gottheit von Ewig-
keit gerechnet ist, dass du jeden deiner Tage für die
Ewigkeit lebst, und dass es bloss von dir abhängt,
jeden Tag für das Beste der Welt auf ewig zu gewin-
nen oder auf ewig zu verlieren ! Es ist wahr, du kannst
von dem allem nicht szientifisch beweisen, dass es so
sein müsse, aber genug, dein Herz sagt dir, du sollst
so handeln, als ob es so wäre, und wenn du so han-
delst, so zeigst du eben dadurch, dass du Religion hast!
Dies ist die Art und Weise, wie Religion in dem
Herzen eines guten Menschen entsteht und allein ent-
stehen kann. Der gute Mensch wünscht, dass das Gute
überall auf Erden herrschen möge, und er fühlt sich
in seinem [37] Gewissen verbunden, alles zu tun, was er
kann, um diesen Zweck bewirken zu helfen. Dass die-
ser Zweck möglich sei, weiss er zwar nicht, nämlich
er kann es nicht beweisen. Indessen kann er auch die
Unmöglichkeit davon nicht beweisen. Er glaubt also,
dass der Zweck der Alleinherrschaft des Guten aller-
dings ein möglicher Zweck sei, dass allerdings ein
Reich Gottes, als ein Reich der Wahrheit und des
Rechts, auf Erden gegründet werden könne. Denn
dies ist das, was er wünscht und will. Er kann es,
wenn er spekuliert, dahingestellt sein lassen, ob jener
Zweck möglich oder unmöglich sei, nur wenn er han-
delt, muss er verfahren, als ob er sich für die Mög-
lichkeit entschieden hätte, er muss trachten, jenem
Zweck allmählich näher zu kommen ; denn wollte er
Forberg : Entwicklung des Begriffs der Religion 5 I
verfahren, als ob es ihm gleichgültig wäre, es möchte
recht oder unrecht auf der Erde zugehn, wollte er
das Gute, das er stiften kann, nicht stiften und das
Böse, das er hindern kann, nicht hindern, darum weil
es denn doch am Ende unmöglich sei, aus Menschen
Engel zu machen; so würde er es sich doch selbst
nicht leugnen können, dass es von einer grossen und
erhabenen Denkungsart zeuge, nach der entgegenge-
setzten Maxime zu handeln : er selbst aber würde sich
wegen seiner kleinen und feigen Maxime in seinen
eigenen Augen verächtlich vorkommen. —
Religion ist demnach keine gleichgültige Sache, mit
der man es halten kann, wie man will, sondern sie [38]
ist Pflicht. Es ist Pflicht zu glauben an eine solche Ord-
nung der Dinge in der Welt, wo man auf das endliche
Gelingen aller guten Pläne rechnen kann, und wo das
Bestreben, das Gute zu befördern und das Böse zu
hindern, nicht schlechterdings vergeblich ist; oder
welches eins ist, an eine moralische Weltregierung
oder an einen Gott, der die Welt nach moralischen
Gesetzen regiert. Nur ist dieser Glaube keineswegs
insofern Pflicht, wiefern er theoretisch, das heisst, eine
müssige Spekulation ist, sondern bloss und allein in-
sofern, wiefern er praktisch, das heisst, wiefern er
Maxime wirklicher Handlungen ist. Mit anderen Wor-
ten : es ist nicht Pflicht, zu glauben, dass eine mora-
lische Weltregierung oder ein Gott, als moralischer
Weltregent, existiert, sondern es ist bloss und allein
dies Pflicht, zu handeln, als ob man es glaubte. In den
Augenblicken des Nachdenkens oder des Disputierens
kann man es halten, wie man will, man kann sich für den
Theismus oder für den Atheismus erklärende nachdem
man es vor dem Forum der spekulativen Vernunft ver-
4*
52
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
antworten zu können meint, denn hier ist nicht die Rede
von Religion, sondern von Spekulation, nicht von Recht
und Unrecht, sondern von Wahrheit und Irrtum. Nur
im wirklichen Leben, wo gehandelt werden soll, ist es
Pflicht, nicht so zu handeln, als setzte man voraus, es
sei ohnehin vergeblich, sich mit Beförderung des Gu-
ten in der Welt viel Mühe zu machen, man werde
doch nicht [39] gegen den Strom schwimmen können,
der einzelne werde doch mit dem besten Willen gegen
die Menge nichts ausrichten, es sei Torheit, eine Welt
voller Narren und Schelme in eine Welt voll Engel
umschaffen zu wollen, und es sei den Klugen zu raten,
aus der allgemeinen Torheit zuvörderst für sich Nutzen
zu ziehen, und übrigens die Sachen gebn zu lassen,
wie sie gehn. In diesen Maximen würde man gegen
sein eignes Gewissen handeln. Man würde tun, als
wüsste man das Misslingen seiner guten Pläne im
voraus gewiss, da man es doch nicht gewiss weiss,
sondern es ebensogut möglich ist, dass der Zufall un-
sere Absichten befördere, als dass er sie zerstöre.
Jene Maximen (die Maximen der Irreligion) sind also
pflichtwidrig und Sünde. Vor seinem Gewissen kann
niemand eine andere Maxime verantworten, als die,
Gutes zu stiften und Böses zu hindern, wo man weiss
und kann, ohne sich durch die Besorgnis irremachen
zu lassen, dass man den Erfolg doch nicht in seiner
Gewalt habe — jeden guten und schönen und grossen
Einfall zu betrachten als ein anvertrautes Pfund, mit
dem wir wuchern sollen, und unablässig zu arbeiten
an Verbreitung des Wahren und Guten in unserer
Sphäre und — wenn man Kraft dazu fühlt (Kraft
aber ist Beruf), — an Reformation der Welt nach
Idealen, in der Hoffnung, dass der Zufall (oder die
Forberg: Entwicklung des Begriffs der Religion 53
Gottheit, als eine uns übrigens unbekannte Macht)
alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumen werde:
wissen wir gleich nicht, wie und wann? und dass,
wenn [4o] wir nur tun, was unsere Schuldigkeit ist,
wenn wir nur mit Ernst und Eifer trachten nach dem
Reiche Gottes, das übrige — der Erfolg — uns (oder
unseren Nachkommen) zu seiner Zeit schon von selbst
zufallen werde. Diese Maximen sind die Maximen der
Religion, und die Religion ist demnach nichts anderes
als Glaube an das Gelingen der guten Sache, so wie
Irreligion dagegen nichts anderes ist als Verzweiflung
an der guten Sache. Religion ist mithin keineswegs
ein Notbehelf menschlicher Schwäche (dies ist sie al-
lerdings, sobald man sich den Religionsglauben als
einen theoretischen Glauben denkt), sondern die
Macht des moralischen Willens erscheint vielmehr
nirgends herrlicher und erhabener, als in der Maxime
des religiösen Menschen : Ich will, dass es besser werde,
wenn auch die Natur nicht will! Irreligion ist wahre
und eigentliche Schwäche des Geistes, aber selbstver-
schuldete Schwäche. Denn da niemand an der guten
Sache verzweifeln kann aus Einsicht (gleich als ob er
einen Blick in das Buch des Schicksals getan hätte),
so ist es im Grunde nur die Trägheit, die nach eini-
gen misslungenen Versuchen weitere Anstrengungen
scheut, und die angebliche Fruchtlosigkeit dieser An-
strengungen ist nichts als ein Vorwand, wodurch der
Träge das moralische Urteil anderer und dann auch
seines eigenen Gewissens zu bestechen sucht, aber
wenigstens das letztere nie besticht.
[4 1 ] Es gibt verfängliche Fragen, die man sich am
Schlüsse einer Theorie selbst vorlegen muss, wenn man
5^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
wissen will, ob man (ein man, worunter bisweilen der
Autor selbst gehört) sich die Grundsätze der Theorie
gehörig zu eigen gemacht habe, oder nicht. Nur muss
man diese Fragen beantworten in ebendem Stile, worin
sie aufgeworfen werden, und nicht im Stile des Systems,
von dem es ohnehin noch sehr zweifelhaft ist, ob er
der Wissenschaft oder der Unwissenheit mehr Vor-
schub getan habe.
Dergleichen verfängliche Fragen in Beziehung auf
die Religion sind folgende:
Ist ein Gott? Antwort: Es ist und bleibt ungewiss.
(Denn diese Frage ist bloss aus spekulativer Neugierde
aufgeworfen, und es geschieht dem Neugierigen ganz
recht, wenn er bisweilen abgewiesen wird.)
Kann man jedem Menschen zumuten, einen Gott zu
glauben? Antwort: Nein. (Denn die Frage nimmt
ohne Zweifel den Begriff des Glaubens in einem theo-
retischen Sinne, für eine besondere Art des Fürwahr-
haltens, und dieser theoretische Sinn ist denn auch
der einzige, den der gemeine Sprachgebrauch aner-
kennt, und den die Philosophen vielleicht nicht hätten
verlassen sollen.)
[42] Ist die Religion eine Überzeugung des V er Standes,
oder eine Maxime des Willens? Antwort: Sie ist keine
Überzeugung des Verstandes, sondern eine Maxime
des Willens. (Was von Überzeugung des Verstandes
dabei ist, ist Aberglaube.)
Wie handelt der religiöse Mensch? Antwort : Er wird
nimmer müde, die Sache des Wahren und Guten in
der Welt zu befördern, wenn auch seine Pläne noch
so oft misslingen, und eben darin, dass er nimmer
müde wird, und dass er nimmer an der guten Sache
verzweifelt, besteht seine Religion, und es gibt überall
Forberg : Entwicklung des Begriffs der Religion 5 5
keine Religion, die vor der Vernunft bestände, ausser
diese.
Kann man jedem Menschen Religion zumuten? Ant-
wort: Ohne Zweifel, so wie man jedem Menschen zu-
muten kann, gewissenhaft zu handeln; und Irreligion
(Verzweiflung an der guten Sache ohne hinlängliche
Gründe) ist Gewissenlosigkeit.
Wieviel gibt es Glaubensartikel der Religion? Ant-
wort: Zwei; — Glaube an die Unsterblichkeit der
Tugend und Glaube an ein Reich Gottes auf Erden.
Der Glaube an die Unsterblichkeit der Tugend ist der
Glaube, dass es immer auf Erden Tugend gab und
gibt, dass die Tugend nie ausgestorben [43] ist, und die
Geneigtheit, überall Tugend und gute Absichten zu
finden, selbst auf den schwächsten Beweis zu finden,
Laster und böse Absichten aber nicht anders als auf
den stärksten Beweis anzuerkennen. Der Glaube an
ein Reich Gottes auf Erden ist die Maxime, an Be-
förderung des Guten wenigstens so lange zu arbeiten,
als die Unmöglichkeit des Erfolges nicht klar erwie-
sen ist. Und das Motto der Religion üherhaupt ist :
„Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben!"
Ist Rechtschaffenheit möglich ohne Religion? Ant-
wort: Nein. (Rechtschaffenheit ohne Religion, und
Religion ohne Rechtschaffenheit sind gleich unmög-
lich. Das eine wäre Rechtschaffen hei t ohne Interesse
für Rechtschaffenheit, und das andere Interesse für
Rechtschaffenheit ohne Rechtschaffenheit.)
Kann man rechtschaffen sein, ohne einen Gott zu
glauben? Antwort: Ja. (Denn in der Frage ist ohne
Zweifel von einem theoretischen Glauben die Rede.)
Kann ein Atheist Religion haben? Antwort: Aller-
dings. (Von einem tugendhaften Atheisten kann man
56
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sagen, dass er denselben Gott im Herzen erkennt, den
er mit dem Munde verleugnet. Praktischer Glaube
und theoretischer Unglaube auf der einen, sowie auf
der anderen Seite theoretischer Glaube, der aber [44]
dann Aberglaube ist, und praktischer Unglaube kön-
nen ganz wohl beisammen bestehen.)
Wie verhält sich die Religion zur Tugend? Antwort:
Wie der Teil zum Ganzen. (Die Religion als die Ma-
xime der unermüdeten Standhaftigkeit in Beförderung
des Guten trotz aller Hindernisse ist eine von den
einzelnen Erscheinungen des tugendhaften Charak-
ters überhaupt.)
Kann man Religion lernen? Antwort: Ja. (So wie
man Gerechtigkeit, Nachgiebigkeit, Geduld lernen
kann und lernen soll — nämlich durch Übung.)
Ist die Religion ein Hilfsmittel der Tugend? Ant-
wort: Nein. (Denn Zweck und Mittel können unmög-
lich eines sein. Die Religion hilft nicht zur Tugend,
sondern nur zu Tugenden. Sie macht den Charakter
nicht tugendhafter, aber sie macht die Erscheinung
des tugendhaften Charakters vielfältiger.)
Ist die Religion ein Schreckmittel des Ilsters? Ant-
wort : Auch nicht. (Der Aberglaube kann ein Schreck-
mittel des Lasters sein, aber nie die Religion. Wer
die Gottheit fürchtet, hat sie noch nicht gefunden.
Es ist das Glück der Tugend, eine Gottheit zu finden,
und das Unglück des Lasters, keine finden zu können.)
[45] Wird jemals ein Reich Gottes, als ein Reich der
Wahrheit und des Rechts auf Erden erscheinen? Ant-
wort: Es ist ungewiss, und, wenn man auf die bisherige
Erfahrung bauen darf, die jedoch im Vergleich mit der
unendlichen Zukunft eigentlich wie nichts zu rechnen
sein möchte, sogar unwahrscheinlich.
Forberg : Entwicklung des Begriffs der Religion 5 7
Könnte nicht statt eines Reichs Gottes auch wohl ein
Reich Satans auf Erden erscheinen? Antwort: Das eine
ist so gewiss und so ungewiss als das andere.
Wäre demnach die Religion der Hölle nicht ebenso
gründlich als die Religion der guten Menschen auf Er-
den? Antwort: Die eine hat vor dem Forum der Speku-
lation allerdings nicht mehr und nicht weniger für
sich als die andere.
Ist die Religion Verehrung der Gottheit? Antwort:
Keineswegs. (Gegen ein Wesen, dessen Existenz er-
weislich ungewiss ist und in Ewigkeit ungewiss blei-
ben muss, gibt es überall nichts zu tun. Wer das
mindeste bloss und allein um Gottes willen tut, ist
abergläubisch. Es gibt keine einzige Pflicht gegen Gott,
ausser man müsste mit Worten spielen wollen.)
Ist der in dieser Theorie au f gestellte Begriff der Reli-
gion auch der wahre und [46] richtige? Antwort: Ohne
allen Zweifel ; vorausgesetzt nämlich, dass der Begriff
der Religion der Begriff von etwas Vernünftigem und
nicht von etwas Unvernünftigem sein soll. (Wäre von
Religion kein anderer Begriff ausfindig zu machen,
als der gemeine und seit Jahrtausenden gewöhnliche
[eines Kultus übermenschlicher Wesen], so wäre die
Religion eine Schimäre, und es dürfte von ihr unter
Leuten von Verstand hinfort nicht mehr die Rede
sein. Indessen, da dem Ausdruck: Religion, ein ver-
nünftiger und doch mit dem alten unvernünftigen
Begriffe einigermassen verwandter untergelegt wer-
den kann, so mag nun jeder bei sich selbst entschei-
den, ob er es ratsamer findet, an einen alten Ausdruck
einen neuen Begriff zu binden und dadurch diesen
der Gefahr auszusetzen, von jenem wieder verschlun-
gen zu werden, oder lieber den alten Ausdruck gänz-
58
J. G. Ficfatet Atheumu»-Siz<eit
lieh beiseite zu legen, aber dann zugleich auch bei
sehr vielen schwerer, oder gar nicht, Eingang zu
finden.)
Und endlich, ist nicht der Begriff eines praktischen
Glaubens mehr ein spielender, als ein ernsthaft philo-
sophischer Begriff? Die Antwort auf diese verfängliche
Frage überlässt man billig dem geneigten Leser selbst,
und damit zugleich das Urteil, ob der Verfasser des
gegenwärtigen Aufsatzes am Ende auch wohl mit
ihm nur habe spielen wollen!
VVWVVWVVVVVVVVVVWVVVVVVVVW
IV.
SCHREIBEN
EINES VATERS
AN SEINEN STUDIERENDEN SOHN
ÜBER DEN FICHTISCHEN UND
FORBERGISCHEN ATHEISMUS
Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu
Narren geworden. Rom. 1.22.
(1798)
MIT nicht geringer Betrübnis habe ich vor einigen
Tagen in einem philosophischen Journal zwei Auf-
sätze gelesen, worinnen Grundsätze aufgestellt werden,
deren Verbreitung ganz gewiss den nachteiligsten
Einfluss auf Religion und Moralität haben würde,
wenn sie Beifall finden sollten. Von Christentum
könnte alsdann die Rede nicht mehr sein. Es könnte
nach diesen Grundsätzen gar keine Religion mehr
stattfinden, und der Glaube an eine Gottheit, an ein
von der Welt unterschiedenes höchstes Wesen wäre
barer Unsinn. Ich halte es daher für nötig, mein lie-
ber Ferdinand, Dir meine Gedanken hierüber schrift-
6o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
lieh zu eröflhen und Dich zum eigenen Nachdenken
über einen Gegenstand zu veranlassen, der jedem ver-
nünftigen Menschen äusserst wichtig sein muss, und
der am allerwenigsten einem jetzigen oder künftigen
Religionslehrer gleichgültig sein kann.
Die Aufsätze, die ich meine, stehen in dem philo-
sophischen Journal einer Gesellschaft teutscher Gelehr-
ten. Herausgegeben von Joh. Gottlieb Fichte und Fried-
rich Immanuel Niethammer, der Philosophie Doktoren
und Professoren zu Jena. (Jahrgang 1798. Erstes Heft.)
Der erste dieser Aufsätze hat den Prof. Fichte zum
Verfasser und führt die Aufschrift: Uber den Grund
unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung. Der
zweite : Entwickelung des Begriffs der Religion ist von
Rektor Forberg.
Es ist hart, jemanden des Atheismus zu beschuldi-
gen, und man hat ehedem sogar gezweifelt, ob es
wirklich theoretische Atheisten gebe. Aber Hr. Fichte
und Forberg sagen es laut, dass sie keinen Gott glau-
ben und erklären den Glauben an eine Gottheit in
dem gewöhnlichen Verstände für Unsinn (S. 5, i5,
18, 41 £)• Hr. Fichte sagt gleich im Anfange seiner
Abhandlung, er habe diese Grundsätze bisher in sei-
nem Hörsaale vorgetragen und halte es für seine Pflicht,
sie nun auch dem grösseren philosophischen Publikum
zur Prüfung und gemeinschaftlichen Beratung vorzu-
legen. — Dass der gröbste Atheismus auf einer christ-
lichen Universität öffentlich gelehrt wird, ist doch ge-
wiss unerhört. Und gleichwohl hat Fichte, wie man
sagt, so grossen Beifall, dass es ihm wirklich gelungen
sein soll, einen seiner Kollegen, den er als seinen Ne-
benbuhler betrachtete, zu annihilieren, wie er öffent-
lich gedroht hatte (nach dem Prinzip der reinen
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn g [
Sittlichkeit). Das ist wirklich eine traurige Erschei-
nung, ein Beweis, dass manche Studierende ohne alle
Beurteilungskraft gerade das am liebsten hören und
am meisten bewundern, was nicht verstanden werden
kann, und was neu klingt, wenn auch gar kein ge-
sunder Menschenverstand darinnen liegt. Die Unge-
reimtheiten und Lächerlichkeiten der Fichtischen so-
genannten Philosophie sind sehr einleuchtend darge-
stellt in einem Buche, welches ich Dir, lieber Ferdinand,
zum Lesen empfehlen will. Es führt den Titel : Leben
und Meinungen Sempronius Gundiberts, eines deutschen
Philosophen. Berlin und Stettin 1798. Du wirst Dir
ein kleines Verdienst erwerben, wenn Du Deine Freunde
auf dieses Buch, nachdem Du es selbst gelesen und ge-
prüft hast, aufmerksam machst. Vielleicht werden
doch manche dadurch abgehalten, die edle und ge-
meiniglich kurze Zeit, die sie auf Universitäten zu-
bringen, mit leeren Grillenfangereien zu verderben und
sich zu künftigen Ämtern unbrauchbar zu machen.
Übrigens könnte man Herrn Fichte seine Freude gön-
nen, wenn er seine obskure Weisheit für sich behielte.
Dass er aber sogar seine atheistischen Grundsätze jungen
Leuten beibringt, die sich zu den wichtigsten Ämtern
im Staate und in der Kirche vorbereiten wollen, das
ist unverzeihlich, und das kann keinem Freunde der
Religion und der Tugend gleichgültig sein.
Ich traue zwar Deinem Verstände und gutem Herzen
zu, dass Du Dich durch die Sophistereien der neuen
Philosophie und von leichtsinnigen Jünglingen, die
so gerne Proselyten machen, nicht leicht wirst ver-
führen lassen. Aber vielleicht wird es Dir dennoch an-
genehm sein, wenn ich Dir einige Winke gebe, die Du
weiter benützen kannst. Ich will zu dem Ende zuerst
6a
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
die auffallendsten Stellen aus dem Fichtischen Auf-
satze ausheben und Dir meine Bemerkungen darüber
mitteilen.
Was F. hier vorträgt, nennt er (S. i) die Resultate
seines Philosophierens. Er hätte sagen sollen, die
schon oft vorgetragenen und ebenso oft widerlegten
Einfalle alter und neuer Skeptiker, nur in einer kau-
derwelschen Sprache. Er will jetzt nur den Grund-
riss seiner Gedanken angeben (S. 2) und behält sich
die weitere Ausführung auf eine andere Zeit vor. —
Diese Mühe könnte er sich ersparen; denn er wird
doch weiter nichts sagen können, als was schon hun-
dertmal auf eine andere Manier gesagt worden ist.
Herr Fichte will untersuchen, wie der Mensch zum
Glauben an eine göttliche Weltregierung komme?
„Wo wird nun der Philosoph (heisst es S. 5), der jenen
Glauben voraussetzt, den notwendigen Grund dessel-
ben, den er zutage fördern soll, aufsuchen? Etwa in
einer vermeinten Notwendigkeit, von der Existenz
oder der Beschaffenheit der Sinnen weit auf einen ver-
nünftigen Urheber derselben zu schliessen? Keines-
wegs; denn er weiss zu gut, dass zwar eine verirrte
Philosophie, in der Verlegenheit, etwas erklären zu
sollen, dessen Dasein sie nicht leugnen kann, dessen
wahrer Grund ihr aber verborgen ist, nimmermehr
aber der unter der Vormundschaft der Vernunft und
unter der Leitung ihres Mechanismus stehende ur-
sprüngliche Verstand, eines solchen Schlusses fähig ist."
Also, nur eine verirrte Philosophie kann von der
Existenz oder der Beschaffenheit der Sinnenwelt auf
einen vernünftigen Urheber derselben schliessen, und
diesen Schluss macht sie in der Verlegenheit, etwas
erklären zu sollen, dessen Dasein sie nicht leugnen
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn 53
kann. — Was soll sie denn erklären? Die Sinnen-
welt? Das heisst nichts gesagt. Die Philosophie, und
selbst der gesunde Menschenverstand (worauf aber
unsere sublimen Philosophen gar nichts halten) fragt:
Woher diese Sinnen weit? Ist sie von sich selbt durch
ein blindes Ohngefahr entstanden? oder hat sie einen
Urheber ? Diese Frage ist doch gewiss nicht unvernünf-
tig. Sie dringt sich jedem denkenden Menschen von
selbst auf, wenn er auch in seinem ganzen Leben
nichts von Philosophie gehört hat. Aber nach Fich-
tens Behauptung soll nur eine verirrte Philosophie
solche Fragen aufzuwerfen fähig sein. Nun weiter
(S. 5): „Entweder erblickt man die Sinnenwelt aus
dem Standpunkt des gemeinen Bewusstseins, den man
auch den der Naturwissenschaft nennen kann, oder
vom transzendentalen Gesichtspunkte aus. Im ersten
Falle ist die Vernunft genötigt (?), bei dem Sein der
Welt, als einem absoluten, stehenzubleiben; die
Welt ist, schlechthin, weil sie ist, und sie ist so,
schlechthin, weil sie so ist." Schön ! so muss *ch also
auch von einzelnen Teilen der Welt sagen: Sie sind,
weil sie sind. Die Sonne ist, weil sie ist, und sie ist so,
weil sie so ist. Ich darf nun weiter nicht fragen : Wo-
zu ist sie vorhanden? Welchen Einfluss hat sie auf
unsern Erdboden und auf andere Planeten? Ich muss
bei dem Sein der Sonne, als bei einem absoluten,
stehenbleiben. Das heisst Philosophieren !
„Auf diesem Standpunkt wird von einem absoluten
Sein ausgegangen, und dieses absolute Sein ist eben*
die Welt; beide Begriffe sind identisch. Die Welt wird
ein sich selbst begründendes, in sich selbst vollendetes,
und eben darum ein organisiertes und organisierendes
Ganzes, das den Grund aller in ihm vorkommenden,
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Phänomene in sich selbst, und in seinen immanenten
Gesetzen enthält." — Das soll ohne Zweifel, in ver-
ständliches Deutsch übersetzt, heissen : Die Welt hat
sich selbst ihr Dasein gegeben; sie ist zwar ein orga-
nisiertes Ganze ; aber sie hat sich selbst organisiert, und
regiert sich selbst nach immanenten Gesetzen. Ist eben-
so klug, als wenn ich sagte : Der prächtige Palast, den
ich hier vor mir sehe, hat sich selbst erbauet ; hat selbst
die darin befindlichen Zimmer angelegt, Möbel ver-
fertigt und in Ordnung gestellt und alles so einge-
richtet, wie es die Bewohner wünschen mögen. Diese
Uhr ist von keinem Künstler verfertiget ; sie hat selbst
ihre Räder gemacht, zusammengesetzt und sich so
eingerichtet, dass sie nun Stunden und Minuten zeigen
kann. Es würde zwar Herrn Fichte sehr wenig Ehre
bringen, wenn das wirklich Resultate seines Philoso-
phierens wären, wie er uns im Anfange seines Aufsatzes
versichert. Wer aber des bekannten David Hume
„Dialogues concerning natural religion" gelesen hat,
wird ihm schwerlich glauben, dass er selbst auf den
witzigen Einfall geraten sei, der Welt ein absolutes
Sein beizulegen.
„Eine Erklärung der Welt und ihrer Formen aus
Zwecken einer Intelligenz, inwiefern nur wirklich
die Welt und ihre Formen erklärt werden sollen, und
wir uns sonach auf dem Gebiete der reinen — ich sage
der reinen Naturwissenschaft befinden, ist totaler Un-
sinn." — • Ich weiss nicht, was der Vf. unter der reinen
Naturwissenschaft versteht (wonach es doch auch eine
unreine Naturwissenschaft geben müsste), aber so viel
sehe ich wohl ein, dass er behauptet, es sei totaler
Unsinn, zu glauben, dass die Welt von einem verständi-
gen, denkenden Wesen hervorgebracht worden sei.
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn
65
Hume war doch noch bescheiden. Er gesteht selbst
am Ende (Dialogues p. in, i3o, 1 35), dass seine
Einwürfe gegen eine selbständige, mit Zweck und
Absicht wirkende Grundursache nur aus einer Nei-
gung zum Sonderbaren entsprungen und eigentlich
blosse Schikanen und Sophistereien wären (mere ca-
vils and sophisms), oder auf einen Wortstreit hinaus-
liefen. Aber Hr. Fichte versteht keinen Scherz. Er ist
seiner Sache vollkommen gewiss, und nennt die ge-
wöhnliche, vernünftige Lehre von Gott totalen Un-
sinn. — Von einem Aufseher des menschlichen Ge-
schlechtes, wie der Philosoph Fichte sein will, muss
man es sich schon gefallen lassen, wenn er in seinem
Eifer bisweilen etwas zu weit geht und uns statt
wichtiger Gründe Schimpfworte gibt.
„Überdies hilft uns der Satz: eine Intelligenz ist
Urheber der Sinnenwelt, nicht das geringste und
bringt uns um keine Linie weiter; denn er hat nicht
die mindeste Verständlichkeit und gibt uns ein paar
leere Worte statt einer Antwort auf die Frage, die
wir nicht hätten aufwerfen sollen. Die Bestimmungen
einer Intelligenz sind doch ohne Zweifel Begriffe; wie
nun diese entweder in Materie sich verwandeln mögen,
in dem Ungeheuern System einer Schöpfung aus
Nichts, oder die schon vorhandene Materie modifi-
zieren mögen, in dem nicht viel vernünftigem Systeme
der blossen Bearbeitung einer selbständigen ewigen
Materie, darüber ist noch immer das erste verständ-
liche Wort vorzubringen." — Ob uns der Satz: eine
Intelligenz ist Urheber der Sinnenwelt, etwas helfe oder
nicht, das wollen wir weiter unten untersuchen, wenn
wir auf Herrn Forberg kommen. So wie Hr. F. den
Satz erklärt, hat er auch wirklich keine Verständ-
Fichte 5
66
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
lichkeit; er soll aber auch nicht verständlich sein,
weil es Fichte nicht will. Die Bestimmungen einer In-
telligenz (spricht er) sind doch ohne Zweifel Begriffe.
Was soll das heissen? Vermutlich, eine Intelligenz
besteht biossaus Begriffen, hat keine andere Kraft, als
sich Begriffe zu machen. Diese Begriffe (das sollen
vermutlich die folgenden Worte sagen) können sich
weder in Materie verwandeln, wie diejenigen glauben,
welche eine Schöpfung aus Nichts annehmen, noch
eine schon vorhandene Materie modifizieren, wie sich
diejenigen vorstellen, die sich unter der Schöpfung
blosse Bearbeitung einer selbständigen ewigen Ma-
terie denken. — Ganz richtig, Hr. Philosoph! Wer
den Satz: eine Intelligenz ist Urheber der Sinnenwelt,
so versteht, der gibt uns leere Worte. Aber welcher
vernünftige Mensch hat ihn so verstanden? Das ist,
mit Erlaubnis zu sagen, Sophisterei und heisst die
Begriffe verwirren. Wenn wir Gott eine Intelligenz
nennen, so denken wir uns ein selbständiges, von der
Welt unterschiedenes, alles vermögendes, mit Zweck
und Absicht wirkendes Wesen. Das hast Du, lieber
Ferdinand, schon in der Schule gelernt. Ich habe Dir
auch, wie Du Dich noch erinnern wirst, bei einer ge-
wissen Gelegenheit erklärt, wie es zu verstehen sei,
wenn man sagt, Gott habe die Welt aus Nichts er-
schaffen, nämlich ohne vorhandene Materie und Werk-
zeuge durch seinen allmächtigen Willen. Nach dieser
Erklärung hast Du mir den Einwurf : Aus Nichts wird
Nichts, selbst beantwortet.
„Erblickt man die Sinnenwelt vom transzendentalen
Gesichtspunkt aus, so verschwinden freilich alle diese
Schwierigkeiten ; es ist dann keine für sich bestehende
Welt: in allem, was wir erblicken, erblicken wir bloss
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn
den Widerschein unserer eigenen innern Tätigkeit.
Aber was nicht ist, nach dessen Grunde kann nicht
gefragt werden ; es kann nichts ausser ihm angenom-
men werden, um dasselbe zu erklären." — Der Schluss
ist nicht ganz richtig. Hr. Fichte muss noch nicht
weit in der philosophischen Geschichte gekommen
sein; sonst würde er auf den Idealtsmus des Berkeley
einige Rücksicht genommen haben, der in den Ge-
sprächen zwischen Hylas und Philonous, in welchen er
seine Ideen am deutlichsten entwickelt hat, schon auf
dem Titelblatt erklärte, dass sie abgefasst seien, um
die Wirklichkeit und die Vollkommenheit der mensch-
lichen Erkenntnis, die unkörperliche Natur der Seele
und die unmittelbare Vorsehung der Gottheit gegen
Skeptiker und Atheisten klar zu erweisen. Jedoch, Hr. F.
vermutet (S. 6) man könnte vielleicht nach dem Grunde
des Ich fragen. Hieran erinnerten ihn die Göttingischen
Gelehrten Anzeigen in der Rezension seiner Wissen-
schaftslehre. Er antwortet ganz kurz: Mit was für
Leuten man nicht zu tun hat [bekommt], wenn man sich in
unserm philosophischen Jahrhundert mit Philosophieren
beschäftiget! Kann denn das Ich sich selbst erklären, sich
selbst erklären auch nur wollen, ohne aus sich herauszuge-
hen und aufzuhören, Ich zu sein? — Capiat, qui capere
potest!
Nun wirst Du vielleicht begierig sein zu erfahren,
mein lieber Ferdinand, ob denn Hr. F. nicht dennoch
eine Art von Gottheit annehme? Allerdings. Er glaubt
an eine lebendige und wirkende moralische Weltordnung;
und diese Weltordnung ist sein Gott. Seine verworrene
Deduktion kannst Du S. 8 folg. selbst lesen, wenn Du
Lust hast, sie genauer kennen zu lernen. Mir fehlt es
an Zeit und Lust, sie zu zergliedern, und mich in eine
5*
68
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Wiederholung seiner Sophistereien einzulassen. Nur
einige Bemerkungen über die Hauptstelle in seinem
Räsonnement mögen hier stehen.
„Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung
(heisst es S. i5) ist selbst Gott; wir bedürfen keines
andern Gottes und können keinen andern fassen. Es
liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener morali-
schen Weltordnung herauszugehen und vermittelst
eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch
ein besonderes Wesen als die Ursache desselben anzu-
nehmen; der ursprüngliche Verstand macht sonach
diesen Schluss sicher nicht und kennt kein solches be-
sonderes Wesen; nur eine sich selbst missverstehende
Philosophie macht ihn. Ist denn jene Ordnung ein
Zufälliges, welches sein könnte oder auch nicht; so
sein könnte, wie es ist, oder auch anders; dass ihr
ihre Existenz und Beschaffenheit erst aus einem Grunde
erklären, erst vermittelst Aufzeigung dieses Grundes
den Glauben an dieselbe legitimieren müsstet? Wenn
ihr nicht mehr auf die Forderung eines nichtigen
Systems hören, sondern euer eigenes Inneres befragen
werdet, werdet ihr finden, dass jene Weltordnung das
absolut Erste aller objektiven Erkenntnis ist etc."
Dieses Räsonnement ist so verwirrt, dass man kaum
erraten kann, was der Vf. haben will. So viel merkt
man wohl, dass er eine Ordnung annimmt ohne ei-
nen Urheber dieser Ordnung; ein moralisches Gesetz
in dem Menschen, ohne einen Gesetzgeber. Die mora-
lische Ordnung ist das absolut Erste aller Erkenntnis.
Gesetzt, das wäre richtig, wogegen doch die Erfah-
rung streitet; ist sie denn auch das Erste alles Seins?
Es ist nicht der Mühe wert, dass irgendein Mensch,
der den Wert der edlen Zeit zu schätzen weiss, sich
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn 5g
mit den unnützen, scholastischen Grillen beschäftige,
die jetzt das Lieblingsstudium müssiger Köpfe aus-
machen. Indessen scheint mir für diejenigen, die et-
was Verständliches hierüber zu lesen wünschen, fol-
gendes Buch brauchbar zu sein: Uber die Lehre von
den Gründen und Ursachen der Dinge. V on Adam Weis-
haupt. Regensb. 1794» ich bin nicht durchgängig der
Meinung des Verfassers, aber in seinem Buche ist ge-
sunder Menschenverstand, worauf ich noch immer viel
halte, so sehr er auch von unsern übervernünftigen
Philosophen verschrien wird, und man kann ihm auch
folgen, wenn er zu den steilen und schwindelnden
Höhen der Metaphysik emporklimmt. Jedoch wollte
ich Dir nicht raten, schon jetzt dergleichen Schriften
zu lesen, damit Du Dir nicht die Zeit zu dem Studium
wichtigerer Wissenschaften hinwegnimmst.
Noch einen abgedroschenen Einwurf gegen unsere
Erkenntnis von Gott wiederholt unser Philosoph als
Resultat seines Philosophierens ; und hier wird er be-
redt, welches seine Art sonst nicht ist. „Wenn man
euch nun auch erlauben wollte (heisst es S. 16, 17),
jenen Schluss zu machen und vermittelst desselben
ein besonderes Wesen als die Ursache jener morali-
schen Weltordnung anzunehmen, was habt ihr denn
nun eigentlich angenommen ? Dieses Wesen soll von
euch und der Welt unterschieden sein ; es soll in der
letzteren nach Begriffen wirken, es soll sonach der
Begriffe fähig sein, Persönlichkeit haben und Bewusst-
sein. Was nennt ihr denn nun Persönlichkeit und
Bewusstsein ? Doch wohl dasjenige, was ihr in euch
selbst gefunden, an euch selbst kennen gelernt und
mit diesem Namen bezeichnet habt? Dass ihr aber
dieses ohne Beschränkung und Endlichkeit schlech-
q J. G. Fichtes Atheismus-Streit
terdings nicht denkt, noch denken könnt, kann euch
die geringste Aufmerksamkeit auf eure Konstruktion
dieses Begriffs lehren. Ihr macht sonach dieses Wesen
durch die Beilegung jenes Prädikats zu einem end-
lichen, zu einem Wesen euresgleichen, und ihr habt
nicht, wie ihr wolltet, Gott gedacht, sondern nur euch
selbst im Denken vervielfältigt. Ihr könnt aus diesem
Wesen die moralische Weltordnung ebensowenig er-
klären, als ihr sie aus euch selbst erklären könnt ; sie
bleibt unerklärt und absolut wie zuvor; und ihr habt
in der Tat, indem ihr dergleichen Worte vorbringt,
gar nicht gedacht, sondern bloss mit einem leeren
Schalle die Luft erschüttert. Dass es euch so ergehen
werde, konntet ihr ohne Mühe voraussehen. Ihr seid
endlich ; und wie könnte das Endliche die Unendlich-
keit umfassen und begreifen ?"
Mehrere Skeptiker haben hehauptet, eine Erkennt-
nis der göttlichen Eigenschaften sei uns Menschen
unmöglich, ohne zu leugnen, dass ein Gott, und dass
er von der Welt unterschieden sei. Auch ist bekannt,
dass die kritischen Philosophen einmütig behaupten,
unsere Erkenntnis von Gott habe keine objektive Gül-
tigkeit. Bolingbroke sagte, durch Übertragung unserer
Begriffe von moralischen Eigenschaften auf Gott werde
der Mensch zum Original und Gott zur Kopie oder
zu einem unendlichen Menschen gemacht. Was also
Hr. Fichte hier sagt, ist gar nicht neu. Die Frage ist
nur, ob es richtig geschlossen sei: Weil wir das We-
sen und die Eigenschaften Gottes nicht begreifen kön-
nen, so ist kein Gott? Dass alle unsere Erkenntnis
von Gott nur analogisch ist, das haben wir längst ge-
wusst. Anstatt der Eigenschaften, die wir Bewusstsein,
Verstand, Wille, Weisheit, Gerechtigkeit etc. nennen,
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn »y \
ist in Gott etwas unendlich Vollkommneres. Aber dar-
aus folgt nicht, dass diese und andere dergleichen
Eigenschaften, insofern sie Gott beigelegt werden,
bloss in unserer Phantasie gegründet wären. Wir
wissen nun einmal keine andern als die gewöhnlichen
Namen, um sie zu bezeichnen. Weisheit bleibt Weis-
heit, sie mag sich in einem höhern oder geringem
Grade äussern. Güte bleibt Güte, sie mag sich auf
weniges einschränken oder sich auf alles ausdehnen.
Der Begriff von Macht muss doch auch selbst bei der
Vorstellung von Allmacht zum Grunde liegen, so gross
auch der Abstand zwischen der 1 Macht schwacher
Menschen und zwischen Allmacht ist. Sei es immer
unmöglich, zu erkennen, was Gott in sich ist; genug,
wenn wir erkennen, was er für uns ist, und was wir
von ihm erwarten dürfen; und das können wir zu-
verlässig wissen und erfahren, wenn wir unsere Ver-
nunft recht gebrauchen wollen.
Dreist genug beschliesst Hr. F. seinen Aufsatz mit
folgender Stelle: „Es ist daher ein Missverständnis zu
sagen : es sei zweifelhaft, ob ein Gott sei oder nicht.
Es ist gar nicht zweifelhaft, sondern das Gewisseste,
was es gibt, ja der Grund aller anderen Gewissheit,
das einzige absolut gültige Objektive, dass es eine mo-
ralische Weltordnung gibt, dass jedem vernünftigen
Individuum seine bestimmte Stelle in dieser Ordnung
angewiesen und auf seine Arbeit gerechnet ist; dass
jedes seiner Schicksale, inwiefern es nicht etwa durch
sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von
diesem Plane ; dass ohne ihn kein Haar fallt von sei-
nem Haupte und in seiner Wirkungssphäre kein Sper-
ling vom Dache; dass jede wahrhaft gute Handlung
gelingt, jede böse sicher misslingt, und dass denen,
2 J. G. Fichtes Atbeismus-Streit
die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum Besten
dienen müssen. Es kann ebensowenig von der ande-
ren Seite dem, der nur einen Augenblick nachdenken
und das Resultat dieses Nachdenkens sich redlich ge-
stehen will, zweifelhaft bleiben, dass der Begriff von
Gott, als einer besonderen Substanz, unmöglich und
widersprechend ist: und es ist erlaubt, dies aufrichtig
zu sagen und das Schulgeschwätz niederzuschlagen, da-
mit die [wahre] Religion des freudigen Rechttuns (???)
sich erhebe."
Wenn diese Stelle in verständliches Deutsch über-
setzt wird, so möchte sie etwa folgenden Sinn enthal-
ten: Bisher haben die kritischen Philosophen gesagt,
es sei zweifelhaft, ob ein Gott sei oder nicht. Aber
sie haben sich geirrt. Sie hätten sagen sollen: Es ist
kein Gott. Es gibt aber eine moralische Weltordnung,
und diese ist der Grund aller anderen Gewissheit, das
einzige absolut gültige etc. — Hier scheint sich Hr.
Fichte selbst nicht zu verstehen, oder seinen Lesern
Sand in die Augen streuen zu wollen. Wir fragen, ob
ein Gott sei, ein von der Welt unterschiedenes höch-
stes Wesen, der Urheber, Erhalter und Regierer aller
Dinge? und er spricht von einer Weltordnung, als dem
Grund aller andern Gewissheit, als dem einzigen absolut
Gültigen, Objektiven. In dieser Ordnung ist jedem ver-
nünftigen Individuum seine Stelle angewiesen. Wer oder
was hat ihm denn seine Stelle angewiesen? Die Ord-
nung selbst? oder ein Ohngefahr? oder eine blinde
Notwendigkeit? oder Fichte, der sich eine Aufsicht
über das Menschengeschlecht anmassen will? — Jedes
seiner [eines jeden Individuums] Schicksale, inwiefern
es nicht etwa durch sein eigenes Betragen verursacht ist,
ist Resultat von diesem Plan, und ohne ihn [diesen Plan]
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn ^ 3
fällt kein Haar von seinem Haupte, und in seiner [wes-
sen? des Individuums oder des Plans?] Wirkungssphäre
kein Sperling vom Dache. Die Weltordnung, der Plan
ist also selbst lebend und wirkend, wie sich der Vf.
oben S. 1 5 ausgedrückt hatte. Ein lebender und selbst
wirkender Plan, den kein verständiges Wesen entwirft
und ausführt, ist uns andern armen Sterblichen frei-
lich etwas Unbegreifliches und Undenkbares. Wir
müssen daher diese hohe Weisheit dem Hrn. F. und
seinen gläubigen Jüngern alleine überlassen. Jede
wahrhaft gute Handlung gelingt, und jede böse miss-
lingt sicher; denen, die nur das Gute recht lieben, müs-
sen alle Dinge zum Besten dienen. Das soll vermutlich
heissen: Jede gute Handlung hat gute und jede böse
Handlung hat böse Folgen ; denn diesen Sinn erfor-
dern die Worte: denen, die nur das Gute etc. Ganz
richtig! Nur müssen wir auch gewiss versichert sein,
dass unsere Handlungen wirklich gut sind. Aber den
Atheismus predigen und unerfahrnen jungen Leuten
die vornehmste Stütze der Tugend, den Glauben an
Gott, Unsterblichkeit und Vergeltung entreissen, ist
wahrlich keine gute Handlung. Dies tut Hr. Fichte
und erklärt den Begriff von Gott, als einer besondern
Substanz, nochmals mit dürren Worten für unmöglich
und widersprechend, nennt die richtige Lehre von Gott
Schulgeschwätz, welches niederzuschlagen er für seine
Pflicht hält, damit, wie er sagt, die wahre Religion des
freudigen Rechttuns sich erhebe; er wollte vielleicht
sagen, damit allen Lastern Tür und Tor geöffnet werde.
Und von Schulgeschwätz sollte ein junger Mann gar
nicht reden,dessen ganze sogenanntePhilosophie durch-
aus unverständliches, verworrenes Schul geschwätz ist.
Übrigens möchte ich doch Hrn. Fichte fragen, ob es
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
mit Moralität bestehen könne, Jünglingen, die zum
Teil zum Lehramte in Kirchen und Schulen bestimmt
sind, offenbar atheistische Grundsätze beizubringen?
Eine christliche Obrigkeit wird doch sicher keine
Atheisten zu geistlichen Ämtern befördern wollen.
Solche Prediger und Schullehrer werden also doch zum
Schein lehren müssen, es sei ein Gott. Nach ihren
Grundsätzen wäre dies aber eine Lüge, und F. gibt
die Regel (S. i4)- Du darfst nicht lügen, und wenn die
Welt darüber in Trümmern zerfallen sollte, — Er lenkt
aber gleich wieder ein und sagt: „Aber dies ist nur
eine Redensart ; wenn du im Ernste glauben dürftest,
dass sie zerfallen würde, so wäre wenigstens dein We-
sen schlechthin widersprechend und sich selbst ver-
nichtend. Aber dies glaubst du eben nicht, noch darfst
du es glauben ; du weisst, dass in dem Plane ihrer Er-
haltung sicherlich nicht auf eine Lüge gerechnet ist."
Schön und gründlich! Aber auch witzig!
Nun will ich Dir, lieber Ferdinand, doch auch einige
Bemerkungen über den Aufsatz des Hrn. Rektor Forberg
mitteilen. Da aber meine Zeit, wie Du weisst, sehr einge-
schränkt ist, so muss ich mich kurz fassen. Der Aufsatz ist
überschrieben : „Entwickelung desBegriffes der Religion"
und kann gewissermassen als Fortsetzung und weitere
Ausführung der Fichtischen Abhandlung angesehen
werden. Wenigstens sagt Fichte selbst (S. 2), dieser For-
bergische Aufsatz komme in vielen Rücksichten mit sei-
nen Überzeugungen überein, und er könne sich auf ihn
berufen. In manchen Stücken ist auch die Übereinstim-
mung offenbar. Hr. Forberg spricht wie Hr. Fichte
von einer moralischen Weltregierung und sagt gleich
anfangs: Religion ist nichts anders als ein praktischer
Glaube an eine moralische Weltregierung. Er erklärt
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn »y 5
uns auch, was er unter einer moralischen Weltregie-
rung verstehe, welches Hr. Fichte nicht getan hat.
Wenn es nämlich (S. 21, 22) in der Welt so zugehet,
dass auf das endliche Gelingen des Guten gerechnet
ist, so gibt es eine moralische Weltregierung. Ist hin-
gegen Tugend und Laster dem Schicksal völlig gleich-
gültig, so gibt es keine moralische Weltregierung. —
Es gibt eine solche Regierung (sagt er S. 22 f.) und
eine Gottheit, die die Welt nach -moralischen Gesetzen
regiert. Das lautet ganz gut. Aber Hr. Forberg hat,
wie sein Meister, seine eigene, obgleich eine ganz an-
dere Gottheit, wie Du gleich erfahren wirst; und er
erklärt gleich anfangs (S. 22) die spekulativen Begriffe
von Gott, als dem allerrealsten, unendlichen, absolut
notwendigen Wesen, wenigstens für gleichgültig. Die
Religion kann nach seiner Meinung ebensogut mit dem
Polytheismus als mit dem Monotheismus, ebensogut
mit dein Anthropomorphismus als mit dem Spiritualis-
mus zusammen bestehen. Die Hauptabsicht dieses Auf-
satzes ist, zu zeigen, worauf sich der Glaube an eine
moralische Weltregierung gründe.
Hier geraten freilich unsere beiden Philosophen in
einen kleinen Widerspruch, der zwar unbefangene
Leser etwas befremden wird, der aber der Überein-
stimmung dieser Herren keinen Eintrag tut. Denn nach
ihrer Philosophie kann etwas zu gleicher Zeit und in
dem nämlichen Sinne wahr und nicht wahr, möglich
und unmöglich sein. Nach Fichte ist die moralische
Weltordnung selbst Gott, folglich etwas sehr Reelles,
das Höchste, was sich die menschliche Vernunft den-
ken kann; aber nach Hr. Forberg gibt es gar keine
moralische Weltregierung; sie ist ein Non-ens. Denn
dass er erst sagte : Es gibt eine moralische Weltregie-
»y5 J » G. Fichte« Atheismus-Streit
rung, das war nur sein Scherz ; wiewohl es auch nichts
zu bedeuten hat, wenn sich ein sublimer Philosoph in
einem Odem im völligen Ernste widerspricht. Er bleibt
deswegen doch ein Philosoph. Dass es aber eine mo-
ralische Weltregierung gibt, beweiset Hr. Forberg aus
folgenden Gründen. Es gibt nur drei Quellen, woraus
wir alle unsere Überzeugung am Ende schöpfen müs-
sen: Erfahrung , Spekulation und Gewissen.
Die Erfahrung kann hier gar nicht in Betrachtung
kommen; denn aus ihr liesse sich eher folgern (S. 23),
dass die Welt nicht moralisch regiert werde, oder dass
wenigstens ein böser Genius mit einem guten um die
Herrschaft der Welt streite und bisweilen der gute,
gemeiniglich aber der böse die Oberhand behalte.
Wer die Gottheit ausser sich, im Lauf der Dinge sucht,
der wird sie niemals finden. (Hr. Forberg erkennet
also gar keine Gottheit ausser sich: er hat sie bloss in
sich, ist seine eigene Gottheit.) Werke des Teufels wer-
den ihm auf allen Seiten begegnen, aber nur selten, und
immer schüchtern und zweifelnd wird er sagen können:
Hier ist Gottes Finger. Auch die Spekulation kann keine
Gottheit finden, folglich auch keine moralische Welt-
regierung. Hier gedenkt er der gewöhnlichen Argu-
mente für die Existenz Gottes und fertigt sie auf etlichen
Seiten (S. 23 — 26) ab. Sie taugen alle nichts. Warum?
Weil sie nichts taugen sollen. Es bleibt folglich nichts
übrig als das Gewissen, um auf die Aussprüche dessel-
ben eine Religion, d. h. den Glauben an eine morali-
sche Weltregierung zu gründen. Hier scheint es, als
ob Hr. Forberg wieder in völligem Ernste eine mora-
lische Weltregierung behaupten wolle. Er wirft die
Frage auf (S. 27): wie und auf welchem Wege in dem
Herzen eines moralisch guten Menschen Religion, d. h.
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn « ^
nach seiner vorhergehenden Erklärung, Glaube an
eine moralische Weltregierung entstehe? Er antwortet
mit zwei Worten: Religion entsteht einzig und allein
aus dem Wunsch des guten Herzens, dass das Gute in
der Welt die Oberhand über das Böse erhalten möge. —
Das soll doch wohl so viel heissen : Der gute Mensch
glaubt darum eine moralische Weltregierung, weil
er wünscht, dass eine sein möge. Darüber wird denn
S. 27 — 38 ein Langes und Breites gefaselt, und zuletzt
kömmt es heraus, dass es auch mit diesem Glauben
äusserst misslich steht. Weil der gute Mensch wünscht
(S. 36, 37), dass das Gute überall auf Erden herrschen
möge, so muss er auch alles tun, was er kann, um
diesen Zweck bewirken zu helfen. Dass dieser Zweck
möglich sei, weiss er zwar nicht; er glaubt es aber.
Warum ? Weil er es glauben will; wiewohl ihm auch
dies freistehet. Denn was sollte einem Philosophen
nicht freistehen? „Es ist nicht Pflicht (heisst es S. 38),
zu glauben, dass eine moralische Weltregierung oder
ein Gott, als moralischer Weltregent, existiert, sondern
es ist bloss und allein dies Pflicht, zu handeln, als ob
man es glaubte. In den Augenblicken des Nachdenkens
oder des Disputierens kann man es halten, wie man
will ; man kann sich für den Theismus oder Atheis-
mus erklären, je nachdem man es vor dem Forum
der spekulativen Vernunft verantworten zu können
meint. — Nur im wirklichen Leben, wo gehandelt
werden soll, ist es Pflicht, nicht so zu handeln, als
setzte man voraus, es sei ohnehin vergeblich, sich mit
Beförderung des Guten in der Welt viel Mühe zu
machen etc." Und doch heisst es wieder (S. 4o): Die
Religion ist nichts anderes als Glaube an das Gelingen
der guten Sache. Wer kann das zusammenreimen?
»y8 J - G. Fichtes Athe ismus-Streit
Dass aber des Herrn Forbergs Glaube an eine mora-
lische Weltregierung (die einzig wahre Gottheit des
Herrn Fichte) sehr schwach und schwankend ist, das
beweisen die Fragen, die er S. 4 5 aufwirft, nebst sei-
nen Antworten. Fr. : Wird jemals ein Reich Gottes als
ein Reich der Wahrheit und des Rechts auf Erden er-
scheinen? Antw. : Es ist ungewiss, und, wenn man auf
die bisherige Erfahrung bauen darf, die jedoch im
Vergleich mit der unendlichen Zukunft eigentlich wie
nichts zu rechnen sein möchte, sogar unwahrscheinlich.
Fr. : Könnte nicht statt eines Reichs Gottes auch wohl
ein Reich Satans auf Erden erscheinen? Antw. : Das eine
ist so gewiss und so ungewiss als das andere. — Dennoch
versichert Hr. Fichte, der Hr. Rektor stimme mit ihm
überein. SolcheWidersprüche können wir armen Nicht-
philosophen freilich nicht heben. Aber einer sogenann-
ten Philosophie, die aus Widersprüchen und Unge-
reimtheiten zusammengesetzt ist, würde auch mit ei-
ner solchen Hilfe nichts gedient sein.
Der Hr. Rektor wirft zuletzt (S. 4 1 f ) noch einige
Fragen auf, die er verfänglich nennt, und beantwortet
sie nach seiner Art. Es verlohnt sich nicht der Mühe,
ihrer zu erwähnen. Du kannst sie ohne Redenken le-
sen ; denn so viel Zutrauen habe ich zu Deinem Ver-
stände, dass Du ihren Wert oder vielmehr Unwert
selbst wirst beurteilen können. Nur bei der ersten Frage
will ich noch einige Augenblicke verweilen, weil sie
mir Veranlassung gibt, Dir einige wichtige Wahrheiten
in das Gedächtnis zurückzurufen, die in unsern Zeiten
nicht oft genug wiederholt und nicht ernstlich genug
überlegt werden können.
Ist ein Gott ? fragt Hr. Forberg (S. 4 1 ) und antwortet :
Es ist und bleibt ungewiss. Denn (?) diese Frage ist
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn <y g
bloss aus spekulativer Neugierde aufgeworfen, und es
geschiehet dem Neugierigen ganz recht, wenn er bis-
weilen abgewiesen wird.
Also würde die Frage, ob ein Gott sei oder nicht,
aus blosser spekulativer Neugierde aufgeworfen ? Und
das kann ein Rektor behaupten, der jungen Leuten
einen gründlichen Religionsunterricht erteilen soll?
Freilich sieht man aus allen seinen und seines Meisters
Fichte Urteilen, dass diese Herren die Kraft der Religion
in ihrem Leben nicht empfunden haben und sich von
ihrem Einfluss auf Tugend und Rechtschaffenheit gar
keine Begriffe machen können. Aber woher wissen sie
denn, dass alle andre Menschen in der Welt ebenso
denken und empfinden wie sie : dass sie alle aus blosser
Neugierde, ohne ein Interesse dabei zu haben, die er-
wähnte und andere damit verbundene Fragen auf-
werfen? Mit solchen Behauptungen beweisen diese
Herren ganz deutlich, dass sie mit den Bedürfnissen
der Menschheit noch ganz unbekannt sind; und das
wäre ihnen als jungen, unerfahrnen Männern so sehr
nicht zu verdenken, wenn sie sich nicht bei aller ihrer
Unwissenheit zu Reformatoren aufwerfen wollten.
Jedoch es scheint wenigstens dem Herrn Rektor For-
berg mit seinen Behauptungen nicht einmal ernst zu
sein. Denn zuletzt wirft er die Frage auf: Ist nicht der
Begriff eines praktischen Glaubens mehr ein spielender
als ein emsthafter philosophischer Begriff? Die Ant-
wort, setzt er hinzu, die Antwort auf diese verfängliche
Frage überlässt man billig dem geneigten Leser und
damit zugleich das Urteil, ob der Verfasser des gegen-
wärtigen Aufsatzes am Ende auch wohl mit ihm nur
habe spielen wollen! — Welch ein Witz! Jungen Leu-
ten den Glauben an Gott verdächtig machen und den
8o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Samen der Immoralität ausstreuen, ist wahrlich kein
erlaubtes Spiel, es ist Grausamkeit.
Da dieser Gegenstand so wichtig ist, so will ich Dich
doch noch mit wenigem an einige der vornehmsten
Gründe erinnern, aus welchen die Wichtigkeit der Re-
ligion oder des lebendigen Glaubens an einen höchst
vollkommenen, moralischen Weltregierer in seiner
Beziehung auf uns Menschen dargetan werden kann.
Es ist jetzt nicht die Rede von dem Grund oder Un-
grunde dieses Glaubens (denn ich hoffe, dass Du ohne-
hin von der Existenz eines höchsten Wesens aus Grün-
den überzeugt sein wirst), sondern bloss von der Wich-
tigkeit dieses Glaubens.
Bedarf der Mensch der Religion zu seiner sittlichen
Vervollkommnung? Kann durch einen lebendigen
Glauben an Gott, Vorsehung und Unsterblichkeit un-
ser Tugendgefühl erweckt und gestärkt, unsere Be-
ruhigung und Zufriedenheit gefördert werden? Kant,
der durch seine Schrift: Die Religion innerhalb der
Grenzen der blossen Vernunft — die Köpfe so vieler
Theologen verwirrt hat, behauptet u. a. gleich im
Anfange der Vorrede zu erwähntem Buche, „die Mo-
ral, sofern sie auf dem Begriffe des Menschen, als
eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch
seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden We-
sens, gegründet ist, bedürfe weder der Idee eines an-
dern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen,
noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst,
sie zu beobachten. — Die Moral bedürfe zum Behuf
ihrer selbst (sowohl objektiv, was das Wollen, als sub-
jektiv, was das Können betrifft) keineswegs der Reli-
gion, sondern vermöge der praktischen Vernunft sei
sie sich selbst genug." Und S. 21 5 (der ersten Ausgabe)
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn
81
heisst es in der Anmerkung: „Zu dem, was jedem
Menschen zur Pflicht gemacht werden kann, müsse
das Minimum der Erkenntnis (es ist möglich, dass ein
Gott sei) subjektiv schon hinreichend sein." — Wenn
man diese und ähnliche Stellen lieset, so sollte man
denken, Kant müsse sich einen überaus hohen Begriff
von den Kräften des Menschen zum Guten machen.
Denn ein Wesen, welches durch seine eigene Kraft
einen so hohen Grad moralischer Vollkommenheit er-
reichen kann, dass es gar keiner weiteren Triebfeder
als der blossen Erkenntnis des Gesetzes, dass es keiner
Religion bedarf, muss von Natur gut, wenigstens weit
geneigter zum Guten als zum Bösen sein. So sollte
man denken. Gleichwohl wird S. 24 ff. in einem be-
sondern Abschnitte behauptet, der Mensch sei von Na-
tur böse, fast ganz verdorben, man möge ihn nun in
dem sogenannten Naturzustande oder im gesitteten
Zustande betrachten, und die melancholische Litanei
von Anklagen der Menschheit wird als vollkommen
wahr gebilliget. Nun ist die Frage, wie ein Mensch,
der weiter nichts braucht, dem Gesetze gemäss zu han-
deln, als die blosse Erkenntnis des Gesetzes, der gar
keiner Triebfeder zur Erfüllung seiner Pflicht bedarf,
zu gleicher Zeit so äusserst böse von Natur sein kann,
und wie ein so äusserst verdorbener Mensch sich bes-
sern könne? Das weiss Kant freilich nicht; er hält es
aber doch für möglich, ob er gleich die Möglichkeit
nicht begreifen kann. Hier haben wir also ein grosses
Geheimnis. „Wie es nun möglich sei (heisst es S. 46ff-)>
dass ein natürlicherweise böser Mensch sich selbst
zum guten Menschen mache, das übersteigt alle unsere
Begriffe; denn wie kann ein böser Baum gute Früchte
bringen? Da aber doch — ein ursprünglich (der An-
Fichte 6
82
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
läge nach) guter Baum arge Früchte hervorgebracht
hat und der Verfall vom Guten ins Böse (wenn man
wohl bedenkt, dass dieses aus der Freiheit entspringt)
nicht begreiflicher ist als das Wiederaufstehen aus dem
Bösen zum Guten, so kann die Möglichkeit des letz-
teren nicht bestritten werden. Denn ungeachtet jenes
Abfalls erschallt doch das Gebot: wir sollen bessere
Menschen werden unvermindert in unserer Seele;
folglich müssen wir es auch können, sollte auch das,
was wir tun können, für sich alleine unzureichend
sein, und wir uns dadurch nur eines für uns uner forsch-
lichen höheren Beistandes empfänglich machen" — Ich
will die Gründlichkeit oder Ungründlichkeit dieses
Räsonnements nicht untersuchen ; nur das scheint mir
doch merkwürdig zu sein, dass der Stifter der kritischen
Philosophie selbst eingesteht, ein höherer Beistand zum
Guten sei wünschenswürdig. Diesen Beistand leistet
uns die Religion, wie schon viel tausend und Millionen
Menschen zu ihrer Freude erfahren haben. Warum
verachtet er denn dieses Hilfsmittel und hält es für
ganz entbehrlich?
Jedoch in einer andern Schrift (Kritik der reinen
Vernunjt S. 840 f.J sagt er, der Mensch bedürfe aller-
dings der Religion zur Sittlichkeit. An solche Wider-
sprüche muss man sich nun einmal bei der kritischen
Philosophie gewöhnen. Folgende Stelle ist, wie mir
dünkt, deutlich : „Ohne einen Gott und eine für uns
jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die
herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände
des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Trieb-
federn des V orsatzes und der Ausübung, weil sie nicht
den ganzen Grad, der einem vernünftigen Wesen na-
türlich, und durch ebendieselbe Vernunft a priori
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn
83
bestimmt und notwendig ist, erfüllen." Selbst in dem
oben angeführten Buche (Religion innerhalb der Gren-
zen der Vernunft) kommt eine vortreffliche Stelle vor,
in welcher der Betrachtung der Werke Gottes eine
grosse Kraft zur Beförderung guter moralischer Ge-
sinnungen zugestanden wird. „Die Betrachtung (S. 289)
der tiefen Weisheit der göttlichen Schöpfung an den
kleinsten Dingen und ihrer Majestät am Grossen —
hat eine solche Kraft, das Gemüt nicht allein in die-
jenige dahinsinkende, den Menschen gleichsam in
seinen eigenen Augen vernichtende Stimmung (die
man Anbetung nennt), zu versetzen, sondern es ist auch,
in Rücksicht auf seine eigene moralische Bestimmung
darin eine so seelenerhebende Kr a ft, dass dagegen Worte,
wenn sie auch die des königlichen Beters David wären,
wie leerer Schall verschwinden müssen, weil das Ge-
fühl aus einer solchen Anschauung unaussprechlich
ist." Hier gedenkt Hr. Kant sogar einer göttlichen
Schöpfung, die er sonst zu bezweifeln scheint, und
gibt uns gewissermassen wieder, was er uns vorher
nehmen wollte. Er bekennt, dass die Betrachtung der
Weisheit und Güte Gottes in seinen Werken einen
starken Einfluss auf die moralische Bestimmung des
Menschen habe ; und darinnen wird ihm kein Ver-
nünftiger seinen Beifall versagen.
Der Mensch hat Anlagen zum Guten und zum Bösen;
er ist ein vernünftiges, aber auch ein sinnliches Ge-
schöpf. Eine innere Stimme ruft ihm unaufhörlich zu :
Du sollst recht und nicht unrecht tun; er hat vielleicht
auch den guten Willen, die Forderung des Sitten-
gesetzes zu erfüllen; aber durch die Heftigkeit seiner
sinnlichen Triebe wird er immer zum Gegenteil hin-
gerissen, und seine besten Vorsätze werden vereitelt,
6*
8^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
wenn er kein Mittel weiss, der Vernunft die Herr-
schaft über die Gewalt seiner Begierden zu verschaf-
fen. Immer wird er sich das Geständnis ablegen müs-
sen : Video meliora proboque; deteriora sequor. Glaubt
er nun keinen Gott, keinen höhern Richter, der in das
Verborgene siehet, keinen Zustand der Vergeltung,
wo das Böse, welches hier ungeahndet bleibt, bestraft
werden wird : so wird er nur so viel Gutes tun, als ihm
nötig zu sein scheint, mit Ehren durch die Welt zu
kommen ; er wird sich aber nicht das geringste Be-
denken daraus machen, alles zu tun, was ihn gelüstet,
und was ihm zeitlichen Vorteil bringt, wenn er nur
mit einiger Wahrscheinlichkeit hoffen kann, dass es
nicht an das Tageslicht kommen werde, dass er weder
Beschimpfung noch Strafe zu befürchten habe. Sein
moralisches Gefühl wird zwar bisweilen erwachen;
er wird es sich nicht verbergen können, dass er wegen
seiner freventlichen Übertretungen des Sittengesetzes
Ursache habe, sich vor sich selber zu schämen. Aber
die Stimme seiner sinnlichen Begierden und heftigen
Leidenschaften wird die Stimme der Vernunft und
des Gewissens bald wiederum übertäuben; er wird
immer der böse Mensch bleiben, der er von jeher ge-
wesen ist. Bei einer solchen Gemütsstimmung wird
ihm der Gedanke: es ist kein Gott, kein anderes Le-
ben; du hast nach dem Tode ebensowenig etwas zu
furchten, als zu hoffen — sehr willkommen sein. Er
wird sich immer mehr in seinen Bosheiten verhärten
und das für die grösste Weisheit halten, seine Unge-
rechtigkeiten und schlechten Handlungen so heimlich
zu begehen, dass er seinen Kredit und den Namen
eines ehrlichen Mannes nicht verliert. Er wird seinen
Lastern einen Anstrich der Tugend zu geben wissen
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn 35
und im Herzen diejenigen verlachen, die sich von ihm
hintergehen lassen. Werden seine Schandtaten ent-
deckt, oder muss er die Folgen seiner Vergehungen
in einem so hohen Grade empfinden, dass er sich nicht
mehr zu raten und zu helfen weiss, so wird ein Dolch
sein letzter Trost, seine letzte Zuflucht sein. Dies ist
die Geschichte vieler praktischer Atheisten, deren es
leider auch unter den Bekennern des Christentums
nicht wenige gibt. Nun bilden aber Hr. Prof. Fichte
und Hr. Rektor Forberg auch theoretische Atheisten,
die dann nicht unterlassen werden, ihre Theorie in
Ausübung zu bringen. Und wenn nun dereinst ansehn-
liche Ämter im Staate, in Kirchen und Schulen mit
Atheisten besetzt werden, wie wird es um die Nach-
kommenschaft aussehen?
Wie gut würde es hingegen um die menschliche
Gesellschaft stehen, wenn alle oder nur die meisten
Menschen Religion hätten! Ein Mensch, der wirklich
Religion hat, von den Lehren derselben überzeugt
ist und sich bestrebt, sie auf sein Herz und Leben an-
zuwenden, wird sich nicht bloss von groben Lastern
enthalten, die der Welt in die Augen fallen, deren
Begehung bürgerliche Schande und Strafe nach sich
zieht, wenn sie bekannt werden. Er wird nie mit Vor-
satz und Wissen seine Pflicht übertreten, sich keine
schlechte Handlung erlauben, wenn er auch mit Ge-
wissheit vorhersehen könnte, dass sie der Welt auf
immer verborgen, folglich ungestraft bleiben würde.
Die lebhafte Erinnerung an Gott, den Urheber seiner
Natur, den stets gegenwärtigen Zeugen aller seiner
Handlungen, Wünsche und Vorsätze, seinen höchsten
Wohltäter, aber auch seinen höchsten Gesetzgeber
und Richter, dem er Dank, Liebe und Gehorsam
86
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
schuldig ist, und von dessen Wohlgefallen oder Miss-
fallen sein ewiges Wohl oder Wehe abhängt, diese
lebhafte Erinnerung wird sein moralisches Gefühl ver-
stärken und ihm Kraft verleihen, die stärksten Nei-
gungen zum Bösen zu besiegen; und weun er sich
auch bisweilen von dem Wege der Tugend verirrt
oder aus Übereilung gefehlt hat, so wird er bald wie-
der zu seiner Pflicht zurückkehren. Er wird sich aber
auch mit dem redlichsten Eifer bestreben, seine Pflich-
ten mit der strengsten Gewissenhaftigkeit nach seinem
besten Vermögen zu beobachten aus dankbarer Liebe
gegen Gott, seinen höchsten Wohltäter, dem er sein
Dasein, seine Kräfte, sein fühlendes Herz und alles
Gute, was er je genossen hat und noch geniesst, zu
danken hat. Er wird sich freuen, dass ihm sein Schöp-
fer einen so hohen Rang in der Reihe lebender Wesen
angewiesen hat, seine Würde behaupten und darinnen
seine grösste Ehre suchen, dem Heiligsten, dem Voll-
kommensten an guten Gesinnungen, an Liebe und
Wohltun so ähnlich zu werden, als es ihm möglich
ist. Er wird sinnliches Vergnügen, Beifall der Menschen,
zeitliche Vorteile willig aufopfern, sobald es die Pflicht
gebeut; denn die Ruhe seines Gewissens und der Bei-
fall des Ewigen wird ihm unendlich mehr wert sein
als alle Güter und Schätze der Erden, und die gewisse
Hoffnung, dass er in einer bessern Welt die Früchte
seiner edlen Bemühungen einernten werde, wird ihn
im Guten nie müde werden lassen. Leiden und Wider-
wärtigkeiten werden seinen Mut nie ganz darnieder-
schlagen. Er wird sich in trüben Stunden bald wie-
der mit dem Gedanken aufrichten, dass seine Schick-
sale unter der Leitung einer höchst weisen und güti-
gen Vorsehung stehen, dass denen, die Gott lieben
Schreiben eines Vaters an seinen Sohn 8»y
und recht tun, alle Dinge zum Besten dienen müssen,
dass hier nur Anfang, dort Vollendung sein und
Tugend und Glückseligkeit in erwünschte Harmonie
gebracht werden wird.
Jedoch, ich will diese Gedanken nicht weiter aus-
führen. Ich will Dir dafür, lieber Ferdinand, ein klei-
nes Buch empfehlen, welches alle junge Leute in Hän-
den haben, lesen und wieder lesen und dessen Inhalt
sie auf das bedachtsamste erwägen sollten. Es führt den
Titel: Religion, eine Angelegenheit des Menschen, von
J. J. Spalding. Zweite vermehrte Auflage. Berlin 1 798.
Was aber das Theoretische betrifft, so empfehle ich Dir
Jerusalems Betrachtungen über die vornehmsten Wahr-
heiten der Religion etc. Erster Teil, und Herrn Sam.
Reimarus Abhandlungen von den vornehmsten Wahr-
heiten der natürlichen Religion.
In diesen drei Schriften wirst Du mehr gründliche
Belehrungen über diese Gegenstände finden als in al-
len Kantischen und Fichtischen Schriften. Überhaupt
wollte ich Dir nicht raten, Dich in das Studium der kri-
tischen, am allerwenigsten der Fichtischen sogenann-
ten Philosophie einzulassen. Du kannst Deine Zeit viel
nützlicher anwenden und Dir den Verdruss ersparen,
Dich durch obskure nichtsbedeutende Sophistereien
hindurchzuarbeiten ohne den geringsteu Gewinn für
Aufklärung Deines Verstandes und Veredlung Deines
Herzens. Ich muss Dir aufrichtig bekennen, dass ich
der kritischen Philosophie gleich anfangs keine lange
Dauer prophezeit habe. Meine Vermutung ist zum
Teil schon eingetroffen. Denn die verschiedenen Par-
teien, die mit Heftigkeit gegeneinander zu Felde ziehen,
drohen einander zu zerstören und werden nach des
grossen Fichte Beispiel einander annihilieren, sobald es
88
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ihnen möglich sein wird. Zuletzt werden die meisten
aus ihrem Lande Utopia wieder in das Land der ge-
sunden Vernunft und des Menschenverstandes zurücke
kehren, und dann wird es nach und nach besser wer-
den* Dies wünscht von Herzen Dein
treuer Vater
G* • • • • •
wwvvwvvvvwvvvvvvvvvvvvvvvvvv^^
V.
NOTGEDRUNGENE PROTESTATION
GEGEN EIN FALSCHES GERÜCHT*)
[Intelligenzblatt der „Allgemeinen Literaturzeitung"
1799. *3j S. 101]
ICh eile, einer groben Verleumdung zu begegnen. —
Seit etlichen Monaten ist, wie ich höre, eine, wo
nicht eigentlich delatorische, doch leidenschaftliche
und polemische Broschüre: „Schreiben eines Vaters
an seinen studierenden Sohn über den Fichteschen
und Forbergschen Atheismus", in Kursachsen mit
Mühe in Umlauf gebracht worden und soll sogar eine
Klage gegen Fichte und Forberg bei den sächsischen
Höfen (!!) veranlasst haben. Da nun diese Flugschrift
mit G: . . unterzeichnet ist und von Nürnberg aus de-
bitiert wird, so hat man zugleich sorgfältig das Ge-
rücht verbreitet : ich sei der V Erfasser dieser anonymen
Broschüre. — Ich eile um so mehr, dieser Verleumdung
zu widersprechen, da sie leicht in meinem Vorberichte
*) Abgedruckt als Beilage B zu „Der Herausgeber des philo-
sophischen Journals gerichtlichen Verantwortungsschriften"
J 799-
g 0 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
zum gegenwärtigen Jahrgang des „Theologischen
Journals" neue Nahrung finden könnte. — Es kränkt
mich in der Tat nicht wenig, dass man einem so elen-
den Gerüchte Glauben beimessen kann. Wenn es mir
auch möglich wäre, eine solche Flugschrift, worin
man mit gewöhnlicher Popularphilosophie die feinen
kritischen Philosopheme eines Fichte widerlegen will
und nicht einmal den dogmatischen und den kritischen
Idealismus und Atheismus unterscheidet, zu fabrizie-
ren: so hätte mich sicher schon meine dankbare Ach-
tung gegen die jenaische Akademie, die mich sechs
Jahre lang gepflegt und gebildet, abgehalten, so etwas
zu schreiben, wodurch diese berühmte Universität in
Übeln Ruf kommen könnte. Und man halte doch nur
den zwar geraden und offenen Ton gegen die beleidi-
gende Sprache jener Broschüre ! In einer solchen Sprache
kann ich gegen einen so scharfsinnigen Philosophen
und originellen Denker, als ich in Herrn Professor
Fichte schätze und verehre, unmöglich schreiben, wenn
ich mich gleich von der Wahrheit seiner das objektive
Dasein Gottes betreffenden Urteile nicht überzeugen
kann und auch seine und Herrn Forbergs Sprache
im „Philosophischen Journal" etwas milder und vor-
sichtiger wünschte. Ich freue mich vielmehr, dass auch
diese wichtige Materie vom objektiven Dasein Gottes
durch die scharfsinnigen Spekulationen Fichtes, Niet-
hammers und Forbergs mehr zur Sprache kommt;
denn nur so kann die Wahrheit gewinnen, nicht durch
blinden Glauben. Und ich würde es sehr bedauern,
wenn diese denkenden Männer durch äussere Um-
stände gehindert würden, ihr Urteil frei und offen
darzulegen; denn dies wäre wahrer Verlust für die
Wahrheit, die nur durch Untersuchungsfreiheit ge-
Protestation gegen ein falsches Gerücht g j
deihen kann. Die Theologie würde dann erst recht ver-
dächtig, wenn sie zu ihrer Erhaltung fürstlicher Hilfe
bedürfte; sie muss sich durch einleuchtende Gründe
selbst schützen können, oder sie ist nichts wert. —
Bei solchen Gesinnungen darf ich wohl nicht erst feier-
lich versichern, dass ich der V erf asser der genannten
Schrift nicht sei und nicht sein könne. Wer der wirk-
liche Verfasser sei, weiss ich nicht, und ich würde auch
die Broschüre selbst nicht kennen, wenn sie mir nicht
vor einigen Monaten zugeschickt worden wäre. Die
Verbreiter einer solchen Verleumdung, dass ich der
Verfasser sei, überlasse ich nun ihrer eigenen Scham
und Schande.
Altdorf, den i5. Januar 1799.
Dr. Gabler.
VI.
J. G. FICHTES
d. PHIL. DOKTORS UND ORDENTLICHEN PROFESSORS
ZU JENA
APPELLATION AN DAS PUBLIKUM
ÜBER DIE
DURCH EIN KURF. SÄCHS. KONFISKATIONSRESKRIPT
IHM BEIGEMESSENEN
ATHEISTISCHEN ÄUSSERUNGEN
Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet,
ehe man sie konfisziert
(1799)
[Aus der Nationalzeitung von 1798. St. 5i.]
Kursachsen.
Folgendes Kurftirstl. Sachs. Reskript ist an die beiden Uni-
versitäten Leipzig und Wittenberg ergangen :
Von Gottes Gnaden, Friedrich August, Kurfürst usw. Wür-
dige, Hochgelahrte, Liebe, Andächtige und Getreue. Wir ha-
ben wegen der in dem ersten und zweiten Aufsatze des ersten
Appellation an das Publikum g3
Hefts des von den Professoren zu Jena, Fichte und Niethammer
herausgegebenen Philosophischen Journals p. ao. 1798 enthal-
tenen atheistischen Äusserungen die Konfiskation dieser Schrift
angeordnet. Und da Wir zu den Lehrern Unsrer Universitäten
das gegründete Vertrauen hegen, dass sie jede Gelegenheit,
welche ihnen ihr Amt und ihr Einfluss auf die Jugend und
das Publikum überhaupt an die Hand gibt, dazu benutzen
werden, die angegriffene Religion mit Nachdruck, Eifer und
Würde in Schutz zu nehmen und dafür zu sorgen, dass vernünf-
tiger Glaube an Gott und lebendige Überzeugung von der
Wahrheit des Christentums überall gegründet, verbreitet und
befestiget werde, so lassen Wir Euch solches hierdurch unver-
halten sein. Datum Dresden am 19. Nov. 1798.
Heinrich Ferdinand v. Zedtwitz.
Carl Gottlieb Kühn.
DEr erste Aufsatz in dem genannten ersten Hefte
des genannten Journals ist von mir; ich habe in
demselben den Grund unsers Glaubens an Gott unter-
sucht; ich habe Sätze aufgestellt, welche von einer ge-
wissen abgöttischen und atheistischen Partei unter uns
atheistisch genannt werden; jene Beschuldigung des
Atheismus geht also auf mich.
Möchte man doch immer in Kursachsen die von
mir verfassten oder nur herausgegebenen Schriften
verbieten. Sie haben da schon so manches Buch ver-
boten und werden noch so manches verbieten; und
es ist keine Schmähung, in dieser Reihe mit aufgeführt
zu werden. Ich schreibe und gebe heraus nur für die-
jenigen, die unsere Schriften lesen wollen; ich begehre
keinen zu zwingen; und ob die einzelnen selbst, oder
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ob in ihrer aller Namen die Regierung versichert, dass
sie meine Schriften nicht mögen, ist mir ganz einerlei.
Sind etwa die einzelnen nicht gleicher Meinung mit
ihrer Regierung, so mögen sie das mit ihr ausmachen;
es ist nicht meine Sache.
Also — vom Verbote ist gar nicht die Rede, son-
dern von dem Grunde desselben. Sie geben mich für
einen Atheisten aus. Dies ist meine Sache: dagegen
muss eine Verteidigung erfolgen, und ich selbst muss
diese Verteidigung übernehmen.
- Die Beschuldigung der Gottlosigkeit ruhig ertragen,
ist selbst eine der ärgsten Gottlosigkeiten. Wer mir
sagt, du glaubst keinen Gott, sagt mir: du bist zu dem,
was die Menschheit eigentlich auszeichnet und ihren
wahren Unterscheidungscharakter bildet, unfähig; du
bist nicht mehr als ein Tier. Ich lasse ihn bei diesem
Gedanken; und sage ihm dadurch: du bist unfähig,
über dergleichen Gegenstände zu urteilen, und un-
würdig, dass man dich darüber urteilen lehre; der-
gleichen Gegenstände sind für dich gar nicht vornan
den; und ich mache ihn dadurch zum blossen Tiere.
— Ich konnte, nachdem man wissen muss, dass diese
Beschuldigung zu meinen Ohren gelangt, nicht still-
schweigen, ohne eine Verachtung gegen mein Zeit-
alter zur Schau auszulegen, die ich nicht empfinde,
und welche zu empfinden, mir mein Gewissen ver-
bieten würde.
Ich konnte nicht stillschweigen, ohne meinen gan-
zen Wirkungskreis aufzugeben. Ich bin Professor an
der Landesuniversität mehrerer Herzogtümer, deren
Akademie auch von Ausländern zahlreich besucht
wird; ich bin philosophischer Schriftsteller, der einige
neue Ideen in das Publikum bringen zu können glaubt.
Appellation an das Publikum g5
Es müsste in Deutschland alle Achtung für das Hei-
lige völlig verloschen, und unsere Nation müsste wirk-
lich sein, wessen jene mich zeihen, wenn nicht die
christlichen Fürsten, welche die Hoffnung ihrer Län-
der, die Väter und Mütter, welche ihre Söhne auf die-
ser Akademie wissen, alle, welche angefangen, meine
Philosophie zu studieren, ohne sie auf den Grund zu
kennen, in ihrem Innern erbebten ; wenn von nun an
meine Person und meine Schriften nicht geflohen
würden, wie verpestete. Wer mir sagt, du bist ein
Atheist, lähmt und vernichtet mich unwiederbring-
lich, wenn er Glauben findet. Ich bin jenen Erschrocke-
nen Beruhigung, ich bin mir selbst Verteidigung mei-
nes Wirkungskreises schuldig. Geduldig mich lähmen
zu lassen, verbietet mir die Pflicht.
Ich konnte zu dieser Beschuldigung nicht still-
schweigen, ohne mich politischen Folgen, ohne mich
der sichtbarsten Gefahr für meine bürgerliche Existenz,
für meine Freiheit, vielleicht für mein Leben, auszu-
setzen. Jenes Verbot ist nicht wie so manches andere
Verbot durch das Ungefähr aus einem Lostopfe her-
ausgezogen worden; es ist die Folge eines durchdach-
ten und langsam und bedächtig ausgeführten Plans.
Von geheimen Intrigen und Stadtgeschwätz zwar
nimmt der rechtliche Mann keine Notiz; nachdem sie
aber eine öffentliche Begebenheit veranlasst haben,
ist es Zeit, auch sie selbst der Publizität zu übergeben,
damit jedes Ereignis in seinem Zusammenhange er-
scheine. Also — es ist mir sehr wohl bekannt gewesen,
dass schon seit einem Vierteljahre und darüber die
Partei, welche es für Gottesdienst halten würde, mich
zu verfolgen, in demjenigen ihrer berühmten Sitze,
der mir am nächsten liegt, über jenen Aufsatz berat-
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
schlagt, gemurmelt, gescholten, gepoltert hat; anfangs
weniger laut, dann, durch die in Geheim angeworbene
Beistimmung dreist gemacht, lauter und entscheiden-
der. Für aufgeklärt, für wohldenkend bekannte Theo-
logen haben geäussert, dass sie nicht wissen würden,
was sie von meiner Landesobrigkeit ferner zu denken
hätten, wenn ich dasmal nicht abgesetzt würde. Andere
haben, auf den Fall, dass sie in dieser Hoffnung doch
sich täuschten, vom Reichsfiskal und Reichstage ge-
sprochen. Der erste Schritt, den sie auf ihrem Wege
zu tun hatten, ist gelungen ; sie haben ein öffentliches
Verbot jenes Journals, eine öffentliche Rüge jenes Auf-
satzes, als eines atheistischen, sich zu verschaffen ge-
wusst. Ich darf nicht hoffen, dass diese Helden mit
dem ersten Siege sich begnügen und auf dem errun-
genen Lorbeer ruhen werden. Ich müsste sie nicht
kennen, oder sie werden, so man sie nicht beizeiten
entkräftet, alle die angekündigten Schritte tun, so wie
sie den ersten getan haben, und nicht ruhen, bis ihr
Ziel erreicht ist. Sie haben ihren ganzen Grimm und
allen Schimpf, den sie vorderhand, mit jenem Ver-
bote ausgerüstet, mir antun konnten, erschöpft: sie
haben ihn übertrieben, und ein Verbot, das nur auf
das erste Heft des Journals geht, auch auf das zweite
öffentlich und durch geheime Intrigen auf das ganze
Journal ausgedehnt. — Vanini zog aus dem Scheiter-
haufen, auf welchem er soeben als Atheist verbrannt
werden sollte, einen Strohhalm und sagte: wär 1 ich
so unglücklich, an dem Dasein Gottes zu zweifeln, so
würde dieser Strohhalm mich überzeugen. Armer
V anini, dass du nicht laut reden konntest, ehe du an
diesen Platz kämest ! Ich will es tun, noch ehe mein
Scheiterhaufen gebaut ist ; ich will, solange ich mir
Appellation an das Publikum
noch Gehör zu verschaffen hoffen kann, so laut, so
warm, so kräftig sprechen, als ich es vermag. Dies
zu tun, gebietet mir die Pflicht. Ich will ruhig erwar-
ten, welche Wirkung es haben wird. Diese Ruhe gibt
mir mein Glaube.
Der Erfolg für meine Person ist mir ganz gleich-
gültig. Ich weiss es und fühle es mit herzerhebender
Gewalt, meine Sache ist die gute Sache, aber an mei-
ner Person ist nichts gelegen. Unterlieg' ich in diesem
Kampfe, so bin ich zu frühe gekommen, und es ist
der Wille Gottes, dass ich unterliegen sollte. Er hat
der Diener mehrere, und er wird, wenn seine Zeit
kommt, die Sache, die seine eigne Sache ist, ohne allen
Zweifel siegen lassen. Wann er dies tun wird, und ob
durch mich oder einen andern, davon weiss ich nichts
und soll ich nichts wissen : nur so viel weiss ich, dass
ich auch meine Person verteidigen muss, solange ich
kann, indem für mich der Sieg der guten Sache aller-
dings auch an die Tätigkeit dieser Person mit geknüpft
ist. Aber selbst, wenn ich gewiss wissen könnte, dass
ich bestimmt sei, die unzähligen Opfer, welche schon
für die Wahrheit fielen, um eines zu vermehren, so
müsste ich doch noch meine letzte Kraft aufbieten,
um Grundsätze in das Publikum bringen zu helfen,
welche wenigstens diejenigen sichern und retten könn-
ten, die nach mir dieselbe Sache verteidigen werden.
Unter den Ruinen der Wahrheitsmärtyrer hat von je-
her höhere Freiheit und Sicherheit für die Wahrheit
gekeimt. In einem jeden Zeitalter ist die grössere
Menge unwissend, verblendet und gegen neue Beleh-
rungen verstockt. Jedes Zeitalter würde das Verfahren
der vorhergehenden gegen diejenigen, welche alte Irr-
tümer bestreiten, in allen Stücken nachahmen ; wenn
Fichte 7
g8 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
man sich doch nicht zuweilen schämte, selbst zu tun,
was man nur soeben an den Vorfahren laut gemiss-
billigt hat. Die Zeitgenossen Jesu errichteten den Pro-
pheten Denkmäler und sagten: wären sie in unsern
Tagen gekommen, wir hätten sie nicht getötet; und
so tut bis auf diesen Augenblick jedes Zeitalter an den
Märtyrern der vorhergehenden. Jedes hat darin ganz
recht, dass es dieselben Personen, wenn sie wieder-
kämen, nicht verfolgen würde, indem diese ja nun
grösstenteils ihre untrüglichenHeiligen geworden sind ;
sie verfolgen jetzt nur die, welche jene nicht für un-
trüglich anerkennen wollen: aber darin muss man
ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie es
doch allmählich mit mehrerer Bedenklichkeit und mit
besserem Anstände tun lernen.
War es je notwendig, dergleichen Grundsätze zur
Verteidigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in
das Publikum zu bringen, so ist es gegenwärtig dringen-
de Notwendigkeit. Verteidigen wir nicht jetzt, nicht
auf der Stelle unsere Geistesfreiheit, so möchte es gar
bald zu spät sein. Man unterdrückt den freien For-
schungstrieb nicht etwa mehr, wie es ehemals geschah,
hier und da, so wie es die augenblickliche Laune ge-
bietet; man tut es aus Grundsätzen und verfahrt syste-
matisch. Welcher ist unter meinen Lesern, der nicht
den durch das Unglück der Zeiten herbeigeführten
Grundsatz behaupten, predigen, einschärfen gehört
habe: Freiheit der eigenen Untersuchung gefährdet
die Sicherheit der Staaten; Selbstdenken ist die Quelle
aller bürgerlichen Unruhen ; hier, hier ist die Stelle,
wo man das Übel mit der Wurzel ausrotten kann.
Die einzige untrü gliche Wahrheit,über die kein mensch-
licher Geist hinauskann, die keiner weitern Prüfung,
Appellation an das Publikum gg
Erläuterung oder Auseinandersetzung bedarf, ist schon
längst fertig: sie liegt aufbewahrt in gewissen Glau-
bensbekenntnissen; das Geschäft des Selbstdenkens ist
schon längst für das Menschengeschlecht geschlossen:
— so muss man sprechen. Diese Wahrheit auswendig
zu lernen, sie unverändert zu wiederholen, und im-
mer zu wiederholen, darauf muss man alle Geistesbe-
schäftigung einschränken; dann stehen die Throne
fest, die Altäre wanken nicht, und kein Heller geht
an den Stolgebühren verloren. — Diesen Grundsatz
auszuführen, schicken sie sich jetzt ernstlicher als je
an. Für den Anfang musste, um die Laulichkeit des
Zeitalters aufzuschrecken, ein grosses, die Ohren ge-
hörig füllendes Wort, das des Atheismus gewählt, und
dem Publikum das selten zu erlebende Schauspiel eini-
ger Gottesleugner gegeben werden. Wie gerufen fiel
gerade ich mit meinem Aufsatze ihnen unter die Hände.
Man lasse sie nur erst mit mir fertig sein, sie werden
dann allmählich schon weiterschreiten; und vordem
Ende eines Jahrzehnts wird über die geringste Ab-
weichung von der geringsten Phrase in der Konkor-
dienformel kein kleineres Aufheben gemacht werden
als jetzt über meinen vermeinten Atheismus.
Es könnten daher zwar wohlmeinende, aber mit
dem menschlichen Herzen und ihrem Zeitalter sicher-
lich unbekannte oder leichtsinnige und eines ernst-
haften Nachdenkens unfähige Leser sein, welche mit
dem Einwurfe meine Schrift in die Hand nähmen, mit
dem Einwurfe sie fortläsen, dass ich einer geringfügi-
gen Sache eine zu grosse Wichtigkeit gäbe und viel
Lärmens erhöbe über wenig oder nichts. Abgerechnet,
dass ohne alle Rücksicht auf die Umstände die Be-
schuldigung der Gottlosigkeit schlechterdings nicht
*
7
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
für geringfügig aufgenommen werden darf, sind dieses
Mal die Umstände in der Tat so, dass meine ganze
fernere Wirksamkeit, dass meine bürgerliche Sicher-
heit, dass die allgemeine Wissensfreiheit sich in Ge-
fahr befindet. Schon jetzt, — ich schreibe dies einige
und zwanzig Tage nach der Ausfertigung des Verbots
— hat sich ohne mein Zutun und Mitwissen eine miss-
billigende Stimme gegen meine Ankläger hören lassen;
es würden, wenn ich auch beharrlich schwiege, deren
mehrere sich vernehmen lassen ; denn die öffentliche,
feierliche, aus einem hohen Regierungskollegio aus-
gehende Beschuldigung des Atheismus ist zu unerhört,
zu ungeheuer; die Veranlassung dazu ist so offenbar
und so gänzlich ohne Grund, und es sind denn doch
noch nicht alle Exemplare meines Aufsatzes wegge-
nommen, dass kein Mensch in ganz Deutschland mehr
denselben mit dem deswegen ergangenen Reskripte
vergleichen könnte. Meine Gegner werden sonach in
kurzem zu ihrer eigenen Verteidigung genötigt sein,
fort zu intrigieren und zu kabalieren, ihre Partei gegen
mich in Geheim zu verstärken, die Mächtigen gegen
mich zu verhetzen, meine Worte so lange zu verdrehen,
bis sie sagen, was sie wünschten, dass ich gesagt hätte,
Lügen auf mich zu erdichten und herumzubieten;
kurz mich völlig schwarz zu machen, damit sie neben
mir ein wenig weisser erscheinen. Oder, wenn auch
möglich wäre, was ich zur Ehre meines Zeitalters für
unmöglich halte, dass keiner unter allen freien Den-
kern ein Wort zu meinem Besten sagte und auf diese
Weise meine Gegner von aussen nicht weiter gereizt
würden; wenn möglich wäre, was ich für noch un-
möglicher halte, dass sie selbst durch ihren Feuereifer
von innen nicht weiter gereizt würden, und sich für
Appellation an das Publikum
I 0 l
diese Sache mit dem erhaltenen Triumphe begnügten :
welches soll denn für die Zukunft unser beiderseitiges
Verhältnis werden? — Ich habe in jenem Aufsatze,
der meine Gegner gegen mich so erbittert hat, meine
Grundsätze über Religion bloss angedeutet ; es war ein
Gelegenheitsaufsatz, welchen ich der gleich nach ihm
abgedruckten Schrift eines anderen philosophischen
Schriftstellers zur Begleitung mitgeben zu müssen
glaubte ; ich muss meine Grundsätze noch weiter aus-
einandersetzen, noch tiefer begründen, noch eingrei-
fender anwenden. Können sie, ohne ihre vorhergehen-
den Lügen laut zu bekennen, zu diesem Unternehmen
stillschweigen? müssen sie nicht, nachdem ich durch
die gegenwärtig getroffene mildere Massregel, wie sie
sie nennen mögen, mich nicht warnen, ihr gelinderes
Zuchtmittel nicht an mir anschlagen lassen, — müssen
sie nicht notwendig, um konsequent zu erscheinen, zu
härteren greifen und alle jene Schritte, die sie schon
so bestimmt angekündigt, einen nach dem andern,
tun? Also, ich müsste über dergleichen Gegenstände
in offenem Drucke ganz schweigen, wenn ich vor ihnen
Friede haben sollte. — Aber nur über dergleichen
Gegenstände? man würde sich sehr irren, wenn man
glaubte, dass sie es nur mit meinem vermeinten Athe-
ismus zu tun hätten : mit meiner ganzen Philosophie,
mit aller neueren Philosophie haben sie es zu tun,
und daran haben sie ganz recht, und zeigen, dass sie
ihren wahren Feind wohl kennen ; jener vorgebliche
Atheismus ist nur Vorwand. Sie haben in der Freu-
de des Herzens ihr Geheimnis verraten, indem sie
frohlockend ausgerufen: nun sähe man doch gott-
lob endlich klar, worauf die neuere Philosophie hin-
auslaufe, auf puren Atheismus. Meine Philosophie,
102
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
meine ganze Denkart ist durch' sie nun einmal in
allen ihren Teilen für eine Lehre erklärt, die notwen-
dig zum Atheismus führt, und sie können konsequen-
terweise keinen einzigen Zweig derselben anders auf-
nehmen als alle übrigen ; was ich auch nur vorbringen
mag, sind sie durch ihre Lage genötigt zu verfolgen.
Ich müsste sonach überhaupt nichts mehr drucken
lassen, wenn ich vor ihnen Frieden haben sollte. —
Aber ist denn der Druck der einzige Weg, auf wel-
chem ich meine Überzeugung mitteile? Bin ich nicht
auch akademischer Dozent ? Oh, sie haben sich das nicht
entgehen lassen, denn noch gellen mir die Ohren von
der oft gehörten Litanei: es ist kläglich, wie viele
junge Leute dieser Verführer in den Abgrund des
Verderbens mit sich hineinzieht ! Nachdem einmal be-
kannt ist, dass sie es wissen, ich sei akademischer Do-
zent, können sie nun, so gewiss man bei meiner Ver-
folgung sie vom Eifer für die Ehre Gottes und für die
Wohlfahrt des Nächsten getrieben glauben soll — sie
können nicht ruhen, bis meine Stimme ebenso auf
dem Katheder als in öffentlichen Schriften verstummt
ist. — Aber man bleibt doch in der Gesellschaft; man
kann doch durch Unterredungen zwar nicht mehr
ganze Haufen von Seelen, aber denn doch immer
Seelen verführen, und ihr Wächteramt erstreckt sich
auf die Erhaltung aller. Sie müssen sonach notwen-
dig, wenn sie konsequent sind, mich sogar aus der
menschlichen Gesellschaft vertreiben; und nun erst
könnten sie nach ihren Grundsätzen vernünftigerweise
ruhen. Also, wenn auch der unerwarteteste Zusammen-
fluss von Umständen und eine noch weniger zu er-
wartende Milde meiner Gegner es ihnen möglich mach-
te, das Vergangene zu verzeihen, so ist doch ihre Ehre.
Appellation an das Publikum i o 3
ihre Würde, ihr ganzes äusserliches Ansehn, die Mög-
lichkeit ihrer innern Selbsttäuschung, unauflöslich
daran gebunden, mir nur auf diese Bedingung zu ver-
zeihen, dass ich vom literarischen Schauplatze und
dem der Gesellschaft auf die Zukunft gänzlich ver-
schwinde. In dieses Verhältnis mit einer zahlreichen,
kühnen, politisch geltenden Partei gekommen zu sein,
— wer möchte dieses für geringfügig und für eine
Begebenheit halten, bei der man ruhig sein und zu-
sehen könnte?
Wer möchte meine Vorhersagung und Befürchtung
für übertrieben halten, wenn er sich nur einen Augen-
blick an die Erfahrung der vorigen Zeiten erinnert ?
Auch da hob man nicht, weder in den ältern Zeiten
beim Verbrennen, noch in den neuern bei der Ver-
treibung vom Amt, Haus und Hof durch den Reichs-
fiskal, an. Das erste waren immer Konfiskationsbe-
fehle, und selten so geschärfte, als gegen unser Jour-
nal ergangen; dass die Schrift atheistisch genannt wor-
den, dass man den Debit derselben bei Geld- und Ge-
fängnis ich sage Gefängnisstrafe, verboten hätte.
Hätten die unglücklichen Opfer der Wahrheit die
ersten Angriffe ihrer Gegner nicht so gleichgültig be-
handelt, hätten sie nicht von ihnen erwartet, was man
von Feinden der Wahrheit nie erwarten muss, Mensch-
lichkeit und Vernunft — es wäre wohl mit den we-
nigsten so weit gekommen, als es kam. Bahrdt, auch
im übrigen wenig wert, für die Wahrheit zu leiden,
verdarb sich durch seinen Leichtsinn; Lessing wider-
stand unter dem Schutze eines grossmütigen und auf-
geklärten Fürsten kräftig seinem unbarmherzigen An-
kläger Goeze, der auch vom Reichsfiskal redete, und
seine Gegner schämten sich und verstummten.
I O ^ J. G. Fichte» Atheismus-Streit
Also — verteidigen muss ich mich, jetzt da es noch
Zeit ist, und ich will mich verteidigen.
I.
Meine Lehre ist atheistisch, sagen sie. Was enthält
denn nun eigentlich diese atheistische Lehre, und was
wird insbesondere in jenem verschrienen Aufsatze über
Religion und Glauben an Gott behauptet?
Ich hätte der Strenge nach zu meiner Verteidigung
nichts weiter zu tun, als jenen Aufsatz noch einmal
abdrucken zu lassen und um ein nicht unaufmerk-
sames Lesen desselben zu bitten. Er enthält seine Ver-
teidigung ganz in sich selbst, und ich kann auch jetzt
nichts Neues hinzusetzen. Ich will das dort Gesagte
bloss auf eine andere Art sagen, weil ich in jenem
Journale für ein philosophisches, hier für ein gemisch-
tes Publikum rede.
Was ist wahr; was ist gut? — Die Beantwortung
dieser Fragen, die jedes philosophische System beab-
sichtigen muss, ist auch das Ziel des meinigen. Die-
ses System behauptet zuvörderst gegen diejenigen,
welche alles Gewisse in der menschlichen Erkenntnis
leugnen, dass es etwas absolut Wahres und Gutes
gebe. Es zeigt gegen diejenigen, welche unsere ge-
samte Erkenntnis aus der Beschaffenheit unabhängig
von uns vorhandener Dinge erklären wollen, dass es
nur insofern Dinge für uns gibt, als wir uns derselben
bewusst sind, und wir sonach mit unserer Erklärung
des Bewusstseins zu den von uns unabhängig vorhan-
denen Dingen nie gelangen können. Es behauptet —
und darin besteht sein Wesen, — dass durch den
Grundcharakter und die ursprüngliche Anlage der
Menschheit überhaupt eine bestimmte Denkart fest-
Appellation an das Publikum j o 5
gesetzt sei, die zwar nicht notwendig bei jedem ein-
zelnen in der Wirklichkeit sich finde, auch sich ihm
nicht an demonstrieren lasse, wohl aber einem jeden
schlechterdings angemutet werden könne. Es gebe
etwas den freien Flug des Denkens Anhaltendes und
Bindendes, bei welchem jeder Mensch sich beruhigen
müsse; welches in unserer eigenen Natur, aber frei-
lich ausserhalb des Denkens selbst, liege ; indem, was
das letztere betrifft, dem Skeptizismus die absolute
Unaufhaltsamkeit der Spekulation durch ihre eigenen
Gesetze vollkommen zuzugeben sei. Es ist in dieser
Rücksicht in jenem verrufenen Aufsatze (Seite 8) ge-
sagt worden : „Hier (bei dem Bewusstsein meiner mo-
ralischen Bestimmung) liegt dasjenige, was dem sonst
ungezähmten Fluge des Räsonnements seine Grenzen
setzt, was den Geist bindet, weil es das Herz bindet;
hier der Punkt, der Denken und Wollen in eins ver-
einigt und Harmonie in mein Wesen bringt. Ich
könnte an und für sich wohl weiter, wenn ich mich
in Widerspruch mit mir selbst versetzen wollte; denn
es gibt für das Räsonnement keine immanente Grenze
in ihm selbst, es geht frei heraus ins Unendliche und
muss es können, denn ich bin frei in allen meinen
Äusserungen, und nur ich selbst kann mir eine Grenze
setzen durch den Willen."
Jenes, unser freies Denken Bindende, unsere Vor-
stellung in eine Erkenntnis Verwandelnde, und durch
das ganze Gebiet unsers Bewusstseins Gewissheit Ver-
breitende sucht unsere Philosophie und findet hier-
über folgendes:
Es drängt sich öfters unter den Geschäften und
Freuden des Lebens aus der Brust eines jeden nur
nicht ganz unedlen Menschen der Seufzer : unmöglich
I O 6 J * Fichte« Atheismus-Streit
kann ein solches Leben meine wahre Bestimmung
sein, es muss, oh, es muss noch einen ganz andern Zu-
stand für mich geben. Ein heiliger Mann sagt dies
mit besonderer Stärke : sogar die Kreatur möchte sich
sehnen mit uns und seufzen immerdar, dass sie frei
werde vom Dienste der Eitelkeit, dem sie unterworfen
ist ohne ihren Willen. Sage man es, wie man wolle,
dieser Überdruss an dem Vergänglichen, dieses Sehnen
nach einem Höhern, Bessern und Unvergänglichen
liegt unaustilgbar im Gemüte des Menschen. Eben-
so unaustilgbar ertönt in ihm die Stimme, dass et-
was Pflicht sei und Schuldigkeit ist und lediglich dar-
um, weil es Schuldigkeit ist, getan werden müsse.
Ergehe es mir auch, wie es immer wolle, sagt dann
der in sich zurückgetriebene Mensch, ich will meine
Pflicht tun, um mir nichts vorzuwerfen zu haben.
Durch diese Ansicht allein wird ihm das an sich zum
Ekel gewordene menschliche Tun und Treiben wie-
der erträglich. Die Pflicht gebeut nun einmal, sagt er
sich, dass ich dieses Leben fortführe und in ihm frisch
und fröhlich vollbringe, was mir vor die Hand kommt;
und sowenig Wert auch dieses Leben um sein selbst
willen für mich hat, so soll es mir doch um der Pflicht
willen heilig sein.
Die Stimmung bei dem Bewusstsein des Vorsatzes,
unsere Schuldigkeit zu tun, weil es Schuldigkeit ist,
deutet uns jenes wunderbare Sehnen. Indem man die
Pflicht schlechthin um ihrer selbst willen erfüllt, er-
hebt man sich über alle sinnlichen Antriebe, Absich-
ten und Endzwecke; man tut etwas, nicht damit dies
oder jenes in der Welt erfolge, sondern bloss und
lediglich, damit es selbst geschehe und der Stimme
in unserm Innern Gehorsam geleistet werde. Durch
Appellation an das Publikum j q ^
dieses Bewusstsein wird nun zwar jenes Sehnen nicht
befriedigt, aber doch das schmerzhafte Gefühl, mit
welchem es sich äusserte, gehoben; man erhält nicht
Ausfüllung seines Strebens, aber doch Ruhe und in-
neren Frieden. Jenes Sehnen heischt Befreiung von
den Banden der Sinnlichkeit überhaupt, in unserm
ganzen Zustande, von dem uns die Vollbringung der
Pflicht in Rücksicht unsers Handelns wirklich befreit.
Durch jene Anlage in unserem Wesen eröffnet sich
uns eine ganz neue Welt. Ohne dieselbe geht alles
Dichten und Trachten des menschlichen Herzens le-
diglich auf sinnlichen Genuss, höchstens auf Herr-
schaft unsers unbedingten Eigenwillens; sonach im-
mer auf etwas in der äusseren Erfahrung Gegebenes
und vom Zufalle Abhängendes. Durch sie erhalten
wir eine höhere Existenz, die von der ganzen Natur
unabhängig und lediglich in uns selbst gegründet ist;
durch sie kommen wir in eine Reihe hinein, die sehr
schicklich eine übersinnliche genannt wird.
An jenes Bewusstsein nun, unsere Pflicht um ihrer
selbst willen getan zu haben, knüpft unmittelbar sich
ein neues an: die unerschütterliche Zuversicht, dass
man durch Befreiung seines Willens von der Sinnlich-
keit der Befreiung von derselben in Absicht seines
ganzen Zustandes wenigstens würdig werde, und dass,
nachdem man nur getan hat, was von uns abhing,
das, was nicht in unserer Gewalt steht, von selbst sich
allmählich einfinden werde.
Dieses Bewusstsein einer höheren, über alle Sinn-
lichkeit erhabenen Bestimmung, eines absolut pflicht-
mässigen, eines notwendigen Zusammenhanges der
Erfüllung des lezteren mit der Würdigkeit und der
allmählichen Erreichung der ersteren, welches jeder
I O 8 J * Fichtes Atheismus-Streit
gebildete Mensch in sich finden wird, kann aus keiner
Erfahrung hervorgehen ; denn es erhebt uns ja über
alle Erfahrung. Wir müssen es in unserm eignen von
aller Erfahrung unabhängigen Wesen finden; wir
müssen es unmittelbar dadurch wissen, dass wir von
uns selbst wissen. Es ist so gewiss, als unser eigenes
Dasein und von nichts abhängig als von diesem Da-
sein selbst.
Dieses Bewusstsein, welches in der Selbstbeobach-
tung gleichsam abgebrochen, jedes der genannten
Stücke einzeln als ein besonderes Faktum in uns vor-
kommt, wird durch mein System in einen notwen*
digen Zusammenhang gesetzt. Es ist, zeigt dieses Sy-
stem, der zwar zu keiner Zeit zu erreichende, jedoch
unaufhörlich zu befördernde Zweck unseres ganzen
Daseins und alles unseres Handelns, dass das Ver-
nunftwesen absolut und ganz frei, selbständig und un-
abhängig werde von allem, das nicht selbst Vernunft
ist. Die Vernunft soll ihr selbst genügen. Diese un-
sere Bestimmung kündigt sich uns eben an durch je-
nes Sehnen, das durch kein endliches Gut zu befrie-
digen ist. Diesen Zweck sollen wir schlechthin, müs-
sen wir schlechthin, wenn wir uns selbst treu bleiben
wollen, uns setzen. Was wir unsers Orts zu tun haben,
um denselben zu befördern, und inwieweit seine Er-
reichung von uns abhängt, lehrt uns gleichfalls die
unmittelbar gebietende, unaustilgbare und untrügliche
innere Stimme des Gewissens. Das Gewissen ist es,
das in jeder Lage des Lebens, wenn wir nur dasselbe
befragen, uns entscheidend sagt, was in dieser Lage
unsere Pflicht sei, das heisst, was wir in derselben zur
Beförderung jenes Zwecks aller Vernunft beizutragen
haben. Wir müssen schlechthin jenen Zweck wollen,
Appellation an das Publikum i 0 g
dies ist die einige unabänderliche Bestimmung unseres
Willens ; — die besondere, durch Zeit und Lage be-
stimmte Pflicht, ohnerachtet sie im gemeinen Bewusst-
sein als etwas Unmittelbares erscheint, wollen wir
doch nur, wie sich bei einer gründlichen philosophischen
Untersuchung des gesamten Bewusstseins ergibt, als
Teil und als Mittel jenes Endzwecks. — Hieraus er-
klärt sich auch die unerschütterliche Zuversicht des-
sen, der um des Gewissens willen recht tut, dass er
der Erfüllung seines Zwecks sich annähere. Er fühlt
unwiderstehlich, wenn er es sich auch nicht bis zum
deutlichen Denken entwickeln sollte, dass jene Ge-
sinnung eben die Bedingung und das Mittel sei zu sei-
ner Befriedigung und Befreiung, und dass er durch
dieselbe schon eintrete in die Reihe, die sein unaus-
tilgbares Sehnen fordert. — Ich will jene absolute
Selbstgenügsamkeit der Vernunft, jene gänzliche Be-
freiung von aller Abhängigkeit, Seligkeit nennen ; un-
ter welchem Worte ich ausdrücklich das Beschriebene,
und schlechterdings nicht irgendeinen Genuss y von
welcher Art er auch sei, verstanden wissen will.
Und nun lässt der behauptete Zusammenhang sich
so beschreiben: Ich will notwendig meine Seligkeit,
nicht als einen Zustand des Genusses, sondern als den
der mir zukommenden Würde; nicht weil ich die Se-
ligkeit begehre, sondern weil sie dem vernünftigen
Wesen schlechterdings gebührt ; und ich kann diese
Forderung nicht aufgeben, ohne mich selbst, ohne mein
wahres Sein aufzugeben und mich für einen leeren
Schein und für ein Truggebilde zu halten. Als das
einzige, aber untrügliche Mittel der Seligkeit zeigt mir
mein Gewissen die Erfüllung der Pflicht; nicht, dass
nur überhaupt das Pflichtmässige geschehe, sondern
1 IO
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
dass es lediglich um der Pflicht willen geschehe. An
dieser unmittelbar in meinem Innern aufgestellten
Heilsordnung kann ich abermals nicht zweifeln, ohne
mich selbst aufzugeben; ohnerachtet ich freilich nicht
begreife, auch nicht zu begreifen bedarf, wie und auf
welche Weise jene pflichtmässige Gesinnung mich zu
meinem notwendigen Zwecke führen möge. Kurz, es
ist so, es ist schlechthin so, es ist ohne allen Beweis so ;
ich weiss es unmittelbar, so gewiss als ich irgend et-
was weiss, und so gewiss als ich von mir selbst weiss.
Es dringt sich mir auf der unerschütterliche Glaube,
dass es eine Regel und feste Ordnung gebe — ich Sterb-
licher bin wohl genötigt, das Übersinnliche durch Be-
griffe, die von der Sinnenwelt hergenommen sind, zu
denken — dass es eine feste Ordnung gebe, nach wel-
cher notwendig die reine moralische Denkart selig
mache, sowie die sinnliche und fleischliche unausbleib-
lich um alle Seligkeit bringe; eine Ordnung, welche
mir unerklärlich ist, und der mir allein bekannten
Ordnung in der Sinnenwelt geradezu entgegen, — in-
dem in der letzten der Erfolg davon abhängt, was ge-
schieht, in der ersteren davon, aus welcher Gesinnung
es geschieht ; eine Ordnung, in welcher alle sinnlichen
Wesen begriffen, auf die Moralität aller, und vermittelst
derselben auf aller Seligkeit gerechnet ist; eine Ord-
nung, deren Glied ich selbst bin, und aus welcher her-
vorgeht, dass ich gerade an dieser Stelle in dem Systeme
des Ganzen stehe, gerade in die Lage komme, in wel-
cher es Pflicht wird, so oder so zu handeln, ohne Klü-
gelei über die Folgen, indem gar nicht auf Folgen in
der sichtbaren, sondern in der unsichtbaren und ewi-
gen Welt gerechnet ist, welche, vermittelst jener Ord-
nung, zufolge des untrüglichen Ausspruchs in meinem
Appellation an das Publikum
I I I
Innern, nicht anders als selig sein können. „Indem ich
jenen durch mein eignes Wesen mir gesetzten Zweck
(der Seligkeit) ergreife, — sage ich darüber in dem
verrufenen Aufsatze (Seite 9) — und ihn zu dem mei-
nes wirklichen Handelns mache, setze ich zugleich die
Ausführung desselben durch wirkliches Handeln als
möglich. Beide Sätze sind identisch; denn, ich setze
mir etwas als Zweck vor, heisst : ich setze es in irgend-
einer zukünftigen Zeit als möglich; in der Wirklich-
keit aber wird die Möglichkeit notwendig mitgesetzt.
Ich muss, wenn ich nicht mein eigenes Wesen ver-
leugnen will, das erste, die Ausführung jenes Zwecks
mir vorsetzen; ich muss sonach auch das zweite, seine
Ausführbarkeit annehmen : ja es ist eigentlich hier nicht
ein erstes und ein zweites, sondern es ist absolut eins ;
beides sind in der Tat nicht zwei Akte, sondern ein
und ebenderselbe unteilbare Akt des Gemüts."
Da ss der Mensch, der die Würde seiner Vernunft
behauptet, auf den Glauben an diese Ordnung einer
moralischen Welt, dieses Übersinnliche, über alles Ver-
gängliche unendlich erhabene Göttliche, sich stützte,
jede seiner Pflichten betrachte als eine Verfügung je-
ner Ordnung, jede Folge derselben für gut, d. i. für
seligmachend halte und freudig sich ihr unterwerfe,
ist absolut notwendig und das Wesentliche der Reli-
gion. Dass er die verschiedenen Beziehungen jener Ord-
nung auf sich und sein Handeln, wenn er mit anderen
davon zu reden hat, in dem Begriffe eines existieren-
den Wesens zusammenfasse und fixiere, das er viel-
leicht Gott nennt, ist die Folge der Endlichkeit seines
Verstandes; aber unschädlich, wenn er jenen Begriff
nur zu weiter nichts benutzt, als eben zu diesem Zu-
sammenfassen der unmittelbar in seinem Innern sich
I I 2
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
offenbarenden Verhältnisse einer übersinnlichen Welt
zu ihm. Er tut dann nichts anderes, als was wir alle
tun, indem wir gewisse Bestimmungen unseres Gefühls
in dem Begriffe einer ausser uns vorhandenen Kälte
oder Wärme zusammenfassen ; ohnerachtet wohl kein
Vernünftiger behaupten wird, dass für ihn eine solche
Wärme und Kälte unabhängig von diesen Beziehungen
auf sein Gefühl vorhanden sei. Die Beziehung jener
Gedankendinge auf unser sinnliches, — die Beziehung
einer übernatürlichen Weltordnung auf unser sittliches
Gefühl, ist das Erste, schlechthin Unmittelbare; der
Begriff entsteht später und ist durch das erste vermit-
telt. Es ist im ersten Falle Schwäche des Kopfes, es
ist im zweiten Falle Schwäche des Herzens, das Ver-
hältnis zu ändern und das Gefühl vom Begriffe ab-
hängig machen zu wollen. Wer nicht eher glauben
wollte, dass er friere oder erwarme, bis man ihm ein
Stück reine substantielle Kälte oder Wärme zum Zer-
legen in die Hände geben könnte, über diesen würde
ohne Zweifel jeder Vernünftige lächeln ; wer aber einen
auch nur im mindesten ohne Beziehung auf unsere
moralische Natur entworfenen und von ihr im klein-
sten Stücke unabhängigen Begriff vom Wesen Gottes
verlangt, der hat Gott nie erkannt, und ist entfremdet
von dem Leben, das aus ihm ist. Ich werde diese letz-
tere Behauptung tiefer unten, sonnenklar, wie ich hoffe,
erweisen.
Moralität und Religion sind absolut eins: beides
ein Ergreifen des Übersinnlichen, das erste durch Tun,
das zweite durch Glauben. Hat es irgendwo der Mensch-
heit geschadet, eine durch die Philosophie gemachte
Distinktion der Ansicht für eine wirkliche Unter-
scheidung der Sachen zu halten, so war es hier. Re-
Appellation an das Publikum
ligion ohne Moralität ist Aberglaube, die den Unglück-
seligen mit einer falschen Hoffnung betrügt und ihn
zu aller Besserung unfähig macht. Vorgebliche Mo-
ralität ohne Religion mag wohl ein äusserer ehrbarer
Lebenswandel sein, da man das, was recht ist, tut
und das Böse meidet, aus Furcht vor den Folgen in
der Sinnen weit ; nimmermehr aber das Gute liebt und
es um sein selbst willen vollzieht. Aber sobald man
sich zum Wollen der Pflicht, schlechthin weil sie
Pflicht ist, erhebt, zu einem Wollen, das keine sinn-
liche Triebfeder hat, sondern nur die übersinnliche
des Gedankens, und dem es schlechthin nicht um das
Objekt der Tat, sondern um das Übersinnliche der
Gesinnung zu tun ist, — also durch seine Denkart sich
selbst in eine andere Welt versetzt, dringt sich uns
sogleich unwiderstehlich der Geist und die Gewissheit
dieser anderen Welt auf; die Befreiung des Willens,
welche wir uns selbst verschaffen, wird uns Mittel
und Unterpfand einer Befreiung unseres ganzen Seins,
welche wir uns selbst nicht verschaffen können. —
Diejenigen, welche sagen: die Pflicht muss schlecht-
hin, ohne Rücksicht auf irgendeinen Zweck geschehen,
drücken sich nicht genau aus. Abgerechnet, dass sie
in ihren Philosophien nimmermehr werden erklären
können, woher denn dem bloss formalen Sittengebote
ein materieller Inhalt entstehe — welches, als eine
Schwierigkeit des Systems, nur für innige Kenner der
Philosophie angemerkt wird; — dies abgerechnet,
verkennen sie gänzlich die Denkart des endlichen We-
sens. Ks ist schlechthin unmöglich, dass der Mensch
ohne Aussicht auf einen Zweck handle. Indem er sich
zum Handeln bestimmt, entsteht ihm der Begriff eines
Zukünftigen, das aus seinem Handeln folgen werde,
Fichte 8
11^ J. G. Fichte« Atheismus-Streit
und dies eben ist der Zweckbegriff. Jener durch die
pflichtmässige Gesinnung zu erreichende Zweck ist
nur kein Genuss, — das wollen sie sagen, und darin
haben sie recht; er ist die Behauptung der der Ver-
nunft gebührenden Würde. Welche sagen : selbst wenn
jemand an Gott und Unsterblichkeit verzweifelte,
müsste er dennoch seine Pflicht tun, setzen absolut
unvereinbare Dinge zusammen. Erzeuge nur in dir
die pflichtmässige Gesinnung, und du wirst Gott er-
kennen, und während du uns anderen noch in der
Sinnenwelt erscheinst, für dich selbst schon hienieden
im ewigen Leben dich befinden. Darin aber haben
sie abermals recht, dass die pflichtmässige Gesinnung
sich nicht auf den Glauben an Gott und Unsterblich-
keit, sondern dass umgekehrt der Glaube an Gott und
Unsterblichkeit auf die pflichtmässige Gesinnung sich
gründet.
Man kann jedem, welcher nur der wahren Speku-
lation und einer anhaltenden Aufmerksamkeit fähig
ist, leicht und klärlich dartun, dass unsere gesamte
Erfahrung nichts ist als das Produkt unsers Vor-
stellens. Konsequente Idealisten haben dies von jeher
angenommen, und bis diesen Augenblick gründet der
sich selbst verstehende und durchgeführte Skeptizis-
mus sich auf die sehr wahre Behauptung, dass es
nichts Bindendes für das freie Vorstellen gebe. Was
ist denn nun, das zufolge des gemeinen Bewusstseins
uns dennoch bindet; das da macht, dass wir unsere
eigenen Produkte für von uns unabhängige Dinge hal-
ten, unsere eigenen Geschöpfe fürchten, bewundern,
begehren, und unser Schicksal von einem Schein ab-
hängig glauben, den ein einziger Hauch des freien
Wesens zerstören sollte? Das Übersinnliche, dessen
Appellation an das Publikum j j 5
Widerschein in uns unsere Sinnenwelt ist, — dieses
ist es, welches uns hält und zwingt, auch seinem Wider-
scheine Realität beizumessen: dies ist das wahre „An
sicA", das aller Erscheinung zum Grunde liegt; und
nicht auf die Erscheinung, sondern nur auf ihren über-
sinnlichen Grund geht unser Glaube. Meine sittliche
Bestimmung, und was mit dem Bewusstsein derselben
verknüpft ist, ist das einzige unmittelbar Gewisse,
das mir gegeben wird, so wie ich mir selbst gegeben
werde, das einzige, welches mir selbst für mich Rea-
lität gibt. Auch wenn ich mir jener hohen Bestim-
mung nicht deutlich bewusst würde und noch weniger
sie zu erreichen arbeitete, so dauert denn doch die
Anforderung, sie anzuerkennen, fort, und diese An-
forderuug allein ist es, die mir noch Leben und Da-
sein gibt. Der gleichfalls unmittelbare Ausspruch
meines Gewissens, was meine Pflicht sei, auch wenn
ich nicht auf ihn höre, bestimmt mir mein Verhält-
nis in der Reihe anderer sittlicher Wesen ; und dieses
Verhältnis allein ist es, welches meinem sinnlichen
Auge nach nachzuweisenden Gesetzen sich in eine
Körperwelt verwandelt. Es gibt keine Gewissheit als
die moralische; und alles, was gewiss ist, ist es nur
insofern, inwiefern es unser moralisches Verhältnis
andeutet. — Ich sage hierüber in dem verrufenen
Aufsatze (S. iof.): „Die ursprünglichen Schranken
meines Wesens sind ihrer Entstehung nach allerdings
unbegreiflich; aber was verschlägt dir auch dies? —
sagt die praktische Philosophie; die Bedeutung der-
selben ist das Klarste und Gewisseste, was es gibt, sie
sind deine bestimmte Stelle in der moralischen Ord-
nung der Dinge. Was du zufolge ihrer wahrnimmst,
hat Realität, die einzige, die dich angeht, und die es
8*
I i g J. G. Fichtes Atheismus-Streit
für dich gibt; es ist die fortwährende Deutung des
Pflichtgebots, der lebendige Ausdruck dessen, was du
sollst, da du ja sollst. Unsere Welt ist das versinnlichte
Materiale unsrer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle
in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erschei-
nung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die
Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer
Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen
möglich ist. Niemand kann ohne Vernichtung seine
moralische Bestimmung so weit aufgeben, dass sie
ihn nicht wenigstens noch in diesen Schranken für die
künftige höhere Veredlung aufbewahre." —
Weit entfernt sonach, dass das Übersinnliche un-
gewiss sein sollte, ist es das einige Gewisse, und alles
andere ist nur um seinetwillen gewiss ; weit entfernt,
dass die Gewissheit des Übersinnlichen aus der des
Sinnlichen folgen sollte, folgt vielmehr umgekehrt
die theoretische Notwendigkeit, das letztere für exi-
stierend zu halten, und die moralische Verbindlich-
keit, dasselbe als Mittel zu ehren, aus dem ersteren.
Die übersinnliche Welt ist unser Geburtsort und un-
ser einziger fester Standpunkt; die sinnliche ist nur
der Widerschein der ersteren. Du glaubst nicht an
Gott, weit du an die Welt glaubst, du erblickst viel-
mehr eine Welt, lediglich darum, weil du an Gott zu
glauben bestimmt bist.
Nach allem ist meiner Lehre zufolge der Charakter
des wahren Religiösen der: es ist nur ein Wunsch,
der seine Brust hebt und sein Leben begeistert, die
Seligkeit aller vernünftigen Wesen. Dein Reich komme,
ist sein Gebet. Ausser diesem einen hat nicht das
Geringste für ihn Reiz ; er ist der Möglichkeit, noch
etwas anderes zu begehren, abgestorben. Er kennt
Appellation an das Publikum 1 1 7
nur ein Mittel, jenen Zweck zu befördern, das, der
Stimme seines Gewissens in allen seinen Handlungen
unverrückt, ohne Furcht und Klügeln zu folgen. Das
verknüpft ihn wiederum mit der Welt, nicht als ei-
nem Gegenstande des Genusses, sondern als mit der,
durch sein Gewissen ihm angewiesenen Sphäre seines
pflichtmässigen Wirkens ; er liebt die Welt nicht, aber
er ehrt sie um des Gewissens willen. Zweck wird sie
ihm nie, in ihr hat er nie etwas zu beabsichtigen oder
hervorzubringen, sondern nur durch sie, nach einem
ihm unbegreiflichen und ihn nicht kümmernden Zu-
sammenhange. Seine Absicht geht immer auf das
Ewige, welches nie erscheint, das aber der untrüg-
lichen Zusage in seinem Innern zufolge sicherlich er-
reicht wird. Darum sind ihm auch die Folgen seiner
pflichtmässigen Handlungen in der Welt der Erschei-
nungen völlig gleichgültig; wie sie auch scheinen
mögen, an sich sind sie sicherlich gut; denn wo die
Pflicht geübt wird, da geschieht der Wille Gottes,
und dieser ist notwendig gut. Nicht mein Wille, son-
dern seiner geschehe, nicht mein Rat, sondern der
seinige gehe vonstatten, ist der Wunsch seines Le-
bens ; und so verbreitet sich unerschütterliche Freudig-
keit über sein ganzes Dasein."
Dieser jedem Menschen anzumutende Charakter
kann nun, meinen Grundsätzen zufolge, nur dadurch
entwickelt werden, dass man den Menschen fürs erste
nicht zur äussern Ehrbarkeit, sondern zur innern
Rechtschaffenheit führe. Mit der letztern, wenn sie
nur wirkliche innere Rechtschaffenheit ist, findet der
wahre Glaube und die äussere Ehrbarkeit sich von
selbst; ohne sie ist die äussere Ehrbarkeit eine inne-
re Verkehrtheit, und die Religion ein verderblicher
I i g J. G. Fichte» Atheismus-Streit
und den Menschen völlig zugrunde richtender Aber-
glaube.
II.
Diese hier im Zusammenhange dargestellte, auch in
meinen anderen Schriften, z. B. in meiner Sittenlehre
enthaltene, in jenem verrufenen Aufsatze zwar nicht
in derselben Sprache, der ich mich hier bediene, aber
doch demselben Inhalte nach klar und vollständig vor-
getragene Lehre — dieselbe und keine andere ist es,
welche jene Atheismus nennen, deren Verbreitung sie
bei Gefängnisstrafe verbieten, um derenwillen sie mir
Absetzung und Vertreibung durch den Reichsfiskal
drohen.
Ehe ich weitergehe, frage ich jeden Leser, frage
ich selbst meine unbarmherzigen Verfolger auf ihr
Gewissen, ob sie im Ernste für gefahrlich halten wür-
den, dass alle Menschen in der Welt dem soeben auf-
gestellten Bilde meines Religiösen glichen; ob sie im
Ernste glauben, dass sie sich werden entbrechen kön-
nen, einen Menschen dieses Charakters zu verehren ;
— ich frage sie auf ihr Gewissen, ob sie nicht selbst
dieser Mensch sein möchten, wenn sie es durch ein
plötzliches Wunder werden könnten? Ich frage jeden,
der nur einigemal in das Neue Testament geblickt
hat, ob er da nichts von einer gänzlichen Wiederge-
burt, als der ausschliessenden Bedingung unseres Heils,
gefunden ; nichts von einer Ertötung des Fleisches und
einem Absterben der Welt, nichts von einem Leben
im Himmel, ohnerachtet man sich noch in diesem Leibe
befinde; ich frage ihn, ob diese Worte wohl einen
Sinn haben, und welches dieser Sinn sein möge?
Jedoch, so ist nun einmal die Sache, sie haben fest-
Appellation an das Publikum i [ g
gesetzt, dass diese Lehre atheistisch sei. Sie mögen
ihre guten Gründe dafür haben. Ich mag sehen, wie
ich diese Gründe entdecke.
Oh, ich kenne die Partei, welche ein solches Verbot
veranlassen konnte, und ihre Denkart zu wohl, als
dass mir schwer fallen könnte, ihre Gründe zu erraten.
Diese Gründe sind in der soeben gegebenen Dar-
stellung enthalten. Nach mir ist die Beziehung der
Gottheit auf uns, als sittliche Wesen, das unmittelbar
Gegebene ; ein besonderes Sein dieser Gottheit wird ge-
dacht lediglich zufolge unseres endlichen Vorstellens,
und in diesem Sein liegt schlechthin nichts anderes
als jene unmittelbar gegebenen Beziehungen; nur dass
sie darin in die Einheit des Begriffs zusammengefasst
sind. Nach meinen Gegnern sollen jene Beziehungen
der Gottheit auf uns erst gefolgert und abgeleitet sein
aus einer, unabhängig von diesen Beziehungen statt-
findenden Erkenntnis des Wesens Gottes an und für
sich; und in dieser Erkenntnis soll überdies noch, nach
einigen mehr, nach anderen weniger, liegen, das gar
keine Beziehung auf uns hat. Ich bekenne, von Wärme
oder Kälte nur dadurch zu wissen, dass ich wirklich er-
warme oder friere; sie kennen, ohne je in ihrem Leben
eine Empfindung von dieser Art gehabt zu haben, die
Wärme und Kälte, als Dinge an sich und bringen erst
nun, zufolge dieser Erkenntnis, Frost oder Hitze in sich
hervor durch die Kraft ihrer Syllogismen. Mein Un-
vermögen, dergleichen Syllogismen zu machen, ist es,
was sie meinen Atheismus nennen.
Um zu dieser Erkenntnis des göttlichen Wesens,
welche sie selbst keineswegs für eine unmittelbare Er-
kenntnis ausgeben, unabhängig von den Beziehungen
der Gottheit auf uns, welche sie erst davon ableiten
I 20
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
wollen, zu gelangen, müssen sie notwendig Erkennt-
nisquellen haben, die mir verschlossen sind. So ist es;
aus der Existenz und Beschaffenheit einer Sinnenwelt
schliessen sie auf das Dasein und die Eigenschaften
Gottes. Eben indem man ihnen eine solche Existenz
der Sinnenwelt, als unabhängig von unsrer Vorstel-
lung, als unabhängig von unsrer sittlichen Bestim-
mung, geradezu ableugnet, machen sie diesen Schluss ;
beweisen sie aus dieser Existenz, anstatt, wie nun not
täte, sie selbst erst zu beweisen ; und zur wohlverdien-
ten Strafe ihrer Beweise im Zirkel bringen sie bei die-
ser Gelegenheit sehr unverständliche Lehren vor. Sie
lassen entweder aus Nichts nicht nur Etwas und Viel,
sondern Alles entstehen; oder sie lassen durch die
blossen Begriffe einer reinen Intelligenz einen unab-
hängig von derselben vorhandnen Stoff an sich ge-
formt werden, fassen den Unendlichen in einen end-
lichen Begriff und bewundern die Weisheit Gottes,
dass er alles gerade so eingerichtet hat, wie sie selbst
es auch gemacht hätten. Da ich hier nicht in die
Tiefen der Spekulation hinabzusteigen, sondern ledig-
lich auf den unaustilgbaren sittlichen Sinn in jeder
menschlichen Brust mich zu stützen habe, so will ich
in diesem Aufsatze über eine solche Beweisart weiter
kein Wort verlieren. Bloss folgender Wunsch
an meine Gegner! Möchte es ihnen doch gefallen ha-
ben, bei dieser Gelegenheit das von mir erbetene erste
verständliche^ ort darüber vorzubringen, was das doch
eigentlich heissen möge: Gott habe die Welt erschaf-
fen, und wie man sich eine solche Schöpfung zu den-
ken habe: — inwiefern nur von der wirklichen Welt,
von der Sinnenwelt, nicht aber etwa von der sittlichen
Ordnung der reinen geistigen Intelligenzen die Rede
Appellation an das Publikum
121
ist. Möge es ihnen noch gefallen; möchten sie auf
dieses erste verständliche Wort Preise aussetzen, dop-
pelte, zehnfache Preise! Solange aber dieses einige
Wort nicht vorgebracht wird, habe ich das Recht,
dafürzuhalten, dass man seinen gesunden Verstand
verlieren müsse, um wie sie an Gott zu glauben ; und
dass mein Atheismus lediglich darin besteht, dass ich
meinen Verstand gern behalten möchte.
Jedoch verhalte sich auch dies, wie es immer wolle,
und mögen darin meine Gegner recht haben oder ich,
so haben sie doch darin sicherlich unrecht, dass sie
deshalb das Verbot meiner Schrift auswirkten. Ist es
der einige Zweck der Religion, jenen rein religiösen
Charakter zu bilden, den wir oben beschrieben haben,
so ist alles, was auf diese Rildung keinen Einfluss hat,
für gleichgültig zu achten. Aber es hat sicherlich dar-
auf keinen Einfluss, wie man sich die lediglich philo-
sophische Frage über den Entstehungsgrund dieses
Glaubens im menschlichen Geiste beantworte. Der
gemeine Verstand bleibt bei der Tatsache stehen und
überlässt das Erklären dem Philosophen. Es hat auf
dieselbe sicherlich keinen Einfluss, ob man in seinem
Regriffe Merkmale von Gott mit aufnehme oder nicht,
von denen ausdrücklich zugestanden wird, dass sie keine
Reziehung auf unsere sittliche Restimmung haben. —
Sonach hätten meine Gegner gar nichts als Wäch-
ter über die Volksreligion und als selbst Religiöse,
sondern sie hätten lediglich als Philosophen, als meine
philosophische Gegenpartei, das Verbot meiner Schrift
ausgewirkt. Überlegen sie selbst, ob es für die Güte
ihrer Sache und für ihren Mut ein günstiges Vor-
urteil errege, dass sie lieber verbieten mögen als wider-
legen.
122 J * Fichte« Atheismus-Streit
So stellt die Sache, wenn sie mir nur zugeben, dass
die von mir auseinandergesetzte moralische Überzeu-
gung von einer göttlichen Weltregierung — möglich
sei, und hinreichend für die Bildung einer echt reli-
giösen Gesinnung. Geben sie mir dies nicht zu; be-
haupten sie vielmehr, dass der von ihnen angegebene
Weg der Überzeugung nicht nur möglich, sondern
auch der einzig mögliche sei, und dass ich ihnen mit
ihrem unhaltbaren Beweise zugleich die Gottheit selbst
geraubt habe, dann steht freilich unsere Sache anders :
dann leugne ich ihren Gott in der Tat, dann bin ich
wirklich für sie ein erklärter Atheist. — Ich kenne
das System meiner Gegner von Grund aus ; ich kenne
es besser, als es viele unter ihnen selbst kennen, und
weiss nur zu wohl, dass das letztere unser Fall ist;
und dies nötigt mich, noch ein wenig länger bei ihnen
zu verweilen.
Ich sage (Seite 14 jenes Aufsatzes), dass der Begriff
von Gott, als einer besonderen Substanz, ein unmög- -
licher und widersprechender Begriff sei. (Substanz
nämlich bedeutet notwendig ein im Raum und der
Zeit sinnlich existierendes Wesen, aus Gründen, deren
Anführung ich hier umgehen kann; es ist für meinen
gegenwärtigen Zweck genug, dass ich meinen philo-
sophischen Sprachgebrauch erkläre.) Ich sage, dass
der Beweis des Daseins Gottes aus dem Dasein einer
Sinnenwelt unmöglich und widersprechend ist. Ich
leugne sonach allerdings einen substantiellen, aus der
Sinnenwelt abzuleitenden Gott. Dadurch nun, dass ich
dies leugne, werde ich ihnen, ohnerachtet alles anderen,
was ich über einen übersinnlichen Gott und über den
moralischen Glaubensgrund bejahe, zum Gottesleug-
ner überhaupt. Was ich bejahe, ist sonach für sie nichts,
Appellation an das Publikum 12 3
absolut nichts : es gibt für sie überhaupt nichts anderes,
als Substantielles und Sinnliches, sonach auch nur
einen substantiellen und aus der Sinnenwelt abzulei-
tenden Gott. Zuvörderst nun, warum gibt es für sie
nichts anderes, und warum ist ihnen denn das Über-
sinnliche nichts, für sie gar nicht, auch nicht seiner
Möglichkeit nach, vorhanden? Das kann ich ihnen
sagen. Die Sphäre unserer Erkenntnis wird bestimmt
durch unser Herz ; nur durch unser Streben umfassen
wir, was je für uns dasein wird. Jene bleiben mit
ihrem Verstände bei dem sinnlichen Sein stehen, weil
ihr Herz durch dasselbe befriedigt wird; sie kennen
nichts über dasselbe hinaus Liegendes, weil ihr Trieb
nicht darüber hinausgeht. Sie sind Eudämonisten in
der Sittenlehre, müssen sonach wohl Dogmatiker wer-
den in der Spekulation. Eudämonismus und Dogma-
tismus sind, wenn man nur konsequent ist, notwendig
beieinander, ebenso wie Moralismus und Idealismus.
Dieser ihr substantieller und um der Sinnenwelt
willen angenommener Gott, was ist er denn nun für
ein Wesen? Dass die fromme Einfalt Gott als eine un-
geheuere Ausdehnung durch den unendlichen Raum,
oder die noch einfältigere ihn so, wie er vor dem al-
ten Dresdner Gesangbuche abgemalt ist, als einen
alten Mann, einen jungen Mann und eine Taube, sich
bilde, — wenn dieser Gott nur sonst ein moralisches
Wesen ist und mit reinem Herzen an ihn geglaubt
wird — das kann der Weise gutmütig belächeln ; aber
dass man denjenigen, der die Gottheit unter dieser
Form sich nicht vorstellen will, einen Atheisten nenne,
seine Schriften verbiete und ihn vor den Ohren der
Nation verschreie, ist um vieles ernsthafter zu nehmen.
Und dieses ist ohne Zweifel hier der Fall. Der Haupt-
I 2 4 J * Fichtes Atheismus-Streit
grund dieser Bezichtigung ist ohne Zweifel der, dassich
Gott als eine besondere Substanz leugne. Ein substan-
tieller Gott aber ist notwendig ein im Räume ausge-
dehnter Körper, welche Umrisse man übrigens auch
seiner Gestalt gebe.
Ich gehe zum zweiten Gliede ihrer Rüge, bei wel-
chem ich mich noch verständlicher machen kann.
Wie fallt denn ein Gott, der um der Sinnenwelt willen
angenommen wird, und von einem Herzen, das über
dieselbe sich nicht zu erheben vermag, — notwendig
aus?
Ihr Endzweck ist immer Genuss, ob sie denselben
nun grob begehren oder noch so fein ihn geläutert
haben, Genuss in diesem Leben, und wenn sie eine
Fortdauer über den irdischen Tod hinaus sich ge-
denken, auch dort Genuss — sie kennen nichts an-
deres als Genuss. Dass nun der Erfolg ihres Ringens
nach diesem Genüsse von etwas Unbekanntem, das sie
Schicksal nennen, abhänge, können sie sich nicht ver-
hehlen. Dieses Schicksal personifizieren sie, — und dies
ist ihr Gott. Ihr Gott ist der Geber alles Genusses, der
Austeiler alles Glücks und Unglücks an die endlichen
Wesen, dies ist sein Grundcharakter.
Auf dem angezeigten Wege des unausfüllbaren
Sehnens nach Genüsse sind sie zu diesem Gotte ge-
kommen; und sie irren sich sonach und tun ihrem
eigenen Glauben unrecht, wenn sie ihn für mittelbar,
für eine Folge von anderen Erkenntnissen halten. Er
ist ebenso unmittelbar wie der unsrige ; er geht, so
wie dieser, vom Herzen aus und nicht vom Verstände.
Dass sie die Sinnenwelt, welche den letzten Zweck
des Daseins ihrer eignen Personen in sich enthält, für
an sich existierend, für etwas Wirkliches halten und
Appellation an das Publikum
ihrem Gotte, der in derselben Glück und Unglück
austeilen soll, die absolute Herrschaft über dieselbe
zuschreiben, so dass er auch der Schöpfer dieser Welt
sein muss, indem sie sonst nicht gänzlich von ihm
abhinge, ist ganz konsequent und in ihrem Systeme
notwendig. Nur irren sie sich über die Weise, wie sie
zu dieser Annahme kommen. Sie wissen es in der Tat
unmittelbar und haben es nicht durch Schlüsse. Was
sie für Demonstrationen ausgeben, sind blosse Wieder-
holungen dessen, was ihr Herz unabhängig von allen
Demonstrationen glaubt.
Dass ihr Gott den oben angegebenen Grundcharakter
wirklich trage, dass er der Herr des Schicksals und
der Geber der Glückseligkeit sei, dass es bei Schöp-
fung der Welt sein Plan gewesen sei, die höchstmög-
liche Summe des Genusses hervorzubringen; dessen
haben sie gar kein Hehl ; es geht durch ihr ganzes
System hindurch, sie erschöpfen ihre Beredsamkeit,
um es als etwas sehr Sublimes einzuschärfen, sie sind
darüber so unbefangen, dass ich es im Geiste mit an-
sehe, mit welchem Beifalle die meisten von dieser
Denkart die von mir soeben gegebene Beschreibung
ihres Gottes lesen, sich freuen, dass ich die Sache so
wohl darstelle und ihnen Gerechtigkeit widerfahren
lasse, und wie weit entfernt sie sind, sich einfallen zu
lassen, dass man dagegen etwas haben könne.
Und dadurch legen sie denn ihre radikale Blindheit
über geistliche Dinge, ihre gänzliche Entfremdung von
dem Leben, das aus Gott ist, völlig an den Tag. Wer
da Genuss will, ist ein sinnlicher, fleischlicher Mensch,
der keine Religion hat und keiner Religion fähig ist;
die erste wahrhaft religiöse Empfindung ertötet in
uns auf immer die Begierde. Wer Glückseligkeit er-
I 26 J * Fichtes Atheismus-Streit
wartet, ist ein mit sich selbst und seiner ganzen An-
lage unbekannter Tor ; es gibt keine Glückseligkeit,
es ist keine Glückseligkeit möglich; die Erwartung
derselben und ein Gott, den man ihr zufolge annimmt,
sind Hirngespinste. Ein Gott, der der Begier dienen
soll, ist ein verächtliches Wesen; er leistet einen Dienst,
der selbst jedem erträglichen Menschen ekelt. Ein
solcher Gott ist ein böses Wesen; denn er unterstützt
und verewigt das menschliche Verderben und die
Herabwürdigung der Vernunft. Ein solcher Gott ist
ganz eigentlich „der Fürst der Welt", der schon längst
durch den Mund der Wahrheit, welchem sie die Worte
verdrehen, gerichtet und verurteilt ist. Ihr Dienst ist
Dienst dieses Fürsten. Sie sind die wahren Atheisten,
sie sind gänzlich ohne Gott und haben sich einen heil-
losen Götzen geschaffen. Dass ich diesen ihren Götzen
nicht statt des wahren Gottes will gelten lassen, dies
ist, was sie Atheismus nennen, dies ist's, dem sie Ver-
folgung geschworen haben.
Das System, in welchem von einem übermächtigen
Wesen Glückseligkeit erwartet wird, ist das System
der Abgötterei und des Götzendienstes, welches so alt
ist als das menschliche Verderben und mit dem Fort-
gange der Zeit bloss seine äussere Gestalt verändert
hat. Sei dieses übermächtige Wesen ein Knochen, eine
Vogelfeder, oder sei es ein allmächtiger, allgegen-
wärtiger, allkluger Schöpfer Himmels und der Erde;
— wenn von ihm Glückseligkeit erwartet wird, so
ist es ein Götze. Der Unterschied beider Vorstellungs-
arten liegt bloss in der bessern Wahl der Ausdrücke;
das Wesen des Irrtums ist in beiden dasselbe, und bei
beiden bleibt das Herz gleich verkehrt.
Hier sonach ist der wahre Sitz meines Streites mit
Appellation an das Publikum 127
ihnen. Was sie Gott nennen, ist mir ein Götze. Mir
ist Gott ein von aller Sinnlichkeit und allem sinnlichen
Zusätze gänzlich befreites Wesen, welchem ich daher
nicht einmal den mir allein möglichen sinnlichen Be-
griff der Existenz zuschreiben kann. Mir ist Gott bloss
und lediglich Regent der übersinnlichen Welt. Ihren
Gott leugne ich und warne vor ihm, als vor einer
Ausgeburt des menschlichen Verderbens, und werde
dadurch keineswegs zum Gottesleugner, sondern zum
Verteidiger der Religion. Meinen Gott kennen sie
nicht und vermögen sich nicht zu dessen Begriffe zu
erheben. Er ist für sie gar nicht da, sie können ihn
sonach auch nicht leugnen und sind in dieser Rück-
sicht nicht Atheisten. Aber sie sind ohne Gott und
sind in dieser Rücksicht Atheisten. — Aber es ist fern
von meinem Herzen, sie auf eine gehässige Weise mit
dieser Benennung zu bezeichnen. Meine Religion lehrt
mich vielmehr, sie zu bedauern, dass sie das Höchste
und Edelste gegen das Geringfügigste aufgeben. Diese
Religion lehrt mich hoffen, dass sie über kurz oder
lang ihren bejammernswürdigen Zustand entdecken
und alle vergangenen Tage ihres Lebens für verloren
betrachten werden, gegen das ganz neue und herrliche
Dasein, welches ihnen dann aufgehen wird.
Jetzt, um sie mit sich selbst noch näher bekannt
zu machen, prüfen wir noch ferner ihren Götzen —
der heilige Name Gottes kommt ihm nun einmal nicht
mit Recht zu. — Eigenwillig, wie sie selbst es sind,
nach deren Bilde er geformt ist, knüpft er die von
ihm zu erwartende Glückseligkeit an die Erfüllung
gewisser Bedingungen, schlechthin weil er nun ein-
mal diese Bedingungen will. Je unbegreiflicher dieser
Wille, desto glaubwürdiger ist es, dass es sein Wille
j 2 8 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sei; denn dadurch wird er um so mehr ein unerforsch-
licher, d. i. ein eigensinniger Gott, dem seine Über-
macht statt alles Rechts gilt. Erfüllung gewisser Zere-
monien, Hersagen gewisser Formulare, Glauben an
unverständliche Sätze, wird das Mittel, bei ihm sich
einzuschmeicheln und seiner Segnungen teilhaftig zu
werden. Geht die Sache noch am erträglichsten, so
wird die Tugend dieses Mittel ; es versteht sich, die
blosse äussere Ehrbarkeit: denn die wahre Moralität
besteht darin, dass die Pflicht schlechthin um ihrer
selbst willen geübt werde, und wo Genuss als Be-
lohnung beabsichtigt wird, da ist die Sittlichkeit schon
aufgegeben und unwiederbringlich vertilgt. In dieser
Funktion hat jener Gott wenigstens das Verdienst,
mangelhaften Polizeianstalten nachzuhelfen.
In diesem Systeme wird Gott ohne Unterlass ge-
lobt und gepriesen, wie kein rechtlicher Mensch sich
selbst möchte preisen lassen. Da ist nur immer die
Rede von seiner Güte und wieder von seiner Güte,
und sie können nicht müde werden, dieser Güte zu
gedenken, ohne auch nur einmal seiner Gerechtigkeit
zu erwähnen. Da ist ihm alles einerlei; er lässt sich
alles gefallen und muss sich alles gefallen lassen ; und
was die Menschen auch tun mögen, er ist mit seinem
Segen immer hinterdrein. Und, was noch das Heil-
loseste dabei ist, sie glauben es selbst nicht, indem sie
es sagen, sondern meinen nur, dass das ihr Gott gern
höre, und wollen ihm nach dem Munde reden.
Da hört man erbauliche Gedanken, wie folgende :
wie gütig ist doch Gott; er hat uns nicht nur Nah-
rung gegeben, um unser Leben zu erhalten, sondern
derselben noch einen besonderen Wohlgeschmack
mitgeteilt. Nun so schmecke doch recht hin, andäch-
Appellation an das Publikum 1 2 9
tige Seele, wie süss diese Trauben, wie würzhaft die-
ser Apfel sei, damit du die Güte Gottes recht schätzen
lernst. Armer, vielleicht wohlmeinender, aber blinder
Schwätzer: alle auch durch deine sinnliche Existenz
verbreiteten Annehmlichkeiten sind nicht dazu da,
dass du über denselben andächtig brütest, sondern
dass deine Kraft gestärkt, belebt, erhöht werde, das
Werk des Herrn auf der Erde freudig zu tun. So lehre
sie die Sache ansehen, und dann werden sie auch über
dergleichen Dinge Gott preisen, wie er gepriesen sein
will.
Dieses System ist's, in dessen Munde die erhabenste
und heiligste Lehre, die je unter Menschen kam, die
des Christentums, allen ihren Geist und Kraft ver-
loren und sich in eine entnervende Glückseligkeits-
lehre verwandelt hat. — Ich will sie nicht beschul-
digen, dass sie diese Lehre mutwillig verdrehen : aber
so wie dieselbe nur in ihre Sphäre gelangt, verliert
sie ihren erhabenen Sinn. Jene sehen in ihr absolut
nichts und deuten und drehen nun so lange an ihr,
bis ein Sinn herauskommt, den sie fassen können.
Durch ihren Mund redet der, der die Leiden erdul-
dete, da er Freude hätte haben können, wie ein feiner
Epikureer. „Kreuziget euer Fleisch, samt den Lüsten
und Begierden" — das sind bei ihnen orientalische
Bilder und Redensarten, welche nach unserer Denk-
art ungefähr so viel heissen : sparet und verteilet weis-
lich eure Genüsse, damit ihr desto mehr geniessen
könnt; esst nicht zuviel, damit ihr nicht Bauchgrim-
men bekommt, betrinkt euch nicht, damit ihr nicht
des anderen Tags Kopfschmerzen bekommt. „Wer-
det wiedergeboren, werdet aus dem Geiste geboren,
werdet eine neue Kreatur" — heisst nach ihnen in
Fichte 9
I 3o J * Fichtes Atheismus-Streit
unserer Sprache ungefähr so viel : werdet von Tage zu
Tage verständiger und klüger auf eure wahren Vor-
teile. „Unser Wandel ist im Himmel; ich lebe,
doch nicht ich, sondern ein neuer Mensch lebt in
mir" — ist nach ihnen blosses Bild, das in unserer
Sprache gar nichts bedeutet.
Wer weiss dies alles besser, wer könnte es besser
wissen, als mehrere ehrwürdige Mitglieder der kur-
sächsischen höheren Regierungskollegien? Sie, die in
einer gewissen Gemeine, deren Sprache ich zwar nicht
gebrauchen würde, welche aber allerdings das hohe
Verdienst hat, das Übersinnliche und Ewige nicht zu
verkennen — die in dieser Gemeine, oder vielleicht
auf anderen Wegen, vor jener entnervenden Lehre
verwahrt, die Anpreisung der Religion Jesu, als einer
Glückseligkeitslehre, von kursächsischen Kanzeln und
in Kinderlehren gewiss oft, und gewiss nicht ohne
innigen Widerwillen gehört haben. Wer könnte es
besser wissen, als sie ; — von deren einzelnen mir be-
kannt ist, dass sie sogar die wahre Quelle dieses Übels
sehr wohl kennen, — die eudämonistische, oberfläch-
liche, schöngeisterische, süssschwatzende Philosophie,
welche bei ihren Studierenden soviel Beifall gefunden ;
und dass sie gewünscht haben, diese seichte Philo-
sophie durch das Studium einer allerdings gründli-
chem und kräftigern, der Crusiussischen, zu verdrängen.
Möchten doch diese die neuere Philosophie kennen;
möchten sie, nicht zufrieden mit einseitigen Berichten
andrer, sie mit eignen Augen kennen lernen wollen I
Allerdings Hess sich das Studium derselben damals,
als sie in ihren Hauptquellen noch äusserst unverständ-
lich war und Ausleger erhielt, welche selbst von ihr
nichts verstanden, anderwärts beschäftigten Männern
Appellation an das Publikum j 3 i
nicht füglich anmuten. Diese Zeit ist vorbei; gegen-
wärtig lässt sich diese Philosophie Wohldenkenden
und Unbefangenen auf die leichteste Weise beibrin-
gen. — Möchten jene Männer wenigstens die gegen-
wärtige Schrift eines aufmerksamen Lesens würdigen;
und sie würden schon aus ihr die eigentliche Tendenz
dieses Systems ersehen können. Dass ich es mit weni-
gen Worten sage: in Absicht der Religionslehre ist ihr
einiger Zweck der, dem Menschen alle Stützen seiner
Trägheit, und alle Beschönigungsgründe seines Verder-
bens zu entreissen, alle Quellen seines falschen Trostes
zu verstopfen; und weder seinem V erstände noch seinem
Herzen irgendeinen Standpunkt übrigzulassen als den
der reinen Pflicht und des Glaubens an die übersinnliche
Welt. Daher auch in ihrem theoretischen Teile die
Behauptung der absoluten Idealität alles sinnlichen
Seins gegen den Dogmatiker ; dessen Kopf dem letztern
für sich bestehende Realität beimisst, weil sein Herz
sich mit demselben begnügt. — Unsre Philosophie
leugnet nicht alle Realität; sie leugnet nur die Reali-
tät des Zeitlichen und Vergänglichen, um die des
Ewigen und Unvergänglichen in seine ganze Würde
einzusetzen. Es ist sonderbar, diese Philosophie der
Ableugnung der Gottheit zu bezichtigen, da sie viel-
mehr die Existenz der Welt, in dem Sinne, wie sie
vom Dogmatismus behauptet wird, ableugnet. Welch
ein Gott wäre dies, der mit der Welt zugleich ver-
loren ginge! Unsre Philosophie leugnet die Existenz
eines sinnlichen Gottes und eines Dieners der Begier;
aber der übersinnliche Gott ist ihr Alles in Allem; er
ist ihr derjenige, welcher allein ist; und wir anderen
vernünftigen Geister alle leben und weben nur in ihm.
— Das Christentum ist kein philosophisches System ;
9
I 3 2 J. G- Fichtes Atheismus-Streit
es wendet sich nicht an die Spekulation, sondern an
den moralischen Sinn des Menschen; es kann daher
nicht so sprechen und nicht so artikuliert sein wie
ein philosophisches Lehrgebäude. Aber wenn nicht
neun Zehnteile desselben aufgegeben werden sollen,
als absolut ohne Sinn ; und in der Erklärung des noch
übrigbleibenden Zehnteils die oben angeführten Aus-
legungen die einzig richtigen sein sollen: so hat es
denselben Zweck als unsere Philosophie. Diesen Zweck
des Christentums nun kennen jene würdigen Männer
sehr wohl; möchten sie nur auch den der neueren
Philosophie kennen lernen wollen! Sie würden sich
dann nicht mehr durch andere, welche weder Christen-
tum noch Philosophie kennen, verleiten lassen, Auf-
sätze im Geiste dieser Philosophie als atheistisch zu
verbieten; und der Name eines verehrungswürdigen
Fürsten, welcher wohl wahrhaft religiös sein muss,
da er so gut und gerecht ist, würde nicht an der Spitze
von Reskripten stehen, in denen Verteidigungen der
wahren Religion Angriffe auf dieselbe genannt werden.
Selbst vor denjenigen Staatsmännern, die um Reli-
gion sich nun eben nicht kümmern, denen aber gründ-
liches Studium und der Fortgang der Wissenschaften
am Herzen liegt, kann ich meine Sache mit dem höch-
sten Vorteile führen. Alle Kraft des Menschen wird
erworben durch Kampf mit sich selbst und Überwin-
dung seiner selbst; und die Geisteskraft insbesondere
durch Kampf mit den uns angebornen und in unserer
sinnlichen Natur begründeten Vorurteilen und durch
Überwindung des blinden Hanges der Ideenassoziation.
Wer nun treibt, wozu er eben Lust hat, nie mit ei-
gentlicher Selbsttätigkeit, d. i. einem Hange zuwider,
produziert, sondern sich nur durch den Strom seiner
Appellation an das Publikum
i33
Einfälle forttreiben lässt, der ist und bleibt, so glück-
lich auch zuweilen diese Einfälle und so fliessend ihr
Strom sein mag, ein seichter Kopf, unwürdig des Na-
mens eines Gelehrten. Nur derjenige, der mit Will-
kür und Vorsatz seine Aufgabe, von welcher Art sie
auch sei, übernimmt, mit Abhaltung aller fremden
Gedanken systematisch seinen Weg verfolgt; nicht
ruht, bis er Grund gefunden, oder wenigstens weiss,
wie weit der Grund geht, und wo keiner weiter zu
suchen ist, der nicht glaubt, etwas getan zu haben, so-
lange noch etwas zu tun übrig ist, — nur derjenige ist
ein gründlicher Gelehrter. Dieses Vermögen erhält man
nur dadurch, dass man mit Mühe und Anstrengung
Grundsätze verstehen und wahr finden lernt, die sich
uns nicht von selbst darbieten, sondern der gewöhn-
lichen ersten Ansicht des Menschen zuwider sind. Die-
ser einzig möglichen Methode der Geistesbildung ist
nichts entgegengesetzter, es gibt nichts, das den Jüng-
ling so von Grund aus verseichte und um allen Geist
bringe, als jenes eudämonistische System. Hier bleibt
der Mensch so ganz in seinem Gleise, in welches ihn
die Natur stellte, und hat keine Mühe, ein neues ein-
zuschlagen; denn jenes System ist uns allen angeboren,
und es bedarf keiner Anstrengung, um den Zweck un-
sers Daseins in Genuss zu setzen. Der sich nur zum
Genüsse bestimmt glaubende studierende Jüngling fasst
mit Widerwillen auf der Oberfläche seines Gedächt-
nisses, wessen er doch schlechterdings bedarf, um durch
die, leider! verordneten Prüfungen zu kommen, und
treibt übrigens in geistlosen Gedichten und Romanen
die Jagd ästhetischer Floskeln, damit er einst recht
rührend die Lüsternheit der Menschen erregen könne.
Selbst zu denken, seine Gedanken zu ordnen, über die
I 3 4 J * Fichtes Atheismus-Streit
Ordnung derselben Rechenschaft abzulegen, ist ihm
eine harte, unbillige, unerhörte Zumutung. — Ich
fordere jeden, der die Welt kennt und zu beobachten
Gelegenheit hat, auf, mir zu sagen, ob er nicht diese
eudämonistisch Gesinnten überall und in allen Fä-
chern, in welche sie geraten, als Schwätzer und seich-
te Nachbeter befunden habe. — Ich masse mir nicht
an, zu entscheiden, sondern überlasse den Pflegern
der Wissenschaft in dem Lande, von dessen Grenzen
man die neuere Philosophie so sorgfaltig abhält, selbst
zu untersuchen, inwiefern diese Schilderung auf den
wissenschaftlichen Zustand dieses Landes passe.
Selbst vor denjenigen Staatsmännern, die weder um
Religion noch Wissenschaft sich kümmern, sondern
die lediglich die Erhaltung der bürgerlichen Ruhe
und Ordnung beabsichtigen, kann ich meine Sache
mit dem höchsten Vorteile führen. Wenn es wahr ist,
— was ich hier weder behaupten noch leugnen will
— wenn es wahr ist > dass in unserem Zeitalter unge-
zähmtere Lüsternheit und Willkür und Abneigung
gegen das Gesetz, ein vermessneres Klügeln über
Dinge, die man nur von einem höhern Standpunkte
aus beurteilen kann, ein lebhafteres Drängen vieler,
ihren angewiesenen Platz in der Ordnung der Dinge
zu verlassen und auf einen höheren zu treten, ein
zügelloseres Streben, sich neue Quellen der Genüsse
zu eröffnen, nachdem die alten versiegt sind, häufiger
und unverhohlener sein Haupt emporhebt als in den
vorigen Zeitaltern, so höre man doch ja auf, die neuere
Philosophie darüber anzuklagen. In die Denkart des
grossen Haufens greift eine verderbliche Philosophie
nicht eher ein, als bis sie eine Zeitlang ausschliessend
die Schule beherrscht, in dieser Ruhe durch ihre Be-
Appellation an das Publikum
i35
arbeiter, die keine auswärtigen Kriege zu fuhren hat-
ten, popularisiert worden, in die einige Philosophie
des Volks, in seine Religion, und zu seinen einigen
Lehrern, den Geistlichen, herabgekommen ist; bis sie
das Sträuben des gesunden Menschensinnes in dem
Zeitalter, dem sie zuerst vorgetragen worden, über-
wunden und sich schon vom Katechismusunterricht
aus ihre Generation selbst gebildet hat. Ihr selbst wisst
nur zu wohl, dass die neuere Philosophie, ihr inneres
Wesen jetzt ganz beiseite gesetzt, in diese äussere Lage
noch nicht gekommen und noch weit entfernt ist,
darein zu kommen. Ihr selbst, Aufseher der Nationen,
wisst höchstens, dass so etwas herumgehe, aber nicht,
was es eigentlich sei; was eure Prediger etwa hier
und da aus dieser Philosophie vorgebracht haben, sind
Formeln, die ihnen selbst, so wie den andern allen,
unverständlich sind, und die weder schaden noch hel-
fen können. Soll der Unfug von einem philosophischen
Systeme abgeleitet werden, so müsst ihr weiter zu-
rück gehn, zu demjenigen, welches vor dem neuern
das herrschende war; und da findet ihr denn aber-
mals jenen Eudämonismus. Dass nach diesem die Re-
ligion Jesu umgeschaffen, dass dieser den Unmündigen
aus der Seele abgefragt und den Mündigen von der
Kanzel gepredigt werde, daran habe ich euch schon
oben erinnert. Und ihr könnt noch fragen, woher das
Verderben des Zeitalters entstehe! Predigt nur dem
Menschen, und predigt ihm immer wieder, der einige
Zweck seines Daseins, der Zweck der ganzen Schöp-
fung, der wahre Wille Gottes, sei seine Glückselig-
keit; schon durch sich selbst geneigt, wird er euch
ohne Zweifel glauben; wird er, da unstreitig er selbst
der beste Richter ist, was ihn für seine Person glück-
i36
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
lieh mache, dieses sein Glück auf alle Weise zu be-
fördern streben; in der Erringung dieses höchsten
Zwecks seines Daseins durch keinen nur untergeord-
neten Zweck sich irremachen lassen und, nach der
Lehre, die ihr ihm beigebracht habt, daran nichts
weiter zu tun glauben, als was der Wille Gottes ist.
Nachdem ihr durch jene Formel ihn des wahren Ban-
des, das ihn halten sollte, der Moralität, entledigt
habt, werdet ihr vergebens durch eine andere — aber
dies ist nicht dein wahres Glück — ihn wieder zu
binden suchen. Er lacht eurer, denn was sein Glück
erfordere, müsse er selbst wohl besser wissen als ihr,
denkt er, und denkt daran recht. Ihr mögt das wohl
nur so sagen, denkt er, weil auch ihr euer Glück zu
befördern strebt und er gegenwärtig anfängt, dem-
selben im Wege zu stehen. Ihr werdet ihn nimmer-
mehr überreden, dass es sein Glück sei, sich abzuar-
beiten, damit ihr, wie es ihm scheint, und vielleicht
in der Tat ist, müssig gehen könnt; dass er des Not-
wendigsten entbehre, damit ihr, wie es ihm scheint,
und vielleicht in der Tat ist, euch gütlich tun könnt j
dass er gehorche, damit ihr herrschen könnt. — Hät-
tet ihr ihm dagegen beigebracht, von Jugend auf ihm
eingeprägt, zu einem Bestandteile seines Selbst ge-
macht jenen erhebenden Gedanken: diese Welt ist
nicht meine Heimat, und nichts, was sie zu geben
vermag, kann mich befriedigen; mein wahres Sein
hängt nicht von der Rolle ab, die ich unter den Er-
scheinungen spiele, sondern von der Art, wie ich sie
spiele. Da ich an diesem Platze stehe, so ist es der
Wille Gottes, dass ich an ihm stehe, und freudig und
mutig vollbringe, was an diesem Platze sich gehört.
So unscheinbar mein Geschäft sei, es geschieht um
Appellation an das Publikum j 3 *y
Gottes und der Pflicht willen, und dadurch erhält es
Würde. Nachzusehen, ob auch andere auf ihren Plät-
zen tun, was dort sich gehört, ist nicht meine Sache:
ich habe mit mir selbst vollauf zu tun. Tun sie es
nicht, so sündigen sie auf eigene Gefahr: Gott aber
wird ohne Zweifel alle Unordnungen, die daraus ent-
stehen, zu seiner Zeit in die schönste Harmonie auf-
lösen. — Hättet ihr ihm diesen Gedanken beige-
bracht; den Grundgedanken des Christentums, wie
ich glaube, und meiner Philosophie — der Helden-
sinn und die unaussprechliche Ruhe, welche der-
selbe über sein Leben verbreiten müsste, würde ihn
ohne allen Zweifel zum nützlichen und ruhigen Bür-
ger gemacht haben.
# #
#
Dass ich alles zusammenfasse: —
Der Mittelpunkt des Streits zwischen mir und den
Gegnern ist der, dass wir in zwei verschiedenen Welten
stehen und von zwei verschiedenen Welten reden, —
sie von der Sinnenwelt, ich von der übersinnlichen ;
dass sie alles auf Genuss beziehen, welche Gestalt nun
auch dieser Genuss haben möge, ich alles auf reine
Pflicht.
Durch diese absolute Entgegensetzung der Prinzi-
pien wird nun, inwieweit wir beide konsequent sind,
notwendig unser ganzes Denksystem, unsre Philosophie
und unsre Religion, entgegengesetzt. Was mir das al-
lein Wahre und Absolute ist, ist für sie gar nicht vor-
handen, ist für sie Schimäre und Hirngespinst: was
sie für das Wahre und Absolute halten, ist nach mir
blosse Erscheinung, ohne alle wahre Realität.
i38
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Zu diesen Prinzipien alles unseres Denkens sind wir
nun beide nicht durch das Denken selbst gelangt, son-
dern durch etwas, das höher liegt, als alles Denken,
und das ich hier füglich das Herz nennen kann. Aber
was wir selbst nicht auf dem Wege des Räsonnements
erlangt haben, können wir auf diesem Wege auch kei-
nem anderen mitteilen; wir können also gegenseitig
uns unsere Prinzipien nicht erweisen. Was wir uns
auch demonstrieren mögen, demonstrieren wir doch
immer aus jenen Prämissen, und unsere Folgerungen
gelten uns gegenseitig nur, wenn wir uns die Prämissen
zugeben; diese aber leugnen wir uns ja von beiden
Seiten entschieden ab. Es ist also schlechthin unmög-
lich, dass wir uns gegenseitig widerlegen, überzeugen,
belehren. Ich müsste ihre Gesinnung annehmen, um
ihre Wahrheit anzuerkennen ; und dieses ist, nachdem
ich nun einmal da bin, wo ich bin, unmöglich. Oder
sie müssten meine Gesinnung annehmen, um meine
Wahrheit anzuerkennen ; und dies halte ich von meiner
Seite allerdings für möglich; ja ich bin im Gewissen
verbunden, zu glauben, dass sie dieselbe dereinst noch
annehmen werden, aber nötigen kann ich sie dazu auf
keine Weise.
Ich habe mich wohl zuweilen noch eines anderen
Vorteils über sie gerühmt; aber derselbe verschwindet,
wenn die Sache schärfer angesehen wird, beinahe in
Nichts. Sie können, habe ich zuweilen geäussert, nicht
erklären, was sie zu erklären unternehmen, und bringen ,
statt der gehofften Erklärungen, leere und unverständ-
liche Worte vor; und dieses wenigstens sollte man
ihnen ja nachweisen können. Aber selbst dies kann
man ihnen so schwer nachweisen, indem sie in der-
jenigen Höhe der Spekulation, in welcher die Unver-
Appellation an das Publikum j 3g
ständlichkeit ihrer Behauptungen erhellt, grösstenteils
selbst nichts mehr verstehen.
Was ist nun hei dieser Lage der Sache zu tun?
Zuvörderst, was könnte etwa zunächst den Gegnern
einfallen, zu tun?
Wollen erhitzte feindliche Gemüter — ach, dass das
edle Ringen um Wahrheit in persönliche Gehässigkeit
ausarten kann ! — wollen diese auch über diese Schrift
herfallen wie sie es bisher mit so vielen meiner Schrif-
ten getan haben, Stellen aus ihrem Zusammenhange
gerissen, oder wirklich verfälscht, anführen, um dem
Verfasser einen Sinn anzudichten, den sein Herz ver-
abscheut, und ihn leidenschaftlich zu schmähen und
zu verunglimpfen : so sei ihnen dies vergönnt ! Ich hatte
gehofft, man werde in meinen bisherigen Antworten
auf dergleichen Begegnungen den guten Mut und die
fröhliche Laune nicht verkennen, noch sie selbst für
leidenschaftliche Hitze nehmen ; man hat sie verkannt
und sich daran geärgert, und so gebe ich denn dem
Publikum bei dieser Gelegenheit auf immer das Wort,
auf keine leidenschaftliche Äusserung gegen mich wei-
ter Rücksicht zu nehmen.
Wollen andere ganz unleidenschaftlich auch jetzt
mir abermals erzählen, was wir schon so oft gehört ha-
ben, dass es nun einmal nicht im Menschen liege, auf
allen Genuss Verzicht zu leisten; so erinnere ich die-
selben bloss, dass darin eben der Sitz unseres Streits
ist, dass sie mir da eben das Prinzip anführen, um mei-
nen Aufsatz zu widerlegen, welches ich im ganzen Auf-
satze durchaus abgeleugnet habe; und dass sie wohl
wissen werden, wie dieser Fehler im Beweisen in der
Logik genannt wird. Das können sie gegen andere vor-
bringen, die es ihnen glauben; nur nicht gegen mich.
1 J. G. Fichte« Atheismus-Streit
Will eine dritte Partei, — und ich furchte, dass diese
sehr zahlreich sein werde — sagen : der Fehler liege
nur darin, dass man jene Stützen zu plötzlich weg-
reissen wolle; man solle doch gemach gehen, durch
jene Lockungen und Schreckmittel des Aberglaubens
die Menschen nur erst zur Legalität bringen, um sie
von da aus zur Moralität zu erheben; so erinnere ich
dieselben, dass sie da nur die gewöhnliche Ausrede
der Schwäche und der Halbheit vorbringen, welche
die Wahrheit einsieht, ohne den Mut zu haben, sie
anzuerkennen und zu befolgen; und dass sie sich in
einem sehr gefährlichen Irrtum befinden. Es gibt von
der Sinnlichkeit zur Sittlichkeit keinen stetigen Uber-
gang, der etwa durch die äusserliche Ehrbarkeit hin-
durchgehe ; die Umänderung muss durch einen Sprung
geschehen und nicht blosse Ausbesserung, sondern
gänzliche Umschaffung, sie muss Wiedergeburt sein.
Da wir sonach, wie die Sache gegenwärtig steht,
weder an-, noch auseinander kommen können, so er-
lauben sie mir einen Vorschlag zur Güte:
Dass ich bei ihnen unrecht habe, das versteht sich,
und hierüber eben will ich vorderhand nicht weiter
mit ihnen rechten. Aber es wird denn doch wohl auch
bei ihnen einen Unterschied in meiner Schuld machen,
ob meine Behauptungen nur so frech und kühn und
gleichsam ihnen zum Trotze hingeworfen worden;
oder ob sich Gründe dafür und einiges Scheinbare zu
ihrem Vorteile anführen lässt. Sie werden denn doch
hoffentlich, nachdem sie diese Schrift bis zu Ende ge-
lesen, das letztere nicht ganz ableugnen wollen. — -
Ferner müssen sie mir doch wohl zugestehen, dass
diese Lehre in ihren Folgen nicht gefährlich ist. Wenn
sie recht haben und ich unrecht, so ist die schlimmste
Appellation an das Publikum j ^ j
Folge die, dass die Anhänger und praktischen Be-
folger dieser Lehre gutmütige Schwärmer werden,
die sich selbst um den Genuss des Lebens bringen:
aber was schadet dies ihnen ? Wenn sie in ihrer Denk-
art konsequent sind, so müssen sie sich vielmehr freuen
und von ihrer Seite alles mögliche beizutragen suchen,
um auf diese Weise recht vieler Mitringer und Mit-
bewerber um ihre Glückseligkeit entledigt zu wer-
den. Schon diese ihre Inkonsequenz, diese ihre Be-
gierde, andere ebenso klug und so glückselig zu ma-
chen, als sie selbst es sind, ohne dass ihnen daraus der
geringste Vorteil erwächst, könnte sie bedenklich ma-
chen, ob denn nicht doch sogar ihrem eignen Ver-
fahren ein erhabneres Prinzip zugrunde liege, als sie
zugestehen wollen. — Endlich regt sich doch — ich
weiss das sicher und kann es wissen — selbst in ihrem
eigenen Innern in Geheim der Zweifel, ob ich nicht
doch recht haben dürfte ; und sie mögen — ich weiss
das sicher — nicht ihr ganzes Glück in Zeit und Ewig-
keit daransetzen, dass ich gewiss unrecht habe : eigent-
lich, wenn sie sich recht prüfen, werden sie finden,
dass sie nur eine gelegnere Zeit abwarten wollen, um
die Sache zu überlegen. Nun so erwarten sie diese
gelegnere Zeit ! — Wenn ich ganz allein so etwas be-
hauptete, als ich behaupte, so dürfte ihnen allenfalls
noch eher geglaubt werden, dass ich ein Schwärmer
und meiner Vernunft nicht mächtig sei; aber stehe
ich denn auch so ganz allein? Welchen durch keinen
Parteinamen bezeichneten ganz unverdächtigen Theo-
logen nenne ich doch, als meinen Gewährsmann?
Möchtest du, ehrwürdiger Vater Spalding, dessen Be-
stimmung des Menschen es war, die den ersten Keim
der höheren Spekulation in meine jugendliche Seele
1^2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
warf, und dessen Schriften alle, so wie die genannte,
das Streben nach dem Übersinnlichen und Unver-
gänglichen so trefflich charakterisieren, — möchtest
du in meiner Sache stimmen können und wollen!
Und der Oberhofprediger Bernhard, der im kursäch-
sischen Kirchenrate unter den Richtern über meinen
Atheismus und über meine Angriffe auf die Religion
gesessen haben muss — ich habe keine seiner neuesten
Schriften bei der Hand, aber ich finde in einer gelehr-
ten Zeitung eine Anzeige seiner neuesten Predigtsamm-
lungen — , was kann er in Predigten „über den frohen
menschenfreundlichen Glauben, dass es immer besser auf
Erden werden müsse, — dass man ohne einen gewissen
Grad edler Begeisterung kein wahrer Christ sein könne,
— von dem Gefühle der Unvergänglichkeit, mit welchem
Christen die Hinfälligkeit alles Irdischen betrachten
sollen,^ — was kann der geistvolle und gründliche
Mann in dergleichen Predigten anderes sagen, als was
auch ich in jenem verbotenen Aufsatze und in diesem
gesagt habe, und was jeder sagen muss, dem wahre
innere Religion am Herzen liegt? Und unter den Philo-
sophen du, edler Jacobi, dessen Hand ich zutrauungs-
voller fasse; so verschieden wir auch über die blosse
Theorie denken mögen, das, worauf es hier ankommt,
hast du schon längst, gerade so, wie ich es denke, ge-
sagt, mit einer Kraft und Wärme gesagt, mit welcher
ich es nie sagen kann,*) hast es zur Seele deines Philo-
sophierens gemacht : „durch ein göttliches Leben wird
man Gottes inne".
Also, da dieses alles sich so verhält, mein Vorschlag
*) Besonders: Briefe über die Lehre des Spinoza, S. 2 34 ff.
2. Ausgabe, in seiner Verteidigung gegen Mendelssohn; und so
in allen seinen Schriften.
Appellation an das Publikum I 43
zur Güte ! — Haben wir beide lieber von nun an un-
mittelbar gar nichts mehr miteinander zu tun. Wen-
den sie sich lieber an diejenigen, bei denen sie noch
hoffen können, Eingang für ihre Lehre zu finden; und
ich will dasselbe von meiner Seite tun. Jede Partei
tue für sich alles, was sie vermag, um Einstimmigkeit
mit sich ausser sich hervorzubringen. Nur tue darin
keine der anderen Eintrag; nur sei unser Wetteifer
redlich, und keiner bediene sich unerlaubter Waffen.
So wie ich ihre Schriften sicher nicht verbieten und
konfiszieren, die Besuchung der Universitäten, auf
denen sie ihren Sitz haben, und ihrer Vorlesungen
gewiss nicht untersagen und verschreien würde, auch
wenn ich's vermöchte; so tun auch sie von ihrer Seite
nicht. Erwarten sie, dass zwischen uns die Zeit richte.
Nur eine kurze Frist erbitte ich mir. Wenn nicht nach
einem Jahrzehnt die grössere Menge der guten Köpfe
und Herzen auf meiner Seite sein werden, wenn dann
nicht selbst viele, die jetzt gegen mich eifern, ganz
meiner Meinung und die anderen wenigstens ge-
mässigter sein werden: — dann will ich kein Wort
weiter sagen; sie mögen dann gegen mich verfahren,
wie sie können.
Den kur sächsischen Kirchenrat, oder welches Kol-
legium es war, das den Konfiskationsbefehl und die
Beschuldigung des Atheismus aussprach, rechne ich,
nicht nur wegen der Ungleichheit des Verhältnisses,
sondern überhaupt nicht unter meine Gegner. Ge-
schäftsmänner haben weder Zeit noch Beruf, der-
gleichen Gegenstände zu ergründen; sie müssen sich
darüber an die Berichte ihrer Gelehrten halten : Aber
werden denn nun diese Geschäftsmänner auch meinen
Bericht vernehmen und beherzigen? Werden sie ein-
I ^ J. G. Fichte8 Atheismus-Streit
sehen, was das zu bedeuten habe, öffentlich, vor den
Ohren der deutschen Nation, als Atheisten und Feind
aller Religion einen Mann anzukündigen, von welchem
— denn jetzt will ich als das Ausserste ihnen die
Denkart meiner Gegner zuschreiben und annehmen,
dass sie mir nichts weiter zugestehen müssen, als diese
zugestehen; — von welchem es denn doch nicht un-
möglich ist, dass er recht habe, und dass seine Schrift
vielmehr eine Verteidigung der Religion als ein An-
griff auf dieselbe sei? Werden sie den Mut haben,
sich zu gestehen, welches die allermindeste Genug-
tuung sei, die sie meinem, soviel an ihnen war, ver-
unglimpften guten Namen, meinem, soviel an ihnen
war, angegriffenen Wirkungskreise schuldig sind ; und
den daraus folgenden Mut, diese Genugtuung zu ge-
ben ? Alles dies sei lediglich ihnen selbst überlassen,
und kann um desto mehr ihnen überlassen werden,
nachdem gar nicht mehr mein Interesse, sondern le-
diglich das ihrige — wenn sie ein solches Interesse
haben — in diese Angelegenheit verwickelt ist. Mir
konnte ihre Reschuldigung nur durch die Wirkung
derselben auf das deutsche Publikum bedeutend wer-
den. Ich habe jetzt die Sache unmittelbar an dieses
Publikum gebracht, und eine grosse Stimmenmehr-
heit wird, wie ich hoffe, schon jetzt, oder wie ich
nicht hoffe, sondern gewiss weiss, nach Verlauf eini-
ger Jahre, für mich entscheiden. Es kann nunmehr
nur noch ihnen nachteilig sein — denn dass sie sagen
sollten : ei, wer kann uns etwas schaden, wir sitzen
viel zu hoch, was machen wir uns daraus? erwarte
ich nicht — es kann, sage ich, nun nur noch ihnen
nachteil ig sein, j ene harte Beschuldigung ausgesprochen
und sie nicht zurückgenommen zu haben; so wie es
Appellation an das Publikum j ^ 5
nur noch ihnen Ehre, Zutrauen der Nation in ihre
Urteile, und Einfluss auf die gesamte Literatur des
deutschen Vaterlandes bringen kann, wenn sie frei-
mütig erklären: wir sind infallibel in bürgerlicher
Gesetzgebung und Richterspruch und verlangen da
unbedingte Unterwerfung; aber in unseren Urteilen
über literarische Angelegenheiten können wir uns
irren, denn wir sind Menschen; hier haben wir uns
geirrt und nehmen frei und offen unseren Irrtum zu-
rück. — Ich traue ihnen diese Grossmut zu; und die
Erfahrung mag lehren, ob ich ihnen zuviel zutraute.
Ich gebe ihnen durch diese Schrift eine Veranlas-
sung, dies auf eine schickliche Weise zu tun. Ihre
Leipziger Bücherkommission hat nebst dem ersten
durch das kurfürstl. Reskript konfiszierten Hefte, auch
noch das zweite, aus eigener Machtvollkommenheit,
konfisziert.*) Ich klage sie dessen hierdurch öffentlich an.
Befehle der kursächsische Kirchenrat, dass dieses zweite
Heft zurückgegeben werde; gebe er bei dieser Ge-
legenheit auch den Verkauf des ersteren frei, auf die
Bedingung i dass mein gegenwärtiger Aufsatz mit ihm
zugleich verkauft werde, indem dieser letztere zur Er-
klärung mehrerer bedenklichen und leicht misszuver-
*) Nunmehr zwar scheinen sie dies bemänteln zu wollen. In
einem, namens dieser Kommission ausgestellten, von dem
Bücherinspektor Herrn Mechau unterschriebenen Attestate, das
sich in meinen Händen befindet, wird gesagt, dass man den
ersten und zweiten Aufsatz (die doch nur noch mit einem dritten
zusammengeheftet und nirgend einzeln vorhanden waren) des
ersten Heftes in den Buchhandlungen aufgesucht. — Nach
demselben Attestate steht in dem Reskripte der Ausdruck:
dass jene beiden Aufsätze die gröbsten atheistischen Äusserungen
enthalten.
Fichte i o
i46
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
stehenden Äusserungen in den beiden ersten Aufsätzen
des erster en diene; oder welchen Mittelweg sonst ihnen
ihre Weisheit eingibt; behandle man diesen Befehl
nicht, wie gewöhnlich geschieht, als ein Geheimnis,
sondern lasse ihn öffentlich bekannt werden ; und ich
werde diese Grossmut dankbar verehren.
Ich wende mich an die unbefangenen Leser, wel-
che in dieser Angelegenheit weder gehandelt, noch
für oder wider die Meinungen, welche hier streitig
geworden sind, schon Partei genommen haben. Es
war die Absicht meiner Schrift, diese Unbefangenen
zu einem Publikum für diese Angelegenheit zu erhe-
ben und sie zu meinem Richter zu machen. Nur die
Unbefangenen : — denn so wenig meine Gegner eine
Stimme fordern können, ebensowenig verlange ich,
dass die Freunde der neuesten und selbst der neue-
ren Philosophie gehört werden; welche letzten, so
wenig sie auch meinen Schlüssen folgen mögen, den-
noch mehr oder minder mit meinem Prinzip, dem des
reinen Moralismus, einverstanden sind.
Ich habe die Lehre meiner Gegner, zufolge wel-
cher die meinige ihnen als Atheismus erscheinen muss,
und die meinige, zufolge welcher die ihrige mir als
abgöttisch und götzendienstlich erscheinen muss, treu
und klar dargestellt. Es ist jetzt an diesen Unbefangenen,
vorerst bei sich selbst und dann auch, wenn sie wol-
len, vor anderen zu entscheiden, ob ihnen denn die
Lehre meiner Gegner so vortrefflich, die meinige so
heillos erscheine; zu entscheiden, nach welcher von
beiden sie ihren eigenen geistigen Charakter lieber
gebildet sähen; zu entscheiden, welche selbst in der
Schilderung ihrem Herzen wohltätiger ist. Sie erlau-
ben mir noch eine solche Beziehung auf ihr Herz;
Appellation an das Publikum I 4 7
und dann überlasse ich sie ruhig ihrer eignen Über-
legung.
Durch jene Lehre machen sie euch lüstern, durch
eure Lüsternheit bedürftig, durch eure Bedürftigkeit
abhängig, klein und niedrig. Der Anfang eurer Erschei-
nung für euch ist zwar allerdings nicht glänzend ; ihr
findet euch zuerst als Produkt der Sinnen weit, durch
euren Mangel an dieselbe gekettet, ein unsterbliches
Wesen, bedürftig dessen, was nur Staub und Asche
ist. Von diesem Zustande euch zu erlösen, gibt es nur
einen Weg, die Erhebung zur reinen Sittlichkeit ; und
ihr seid bestimmt und berufen, diesen Weg zu gehen.
Von dem Augenblicke an, da ihr ihn einschlagt, wird
eure bisherige Gebieterin, die Natur, euch unterwor-
fen und verwandelt sich in euer folgsames leidendes
Instrument. — Jene aber wollen das Denkmal eures
anscheinenden Ursprungs aus der Eitelkeit eurem
unsterblichen Geiste unauslöschlich einbrennen, in-
dem sie es billigen und heiligen. Indem sie die Begier
in euch nicht ausrotten lassen, sondern sie pflegen
und zu Ehren erheben und einen Gott mit derselben
beschäftigen, verewigen sie eure Bedürftigkeit.
Die andere Lehre will alles, was ihr zu bewundern,
zu begehren, zu fürchten pflegt, vor eurem Auge in
Nichts verwandeln, indem sie auf ewig eure Brust der
Verwunderung, der Begier, der Furcht verschliesst.
Ihr sollt euch nur zum Bewusstsein eures reinen sitt-
lichen Charakters erheben ; und ihr werdet, verspricht
sie euch, ihr werdet finden, wer Ihr selbst seid; und
werdet finden, dass dieser Erdball mit allen den Herr-
lichkeiten, welcher zu bedürfen ihr in kindischer Ein-
falt wähntet, dass diese Sonne, und die tausend mal
tausend Sonnen, die sie umgeben, dass alle die Erden,
1^3 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
die ihr um jede der tausend mal tausend Sonnen ahnet,
und die in keine Zahl zu fassenden Gegenstände alle,
die ihr auf jedem dieser Weltkörper ahnet, wie ihr auf
eurer Erde sie findet, dass dieses ganze unermessliche
All, vor dessen blossem Gedanken eure sinnliche Seele
bebt und in ihren Grundfesten erzittert — dass es
nichts ist, als in sterbliche Augen ein matter Abglanz
eures eigenen in euch verschlossenen und in alle Ewig-
keiten hinaus zu entwickelnden ewigen Daseins. Ihr
werdet, verspricht sie euch, bloss selbsttätiges Prinzip,
und allein durch euer pflichtmässiges Handeln beste-
hend — den Genuss nicht entbehren, sondern ver-
schmähen, alles, was da Ding ist, die Herrlichkeiten
eurer Erde, und jener tausend mal tausend Weltkör-
per und des ganzen unermesslichen All, vor dessen
blossem Gedanken eure sinnliche Seele erbebt, tief un-
ter eurer eignen geistigen Natur finden, und die Liebe,
und die Berührung damit für Befleckung und Ent-
weihung eures höheren Banges halten. Ihr werdet,
verspricht sie euch, kühn eure Unendlichkeit dem un-
ermesslichen All, vor dessen blossem Gedanken eure
sinnliche Seele erbebt, gegenüberstellen und sagen:
wie könnte ich deine Macht fürchten, die sich nur
gegen das richtet, was dir gleich ist, und nie bis zu
mir reicht. Du bist wandelbar, nicht ich; alle deine Ver-
wandlungen sind nur mein Schauspiel, und ich werde
stets unversehrt über den Trümmern deiner Gestalten
schweben. Dass die Kräfte schon jetzt in Wirksamkeit
sind, welche die innere Sphäre meiner Tätigkeit, die
ich meinen Leib nenne, zerstören sollen, befremdet
mich nicht; dieser Leib gehört zu dir, und ist ver-
gänglich, wie alles, was zu dir gehört, aber dieser Leib
ist nicht ich. Ich selbst werde über seinen Trümmern
Appellation an das Publikum \
schweben, und seine Auflösung wird mein Schauspiel
sein. Dass die Kräfte schon in Wirksamkeit sind,
welche meine äussere Sphäre, die erst jetzt angefangen
hat, es in den nächsten Punkten zu werden, — welche
euch, ihr leuchtenden Sonnen alle, und die tausend
mal tausend Weltkörper, die euch umrollen, zerstören
werden, kann mich nicht befremden; ihr seid durch
eure Geburt dem Tode geweiht. Aber wenn unter
den Millionen Sonnen, die über meinem Haupte leuch-
ten, die jüngstgeborne ihren letzten Lieh trunken längst
wird ausgeströmt haben, dann werde ich noch un-
versehrt und unverwandelt derselbe sein, der ich jetzt
bin; und wenn aus euren Trümmern so viele Male
neue Sonnensysteme werden zusammengeströmt sein,
als eurer alle sind, ihr über meinem Haupte leuch-
tende Sonnen, und die jüngste unter allen ihren letz-
ten Lichtfunken längst wird ausgeströmt haben, dann
werde ich noch sein, unversehrt und unverwandelt,
derselbe, der ich heute bin; werde noch wollen, was
ich heute will, meine Pflicht; und die Folgen meines
Tuns und Leidens werden noch sein, aufbehalten in
der Seligkeit aller. Ihr sollt, verspricht sie euch, auch
in eurem mütterlichen Lande, der übersinnlichen
Welt, und Gott gegenüber, frei und aufgerichtet da-
stehen. Ihr seid nicht seine Sklaven, sondern freie Mit-
bürger seines Reichs. Dasselbe Gesetz, das euch ver-
bindet, macht sein Sein aus, so wie es euren Willen
ausmacht. Selbst ihm gegenüber seid ihr nicht be-
dürftig, denn ihr begehrt nichts, als was er ohne euer
Begehr tut; selbst von ihm seid ihr nicht abhängig,
denn ihr sondert euren Willen nicht ab von dem
seinigen. „Ihr nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
und sie steigt für euch von ihrem Weltenthrone herab."
I 5 o J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Und jetzt habt ihr, noch uneingenommene und un-
befangene Leser, bei euch selbst zu entscheiden, nach
welcher von diesen beiden Lehren ihr gebildet zu
sein wünscht, ob nach der, die euch erniedrigt, oder
nach der, die euch unaussprechlich zu erheben ver-
spricht. Wie die erstere auf ein menschliches Gemüt
wirke, werdet ihr ohne Zweifel an euch selbst emp-
funden haben; wir haben es alle empfunden, denn
wir sind bis jetzt noch alle genötigt, durch diese Denk-
art hindurchzugehen. Ob die zweite ihre grossen Ver-
sprechungen halte, könnt ihr zwar allerdings durch
Einbildungskraft und Nachdenken, wenn beides nicht
in ganz gemeinem Grade euch zu Gebote steht, zum
Teil ermessen; aber wahrhaft zur Überzeugung dar-
über kommen, könnt ihr nur dadurch, dass ihr wirk-
lich tut, was sie von euch fordert. Möchten diese
Schilderungen recht viele unter euch reizen, den Ver-
such an ihrem eignen Herzen zu machen. Macht ihr
ihn recht und findet euch getäuscht; nun dann ver-
dammt mich, wozu ihr wollt.
Und hiermit lege ich denn die Feder nieder, mit
der Ruhe, mit welcher ich einst mein ganzes irdisches
Tagwerk niederzulegen und in die Ewigkeit hinüber-
zutreten hoffe. Das noch zu sagen, was ich hier ge-
sagt habe, war meine Sache; was nun weiter geschehen
soll, ist Sache eines andern.
VII.
FICHTE AN SCHILLER*)
Jena, den 18. Januar 1799
SIE sind einer der ersten, mein sehr verehrter Freund,
von denen ich wünsche, dass Ihnen diese Schrift ge-
fallen möge, und an welche ich bei der Abfassung der-
selben oft gedacht habe.
Ein anderer ist der Herr Geheime Regierungsrat von
Goethe. Nun habe ich meine guten Gründe, diese Schrift
an keinen Geheimen Rat und überhaupt an keinen Men-
schen, der auf die Entscheidung des Rechtshandels , in
den man nun einen philosophischen Disput verwandelt
hat, einigen Einfluss haben dürfte, selbst zu geben. Viel-
leicht lässt Goethe von Ihnen sich eine Unterschei-
dung gefallen, die ich nicht machen durfte; und so
bitte ich Sie, ihm in Ihrem Namen das zweite Exem-
plar zu übergeben.
*) Nachschrift von Fichtes Hand zu dem gedruckten Zirku-
lar, das die Sendung der „Appellation" an bedeutende Gelehrte
begleitete. (Siehe S. i54 fF.)
VIII.
SCHILLER AN FICHTE
Jena, den 26. Januar 1799
MEINEN besten Dank für Ihre Schrift, verehrtester
Freund ! Es ist gar keine Frage, dass Sie sich dar-
in von der Beschuldigung des Atheismus vor jedem
verständigen Menschen völlig gereinigt haben, und
auch dem unverständigen Unphilosophen wird ver-
mutlich der Mund dadurch gestopft sein. Nur wäre
zu wünschen gewesen, dass der Eingang ruhiger abge-
fasst wäre, ja dass Sie dem ganzen Vorgange die Wich-
tigkeit und Konsequenz für Ihre persönliche Sicherheit
nicht eingeräumt hätten. Denn so, wie die hiesige Re-
gierung denkt, war nicht das Geringste dieser Art zu
befahren. Ich habe in diesen Tagen Gelegenheit ge-
habt, mit jedem, der in dieser Sache eine Stimme hat,
darüber zu sprechen, und auch mit dem Herzoge selbst
habe ich es mehrere Male getan. Dieser erklärte ganz
rund, dass man Ihrer Freiheit im Schreiben keinen Ein-
trag tun würde und könne, wenn man auch gewisse
Dinge nicht auf dem Katheder gesagt wünsche. Doch
ist dies letzte nur seine Privatmeinung, und seine Räte
würden auch nicht einmal diese Einschränkung ma-
chen. Bei solchen Gesinnungen musste es nicht den
Schiller an Fichte
i53
besten Eindruck auf die letztern machen, dass Sie so
viel Verfolgung befahren.*)
Auch macht man Ihnen zum Vorwurf, dass Sie den
Schritt ganz für sich getan haben, nachdem die Sache
doch einmal in Weimar anhängig gemacht worden.
Nur mit der weimarischen Regierung hatten Sie es zu
tun, und der Appell an das Publikum konnte nicht
stattfinden, als höchstens in betreff des Verkaufs Ihres
Journals, nicht aber in Rücksicht auf die Beschwerde,
welche Kursachsen gegen Sie zu Weimar erhoben,
und davon Sie die Folgen ruhig abwarten konnten.
Was meine besondere Meinung betrifft, so hätte
ich allerdings gewünscht, dass Sie Ihr Glaubensbe-
kenntnis über die Religion in einer besonderen Schrift
ruhig und selbst ohne die geringste Empfindlichkeit
gegen das sächsische Konsistorium abgelegt hätten.
Dagegen hätte ich, wenn ja etwas gegen die Konfis-
kation Ihres Journals gesagt werden musste, frei-
mütig und mit Gründen bewiesen, dass das Verbot
Ihrer Schrift, selbst wenn sie wirklich atheistisch wäre,
noch immer unstatthaft bleibe ; denn eine aufgeklärte
und gerechte Regierung kann keine theoretische Mei-
nung, welche in einem gelehrten Werke für Gelehrte
dargelegt wird, verbieten. Hierin würden Ihnen alle,
auch die Philosophen von der Gegenpartei, beigetreten
sein, und der ganze Streit wäre in ein allgemeines
Feld, für welches jeder denkende Mensch sich weh-
ren muss, gespielt worden.
Mündlich das Weitere! Leben Sie wohl, mein ver-
ehrter Freund! Ganz der Ihrige
Schiller.
*) Vgl. z. B. oben S. 96 die Wendung vom Scheiterhaufen.
IX.
FICHTE AN JACOBI
p. p.*)
DIE Angelegenheit, mit welcher ich durch die bei-
gelegte Schrift Sie näher bekannt zu machen
wage, gehört ohne Zweifel vor den Richterstuhl des
gelehrten und denkenden Publikums und fällt zu-
nächst der Beurteilung solcher Männer anheim, die
Ihnen gleichen. Wenn mich nicht alles täuscht, so ist
die Lehre, welche den Streit veranlasst hat, zum we-
nigsten einer ernsthaften und bedächtigen Erwägung
wert; auf alle Fälle aber kann über sie nur durch
Gründe, keineswegs aber durch Gewalt entschieden
werden. Man ist auf dem Wege, durch den öffent-
lichen Ausruf, dass sie atheistisch sei, dieselbe kurz
und gut tumultuarisch zu verurteilen; man ist auf
*) Zunächst folgt hier das gedruckte Schreiben, mit welchem
Fichte seine „Appellation an das Publikum" den bedeutend-
sten deutschen Theologen und Philosophen übersandte. Das
diesem Schreiben persönlich für Jacobi Hinzugefugte ist mit
Anführungszeichen bezeichnet. Vgl. LH. Fichte: J. G. Fichtes
Leben II * (1862) S. 170 f.
Fichte an Jacobi
i55
dem Wege, die Gewalt den Ausschlag gegen sie geben
zu lassen und eines sie volo, sie jubeo statt aller Grün-
de sich zu bedienen, indem nunmehr die Heraus-
geber und Verfasser der angeschuldigten Aufsätze
durch ein kurfürstlich sachsisches Requisitionsschrei-
ben bei den Herzogen zu Sachsen Ernestinischer Linie
angeklagt sind und über das begangene Verbrechen,
über den Frevel, der nur mit Unwillen vernommen
werden könne, und der alle angrenzenden Staaten in
Gefahr setze, gar kein Zweifel übrig gelassen, sondern
lediglich auf ernstliche Bestrafung angetragen wird,
und dies unter Bedrohungen gegen die Universität.
Die Angeklagten werden ohne Zweifel auch vor
dem Richterstuhle, vor welchen man sie zieht, Rechen-
schaft zu geben wissen, wenn man nur Rechenschaft
will ; aber ihr Hauptzweck muss sein, diese Sache vor
den wahren Gerichtshof derselben zurückzubringen.
Sie wollen keine günstigere Sentenz, als ihnen ge-
bührt, sie wollen ihren Richter nicht bestechen, sie
wollen nur wirklich vor ihn gestellt werden. Diese
Zurückstellung vor das wahre Tribunal ist — ich
glaube es und wage es zu denken, dass Sie es mit mir
glauben — eine allgemeine Angelegenheit. Das ge-
lehrte Publikum kann sich nicht sein Urteil, der ein-
zelne Gelehrte kann sich nicht das Recht, nur von
ihm beurteilt zu werden, entreissen lassen.
Ich ersuche Sie daher — und diese Bitte ist der
Zweck meines Schreibens — durch mündliche oder
schriftstellerische Ablegung Ihrer viel geltenden Stim-
me zur Zurückstellung und durch Verbreitung dieser
Schrift in Ihrem Wirkungskreise zur wirklichen Aus-
übung dieses Rechts beizutragen, und erbiete mich
Ihnen mit Wärme zu jedem literarischen Dienste in
1 56
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
meinem Zirkel und unterzeichne mich mit inniger
Hochachtung und wahrer Ergebenheit
Jena, den 18. Jan. 1799.
„als Ihren Verehrer"
J. G. Fichte.
„Habe ich bei Abfassung dieser Schrift an irgend-
einen Mann oft und lebhaft gedacht, habe ich ge-
wünscht, dass sie einem gefallen möchte, so waren Sie
es, Verehrungs würdiger.
„Bei Ihnen suche ich nicht Teilnahme, Verwendung
oder des etwas, sondern mehr, ich suche Freund-
schaft."
vvvvvvvvvvvwvvvvvvvvwvvvvwwvwvvwvvvvwvv^^
X.
JACOBI AN FICHTE*)
Nous sommes trop Cleves a l'egard de nous-memes,
et nous ne saurions nous comprendre.
Fenelon nach Augustinus.
„Wodurch gibt sich der Genius kund?" — Wodurch
sich der Schöpfer
Kundgibt in der Natur, in dem unendlichen All!
Klar ist der Äther, und doch von unergründlicher Tiefe ;
Offen dem Aug', dem Verstand bleibt er doch ewig ge-
heim.
Goethe.
Eutin, den 3. März 1799.
HEUTE, mein verehrungswürdiger Freund, geht
die sechste Woche an, seit ich auf einen heitern
Tag in meinem Innern, um an Sie zu schreiben, un-
geduldig und vergeblich warte; und heute, da ich un-
fähiger dazu bin als an keinem der vorhergegangenen,
setze ich die Feder mit dem festen Vorsatze an, sie
nicht eher niederzulegen, bis ich ausgeschrieben habe.
Was ich mir vorsetze mit diesem Vorsatz, den ich aus
Verzweiflung fasse, weiss ich selber nicht; er ist aber
*) Hamburg, bei Friedrich Perthes 1799. Abgedr. in Jacobis
Werken Bd. 3 (1816) S. 1 ff.
1 58
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
darum nur desto angemessener meiner Unphilosophie,
die ihr Wesen hat im Nicht- Wissen, wie Ihre Philo-
sophie allein im Wissen^ weswegen diese auch, nach
meiner innigsten Überzeugung, Philosophie im strenge-
ren Verstände allein genannt zu werden verdient.
Ich sage es bei jeder Gelegenheit und bin bereit, es
öffentlich zu bekennen, dass ich Sie für den wahren
Messias der spekulativen Vernunft, den echten Sohn
der Verheissung einer durchaus reinen, in und durch
sich selbst bestehenden Philosophie halte.
Unleugbar ist es Geist der spekulativen Philosophie
und hat darum von Anbeginn ihr unablässiges Be-
streben sein müssen, die dem natürlichen Menschen
gleiche Gewissheit dieser zwei Sätze: „Ich bin" und „Es
sind Dinge ausser mir", ungleich zu machen. Sie muss-
te suchen, den einen dieser Sätze dem andern zu un-
terwerfen; jenen aus diesem oder diesen aus jenem —
zuletzt vollständig — herzuleiten, damit nur ein We-
sen und nur eine Wahrheit werde unter ihrem Auge,
dem allsehenden! Gelang es der Spekulation, diese Ein-
heit hervorzubringen, indem sie das Ungleichmachen
so lange fortsetzte, bis aus der Zerstörung jener natür-
lichen eine andere künstliche Gleichheit desselben im
gewissen Wissen einmal offenbar vorhandenen Ich und
Nicht-Ich entsprang — eine ganz neue Kreatur, die ihr
durchaus angehörte! — gelang ihr dies: so konnte es
ihr alsdann auch wohl gelingen, eine vollständige Wis-
senschaft des Wahren alleintätig aus sich hervorzu-
bringen.
Auf diese Weise haben die zwei Hauptwege: Ma-
terialismus und Idealismus, der Versuch, alles aus einer
sich selbst bestimmenden Materie allein oder allein aus
einer sich selbst bestimmenden Intelligenz zu erklären,
Jacobi an Fichte
dasselbe Ziel ; ihre Richtung gegeneinander ist keines-
wegs divergierend, sondern allmählich annähernd bis
zur endlichen Berührung. Der spekulative, seine Meta-
physik ausarbeitende Materialismus muss zuletzt sich
von selbst in Idealismus verklären; denn ausser dem
Dualismus ist nur Egoismus als Anfang oder als Ende
— für die Denkkraft, die ausdenkt.
Wenig fehlte, so wäre eine solche Verklärung des
Materialismus in Idealismus schon durch Spinoza zu-
stande gekommen. Seine dem ausgedehnten wie dem
denkenden Wesen auf gleiche Weise zum Grunde lie-
gende, beide unzertrennlich verbindende Substanz, ist
nichts anderes als die unanschaubare,nur durchSchlüsse
zu bewährende absolute Identität selbst des Objektsund
Subjekts, auf welche das System der neuen Philosophie,
der unabhängigen Philosophie der Intelligenz gegründet
ist. Sonderbar, dass ihm nie der Gedanke entstand, sei-
nen philosophischen Kubus einmal umzustellen, die
oberste Seite, die Seite des Denkens, die er die objektive
— zu der untersten, die er die subjektive, formelle
nannte, zu machen und dann zu untersuchen, ob sein
Kubus auch noch dasselbe, ihm die einzige wahre phi-
losophische Gestalt der Sache bliebe. Unfehlbar hätte
sich ihm bei diesem Versuch unter den Händen alles
verwandelt; das Kubische, was ihm bisher Substanz
gewesen: die eine Materie zweier ganz verschiedener
Wesen — wäre vor seinen Augen verschwunden, und
aufgelodert wäre dafür eine reine, allein aus sich selbst
brennende, keiner Stätte wie keines nährenden Stoffs
bedürfende Flamme: transzendentaler Idealismus!
Ich wählte dieses Bild, weil ich durch die Vor-
stellung eines umgekehrten Spinozismus meinen Ein-
gang in die Wissenschaftslehre zuerst gefunden habe.
I 6q J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Und noch immer ist ihre Darstellung in mir die Dar-
stellung eines Materialismus ohne Materie oder einer
Mathesis pura, worin das reine und leere Bewusstsein
den mathematischen Raum vorstellt.
Wie die reine Mathematik, das Ziehen einer gera-
den Linie (Bewegung also mit allem, was dieser Be-
griff voraussetzt und mit sich führt) — und die Kon-
struktion eines Zirkels (Massgebung, Fläche, Figur —
Qualität, Quantität usw.) — voraussetzend, mathe-
matische Körper ; dann eine ganze Welt aus nichts zu
erschaffen in Gedanken vermag, brauche ich nicht
erst darzulegen. — Also nur derjenige, der unwissend
und abgeschmackt genug wäre, Geometrie und Arith-
metik zu verachten; jene, weil sie keine Substanzen,
diese, weil sie keine Zahlenbedeutung, das Wert-
seiende nicht hervorbringt, nur ein solcher möchte
Transzendentalphilosophie verachten.
Ich verlange und erwarte von Fichte, dass er mich
aus Winken verstehe, das nickt flüchtig Gedachte aus
flüchtigen Worten, Zügen und hingeworfenen Bil-
dern. Dürfte ich das nicht, was für ein Buch müsste
ich schreiben ! Und nie in meinem Leben schriebe ich
ein solches Buch !
Und so fahre ich denn fort und rufe zuerst eifriger
und lauter Sie noch einmal unter den Juden der spe-
kulativen Vernunft für ihren König aus, drohe den
Halsstarrigen es an, Sie dafür zu erkennen, den Kö-
nigsberger Täufer aber nur als Ihren Vorläufer anzu-
nehmen*). Das Zeichen, welches Sie gegeben haben,
*) Jacobi hat in seinem „Vorberichte' 4 vor dem gedruckten
Briefe einige erklärende Zusätze zu seinen „sorglos hingewor-
fenen, obwohl nicht unerwogenen Urteilen über unsern gros-
sen Königsberger" gegeben. Da heisst es, dass mit der Be-
Jacobi an Fichte j g j
ist die Vereinigung des Materialismus und Idealismus
zu einem unteilbaren Wesen — ein Zeichen, nicht
ganz unähnlich jenem des Propheten Jonas.
Wie vor achtzehnhundert Jahren die Juden in Pa-
lästina den Messias, nach welchem sie so lange sich
gesehnt, bei seiner wirklichen Erscheinung verwar-
fen, weil er nicht mit sich brachte, woran sie ihn er-
kennen wollten ; weil er lehrte : es gelte weder Be-
schneidung noch Vorhaut, sondern eine neue Kreatur:
so haben auch Sie ein Stein des Anstosses und ein Fels
des Ärgernisses denen werden müssen, die ich Juden
der spekulativen Vernunft heisse. Nur einer bekannte
sich öffentlich und aufrichtig zu Ihnen, ein Israelite,
in dem kein Falsch ist, Nathanael Reinhold. Wäre ich
sein Freund nicht schon gewesen, ich wäre es damals
geworden. Auch ist seitdem noch eine ganz andere
Freundschaft, als bis dahin war, unter uns entstanden.
Ich bin ein Nathanael nur unter den Heiden. Wie
ich nicht zum alten Bunde gehörte, sondern in der
Zeichnung „Vorläufer" keine Herabsetzung Kants beabsichtigt
sei. „In dem gegenwärtigen Fall ist der Vorläufer offenbar
der Vornehmere. Fichte selbst hat sich hierüber, wie ein edler
Mann, schön und nachdrücklich erklärt und eher zuviel als
zuwenig Bescheidenheit bewiesen." (Hinweis auf die Vorrede
zu der Schrift: Über den Begriff der Wissenschaftslehre,
Seite V.) Da übrigens Jacobi „das Bewusstsein des Nichtwis-
sens für das Höchste im Menschen und den Ort dieses Bewusst-
seins für den der Wissenschaft unzugänglichen Ort des Wah-
ren" hält, so muss es ihm an Kant gefallen, „dass er sich lie-
ber am System als an der Majestät dieses Orts versündigen
wollte". Fichte hält sich, nach Jacobis Urteil, von dieser
Sünde nicht fern, wenn er in den Bezirk der Wissenschaft
diesen Ort einschliessen will.
Fichte 1 1
I 6 2 J * Fichtes Atheismus-Streit
Vorhaut blieb, so enthalte ich mich auch des neuen,
aus derselben Unfähigkeit oder Verstockung. Wirk-
lich hat ein überschwenglicher Jünger Ihrer Lehre und
mein Seelsorger den Nagel, wie man zu sagen pflegt, auf
den Kopf getroffen, da er mir den Mangel des bloss lo-
gischen Enthusiasmus vorwarf, welcher der Alleingeist
der Alleinphilosophie wäre, so wie er ehemals in Sokrates
das eigentlich Sokratische gewesen.*) Er hat vollkommen
recht, indem er sagt, es sei nur ein betrüglicher Schein,
wenn ich zu den Alleinphilosophen zu gehören und
auch die Lehre vorn kategorischen Imperativ anzu-
*) [Note Jacobis:] Dieses Urteil ist von Herrn Nicolai in seiner
neuesten Schrift, worin er, notgedrungen, einmal — endlich
von sich selbst reden und beinahe sich loben muss, bestätigt
und dem Verf. der Briefe über die Lehre des Spinoza vorge-
worfen worden (s. Meine [Herrn Nicolais] gelehrte Bildung
S. 4 2 ) fi^ass er keinen Sinn dafür zu haben scheine, Untersuchun-
gen bloss um des Untersuchens willen anzustellen", ein dem so rein
und durch und durch gymnastischen „in der Mitte zwischen
pro und contra stark gewordenen Geiste Nicolais" höchst an-
stössiges Gebrechen ! Uneigennützig in Absicht der Wahrheit
verschmäht er ihre Beute, wenigstens die spekulative, und
ehrt, rein philosophisch, nur die athletische Konstitution, die
man im Ringen ewig bloss um die Wahrheit herum gewinnt.
Aufrichtig unterschreibe ich das über mich gefällte Urteil
dieser zwei gleich vortrefflichen, in Absicht der Wahrheit
gleich uneigennützigen, gleich billigen und bescheidenen —
Enthusiasten des bloss logischen Enthusiasmus als gerecht. Mit mei-
ner eigennützigen Gemütsart in Absicht des Wahren geht es
wohl noch weiter, als sie dachten. Manches Neue darüber ent-
deckt der Brief an Fichte. Ich will es aber, um mein Gewissen
zu reinigen, künftig noch mehr an den Tag bringen, mich
noch ganz blos geben im Angesicht der Welt mit meinem
Mangel an philosophischer Virtuosität vor jenen echten Vir-
tuosen und weisen Meistern.
Jacobi an Fichte
i63
nehmen in meinen Schriften hie und da das Ansehen
hätte : ich wäre überall im Grunde unrein. Überhaupt
hat unser respektive Jünger und Seelsorger meine In-
dividualität von dieser Seite gut gefesst und mit Wahr-
heit behauptet, dass ich nur ein geborener Philosoph
und ein zufälliger Schriftsteller sei, unfähig, irgend-
wo, geschweige überall, die Gestalt allein zur Sache
zu machen, wie es sein sollte, weil dieses Machen selbst
alles in allem und ausser ihm Nichts sei.*)
Begriffen aber hat der Überschwengliche nicht, hat
nicht von weitem nur zu ahnen vermocht, welcher-
gestalt die Alleinphilosophie und meine Unphilosophie
durch den höchsten Grad der Antipathie miteinander
in Berührung kommen und im Moment der Berüh-
rung sich gewissermassen durchdringen. Sie, mein
Freund, haben dieses gefühlt, wie ich es gefühlt habe ;
*) [Note Jacobis :] S. das Journal Deutschland. Einziger Jahrgang,
und im 2. u. 8. Stück desselben (wenn ich recht behalten habe)
die Verurteilungen der zufälligen Ergiessungen und des Wolde-
mar. Da ich mich durch die öffentliche Bekanntmachung mei-
nes Briefes an Fichte gezwungen sehe, auf diese mich so sehr
demütigenden Strafreden selbst zu verweisen, so darf ich we-
nigstens nicht unterlassen, dem nachschlagenden Leser auf
Gewissen und Ehre zu versichern, dass der persönliche Stoff
dieser kritischen Kunstwerke (das geheime Historische darin)
aus der produktiven Einbildungskraft des Verfassers allein ge-
nommen ist. Auch bei den Zitaten war sie durchgängig im
Spiele. Diese Unwahrheiten, wenn man es so nennen will, sind
zufallig aus der poetisch-philosophischen Methode : erst den
Schriftsteller aus dem Menschen, alsdann wieder den Menschen
aus dem Schriftsteller herzuleiten, entsprungen ; also keine vor-
sätzliche Verleumdungen und Lügen. Diese abgerechnet ist alles
andere vortrefflich und verkündigte schon damals in seinem
Urheber, was heute erschienen ist : das Meisterwerk Lucinde,
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Sie haben mich für den erkannt, der an der Tür Ihres
Hörsaals, lange bevor er geöfihet wurde, Sie erwar-
tend stand und Weissagungen redete. Jetzt nehme ich
in diesem Hörsaal als ein privilegierter Ketzer und
im voraus von jedem Bannfluch ausgenommen, der
mich in Kategorien treffen könnte, einen ausgezeich-
neten Platz ein; ich darf, weil meine eigentliche wah-
re Meinung dem coge intrare der Wissenschaft offen-
bar mehr Vorschub als Abbruch tut, von meinem
Sessel sogar eigene Vorträge in Nebenstunden halten.
Beide nur im Geiste lebend und redliche Forscher
auf jede Gefahr, sind wir daneben, denke ich, auch
noch über den Begriff der Wissenschaft einverstanden
genug; dass sie nämlich — die Wissenschaft als sol-
che — in dem Selbsthervorbringen ihres Gegenstan-
des bestehe ; nichts anderes sei als dieses in Gedanken
Hervorbringen selbst; dass also der Inhalt jeder Wis-
senschaft, als solcher, nur ein inneres Handeln sei und
die notwendige Art und Weise dieses in sich jreien Han-
delns ihr ganzes Wesen ausmache. Jede Wissenschaft,
sage ich, ist ein Objekt-Subjekt nach dem Urbilde des
Ich, welches Ich allein Wissenschaft an sich und da-
durch Prinzip und Auflösungsmittel aller Erkenntnis-
gegenstände, das Vermögen ihrer Destruktion und
Konstruktion, in bloss wissenschaftlicher Absicht, ist.
In allem und aus allem sucht der menschliche Geist
nur sich selbst, Begriffe bildend, wieder hervor; stre-
bend und widerstrebend ; unaufhörlich vom augen-
blicklichen bedingten Dasein, das ihn gleichsam ver-
schlingen will, sich losreissend, um sein Selbst- und
Insichsein zu retten, es alleintätig und mit Freiheit
fortzusetzen. Diese Tätigkeit der Intelligenz ist in ihr
eine notwendige Tätigkeit; sie ist nicht, wo diese Tä-
Jacobi an Fichte
i65
tigkeit nicht ist. — Es wäre also die grösste Torheit,
bei dieser Einsicht, die 'Begierde nach Wissenschaft
in sich oder anderen hemmen zu wollen, die grösste
Torheit, zu glauben, man könne das Philosophieren
auch wohl übertreiben. Das Philosophieren übertreiben,
hiesse — die Besinnung übertreiben.
Beide wollen wir also mit ähnlichem Ernst und
Eifer, dass die Wissenschaft des Wissens — welche
in allen Wissenschaften das Eine, die Weltseele in
der Erkenntniswelt ist — vollkommen werde: nur
mit dem Unterschiede, dass Sie es wollen, damit sich
der Grund aller Wahrheit als in der Wissenschaft des
Wissens liegend zeige, ich, damit offenbar werde, die-
ser Grund : das Wahre selbst, sei notwendig ausser ihr
vorhanden. Meine Absicht ist aber der Ihrigen auf
keine Art im Wege, so wie Ihre nicht der meinen,*) weil
ich zwischen Wahrheit und dem Wahren unterscheide.
Sie — nehmen von dem, was ich mit dem Wahren
meine, keine Notiz und dürfen, als Wissenschaftslehrer,
keine davon nehmen — auch nach meinem Urteil.
Am 6ten März.
Wenn ich mir Wort halten und den Vorsatz aus-
führen soll, Feder, Hand und Augen nicht eher ge-
flissentlich zu etwas anderem zu gebrauchen, bis ich
dieses Schreiben zu Ende gebracht habe, so muss ich
einen zweiten verwegenen Entschluss fassen, diesen
nämlich: noch rhapsodischer, noch mehr im Heu-
schreckengange meinen Weg fortzusetzen, Ihnen
nichts als Stückwerk von Gedankenverbindungen vor-
zulegen, aus denen Sie meinen Verstand und Unver-
stand so gut herauslesen mögen, als es tunlich ist.
Mein körperliches Befinden, meine ganze gegen-
*) Vgl. unten S. 195.
i66
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
wärtige Lage, lassen mir nur die Wahl, entweder
das Schreiben an Sie auf Gott weiss wie lange zu ver-
schieben oder mir auf die gesagte Weise zu helfen.
— Mich preiszugeben, mich Ihnen darzustellen, ganz
so wie ich bin, damit Sie von Grund aus wüssten,
was Sie an mir hätten, war meine Absicht; aber un-
gern erscheine ich, da ich in meinem ganzen Ver-
mögen so wenig bin, vor dem Manne von beispiel-
loser Denkkraft und mit jeder andern Geistesgabe in
so hohem Grade ausgerüstet, — ungern erscheine ich
vor diesem Gewaltigen so ohnmächtig, von mir selbst
nur ein Schatten. — Doch es sei darum! — Ich be-
ginne mein Unwesen.
Das Geheimnis der Identität und Verschiedenheit
zwischen Fichte und mir, unserer philosophischen
Sympathie und Antipathie, müsste, deucht mir, je-
dem offenbar werden, der nur die einzige Epistel an
Erhard 0. hinter Allwills Brief Sammlung recht zu
lesen und sie durchaus zu verstehen sich bemühen
wollte.
Ich kann mich dergestalt auf Fichtes Standpunkt
versetzen und mich darauf intellektuell isolieren, dass
ich mich fast schäme, anderer Meinung zu sein, und
kaum meine Einwürfe wider sein System vor mir selbst
aussprechen mag. Ich kann aber auch auf meinen ent-
gegengesetzten Standpunkt eine solche Schwerkraft,
Festigkeit und Haltung fühlen, dass ich mich an ihm
ärgern und, fast zornig über sein künstliches Von-Sinnen-
Kommen, wodurch ich, seinem Beispiele folgend, von
meinem natürlichen JFaAn-Sinn mich befreien soll,
ihm aus Ungeduld — nicht den Sparren zu viel, sondern
das Oder desselben, den Sparren zu wenig, herzhaft
Jacobi an Fichte | 5 »y
an den Hals werfe. Ich beklage mich nicht, wenn
Richte mir dagegen den Sparren zuviel an den Kopf
wirft.
Eine reine, das ist, durchaus immanente Philosophie,
«ine Philosophie aus einem Stück, ein wahrhaftes Ver-
nunft-Astern ist auf die Fichtesche Weise allein mög-
lich. Offenbar muss alles in und durch Vernunft, im
Ich als Ich, in der Ichheit allein gegeben und in ihr
schon enthalten sein, wenn reine Vernunft allein, aus
«ich allein, soll alles herleiten können.
Von Vernunft ist die Wurzel V ernehmen. — Reine
Vernunft ist ein Vernehmen, das nur sich selbst ver-
nimmt. Oder: die reine Vernunft vernimmt nur sich.
Das Philosophieren der reinen Vernunft muss also
ein chemischer Prozess sein, wodurch alles ausser ihr
in nichts verwandelt wird und sie allein übrig lässt —
einen so reinen Geist, dass er, in dieser seiner Reinheit,
selbst nicht sein, sondern nur alles hervorbringen kann ;
dieses aber wieder in einer solchen Reinheit, dass es
ebenfalls selbst nicht sein, sondern nur als im Hervor-
bringen des Geistes vorhanden, angeschaut werden
kann: das Gesamte eine blosse Tat-Tat.
Alle Menschen, insofern sie überhaupt nach Erkennt-
nis streben, setzen sich, ohne es zu wissen, jene reine
Philosophie zum letzten Ziele; denn der Mensch er-
kennt nur, indem er begreift, und er begreift nur, in-
dem er — Sache in blosse Gestalt verwandelnd —
"Gestalt zur Sache, Sache zu nichts macht.
Deutlicher!
Wir begreifen eine Sache nur, insofern wir sie kon-
i68
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
struieren, in Gedanken vor uns entstehen, werden lassen
können. Insofern wir sie nicht konstruieren, in Gedan-
ken nicht selbst hervorbringen können, begreifen wir
sie nicht. (Br. über Spinoza S. 402 ff., vornehmlich
die Note S. 4*9 £)
Wenn daher ein Wesen ein von uns vollständig be-
griffener Gegenstand werden soll, so müssen wir es
objektiv — als für sich bestehend — in Gedanken auf-
heben, vernichten, um es durchaus subjektiv, unser ei-
genes Geschöpf — ein blosses Schema — werden zu
lassen. Es darf nichts in ihm bleiben und einen wesent-
lichen Teil seines Begriffs ausmachen, was nicht un-
sere Handlung, jetzt eine blosse Darstellung unserer
produktiven Einbildungskraft wäre.
Der menschliche Geist also, da sein philosophischer
Verstand schlechterdings nicht über sein eigenes Her-
vorbringen hinausreicht, muss, um in das Reich der
Wesen einzudringen, um es mit dem Gedanken zu er-
obern, Welt-Schöpfer und — sein eigener Schöpfer
werden. Nur in dem Masse, wie ihm das letzte gelingt,
wird er in dem ersten Fortgang spüren. Aber auch
sein eigener Schöpfer kann er nur unter der angege-
benen allgemeinen Bedingung sein: er muss sich dem
Wesen nach vernichten, um allein im Begriffe zu ent-
stehen, sich zu haben : in dem Begriffe eines reinen
absoluten Ausgehens und Eingehens, ursprünglich
— aus nichts, zu nichts, für nichts, in nichts, oder
dem Begriffe einer Pendel- Bewegung , die als solche,
weil sie Pendel-Bewegung ist, sich notwendig selbst
Schranken setzt im allgemeinen, aber bestimmte Schran-
ken nur hat, als eine besondere, durch eine unbegreif-
liche Einschränkung.
Jacobi an Fichte | ßg
Eine Wissenschaft, die sich selbst als Wissenschaft
allein zum Gegenstande und ausser diesem keinen In-
halt hat, ist eine Wissenschaft an sich. Das Ich ist
eine Wissenschaft an sich und die einzige : sich selbst
weiss es, und es widerspricht seinem Begriffe, dass es
ausser sich selbst etwas wisse oder vernehme usw.
usw. . . . Das Ich ist also notwendig Prinzip aller
anderen Wissenschaften und ein unfehlbares Men-
struum, womit sie alle können aufgelöst und ver-
flüchtigt werden in Ich, ohne irgend etwas von einem
caput mortuum — Nicht - Ich zu hinterlassen. — Es
kann nicht fehlen: wenn Ich allen Wissenschaften
ihre Grundsätze gibt, dass alle Wissenschaften aus
Ich müssen deduziert werden können: können sie
aus Ich allein alle deduziert werden, so müssen
in und durch Ich allein auch alle konstruiert werden
können, insofern sie konstruierbar, d. i. insofern sie
Wissenschaften sind.
Aller Reflexion liegt Abstraktion dergestalt zum
Grunde, dass Reflexion nur durch Abstraktion mög-
lich wird. Umgekehrt verhält es sich ebenso; beide
sind unzertrennlich und im Grunde eins, eine Hand-
lung des Auflösens alles Wesens in Wissen, progressive
Vernichtung (auf dem Wege der Wissenschaft) durch
immer allgemeinere Begriffe. Was nun auf diese
Weise involvierend vernichtet wurde, kann evolvierend
auch wieder hergestellt werden: vernichtend lernte
ich erschaffen. Dadurch nämlich, dass ich auflösend,
zergliedernd, zum Nichts-ausser-Ich gelangte, zeigte
sich mir, dass alles nichts war ausser meiner, nur auf
eine gewisse Weise eingeschränkten, freien Einbil-
dungskraft. Aus dieser Einbildungskraft kann ich
dann auch wieder hervorgehen lassen, alleintätig,
I »iq J. G. Fichtes Atheismus-Streit
alle Wesen, wie sie waren, ehe ich sie, als für sich
bestehend, für nichts erkannte.
In einem mutwilligen Augenblick vorigen Winter zu
Hamburg brachte ich das Resultat des Fichtischen Idea-
lismus in ein Gleichnis. Ich wählte einen Strickstrumpf.
Um sich eine andere als die gewöhnliche empirische
Vorstellung von dem Entstehen und Bestehen eines
Strickstrumpfs zu machen, braucht man nur den
Schluss des Gewebes aufzulösen und es an dem Fa-
den der Identität dieses Objekt-Subjekts ablaufen zu
lassen. Man sieht deutlich alsdann, wie dieses Indi-
viduum durch ein blosses Hin- und Herbewegen des
Fadens, d. i. durch ein unaufhörliches Einschränken
seiner Bewegung und Verhindern, dass er seinem Stre-
ben ins Unendliche hinaus folgte — ohne empirischen
Einschlag oder sonst eine Beimischung oder Zutat zur
Wirklichkeit gelangte.
Diesem meinem Strumpfe gebe ich Streifen, Blu-
men, Sonne, Mond und Sterne, alle mögliche Figuren
und erkenne, wie alles dieses nichts ist als ein Pro-
dukt der zwischen dem Ich des Fadens und dem Nicht-
Ich der Drähte schwebenden produktiven Einbildungs-
kraft der Finger. Alle diese Figuren mit dem Strumpf-
wesen zusammen sind, aus dem Standpunkte der Wahr-
heit betrachtet, der alleinige nackte Faden. Es ist
nichts in ihn geflossen, weder aus den Drähten, noch
aus den Fingern; er allein und rein ist jenes alles,
und es ist in allem jenen nichts ausser ihm; er ist es
ganz und gar, nur — mit seinen Bewegungen der Re-
flexion an den Drähten, die er, fortsetzend, behalten
hat und dadurch zu diesem bestimmten Individuum
geworden ist.
Jacobi an Fichte j -y |
Ich möchte hören, wie man diesem Strumpfwesen
abstreiten wollte, dass es mit allen seinen unendlichen
Mannigfaltigkeiten doch gewiss und wahrhaft nur sein
Faden, und dem Faden, dass er allein diese unend-
liche Mannigfaltigkeit sei. Dieser, wie ich schon gesagt
habe, braucht ja nur, die Reihe seiner Reflexionen
darlegend, zu seiner ursprünglichen Identität zurück-
zukehren, um es augenscheinlich zu machen, dass jene
unendliche Mann igfaltigkeit und mannigfaltige Unend-
lichkeit nichts als ein leeres Weben seines Webens
war und das einzig Reale nur er selbst mit seinem
Handeln aus, in und auf sich selbst. — Auch will er
diese Rückkehr, nämlich Befreiung von den ihm an-
klebenden Banden des Nicht-Ich; — und es ist nie-
mand da, der es nicht wüsste und erfahren hätte,
wie — alle Strümpfe die Tendenz haben, ihre Schran-
ken aufzuheben, um die Unendlichkeit auszufüllen:
höchst unbesonnen! da sie wohl wissen können, dass
es unmöglich ist, alles und zugleich eins und etwas
zu sein.
- Sollte dieses Gleichnis so unpassend sein, dass es in
seinem Erfinder einen groben Missverstand offenbar
verriete, so wüsste ich alsdann nicht, wie die neue
Philosophie wirklich eine neue und nicht bloss ein
veränderter Vortrag der alten irgendeinen Dualismus
so oder anders zum Grunde legenden Philosophie sein
wollte; sie wäre dann keine wahrhaft und aufrichtig
immanente, keine Philosophie aus einem Stück. Was
in der alten Wahrnehmung geheissen, heisse notwendiges
Einbilden in der neuen, bedeutete im Grunde aber
ganz dasselbe. Soll es auf irgendeine Weise nur das-
selbe bedeuten, so bleibt Empirie zuletzt doch oben,
sich zur Wissenschaft verhaltend, wie die lebendigen
1^2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Glieder zu ihren künstlichen Werkzeugen. Im mensch-
lichen Geiste muss alsdann ein höherer Ort als der Ort
des wissenschaftlichen Wissens angenommen werden,
und es wird von jenem auf diesen herabgesehen: „der
höchste Standpunkt der Spekulation ist" dann nicht
„der Standpunkt der Wahrheit."
Ich fürchte also jenen Vorwurf nicht. Viel eher
kann ich mir denken, dass die neue Philosophie mein
Gleichnis sich gefallen lasse und es zu ihrem Vorteil
anwende.
„Besinne dich," könnte sie zu mir sagen, „gehe in
dich! — Was sind alle Strümpfe, und was ist alles
Strumpftragen im Himmel und auf Erden gegen die
Einsicht in ihre Entstehung, gegen die Betrachtung
des Mechanismus, durch welchen sie überhaupt her-
vorgebracht werden ; gegen das Nacherfinden im All-
gemeinen und immer Allgemeineren ihrer Kunst: ein
Nacherfinden, durch welches die Kunst selbst, als
eigentliche Kunst, zuerst erschaffen wird. — Spotte
soviel du willst über diese reine Lust am reinen Wissen
allein des reinen Wissens, die ein bloss logischer Enthu-
siasmus nicht ganz unschicklich genannt worden ist:
wir leugnen nicht, dass wir in ihm selig sind, nichts
mehr fragen nach Himmel und Erde, und wenn uns
auch Leib und Seele verschmachtet, es nicht achten
aus jener hohen Liebe des Erkenntnisses — bloss des
Erkennens; der Einsicht — bloss des Einsehens; des
Tuns — bloss des Tuns. Spotte darüber kindisch un-
wissend, erbarmenswürdig, unterdessen wir dir un-
widerleglich dartun und nachweisen: — allem Ent-
stehen und Sein , unten vom niedrigsten Tiere an bis hin-
auf zum höchsten Heiligen und Beinah-Gott, liege not-
wendig zum Grande — ein bloss logischer Enthusias-
Jacobi an Fichte | ^ 3
mus, das ist: ein nur sich selbst vorhabendes und be-
trachtendes Handeln, bloss des Handelns und Betrach-
tens wegen, ohne anderes Subjekt oder Objekt; ohne in,
aus, für oder zu."
Ich antworte hierauf, indem ich bloss meinen Strumpf
wieder vorzeige und frage, was es mit ihm wäre, ohne
die Beziehung und Absicht auf ein menschliches Bein,
wodurch allein Ferstand in sein Wesen kommt; was
es sei, unten vom Tiere an bis zum Heiligen herauf,
mit einem blossen Weben eines Webens? — Ich sage aus,
dass meine Vernunft, mein ganzes Inwendiges auf-
fährt, schaudert, sich entsetzt vor dieser Vorstellung,
dass ich mich abwende von ihr, als von dem Gräss-
lichsten unter allen Grässlichkeiten — Vernichtung
anflehe, wie eine Gottheit, wider eine solche Danaiden-
und Ixionsseligkeit.
Unsere Wissenschaften, bloss als solche, sind Spiele,
welche der menschliche Geist zeitvertreibend sich er-
sinnt. Diese Spiele ersinnend, organisiert er nur seine
Unwissenheit, ohne einer Erkenntnis des Wahren auch
nur um ein Haar breit näher zu kommen. In einem
gewissen Sinne entfernt er sich dadurch vielmehr von
ihm, indem er bei diesem Geschäft sich über seine Un-
wissenheit bloss zerstreut, ihren Druck nicht mehr fühlt,
sogar sie lieb gewinnt, weil sie — unendlich ist, weil
das Spiel, das sie mit ihm treibt, immer mannigfaltiger,
ergötzender, grösser, berauschender wird. Wäre das
Spiel mit unserer Unwissenheit nicht unendlich und
nicht so beschaffen, dass aus jeder seiner Wendungen
ein neues Spiel entstände, so würde es uns mit der
Wissenschaft wie mit einem Nürnberger sog. Grillen-
spiel ergehen, das uns anekelt, sobald uns alle seine
j J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Gänge und möglichen Wendungen bekannt und ge-
läufig sind. Das Spiel ist uns dadurch verdorben, dass
wir es ganz verstehen, dass wir es wissen.
Und so begreife ich denn nicht, wie man an wissen-
schaftlicher Erkenntnis genug haben, auf alle Wahr-
heit ausser der wissenschaftlichen Verzicht tun und der
Einsicht, dass es keine andere Wahrheit gebe, sich er-
freuen kann — wenn man dieser Wahrheit, dem wissen-
schaftlichen Wissen wie Fichte auf den Grund gekom-
men ist und es ebenso klar zum wenigsten wie ich vor
Augen hat, dass wir im rein wissenschaftlichen Wesen
nur ein Spiel treiben mit leeren Zahlen — mit Zahl-
Zahlen, neue Sätze ausrechnen immer nur zum Weiter-
rechnen und es für abgeschmackt, lächerlich — er-
bärmlich halten müssen, nach einer Zahlen-Bedeutung,
einem Zahlen-Inhalt nur zu fragen. — Noch einmal,
kh begreife ihn nicht, den Jubel über die Entdeckung,
dass es nur Wahrheiten, aber nichts Wahres gebe, be-
greife nicht jene atterreinste Wahrheits-Ziefee, die des
Wahren selbst nicht mehr bedarf — göttlich selbst-
genugsam dadurch, dass sie aus dem Betrüge des Wahren
in die reine wesentliche Wahrheit des Betruges, über-
gegangen ist. — Sie hat den Gott insgeheim vorsichtig
beleuchtet — er verschwand nicht ; denn er war nicht.
Psyche weiss nun das Geheimnis, das ihre Neugier so
lange unerträglich folterte, sie weiss nun, die Selige!
alles ausser ihr ist nichts und sie selbst nur ein Gespenst;
ein Gespenst nicht einmal von etwas, sondern ein Ge-
spenst an sich, ein reales Nichts, ein Nichts der Realität.
Alle Wissenschaften sind zuerst als Mittel zu anderen
Zwecken entstanden, und Philosophie im eigentlichen
Verstände, Metaphysik, ist davon nicht ausgenommen.
Jacobi an Fichte 1^5
Alle Philosophen gingen darauf aus, hinter die Gestalt
der Sache, das ist zur Sache selbst, hinter die Wahrheit,
das ist zum Wahren zu kommen; sie wollten das Wahre
missen — unwissend, dass, wenn das Wahre menschlich
gewusst werden könnte, es aufhören müsste, das Wahre
zu sein, um ein blosses Geschöpf menschlicher Erfin-
dung, eines Ein- und Ausbildens wesenloser Ein-
bildungen zu werden.
Von dieser Unwissenheit und Anmassung haben uns
die zwei grossen Männer Kant und Fichte befreit, von
Grund aus erst der letzte. Sie haben die höhere Me-
chanik des menschlichen Geistes entdeckt, im Intellek-
tualsystem die Theorie der Bewegungen in widerstehen-
den Mitteln vollständig dargelegt und in einer anderen
Sphäre geleistet, was Huygens und Newton vormals
in der ihrigen. Durch diese neuesten Entdeckungen
ist einer unnützen und verderblichen Verschwendung
der menschlichen Kraft auf immer Einhalt geschehen,
ein Weg zu irren ganz abgeschnitten worden. Niemand
kann von nun an mehr mit der Vernunft, verzeihlich,
schwärmen, niemand mehr hoffen, wohl endlich doch
noch die wahre Kabbala zu finden und mit Buchstaben
und Ziffern Wesen und lebendige Kräfte hervorzubrin-
gen. — Wahrlich eine grosse Wohltat für unser Ge-
schlecht, wenn es nicht, in der Wissenschaft seiner Un-
wissenheit jetzt sich vergessend, selig sein will darin
allein, dass es mit beiden Augen emsig nur nach der
Spitze seiner Nase schielt.
Ich verstehe unter dem Wahren etwas, was vor und
ausser dem Wissen ist, was dem Wissen und dem V er-
mögen des Wissens, der V ernun ft, erst einen Wert gibt.
Vernehmen setzt ein Vernehmbares, Vernunft das
I »yg J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Wahre zum voraus; sie ist das Vermögen der Voraus-
setzung des Wahren. Eine das Wahre nicht voraus-
setzende Vernunft ist ein Unding.
Mit seiner Vernunft ist dem Menschen nicht das
Vermögen einer Wissenschaft des Wahren, sondern
nur das Gefühl und Bewusstsein seiner Unwissenheit
desselben : Ahnung des Wahren gegeben.
Wo die Weisung auf das Wahre fehlt, da ist keine
Vernunft. Diese Weisung, die Nötigung, das ihr nur
in Ahnung vorschwebende Wahre als ihren Gegen-
stand, als die letzte Absicht aller Begierde nach Er-
kenntnis zu betrachten, macht das Wesen der Ver-
nunft aus. Sie ist ausschliessend auf das unter den
Erscheinungen Verborgene, auf ihre Bedeutung ge-
richtet, auf das Sein, welches einen Schein nur von
sich gibt, und das wohl durchscheinen muss in den Er-
scheinungen, wenn diese nicht An-sich-Gespenster, Er-
scheinungen von nichts sein sollen.
Dem wahren Wesen, auf welches die Vernunft aus-
schliessend als auf ihren letzten Zweck gerichtet ist,
setzt sie Wesen der Einbildungskraft kontradiktorisch
entgegen. Sie unterscheidet nicht bloss zwischen Ein-
bildungen und Einbildungen, etwa notwendigen und
freien — sondern absolut. Sie setzt entgegen wahres
Wesen dem Wesen der Einbildungskraft, wie sie das
Wachen dem Träumen entgegensetzt. Mit dieser un-
mittelbaren apodiktischen Unterscheidung zwischen
Wachen und Träumen, zwischen Einbildung und
wahrem Wesen, steht oder fallt die Vernunft.
Wenn der Mensch abgeschnitten wird von der in
der sinnlichen Welt, die ihn umgibt, ausgedrückten,
seine Einbildungskraft mit Gewalt ordnenden Vernunft,
wenn er von Sinnen kommt im Traume, im Fieber, —
Jacobi an Fichte j -j >-j
tvahn-sirmig wird, so verhindert ihn nicht die ihm
überall beiwohnende eigene reine Vernunft das Un-
gereimteste zu denken, anzunehmen, für gewiss zu
halten. Er kommt von Verstände und verliert seine
menschliche Vernunft, sowie er von Sinnen kommt,
sowie das Wahr-Nehmen ihm unmöglich wird: denn
seine eingeschränkte menschliche Vernunft ist lauter
Wahr-Nehmung, innere oder äussere, mittelbare oder
unmittelbare, aber, als vernünftige (eine schon durch
den buchstäblichen Sinn des Worts gegebene Bestim-
mung:) — Wahrnehmung mit Besimmung und Ab-
sicht, ordnende, fortsetzende, tätige, freiwillige —
ahnungsvolle.
Eine nicht bloss wahr-nehmende, sondern alleWahr-
heit aus sich allein hervorbringende Vernunft, eine
Vernunft, welche das Wesen selbst der Wahrheit ist
und in sich die V ollkommenheit des Lebens hat — eine
solche selbständige Vernunft, die Fülle des Guten und
Wahren, muss allerdings vorhanden sein, oder es wäre
überall weder Gutes noch Wahres vorhanden, die
Wurzel der Natur und aller Wesen wäre ein reines
Nichts und dieses grosse Geheimnis zu entdecken die
letzte Absicht der Vernunft.
So gewiss ich Vernunft besitze, so gewiss besitze
ich mit dieser meiner menschlichen Vernunft nicht
die Vollkommenheit des Lebens, nicht die Fülle des
Guten und des Wahren ; und so gewiss ich dieses mit
ihr nicht besitze und es weiss, so gewiss weiss ich, es
ist ein höheres Wesen, und ich habe in ihm meinen
Ursprung. Darum ist denn auch meine und meiner
Vernunft Losung nicht: Ich, sondern: Mehr als ich!
Besser als ich ! — ein ganz anderer.
Ich bin nicht, und ich mag nicht sein, wenn Er
Fichte , 0
I »y$ J. G. Fichles Atheismus-Streit
nicht ist! — Ich seihst, wahrlich! kann mein höchstes
Wesen mir nicht sein ... So lehret mich meine Ver-
nunft instinktmässig: Gott. Mit unwiderstehlicher
Gewalt weist das Höchste in mir auf ein Allerhöch-
stes über und ausser mir, es zwingt mich, das Unbe-
greifliche — ja das im Begriff Unmögliche zu glauben,
in mir und ausser mir, aus Liebe, durch Liebe.
Weil die Vernunft im Auge der Gottheit Gott not-
wendig vor Augen hat, deswegen halten wir sie höher
als das Selbst im gemein sinnlichen Verstände, und in-
sofern mag es denn auch Sinn haben und für Wahr-
heit gelten: „dass Vernunft Zweck, Persönlichkeit nur
Mittel sei."
„Gott ist," sagt erhaben Timaeus, „was überall
das Bessere hervorbringt," — der Ursprung und die
Gewalt des Guten.
Aber das Gute — was ist es? — Ich habe keine
Antwort, wenn kein Gott ist.
Wie mir diese Welt der Erscheinungen, wenn sie
in diesen Erscheinungen alle ihre Wahrheit und keine
tieferliegende Bedeutung — wenn sie nichts ausser
ihr zu offenbaren hat, zu einem grässlichen Gespenste
wird, vor welchem ich das Bewusstsein, worin dieser
Greuel mir entsteht, verfluche und Vernichtung da-
wider wie eine Gottheit anrufe : ebenso wird mir auch
alles, was ich gut, schön und heilig nannte, zu einem
meinen Geist nur zerrüttenden, das Herz mir aus dem
Busen reissenden Undinge, sobald ich annehme, dass
es ohne Beziehung in mir auf ein höheres wahrhaftes
Wesen, nicht Gleichnis allein und Abbildung desselben
in mir ist, wenn ich überall in mir nur ein leeres Be-
wusstsein und Gedicht haben soll.
Ich gestehe also, dass ich das an sich Gute nicht
Jacobi an Fichte 1 79
kenne, sondern auch von ihm nur eine ferne Ahnung
habe, erkläre, dass es mich empört, wenn man mir
den Willen, der nichts will, diese hohle Nuss der Selb-
ständigkeit und Freiheit im absolut Unbestimmten,
dafür aufdringen will und mich, wenn ich ihn dafür
anzunehmen widerstrebe, des Atheismus, der wahren
und eigentlichen Gottlosigkeit beschuldigt.
Ja, ich bin der Atheist und Gottlose, der, dem Wil-
len, der nichts will, zuwider — lügen will, wie Des-
demona sterbend log; lügen und betrügen will, wie der
für Orest sich darstellende Pylades, morden will, wie
Timoleon; Gesetz und Eid brechen wie Epaminondas,
wie Johann de Wit; Selbstmord beschliessen wie Otho \
Tempelraub begehen wie David — ja, Ähren aus-
raufen am Sabbath auch nur darum, weil mich hungert
und das Gesetz um des Menschen willen gemacht ist,
nicht der Mensch um des Gesetzes willen. Ich bin dieser
Gottlose und spotte der Philosophie, die mich des-
wegen gottlos nennt, spotte ihrer und ihres höchsten
Wesens: denn mit der heiligsten Gewissheit, die ich
in mir habe, weiss ich — dass das privilegium aggra-
tiandi wegen solcher Verbrechen wider den reinen
Buchstaben des absolut allgemeinen Vernunftgesetzes
das eigentliche Majestätsrecht des Menschen, das Sie-
gel seiner Würde, seiner göttlichen Natur ist.
Lehret mich nicht, was ich weiss und besser, als
euch lieb sein möchte, darzutun verstehe, nämlich
dass jener Wille, der nichts will, jene unpersönliche
Persönlichkeit, jene blosse Ichheit des Ich ohne Selbst —
dass, mit einem Worte, lauter reine und bare Unwesen-
heiten notwendig zum Grunde gelegt werden müssen,
wenn — ein allgemeingültiges, streng wissenschaftliches
System der Moral zustande kommen soll. Dem siehe-
jgo J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ren Gange der Wissenschaft zuliebe müsst ihr — o
ihr könnt nicht anders! — einem Lebendigtoten der
Vernünftig keit das Gewissen (den gewisseren Geist)
unterwerfen, es fc/iW-gesetzlich, taub, stumm und fühl-
los machen, müsst seine lebendige Wurzel, die das Herz
des Menschen ist, bis zur letzten Faser von ihm ab-
reissen — ja, bei allen euern Himmeln und so wahr
Kategorien allein euch Apollo und die Musen sind, ihr
müsst, denn nur so werden unbedingt allgemeine Ge-
setze, Regeln ohne Ausnahme und starrer Gehorsam
möglich — so allein w r eiss das Gewissen überall auch
äusserlich gewiss und weist, eine hölzerne Hand, nach
allen Heerstrassen unfehlbar recht — von dem Lehr-
stuhl aus.
Aber will ich denn, dass keine allgemeine, streng
erwiesene Pflichtenlehre aufgestellt werde, welches
nur in und über einem reinen Vernunft System gesche-
hen kann? Verkenne ich den Wert, leugne ich den
Nutzen einer solchen Disziplin? Oder bestreite ich die
Wahrheit und Erhabenheit des Grundsatzes, von dem
die Sittenlehre der reinen Vernunft ausgeht? Keines-
wegs ! Das Moralprinzip der Vernunft : Einstimmigheit
des Menschen mit sich selbst; stete Einheit — ist das
Höchste im Begriffe; denn es ist diese Einheit die ab-
solute, unveränderliche Bedingung des vernünftigen
Daseins überhaupt, folglich auch alles vernünftigen
und freien Handelns ; in ihr und mit ihr allein hat
der Mensch Wahrheit und höheres Leben. Aber diese
Einheit selbst ist nicht das Wesen, ist nicht das Wahre.
Sie selbst, in sich allein, ist öde, wüst und leer. So
kann ihr Gesetz auch nie das Herz des Menschen
werden und ihn über sich selbst wahrhaft erheben,
und wahrhaft über sich selbst erhebt den Menschen
Jacobi an Fichte
iSi
denn doch nur sein Herz, welches das eigentliche
Vermögen der Ideen — der nicht leeren, ist. Dieses
Herz soll Tranzsendentalphilosopie mir nicht aus der
Brust reissen und einen reinen Trieb allein der Ichheit
an die Stelle setzen ; ich lasse mich nicht befreien von
der Abhängigkeit der Liebe, um allein durch Hochmut
selig zu werden. — Ist das Höchste, worauf ich mich
besinnen, was ich anschauen kann, mein leer und
reines, nackt und blosses Ich, mit seiner Selbständig-
keit und Freiheit, so ist besonnene Selbstanschauung,
so ist Vernünftigkeit mir ein Fluch — ich verwünsche
mein Dasein.
Hier musste ich abbrechen oder ein Buch aus die-
sem Briefe machen wollen. Die wenigen Worte, die
ich über Moralität hingeworfen habe, hätte ich
nicht gewagt, wenn ich nicht aus meinen Schriften,
wenigstens notdürftig, über sie zurechtweisen könnte.
Ich erwarte also von Ihrer Freundschaft, dass Sie, um
mich nicht auf eine Weise, die mich kränken würde,
misszuverstehen, in meinen Schriften nachschlagen
und von neuem lesen wollen auf meine Bitte, was ich
hier anzeigen will. I . Die Aphorismen über Nichtfrei-
heit und Freiheit, die ich der Vorrede zu der neuen
Ausgabe der Briefe über Spinoza eingeschaltet habe.
2. Die Anmerkung S. XVII — XIX in der Vorrede zu
Allwill und in demselben Buche die Seiten 295 — 3oo.
3. Im ersten Teile des Woldemar S. 1 38 — 141. Um
dies alles zu lesen, brauchen Sie kaum eine halbe
Stunde; die müssen Sie mir aufopfern*).
*) Jacobi hat dem gedruckten Briefe noch verschiedene Bei-
lagen (S. 59 ff.) und in einem Anhange (S. 79 — 106) Auszüge
aus seinen Werken beigegeben. Hier wollen wir diesen Aus-
l82
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Eben diese Stellen beweisen auch, dass mir das
Kantische Sittengesetz nie etwas anderes als der not-
wendige Trieb der Übereinstimmung mit uns selbst,
das Gesetz der Identität gewesen ist. Ich habe nie be-
griffen, wie man in dem kategorischen Imperativ, der
so leicht zu deduzieren ist (Briefe über Spinoza, Vor-
rede S. XXXIII— XXXIV), etwas Geheimnisvolles und
Unbegreifliches finden und es unternehmen konnte,
nachher mit diesem Unbegreiflichen die Lückenbüsser
der theoretischen Vernunft zu Bedingungen der Rea-
lität der Gesetze der praktischen zu machen. In keiner
Philosophie habe ich für mich ein grösseres Ärgernis
als dieses angetroffen. Stellen Sie sich also meinen
Jubel bei der Erscheinung Ihrer Schrift über die Be-
stimmung der Gelehrten vor, worin ich die vollkom-
menste Übereinstimmung mit meinen Urteilen über
diesen Gegenstand gleich auf den ersten Blättern fand.
Aus eben diesem Grunde aber, wie nicht vorher:
so habe ich auch nachher nicht diesen Identitätstrieb
zu meinem höchsten Wesen machen und ihn allein
lieben und anbeten können.
Und so überhaupt und durchaus bin ich noch der-
selbe, der in den Briefen über Spinoza von dem Wun-
der der Wahrnehmung und dem unerforschlichen
Geheimnis der Freiheit ausging und es wagte, auf diese
Weise mit einem Salto mortale nicht so wohl seine
Philosophie zu begründen als vielmehr seinen unphilo-
sophischen Eigensinn der Welt tollkühn vor Augen
zu legen.
Da ich ausserhalb des Naturmechanismus nichts
als Wunder, Geheimnisse und Zeichen antreffe und
führungen, nicht nachgehen, um nicht allzu weit abzuschwei-
fen.
Jacobi an Fichte
i83
einen schrecklichen Abscheu vor dem Nichts, dem
absolut Unbestimmten, dem durch und durch Leeren
— (diese drei sind eins, das Platonische Unendliche!)
— zumal als Gegenstand der Philosophie oder Absicht
der Weisheit habe, im Ergründen des Mechanismus
aber, sowohl der Natur des Ichs als des Nicht-Ichs,
zu lauter An-sich- Nichts gelange und davon in meinem
transszendentalen Wesen (persönlich sozusagen) an-
gegangen, ergriffen und mitgenommen werde, dass
ich sogar, um das Unendliche auszuleeren, es muss
er Julien wollen als ein unendliches Nichts, ein reines
Ganz-und-gar-an-und- fur-sich, wäre es nur nicht un-
möglich! — da es, sage ich, so mit mir und der
Wissenscliaft des Wahren, oder richtiger, der wahren
Wissenschaft beschaffen ist: so sehe ich nicht ein,
warum ich nicht, wäre es auch nur in fugam vacui,
meine Philosophie des Nicht-Wissens dem philoso-
phischen Wissen des Nichts sollte aus Geschmack vor-
ziehen dürfen. Ich habe ja nichts wider mich als das
Nichts, und mit ihm können auch Chimären sich wohl
noch messen.
Wahrlich, mein lieber Fichte, es soll mich nicht
verdriessen, wenn Sie oder wer es sei, Chimärismus
nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Ni-
hilismus schelte, entgegensetze*). — Mein Nicht-Wis-
*) Jacobi will hier den kritischen Idealismus der Erkenntnis-
theorie Fichtes Nihilismus schelten. Johann Gottlieb Fichte
selbst, des Atheismiis beschuldigt, offenbart seinen religiösen
Sinn gerade dadurch, dass ihm das Göttliche nicht jenseits von
der Welt in Nichts verschwindet, sondern die Welt in Nichts
verschwindet jenseits des Göttlichen. Der Begriff des Göttlichen,
dessen all-zersprengende Attribute in der religiösen Innerlich-
keit postuliert werden, kann nicht in den Begriff des All, des-
I g ^ J. G. Fichtcs Atheismus-Streit
sen habe ich in allen meinen Schriften zur Schau ge-
tragen, ich habe mich gerühmt, unwissend zu sein
dergestalt mit Wissen, in so hohem Grade vollkom-
men und ausführlich, dass ich den blossen Zweifler
verachten dürfte. *) — Mit Ernst und Inbrunst habe
ich von Kindesbeinen an nach Wahrheit gerungen
wie wenige, habe mein Unvermögen erfahren wie
wenige — und mein Herz ist milde davon geworden — o
sehr milde, mein lieber Fichte — und meine Stimme
so leise. Wie ich als Mensch ein tiefes Mitleiden ha-
be mit mir selbst, so habe ichs mit andern. Ich bin
duldsam ohne Mühe, aber dass ich es ohne Mühe wahr-
haft bin, kostet mir viel. Leicht wird über mir die
Erde sein — in kurzem.
Mein Herz wird weich, indem ich dieses schreibe.
Ich möchte mich aufmachen und zu Ihnen eilen, um
Auge in Auge, Brust an Brust Ihnen meine ganze
Seele zu offenbaren. Dies war mein Gefühl, mein
heisses Verlangen beim Lesen der von Ihrer Hand
geschriebenen Zeilen unter dem gedruckten Briefe;
sie bewegten mich tief. Noch tiefer bewegte, er-
schütterte mich die Anrede in Ihrer Schrift. [Vergl.
oben S. 142.] Die Hand, die Sie zutrauensvoll fassen,
antwortet Ihnen mit freundschaftlichem Druck. Und
so würde es sein, wenn ich auch Ihre Lehre, gleich
der Lehre des Spinoza, atheistisch nennen müsste ; ich
sen irreligiöse Bedingungsstruktur die Zusammenziehungeines
unendlichen Stoffes der Betrachtung in eine Einheit fordert,
hineingenommen werden. In der Alternative, die Berechtigung
eines der beiden Begriffe zu leugnen, wird sich so die Religion
ihrer Natur nach für eine Abstreitung der Möglichkeit des
Begriffs „All" entscheiden müssen. [Vgl. unten S. 23 1]
*) [Note Jacobis:] S. Allwills Briefsammlung S. 3o6f.
Jacobi an Fichte
i85
würde Sie persönlich darum doch für keinen Athe-
isten, für keinen Gottlosen halten. Wer sich mit dem
Geiste über die Natur, mit dem Herzen über jede er-
niedrigende Begierde wirklich zu erheben weiss, der
hat Gott von Angesicht gesehen, und es ist zu wenig
von ihm gesagt, dass er nur an ihn glaube. Wäre
nun auch die Philosophie eines solchen, wären seine
Meinungen nach dem (ich glaube richtigen) Urteil der
natürlichen Vernunft, die einen nicht persönlichen
Gott, die einen Gott, der nicht ist, ein Unding nennt,
atheistisch; gäbe er auch selbst seinem System diesen
Namen, so wäre seine Sünde doch nur ein Gedanken-
ding, eine Ungeschicklichkeit des Künstlers, des Künst-
lers in Begriffen und Worten, ein Vergehen des Grüb-
lers, nicht des Menschen. Nicht das Wesen Gottes,
sondern nur ein Name würde von ihm geleugnet. So
dachte ich von Spinoza, als ich folgende in meiner
Rechtfertigung wider Mendelssohn befindliche Stelle
schrieb: „Eh proh dolor . . . Und sei du mir geseg-
net, grosser, ja heiliger Benedictus! wie du auch über
die Natur des höchsten Wesens philosophieren und
in Worten dich verirren mochtest : Seine Wahrheit
war in deiner Seele, und seine Liebe war dein Le-
ben." *)
Die grosse Übereinstimmung zwischen der Religion
des Spinoza (seine Philosophie stellt sich durchaus als
Religion, als Lehre von dem höchsten Wesen und dem
Verhältnisse des Menschen zu demselben dar) — und
der Religion des Fenelon ist schon mehrmals ange-
führt, aber noch keinmal auf eine alle Philosophien
*) Jacobi gibt hierzu in einer längeren Note einen Auszug
aus seiner Schrift „Wider Mendelssohns Beschuldigungen"
S. 84—89.
i86
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
umfassende Weise ausgeführt worden. Eine solche
Ausführung selbst zu unternehmen, ist eine lange Zeit
hindurch mein Lieblingsgedanke gewesen. Hier will
ich nur bemerken, dass der Vorwurf entweder des
Atheismus oder des Mystizismus, überhaupt aber der
Schwärmerei und des Unsinns, von dem grossen Hau-
fen derer, die sich Philosophen und Religionslehrer
nennen, jeder Philosophie, welche Gestalt sie auch
annehme, zu allen Zeiten bis an das Ende der Tage
wird gemacht werden, die den Menschen einladet,
sich mit dem Geiste über die Natur und über sich
selbst, insofern er Natur ist, zu erheben. Dieser Vor-
wurf ist nicht abzuwenden, weil sich der Mensch nicht
über die Natur ausser ihm und in ihm erheben kann,
als indem er sich zugleich über seine Vernunft, die zeit-
liche, bis zum Begriff der Freiheit mit dem Geiste erhebt.
In Absicht dieses die Vernunft übersteigenden Be-
griffes der Freiheit, wie er zu bestimmen sei, was er
in sich fasse, voraussetze und nach sich ziehe, möch-
ten wir uns schwerlich ganz vergleichen können.
So würde sich einige Verschiedenheit der Meinung
unter uns auch wohl bei dem Unterschiede zeigen,
den wir beide zwischen Religion und Götzendienst,
übrigens ganz auf dieselbe Weise, machen.
Ich habe mich in einer noch ungedruckten Schrift*)
über diesen Gegenstand auf folgende Weise erklärt.
„Um Gott und sein Wohlgefallen zu suchen, muss
man ihn und was ihm wohl gefalle schon voraus im
Herzen und im Geiste haben ; denn was uns nicht auf
irgendeine Weise schon bekannt ist, können wir nicht
suchen, nicht erforschen. Wir wissen aber von Gott
*) Jacobis Schrift von den göttlichen Dingen.
Jacobi an Fichte j g ^
und seinem Willen, weil wir aus ihm geboren, nach
seinem Bilde geschaffen, seine Art und Geschlecht
sind. Gott lebt in uns, und unser Leben ist verborgen
in Gott. Wäre er uns nicht auf diese Weise gegen-
wärtig, unmittelbar gegenwärtig durch sein Bild in
unserm innersten Selbst: was sollte ihn uns kund tun?
— Bilder, Töne, Zeichen, die nur zu erkennen geben,
was schon verstanden ist? — der Geist dem Geiste:
was?
„Nach seinem Bilde geschaffen; Gott in uns: das
ist die Kunde, die wir von ihm haben, und die einzig
mögliche; damit offenbarte sich Gott dem Menschen
lebendig, fortgehend, für alle Zeiten. Eine Offen-
barung durch äusserliche Erscheinungen, sie mögen
heissen, wie sie wollen, kann sich höchstens zur innern
ursprünglichen nur verhalten, wie sich Sprache zur
Vernunft verhält. Ich sage, höchstens nur — und setze
dem Vorhergegangenen hinzu: So wenig ein falscher
Gott ausser der menschlichen Seele für sich da sein
kann, so wenig kann der wahre ausser ihr erscheinen.
Wie der Mensch sich selbst fühlt und bildet, so stellt
er sich, nur mächtiger, die Gottheit vor. Darum ist zu
allen Zeiten die Religion der Menschen wie ihre Tu-
gend, wie ihr sittlicher Zustand beschaffen gewesen.
Ein berühmter Heerführer unter der Regierung des
französischen Königs Johann hatte den Wahlspruch
und trug ihn in der Fahne : L'ami de Dieu, et/ 1 ennemi
de tous les hommes. Das hiess in seinem Herzen : Für
mich und wider alle. Nur durch sittliche Veredlung
erheben wir uns zu einem würdigen Begriff des höch-
sten Wesens. Es gibt keinen andern Weg. Nicht jede
Gottesfurcht schliesst Bösartigkeit und Laster aus. Um
einen Wert zu haben, muss sie selbst eine Tugend
i88
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sein ; alsdann ist sie, die andern Tugenden alle vor-
aussetzend, die edelste und schönste, gleichsam die
Blume ihrer vereinigten Triebe, ihrer gesammten
Kraft. Den Gott also haben wir, der in uns Mensch
wurde, und einen andern zu erkennen ist nicht mög-
lich, auch nicht durch besseren Unterricht; denn wie
sollten wir diesen nur verstehen? Weisheit, Gerech-
tigkeit, Wohlwollen, freie Liebe sind keine Bilder ;
sondern Kräfte, von denen man die Vorstellung nur
im Gebrauch selbsthandelnd erwirbt. Es muss also der
Mensch Handlungen aus diesen Kräften schon ver-
richtet, Tugenden und ihre Begriffe erworben haben,
ehe ein Unterricht von dem wahren Gott zu ihm ge-
langen kann. Und so muss, ich wiederhole es, Gott
im Menschen selbst geboren werden, wenn der Mensch
einen lebendigen Gott — nicht bloss einen Götzen —
haben soll ; er muss menschlich in ihm geboren wer-
den, weil der Mensch sonst keinen Sinn für ihn hätte.
Der Vorwurf: es würde auf diese Weise ein Gott nur
erdichtet, wäre mehr als ungerecht. Und wie sollte
dann der nicht-erdichtete beschaffen, woran erkenn-
bar sein, als der allein-wahre?" [Vgl. Pestalozzi]
Ich behaupte demnach: der Mensch findet Gott,
weil er sich selbst nur in Gott finden kann; und er
ist sich selbst unergründlich, weil ihm das Wesen
Gottes notwendig unergründlich ist. Notwendig! weil
sonst im Menschen ein übergöttliches Vermögen woh-
nen, Gott von dem Menschen müsste erfunden werden
können. Dann wäre Gott nur ein Gedanke des End-
lichen, ein eingebildetes, und mitnichten das höchste,
allein in sich bestehende Wesen, von allen anderen
Wesen der freie Urheber, der Anfang und das Ende.
So verhält es sich nicht, und darum verliert der Mensch
Jacobi an Fichte | gg
sich selbst, so bald er widerstrebt, sich in Gott, als
seinen Urheber, auf eine seiner Vernunft unbegreifliche
Weise zu finden ; sobald er sich in sich allein begründen
will. Alles löst sich ihm dann allmählich auf in sein
eigenes Nichts. Eine solche Wahl aber hat der Mensch,
diese einzige: das Nichts oder einen Gott. Das Nichts
erwählend macht er sich zu Gott ; das heisst : er macht
zu Gott ein Gespenst; denn es ist unmöglich, wenn
kein Gott ist, dass nicht der Mensch und alles, was ihn
umgibt, bloss Gespenst sei. Ich wiederhole : Gott ist —
und ist ausser mir, ein lebendiges, für sich bestehendes
Wesen, oder Ich bin Gott. Es gibt kein Drittes.
Finde ich Gott nicht — so, dass ich ihn setzen muss :
.ein Selbstsein — ausser mir, vor mir, über mir; so bin
ich selbst kraft meiner Ichheit, ganz und gar was so
genannt wird, und mein erstes und höchstes Gebot ist,
dass ich nicht haben soll andere Götter ausser Mir, oder
jener Ichheit. Ich weiss alsdann und begreife vollkom-
men, wie dem Menschen jene törichte, abgeschmackte,
im Grunde göttlose Abgötterei mit einem Wesen ausser
ihm entsteht; diesen Wahn ergründend, deduzierend
und konstruierend vernichte ich ihn auf immer.
Indem ich ihn aber, mich über ihn verständigend,
vernichte und jenen Götzendienst zuschanden mache,
muss ich auch alles, was mit ihm zusammenhängt,
vertilgen; ich muss vertilgen aus meiner Seele die Re-
ligion der Liebe, des Beispiels; muss verspotten jede
Anregung und Eingebung eines höheren, verbannen
aus meinem Herzen jede Andacht, jede Anbetung.
Ferne sei von mir ein solches Heil! Entschieden,
unverhohlen, ohne Zagen und Zweifeln gebe ich dem
nur äusser liehen Götzendienste vor jener mir zu reinen
Religion, die sich mir als Selbstgötterei darstellt, den
j g 0 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Vorzug. Will man nun meine Schwachheit Irreligion,
will man die Wirkung dieser Schwachheit oder meinen
Aberglauben — Atheismus nennen, so zürne man nicht,
wenn ich wider denjenigen, der mir ein solches hartes
Du oder Ich des Atheismus vorhält, das Du behaupte.
Mit Ihnen, mein Freund, bin ich nicht in diesem Falle,
da Sie in Ihrer Appellation ausdrücklich erklären, der
Aberglaube schliesse nicht unbedingt Moralität, folg-
lich auch nicht wahre Gottesverehrung aus. Und so
habe ich ebenfalls von meiner Seite schon vorhin zu-
gegeben, dass jene unsinnliche Abgötterei, die einen
Begriff, ein Gedankending, eine Allgemeinheit an die
Stelle des lebendigen Gottes setzt (ich möchte sie die
Abgötterei mit dem Adjectivo nennen) Moralität und
die mit ihr unzertrennlich verknüpfte wahre innere
Religion nicht ausschliesse. Der lebendige Gott wird
dann geleugnet — nur mit den Lippen.
Überhaupt ist in Absicht des Aberglaubens und
des Götzendienstes meine Meinung, dass es ganz einer-
lei sei, ob ich mit Bildern aus Holz und Stein, ob ich
mit Zeremonien, Wundergeschichten, Gebärden und
Namen oder ob ich mit philosophischen Durch-und-
durch-Begriffen, kahlen Buchstaben wesen, leeren Ein-
bildungsformen Abgötterei treibe: ob ich auf diese oder
jene Weise die Gestalt zur Sache mache, am Mittel
abergläubisch hängen bleibe und mich um jeden wahr-
haften Zweck betrüge. Öfter sagte ich zu gewissen An-
dächtigen: Ihr wollt nur nicht mit des Satans Hilfe
Zauberei treiben, wohl aber mit der Hilfe Gottes;
denn Eure Religion ist aus lauter Zaubermitteln, sicht-
baren und unsichtbaren, zusammengesetzt und im
Grunde nur ein beständiges, dem Teufel entgegen und
mit ihm in die Wette hexen. Ich fand aber auch unter
Jacobi an Fichte j g j
diesen mich durch ihren ekelhaften Aberglauben, durch
ihre vernunftwidrige Meinungen empörenden, das em-
pfindlichste Ärgernis mir gebenden Menschen mehrere,
denen dieser Aberglaube, dieser Trotz der Unvernunft
und ein damit verknüpfter götzenfürchtiger Eifer doch
ebenfalls nur auf den Lippen wohnte. Innerlich im
Herzen und im Geiste meinten sie mit ihren verkehrten
Redensarten und wunderlichen Einbildungen doch das
Wahre. Aber unmöglich war es ihnen, aufrichtig un-
möglich und schien ihnen darum ungereimt, zugleich
gottlos, von jenen Worten und Bildern der Unvernunft
dieses Wahre zu trennen. Man hätte ihnen ebensogut
zumuten können, überhaupt zu denken ohne Worte und
Bilder und von ihren Vorstellungen, Empfindungen
und Gefühlen alles Individuelle und was Gestalt heisst
abzusondern. Da nun letzteres auch der beste oder
reinste Philosoph nicht vermag, wenn nicht alles wirk-
lich zunichte gedacht, al les nicht zu unmöglichenDurch-
und-durch-Begriffen eines reinen Leeren und leeren
Reinen erhoben werden und in dieser Erhebung allein
die wahre ewige Seligkeit bestehen soll: so dächte ich,
die Beschuldigung der Abgötterei und des Aberglaubens
sollte uns nicht so leicht aus dem Munde gehen. Man
dürfte von der anderen Seite uns vorwerfen, wir er-
höben uns schamlos mit einer grösseren Sünde über
die geringere des Nächsten, da unser Dichten, Trachten
und Vermögen nur wäre, öde zu machen den Ort des
Wahren — jenen, den nach seiner Weise mit Altären
jedes Volk der Welt bezeichnet hatte — und Salz auf
die Stelle zu streuen. Unendlich weiser wäre es nach
meinem Urteil, wenn wir uns selbst tief überzeugten,
dann auch andere zu überzeugen uns bemühten : „Nicht
der Götze mache den Götzen-Diener, nicht der wahre
I Q2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Gott den wahren Anbeter. Denn machte der wahre
Gott den wahren Anbeter, so wären wir es alle und
alle in demselben Masse, da des wa ArenGottes Gegenwart
nur eine allgemeine ist." [Vgl. Nathans Ringerzahlung.]
Wohl dem Menschen, der beständig diese Gegen-
wart empfindet, dem jene alte Beteuerung: Bei dem
lebendigen Gott! in jedem Augenblick die höchste, Ur-
bild der Wahrheit ist. Wer mit verderbender Hand
die heilige und hohe Einfeit dieses Glaubens antastet,
der ist ein Widersacher der Menschheit; denn keine
Wissenschaft noch Kunst, noch irgendeine Gabe wie
sie Namen haben möchte, vergölte, was mit ihm ge-
nommen würde. Ein Wohltäter der Menschheit ist
dagegen, wer, durchdrungen von der Hoheit, Heilig-
keit und Wahrheit jenes Glaubens, es nicht duldet,
dass man ihn verwüste. Seine Hand wird stark sein,
indem er die gesunkenen Altäre des allein Lebendigen
und Wahren höher wieder aufrichtet. Da er sie aus-
streckte, sank schon und verdorrte die Hand des Stür-
mers. So war es bisher, so wird es ferner sein : er ver-
altet nicht*).
Sie verlangen nicht, dass ich Sie wegen der Länge
*) [Note Jacobis :] . . . Opinionum enim coramenta delet dies :
naturae judicia confirmat. Cicero, De natura deorum II, 2.
Quid est enim verius, quam neminem esse oportere tarn
stulte arrogantem, ut in se rationem et mentem putet inessei
in coelo mundoque non putet? aut ut ea, quae vix summa in-
genii ratione comprehendat, nulla ratiooe moveri putet? quem
vero astrorum ordines, quem dierum noctiumque vicissitu-
dines, quem mensium tempe ratio, quemque ea, quae gignun-
tur nobis ad fruendum, non gratum esse cogant; hunc ho mi-
nem omnino numerare qui decet? Cicero, De legibus II, 7.
[Von Geliert paraphrasiert.]
Jacobi an Fichte 1 9 3
meines Briefes um Verzeihung bitte. Ich bin wenig-
stens der Meinung, mich eher entschuldigen zu müs-
sen, dass ich, aus Ermüdung, hier schon ein Ende
mache, nachdem ich Ihnen meine Unwissenheitslehre
unvollständig und rhapsodisch mehr nur erzählt als
philosophisch dargelegt habe. Doch versprach ich
auch nicht mehr und fühle im Grunde nur meine
Eigenliebe gekränkt, die mir sagt, es wäre diese Lehre
einer mehr philosophischen Ausführung doch wohl
fähig und auch nicht unwert. Einmal mit einem
Wunder sind alle Philosophien, ohne Ausnahme,
behaftet. Jede hat einen besonderen Ort, ihre heilige
Stelle, wo das ihre, als das allein wahre, jedes andere
überflüssig machende Wunder zum Vorschein kommt.
Geschmack und Charakter bestimmen grossenteils die
Richtung des Angesichts nach dem einen oder dem
andern dieser Orte. Trefflich haben Sie selbst dieses
bemerkt, S. 25 Ihrer neuen Darstellung*), wo Sie
sagen: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt
davon ab, was man für ein Mensch ist; denn ein philo-
sophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den
man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns be-
liebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Men-
schen, der es hat." — Sie wundern sich wohl, dass
ich diese Stelle anführen und sie trefflich nennen
mag, da was vorher geht und folgt (S. 23 — 26) mir,
wegen meiner Denkungsart, Ihre Verachtung — wenig-
stens Ihre Nichtachtung und nur zurückgehaltenenSpott
mit stechendem Witze ankündigt. Ich habe ihrer des-
wegen nur um so lieber gedacht, um bei dieser Ge-
legenheit zu bemerken, dass ich unter dem Schreiben
dieses Briefes eine wenigstens nicht verächtliche Stärke
*)Gemeint ist die Erste Einleitung in die WL. 1 797. [I, S. 434-]
Fichte 1 3
I J. G. Fichtes Atheimus-Streit
des Geistes bewiesen habe, da mir die unwidersprech-
lich mich mit treffenden harten und geschärfteren
Befehle : gar nicht mit zu sprechen über dergleichen Ge-
genstände! teils in Gedanken vorschwebten, teils beim
Nachschlagen unter der Arbeit häufig genug vor Augen
kamen und mich aus der Fassung bringen wollten.
Was mich jedesmal wieder aufrichtete, habe ich vor-
hin schon angeführt; nämlich dass ich mich ein für
alle mal als ausgenommen betrachten darf. Wirklich
bin ich davon aufrichtig überzeugt und weiss aus
eigener Erfahrung, dass, wo wir auch nicht persön-
lich ausnehmen, sondern im Gegenteil, indem wir un-
sern Unwillen im allgemeinen ergiessen, gerade diese
Person vor Augen haben und durch ihre Vorstellung
in Feuer gesetzt werden, dennoch sie selbst mit un-
serem Unwillen nicht meinen, weil wir tief und leb-
haft fühlen, es sei mit der Sache in Absicht ihrer —
eine andere Sache. — Vergelten Sie mir Gleiches mit
Gleichem, mein lieber Fichte, und entschuldigen Sie
mich, wie ich Sie entschuldigte, wenn Sie etwa fin-
den sollten, dass ich mich an der einen oder anderen
Stelle dieses Briefes zu lebhaft ausgedrückt hätte. Ich
habe mit Fleiss hart gezeichnet und die grellsten Far-
ben aufgetragen, damit gewiss abstäche, was abstechen
sollte, und es so rein wie möglich herauskäme, was
unter uns nur Missverstand und was wirklich ent-
gegengesetzte Denkungsart ist.
Es gehe Ihnen wohl ! Das wünsche ich von Herzen,
wie ich gewiss von Herzen Ihr Freund und wahrer
Verehrer bin.
Den 21. März 1799.
H. F. JacobL
Jacobi an Fichte i y5
Am 22. April 1799 schrieb Fichte an Beinhold
[Vgl. Leben und Briefwechsel II 2 S. 248.]
. . . Ich kann mich bei meiner gegenwärtigen absoluten
Unfähigkeit und bei meinem Ekel vor allem in den bekannten
Streit Einschlagenden Ihnen vielleicht nicht deutlicher erklä-
ren als so: Ich unterschreibe Jacobis Äusserungen in ihrer
ganzen Ausdehnung, habe alles, was er da sagt, längst gewusst
und deutlich gedacht ; und so innig es mich freut, dass Jacobi
dieses treffliche Schreiben für mich schrieb, ebenso unbegreif-
lich ist es mir, wie er glauben konnte, es gegen mich zu
schreiben. Er kennt das Wesen der Spekulation so innigst und
ebenso das Wesen des Lebens ; warum kann er nur nicht kalt
über beide sich erheben und sie gegeneinander halten ? Warum
muss er entweder in dem Standpunkte der Spekulation gefan-
gen sein, „so dass er sich schämt, seine Einwürfe gegen mein
System vor sich selbst auszusprechen", oder der in einem andern
Momente aus dem Standpunkte des Lebens der vollendeten
Spekulation, die er selbst für solche anerkennt, spotten, sie ver-
wünschen und verabscheuen ? Da er selbst auf seine Indivi-
dualität in gedruckten Schriften und in jenem Schreiben sich
bezieht, so ist es vielleicht erlaubt, diesen bei der Einsicht
ohne ihresgleichen unbegreiflichen Widerstreit aus seiner In-
dividualität zu erklären. Er verbittet sich den logischen En-
thusiasmus mit Recht, ich verbitte mir ihn gleichfalls. Aber es
scheint ein entgegengesetzter Enthusiasmus, den ich den des
wirklichen Lebens nennen möchte, in ihm zu wohnen, der es
ihm gar nicht erlaubt, auch nur zum Versuche kalt und
gleichgültig von demselben (dem wirklichen Leben) zu ab-
strahieren, und dieser scheint aus dem psychologischen Phä-
nomen, wovon er in der 3. Beilage zu der 2. Auflage der
„Briefe über die Lehre des Spinoza" spricht, sich erklären zu
lassen. Ich glaube gar keinen Enthusiasmus zu haben, weder
den ersten noch den zweiten, und halte diese Apathie für
schlechthin notwendig, um den transzendentalen Idealismus
ganz zu verstehen und durch ihn nicht entweder zur Heil-
losigkeit verleitet oder durch ihn geärgert zu werden.
i3*
XI.
DER HERAUSGEBER DES PHILOSOPHI-
SCHEN JOURNALS GERICHTLICHE VER-
ANTWORTUNGSSCHRIFTEN GEGEN DIE
ANKLAGE DES ATHEISMUS
Herausgegeben von J. G. Fichte. 1799
V orerinnerung .
ICH hatte den Vorsatz, in dieser Vorerinnerung man-
cherlei zu sagen, wodurch ich unrichtigen Beurtei-
lungen der folgenden Verantwortungsschriften vorzu-
beugen hoffte. Nachdem mein Verhältnis zum Publi-
kum verändert, oder, genauer gesprochen, vernichtet
ist, liegt mir an jenem Zweck weit weniger, und er ist
schwerer zu erreichen. Ich erwarte den Richterspruch
der Zeit und schweige.
Sogar dieser Abdruck, der unter andern Erwar-
tungen angefangen und beinahe vollendet worden, wür-
de noch lange liegen geblieben sein, wo er bisher lag,
wenn nicht laut gesagt würde, dass man von einer an-
dern Seite einen Abdruck dieser Schriften veranstalte,
durch den sie ohnedies in das Publikum kommen und
ich die Kosten der schon gemachten Auflage verlieren
würde. Ich habe keinen Grund, diesen Verlust mir ge-
Gerichtliche Verantwortungsschrift '97
fallen zu lassen, und publiziere daher schon jetzt, was
auch ohne mich schon jetzt publiziert worden wäre, —
für jedes beliebige Urteil.
Fichte.
J. G. Fichtes
als Verfassers des ersten angeklagten Aufsatzes
und Mitherausgebers des phil. Journals
Verantwortungsschrift.
Magnifice Academiae Prorector.
Unsre Verteidigung gegen die Anklage, atheistische
Aufsatze teils verfasst, teils herausgegeben zu haben,
haben wir, die Herausgeber des philosophischen Jour-
nals, und einesteils der Verf. eines der angeklagten
Aufsätze, so unter uns geteilt, dass ich, der Endesun-
terschriebene, den Inhalt jener Aufsätze selbst vertrete
und den Beweis führe, dass sie in keiner Rücksicht
atheistisch genannt werden können; der zweite Her-
ausgeber erzähle, mit welcher Sorgfalt wir als Heraus-
geber verfahren. Wir bitten um die Erlaubnis, dass je-
der seinen übernommenen Teil der Verantwortung
besonders vortrage. Der Inhalt gelte für beide; seinen
Vortrag verantwortet jeder selbst.
Es versteht sich nämlich von selbst, und es wäre
eine Vergehung gegen die durchlauchtigsten Erhalter
der Universität Jena, das Gegenteil vorauszusetzen —
es versteht sich von selbst, dass irgendjemand auf diese
unsre Verantwortung Rücksicht nehmen werde und
dieselbe für die Möglichkeit eines Urteilsspruchs erwar-
te : so sehr dies auch mit dem kursächs. Requisitions-
schreiben im Widerspruch zu stehen scheint, in wel-
chem über den begangenen Frevel und über die hohe
igS J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Schuld kurz und gut abgesprochen und entschieden
und hierüber keinZweifel übriggelassen, keine entfernte
Ahnung gezeigt wird, dass wir denn doch zu unsrer Ver-
teidigung und zur Abwendung des harten Bescheides,
womit die Sache anhebt, einiges dürften vorbringen
können ; nach welchem Schreiben von dem Befinden der
Sache nur noch die Wahl unter den ernstlichen Bestra-
fungen abzuhängen scheint. Zum Glück dürfen wir zu
unsrer Obrigkeit die durch demselben ganz gerechte
und aller Gewalttätigkeit abgeneigte Regierung bestä-
tigte Zuversicht fassen, dass Sie durch das Gewicht einer
so gewaltigen unter einem so ehrwürdigen und so wich-
tigen Namen vollzognen Anklage nicht zwei wehrlose
Individuen werden erdrücken lassen; nachdem Sie
selbst durch Abforderung einer Verantwortung unsern
Gründen den Weg zu Ihren hohen Personen eröffnet
haben. Wer schon entschlossen ist, fremde Gewalt
schalten zu lassen, der würde des Armen, dessen Grün-
de er erst anzuhören verspricht, nur spotten.
Es sind in dieser Angelegenheit zwei Hauptfragen,
von welchen die Untersuchung anheben muss : über
die Tatsache: haben wir jene Aufsätze wirklich ver-
fasst und herausgegeben? über das Recht: taten wir
unrecht daran, sie zu verfassen und herauszugeben ?
Man hat nicht für nötig gefunden, die erste Frage
auch nur aufzuwerfen; und es war allerdings nicht
nötig. Wir begehren nicht zu leugnen:
Ich, der Professor Fichte, erkläre hierdurch, dass ich
den ersten Aufsatz des ersten Hefts im philosophischen
Journale v. J. 1798 überschrieben: Über den Grund
unsei*s Glaubens an eine moralische (sie) Weltregierung,
bei ungestörten Gemüts- und Leibeskräften, überlegter
Gerichtliche Verantwortungsschrift
und bedachtsame Weise abgefasst und zum Druck be-
fördert. — Und wir beide, Endesunterschriebene ', er-
klären, dass wir den zweiten Aufsatz desselben Hefts,
nachdem wir ihn beide mehrere Male bedächtig durchge-
lesen und mit dem Verf. darüber korrespondiert, zum
Abdrucke in dem von uns herausgegebenen philosophi-
schen Journale be fordet haben.
Bleibt allein die zweite Frage, vom Rechte, übrig, als
der erste Punkt unsrer ernstlichen Untersuchung. Auch
diese zerfallt wieder in zw ei untergeordnete Fragen. Die
erste : dürfen unter keiner Bedingung irreligiöse, gegen
die christliche, selbst gegen die natürliche Religion strei-
tende, sogar atheistische Schriften, gedruckt werden? Die
zweite : streiten denn nundie beiden a ngeklagten Au fsätze
wirklich gegen irgendeine (wahre und vernünftige) Reli-
gion, und sind sie insbesondere atheistisch zu nennen?
Gehen wir siegend aus dieser Untersuchung hervor,
so wird es zweitens nicht überflüssig sein, die Ver-
wunderung unserer Richter, wie man uns so gänzlich
ohne Grund und ohne allen Schein eines Grundes habe
beschuldigen können, durch die Anzeige der wahren
Quelle dieser Beschuldigung, zu heben.
Findet sich diese Quelle über allen Ausdruck ver-
ächtlich, so wird es drittens dringende Notwendigkeit,
zu zeigen, wie es dennoch möglich war, dass ernst-
hafte Gelehrte und sogar eine weise Regierung verleitet
werden konnten, derselben eine so hohe Bedeutung bei-
zulegen, um sich dadurch zu solchen Massregeln ver-
leiten zu lassen.
I.
Also
I . muss denn alles Gedruckte mit der christlichen
Religion, und überhaupt mit der Religion übereinstim-
200
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
men? und ist es denn schlechthin und unter jeder
Bedingung unerlaubt, gegen dieselbe zu schreiben ?
Aus welchen Prinzipien sollen wir diese Frage be-
antworten? Aus Vernunftgründen und der bestän-
digen, fast einstimmigen Meinung aller Gelehrten;
oder nach einem positiven Gesetze ?
a) Soll sie aus Vernunftgründen beantwortet wer-
den, so wird in derselben vielleicht vorausgesetzt, dass
ausgemacht sei, worin die allein wahre, unveränderliche y
vollendete Religion bestehe, und sonach auch, was gegen
dieselbe laufe. Und selbst unter dieser Voraussetzung,
wie soll dem Unglücklichen, der in Irrtümer geraten
ist und Gründe gegen die Wahrheit jener festgesetz-
ten Religion zu haben vermeint, je geholfen werden,
wenn es ihm nicht erlaubt ist, seine Irrtümer öffent-
lich vorzutragen, um zu sehen, ob nicht unter allen
sich einer finde, der sie heben könnte? Wollen wir
seine Seele unwiederbringlich hinopfern, damit nicht
einer der Schwachen geärgert werde? „Avolent, quan-
tum volent, paleae levis fidei quocunque afflatu ten-
tationum," sagt Tertullian. „Ärgernis hin, Ärgernis
her," sagt Luther, „Not bricht Eisen und hat kein Är-
gernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen,
sofern es ohne Gefahr meiner Seelen geschehen mag.
Wo nicht, so soll ich meiner Seelen raten, es ärgere
sich dann die ganze oder halbe Welt."
Traut man denn seiner allein wahren, unveränder-
lichen, vollendeten Religion so wenig innere Kraft zu,
dass sie sich nicht selbst schützen könne? dass ihr
durch eine völlig ausser ihr liegende Gewalt nachge-
holfen werden müsse, wenn sie sich erhalten solle?
Aber — lässt sich denn auch die oben angegebne V or-
aussetzung machen ? Ist denn die allein wahre Religion
Gerichtliche Verantwortungsschrift 20 I
irgendwo niedergelegt, und wo ist sie es doch? Sage
man mir es, damit ich gehe und sie suche ! Antwortet
man etwa: da ist sie, wo Gott geredet hat; so ist das
recht gut, wenn man nur erst darüber einig wäre,
was er eigentlich gesagt habe. Das Requisitionsschrei-
ben gegen uns ist ohne Zweifel von evangelisch-luthe-
rischen Ministern vorgeschlagen und von einem katho-
lischen Landesherrn unterschrieben. Bei de sind darüber
einig, dass Gott geredet habe, aber sehr verschiedener
Meinung darüber, was er geredet habe; wir können
nicht für die Religion des einen schreiben, ohne gegen
die des andern zu schreiben. So verhält es sich mit
allen dreien im römischen Reiche privilegierten Kir-
chen-Parteien. Also, es ist noch immer auszumitteln,
was Gott — sei es durch Schrift oder Vernunft, wel-
ches für die gegenwärtige Untersuchung ganz gleich-
gültig ist — eigentlich geredet habe, worin die reine
Wahrheit bestehe; und solange dies noch auszumit-
teln und die Einmütigkeit nur noch hervorzubringen
ist, kann es nicht fehlen, dass nicht einer sage, wo-
von der andere finde, es sei gegen die Religion — ge-
gen die seinige, versteht sich. Jesus lehrte zu seiner
Zeit auch gegen die Religion — gegen die seiner Zeit-
genossen, versteht sich — und wurde gekreuzigt,
und das fanden seine Gegner ganz recht; heutzutage,
nachdem seine Religion unter uns herrschend gewor-
den, findet man es unrecht. Luther lehrte und schrie
und schrieb ohne Zweifel gar stark gegen die Religion
— es versteht sich, immer gegen die seiner Zeitgenos-
sen — und wurde nicht gekreuziget, weil die hohen
Ahnherrn uflsrer durchlauchtigsten Erhalter ihn be-
schützten : und das finden wir Protestanten ganz recht,
ohnerachtet es unter der entgegengesetzten Partei
202
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
vielleicht noch bis diese Stunde Individuen geben mag,
die es sehr unrecht finden, dass er nicht zum wenig-
sten verbrannt wurde. Überhaupt, wo ist irgendein
kräftiger Mensch in der Weltgeschichte, durch wel-
chen die Menschheit für ihre wahre Bestimmung ge-
wonnen habe, der nicht gegen die Religion — gewis-
ser Menschen, versteht sich, und des bei weitem gröss-
ten Teils seiner Zeitgenossen, kann man hinzusetzen
— gestritten habe ? Was auch irgend über die Religion
vorgebracht werden mag, ist sicher zugleich gegen.
irgend jemands Religion; und das Gegen lässt sich
schlechterdings nicht aufheben, ohne das Über auszu-
rotten. — Oder soll etwa auch hier ein Unterschied
in den Menschen gemacht werden, so dass nur gegen
die Religion gewisser Personen, der mächtigen, der
begünstigten, nicht geschrieben werden dürfe, und es
im eigentlichen Sinne des Worts privilegierte Reli-
gionen gebe, dagegen etwa die Religion anderer, der
Gelehrten, der denkenden Köpfe ohne politisches Ge-
wicht, vogelfrei wäre — und diejenigen, welche ei-
nen Vorrang in der Sinnenwelt haben, denselben auch
in der Geisterwelt begehrten?
So sind denn auch von jeher alle Gelehrten der
Meinung zugetan gewesen, dass alles, selbst das Heil-
loseste, Ketzerischste, Atheistische, vor das gelehrte
Publikum gebracht werden dürfe und sogar solle.
Ich verweise jeden, der dies bezweifelt, an Lessing s
Anti Goeze, in welchem die Gründe dafür in das hell-
ste Licht gesetzt, und Autoritäten der bewährtesten
Kirchenväter und Gottesgelehrten aller Zeiten aufge-
stellt sind. Ich führe hier nur eine Autorität an, wel-
che aber in dieser Sache entscheidet. Nämlich selbst
Goeze war der Meinung : es müsse erlaubt bleiben,
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2o3
Einwürfe gegen die Religion mit Bescheidenheit vor-
zubringen. „Es werde dies", sagte er, „nötig sein, um
die Lehrer in Atem zu erhalten." Wenn man Goeze
hört, sollte man meinen, dass nur Lehrer, die es ver-
driesst, in Atem erhalten zu werden, diese Erlaubnis
aufgehoben wünschten.
Ich kann mich nicht entbrechen, ein Argument, das
sich mir bei dieser Gelegenheit darbietet, zu unsrer
Verteidigung anzuführen. — Dieser Lessing nämlich,
dessen Namen jeder gelehrte Deutsche mit Ehrfurcht
nennt, und auf welchen besonders Kursachsen stolz
sein könnte, welches ihn erzeugt und ihm seine erste
Bildung gegeben, ohnerachtet es freilich späterhin ihn
ebensowenig als Leibniz u. a. besessen, — dieser
Lessing hatte Schriften herausgegeben, welche wirk-
lich, wie er auch selbst nicht im geringsten leugnete,
die christliche Religion angegriffen, und er ist darüber
nicht ernstlich bestraft, er ist, soviel mir bekannt ist,
darüber nicht einmal gerichtlich belangt worden.
Jener Anti Goeze, in welchem er sein Recht zu dieser
Herausgabe gründlich erweist, ist, soviel mir bekannt,
selbst in Kursachsen nicht konfisziert worden ; wenig-
stens wurde, als ich noch in Leipzig studierte, das
Buch in den Buchläden frei verkauft. Wenn die kur-
sächsische Regierung einmal nach einer Regel schäd-
liche Bücher um ihrer Schädlichkeit willen konfisziert,
so muss sie alle schädlichen Bücher konfiszieren, und
was sie nicht konfisziert, ist anzusehen, als von ihr
für unschädlich geachtet und gebilligt. Wenn die kur-
sächsische Regierung einmal die Aufsicht über die
Rechtgläubigkeit der Beamten andrer Reichsstände
übernimmt, so muss sie konsequenterweise dieselbe
ohne Ausnahme üben : und sie hätte den Bibliothekar
2o4 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
des Herzogs von Braunschweig bei demselben ebenso-
wohl anklagen sollen, als sie jetzt die Professoren der
Herzoge zu Sachsen bei Ihnen anklagt; denn der Schutz
und das Gewicht unsrer durchlauchtigsten Herzoge ist
doch wohl ohne Zweifel nicht unbedeutender als das
andrer deutscher Herzoge. Die kursächsische Regierung
hat Lessing nicht angeklagt; es ist sonach anzunehmen,
dass sie durch Lessings Gründe überzeugt worden.
Aber der Schutz, den diese Gründe gewähren, reicht
weit über uns hinaus. Er war geständig, Schriften
gegen die Religion herausgegeben zu haben ; und dies
sind wir keineswegs geständig.
Verhalte dies sich, wie es wolle, und habe die kur-
sächs. Regierung Lessings Gründe anerkannt oder
nicht, so sind wir durch sein Beispiel in jedem Falle
sattsam gedeckt. Dieses Beispiel war uns, als Gelehr-
ten, bekannt, wie sich versteht. Durfte Lessing, ohne
Ahndung von Kursachsen, das Grössere tun, so dür-
fen wir ohne Zweifel, ohne Ahndung von Kursachsen
zu befürchten, das Mindere tun ; so mussten wir not-
wendig schliessen, wenn wir voraussetzen durften, dass
der Deutsche nach Gesetzen regiert werde und nicht
nach blinder Willkür. Dort sprach kein Gesetz; woher
soll denn jetzo ein Gesetz kommen? Seit jenem Falle in
Lessings Sache kann Kursachsen keinen Beamten ei-
nes fremden Reichsstandes — mit seinen eignen Unter-
tanen ist es ein anderes, diese stehen unter den Landes-
gesetzen - — es kann keinen Beamten eines fremden
Reichsstandes wegen Schriften gegen die Religion be-
langen und seine Bestrafung fordern, wenn es nicht
vorher durch das Deutsche Reich ein Gesetz hat aus-
gehen lassen, dass dieser Hof über dergleichen Ver-
gehungen die Aufsicht führen werde, und dass er die
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2o5
und die bestimmte Strafe auf dieselben setze; und
wenn nicht dieses Gesetz diesen Beamten fremder
Reichsstände durch ihre eigne Obrigkeit promulgiert
wird. Dann kann jeder sich darnach achten; und wer
in Verantwortung und Strafe fällt, kann nicht sagen:
das habe ich nicht gewusst, das habe ich nicht wissen,
darauf habe ich nicht rechnen können. Wir aber sa-
gen so mit Recht.
b) Aber vielleicht ist schon ein anderes Gesetz vor-
handen: — denn wir stehen hier vor den Gerichten,
wo nur positive Gesetze gelten? Wenn auch das, was
wir soeben über das Recht gesagt haben, seine ab-
weichenden Überzeugungen von jeder Art, und wenn
sie auch wirklich alle Religion aufhöben, durch den
Druck vor das gelehrte Publikum zu bringen, völlig
unrichtig wäre; wenn alle Kirchenväter und Gottes-
gelehrte, von der Entstehung eines gelehrten Publi-
kums im Schosse der christlichen Kirche an bis auf
diesen Tag, die ebenso dachten, geirrt hätten, wenn
man uns dieses Irrtums einleuchtend überführte, dass
wir kein vernünftiges Wort weiter zur Verteidigung
desselben vorbringen könnten; — nun, so hätten wir
allerdings unrecht, aber es fehlte viel, dass wir da-
durch dem Gerichte verfallen wären. Auf Mangel an
Logik steht keine bürgerliche Strafe. Diese kann nur
durch ein positives vor dem Vergehen vorhandenes
und jedem bekanntes Gesetz ausgesprochen werden.
Und wo steht es denn, dieses Gesetz, auf welches wir,
selbst auf den Fall, dass unsere Schriften wirklich
irreligiös und atheistisch wären, angeklagt sind; und
das die ernstliche Bestrafung bestimmt, die an uns soll
ausgeübt werden? In der Tat, welcher Rechtsgelehrte
sagt uns, welche Strafe auf der Abfassung und dem
2o6
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Drucke atheistischer Schriften nach deutschen Gesetzen
stehe? Dass im Falle dieser Anklage oft gesetzlose Ge-
walt ausgeübt worden, wobei man bestehende Gesetze
verdrehte und deutete, wie sie nimmermehr zu deu-
ten sind, ist uns bekannt. Ist es etwa diese gesetzlose
Gewalt, welche durch das kursächsische Requisitions-
schreiben den durchlauchtigsten Erhaltern der Aka-
demie angesonnen wird? Sollen wir etwa nach der
gesunden Vernunft und dem Naturgesetze — unsrer
Ankläger, versteht sich — gerichtet werden? Oh, man
wird sich erinnern, welcher ungeheure Richtspruch
in der Zeitgeschichte auch — nach der gesunden Ver-
nunft und dem Naturgesetze — der Ankläger, versteht
sich — gefällt wurde ! Ich meine, die deutschen Regie-
rungen verabscheuen diese Tat. Wollen sie dieselbe
durch eigne Anwendung des Prinzips, nach welchem
sie verübt wurde, rechtfertigen? Discite justitiam
moniti.
Zwar ist es Gesetz in allen Staaten, nichts gegen die
Religion Laufendes drucken zu lassen ; aber — dieses
Gesetz ist offenbar kein Gesetz für den Schriftsteller,
sondern für die Staatsverwaltung selbst ; es ist kein Zi-
vil-, sondern ein Konstitutions-Gesetz. — Ist denn nun
das, was ich geschrieben habe, gegen die Religion oder
nicht? — über diese Frage kann der Schriftsteller sehr
ruhig sein, so gewiss eine Zensur eingeführt ist. Die
Druckerpresse steht unter der Aufsicht des Staats, und
es kann gegen dessen Willen gar nichts gedruckt wer-
den. Der Zensor ist's, welcher jene Frage, ganz auf
seine eigne Verantwortlichkeit, zu entscheiden hat.
Dies ist klar. Wenn das Gesetz dem Schriftsteller
vertraute, so unterwürfe es ihn nicht der Zensur; es
unterwirft ihn derselben, vertraut ihm sonach jene
Gerichtliche Verantwortungsschrift 20"]
Entscheidung nicht an, macht ihn sonach nicht ver-
antwortlich üher das, was ihm nicht anvertraut ist.
Es ist klar, der Schriftsteller, der der Zensur unter-
worfen ist, ist nur dafür verantwortlich, dass er diese
nicht umgehe, und losgesprochen, wenn er sie nicht
umgangen hat. Für den Inhalt seiner Schrift ist sein
Zensor verantwortlich. So ist z. B. gegen unsern Mit-
arbeiter, Herrn Forberg, auch nicht einmal eine Klage
zu erheben. Er hat seinen Aufsatz zum Drucke nach
Jena geschickt. In Jena ist, wie er von seinem ehe-
maligen Aufenthalt allhier wohl wissen muss, die
Zensur eingeführt, und er, wie er gleichfalls wohl
wissen muss, steht unter derselben. Wir aber haben
für unsre und die unter unserm Namen herausgegeb-
nen Schriften die Zensurfreiheit ; wir waren also seine
Zensoren. Wir haben den Aufsatz abdrucken lassen,
und er ist mit dem Gesetze abgefunden.
Dieses ist nun unser Fall nicht. Die Durchlauch-
tigsten Erhalter anerkennen jeden, den Sie eines öffent-
lichen Lehramtes in Ihrer blühenden, berühmten,
besuchten, geachteten Universität würdigen, für mün-
dig, der Zucht entwachsen und selbst verantwortlich
für seine Schriften wie für seine Taten. Sie und Ihre
hohen Kollegien scheinen nach Ihrer Weisheit und
Grossmut zu sagen: „Nur da geht es wohl her, wo je-
der treibt, was er versteht. Wir haben gelernt, Land
und Leute zu schützen und zu mehren, den Flor der
Staaten zu erhöhen, Recht und Gerechtigkeit allen
gleich zu handhaben, und dieses üben wir. Ihr habt
eure Kraft und euer Leben der Untersuchung der
Wahrheit gewidmet; wir wollen euch vertrauen, dass
ihr gelernt habt, was ihr wissen müsst, und über die
zu euren Fächern gehörigen Gegenstände so viel ver-
208 J. G. Fichte« Atheismus-Streit
steht als irgendein andrer: so wie auch ihr uns ver-
traut habt, dass wir unser Geschärt verstünden und
unsre Rechte kennten ; und in diesem Zutrauen und
durch den Ruf der bei uns blühenden Geistesfreiheit
bewogen — grossenteils Ausländer, eure Personen
und eure ganze Sicherheit unserm Schutze übergeben
habt. Wir wollen auch eurem Wissen vertrauen, wie
ihr dem unsrigen vertraut : und wie unser Zutrauen
zu euch uns nie getäuscht hat." — Und wehe auch
dem, der dieses Zutrauen schöner Seelen täuschen
und den von Ihren grossen Ahnherren auf Sie fortge-
erbten freien Geist Ihres hohen Hauses trüben könnte!
Durch dieses Zutrauen erhalten wir mehr Würde,
aber es fallt auf uns auch mehr Verantwortlichkeit ;
obgleich wir für unsere Personen nach unsrer Denk-
art lieber die letzte tragen, als der erstem entbehren
mögen; ja nur unter dieser Redingung unsre Lage
schätzen und lieben können. Als Zensoren unsrer eig-
nen und der von uns herausgegebenen Schriften so-
nach, nicht als Schriftsteller konnten die Durchlauch-
tigsten Erhalter der Universität uns zur Verantwor-
tung ziehen und haben uns zur Verantwortung ge-
zogen; und indem Sie uns durch Erteilung eines
öffentlichen Lehramts die Zensur über uns selbst
übertrugen, haben Sie erklärt, dass wir keiner Auf-
sicht bedürfen, dass wir selbst am besten wissen müss-
ten, was in diesen Fächern vorgetragen werden könne
und solle, und von nun an bloss unserm eignen Ge-
wissen, dem gelehrten Publikum und der Mensch-
heit verantwortlich sein sollten.
Die Durchlauchtigsten Erhalter würden aus eignem
Retriebe diese Abweichung von Ihren eignen Grund-
sätzen nie gemacht haben. Jenes Heft unsres Journals
Gerichtliche Verantwortungsschrift 209
ist gegen ein halbes Jahr in Ihren Ländern frei ver-
kauft und gelesen worden; es ist noch mehr gesche-
hen, welches die Bescheidenheit uns hier in Erinne-
rung zu bringen verbietet, wir haben jenes Heft kei-
nem Auge verborgen : niemand hat uns zur Verant-
wortung gezogen; es ist sogar nicht ein leiser freund-
schaftlicher Verweis oder Erinnerung an uns gelangt.
Jetzt werden Sie durch einen benachbarten Hof, der
hierüber ganz andre Grundsätze hegt und befolgt
und seine Gelehrten ganz anders behandelt, aufgefor-
dert. In dieser Aufforderung liegt der zwar nicht in
Worte gebrachte, aber denn doch sehr vernehmliche
Tadel Ihrer eignen Regierungsmaximen, Ihrer eignen
religiösen Grundsätze, oder, aufs gelindeste angesehen,
Ihrer Unaufmerksamkeit auf höchst bedenkliche Din-
ge, die unter Ihren Augen getrieben werden. Die
Durchlauchtigsten Erhalter wollen stillschweigend
diesen Tadel widerlegen. Sie wollen sich diese Ge-
legenheit nicht entgehen lassen, um an einem leben-
digen Beispiel zu zeigen, welche Bedachtsam keit,
welche Überlegung, welche — wenn es bei der Selbst-
verteidigung erlaubt ist, alles zu sagen — welche feste
Gründlichkeit Ihr Zutrauen erzeugt. Sie haben uns
zur Verantwortung gezogen, lediglich, um uns Ge-
legenheit zu geben, über diese Gegenstände uns hören
zu lassen. Wir erkennen diese weise grossmütige Ab-
sicht und gehen mit stillem Danke und mit der
freisten Verehrung an die Untersuchung der zweiten
untergeordneten Frage, als den eigentlichen Sitz uns-
rer Verteidigung, wie an ein heiliges Geschäft, in
welchem wir nicht nur unsere Personen, was fürs
Ganze wenig ist, sondern, was unaussprechlich viel
ist, die Grundsätze zu verteidigen haben, nach wel-
Fichte , /
2io J. G. Fichtes Atheismus-Streit
chen erhabne Regierungen der noch vor kurzem bei-
nahe über die ganze Oberfläche von Europa unter-
drückten Geistesfreiheit einen Zufluchtsort eröffneten
und dadurch um die Vervollkommnung der Mensch-
heit sich ewig dauernde Verdienste erwarben.
Aber wir können dies nicht, ohne in einer zweiten
Vorrede erst ein Hindernis zu entfernen, das uns in
einer kräftigen und mutigen Verteidigung stören
könnte.
Die Anklage gegen uns ist durch Se. Durchlaucht,
den Kurfürsten von Sachsen, eigenhändig unterschrie-
ben. Wird nicht der fürstliche, jedem Deutschen durch
seine Verfassung zu verehren gebotne Name ; wird nicht,
was mehr ist, dieser Name, den jeder biedere Deutsche
ohne Gebot, durch Herzensantrieb, als den Namen der
Legalität, der Treue, der Unsträflichkeit auf einem
Fürstenstuhl verehrt, der in dem Augenblick, da ich
dieses schreibe, an ein ganz neuerliches hohes Verdienst
um sein Land erinnert, — wird nicht dieser Name
uns schrecken? Wird nicht die gebotne und die herz-
liche Verehrung unsern Händen die Waffen unsrer
Verteidigung entwinden oder sie abstumpfen, damit
sie nicht eine verehrte Brust treffen?
Es wäre sehr übel, wenn unsere Verteidigung dies
müsste. Wir sind um keine Kleinigkeit angeklagt.
Eine Menge Unglücklicher haben um dieselbe An-
klage, die gegen uns geführt wird, ihr Leben in den
Flammen geendet; und bei aller Milde, die man un-
serm Zeitalter rühmt, sehe ich nicht ab, welche min-
dere Strafe als die der ewigen Gefangenschaft oder
der schimpflichsten Landesverweisung man Frevlern
zudenken möge, von denen man im Tone dieses Re-
quisitionsschreibens zu sprechen sich berechtigt glaubt ;
Gerichtliche Verantwortungsschrift
2 I I
— sofern wir die geringste Schuld auf uns kommen
lassen und man das Gesetz gegen diese Schuld selbst
erst hinterher machen will.
Oh ! es ist ein hartes Schicksal, dass gegen uns ein
Fürst — was kein Fürst je sollte — als Ankläger,
dass dieser Fürst gegen uns als Ankläger aufzutreten
scheint. Es wäre ein hartes Schicksal, wenn dasjenige,
was sonst selbst dem Verbrecher Gnade und dem Ent-
ehrten Wiedereinsetzung in seine Ehre verschafft, die
persönliche Dazwischenkunft eines Fürsten, uns in
unsrer Verteidigung die Hände binden sollte. Es wäre
hart, jemandem anzumuten, dass er, auf die Anrede
des Mächtigern : du hast Gott gelästert und bist des
Todes schuldig, — aus purem Respekt, um nicht zu
widersprechen, nicht anders antworten sollte als : ich
muss Gott wohl gelästert haben, da du nach deiner
Weisheit es so findest, und mir geschehe, was du nach
deiner Güte über mich beschlossen hast.
Es wäre übel, wenn unsre Verehrung die Stärke
unsrer Verteidigung schwächen müsste, da wir nicht
lediglich uns, sondern das Verfahren erhabner deut-
scher Fürsten und beinahe den letzten Zufluchtsort
der freien Untersuchung, beinahe die letzte Erlaub-
nis für den menschlichen Geist, weiter fortzurücken,
zu verteidigen haben.
Es ist die Frage — welche freilich nicht ohne be-
sondre in meiner gegenwärtigen Lage durch mich
nicht einzuziehende Erkundigungen beantwortet wer-
den kann — es ist die Frage, ob nicht im Kursächs.
Geheimen Rate diese Angelegenheit als zu den evan-
gelischen Kirchensachen gehörig behandelt worden,
in denen das protestantische Geheime Ratskollegium,
oder der Kirchenrat, ohne Dazwischenkunft des katho-
«4*
21 2
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
lischen Landesherrn, selbst in höchster Instanz de-
kretiert und denBeschluss dem Kurfürsten zur Unter-
schrift bloss vorlegt : dass sonach die höchste Autori-
tät, von welcher diese Anklage ausginge, gar nicht des
Kurfürsten durchlauchtigste Person selbst, sondern
irgendein Minister oder Kirchenrat wäre; welche zu
kennen, von welchen zu wissen, ob ihr persönlicher
Charakter der Anklage das für uns, unsrer Denkart und
der Denkart des Publikums nach, furchtbarste Gewicht
gebe, der Ausländer nicht verbunden ist. Es ist die Frage,
wenn diese Sache wirklich so behandelt worden, ob sie
ihrer Natur nach, da man uns ja nicht der Abweichung
von einer positiven Religionspartei, sondern der voll-
kommnen Irreligiosität bezichtigt, so hätte behandelt
werden sollen ; oder, wenn sie nicht so behandelt wor-
den, ob sie es nicht doch hätte sollen, da ja die Religion
überhaupt, und besonders die Frage über die Denk-
und Lehrfreiheit in der Religion, gar sehr mit der
besondern Konfession, zu der sich jemand bekennt,
zusammenhängt; ob sonach nicht nach einer in der
Landesverfassung selbst liegenden unauflöslichen Fra-
ge über diese Angelegenheit jeder Schritt hätte unter-
lassen werden müssen.
Jedoch, diese Frage entscheide, wem es zukommt;
unsrer Verteidigung ist sie fremd, und wir berühren
sie nur im Vorbeigehen. Gehe die Anklage aus von
der Person des Kurfürsten oder nicht, so geht sie doch
immer von einem Teilhaber an der obrigkeitlichen
Gewalt aus, und dieser sind wir Respekt schuldig.
Aber diese obrigkeitliche Gewalt hat sich denn doch,
wie es auch zu Anfange des Requisitionsschreibens
heisst, anzeigen lassen. Wir halten uns an den An-
zeiger und an die Anzeiger des Anzeigers, bis wir zu-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 I 3
letzt bis zur ersten Quelle kommen, welches uns auch
nicht fehlen soll.
Überhaupt — die Souveränität gilt nur für die Ver-
waltung der äusseren Macht, keinesweges aber für das
Räsonnement. Es gibt ebensowenig eine souveräne
Logik, als es, wie jener Cäsar erfahren musste, eine
souveräne Grammatik gibt. Solange noch ein logisches
Geschäft abzutun ist, tritt die Souveränität gar nicht
ein, indem sie ja dadurch die ihr notwendig zukom-
mende Injallibilität in Gefahr setzen würde. Dieses
logische Geschäft machen die Advokaten miteinander
ab, welche sich vollkommen gleich sind und sich ge-
genseitig nicht im geringsten zu respektieren haben.
Erst da, wo diese fertig sind, schliesst sich der Aus-
spruch der Souveränität an.
So verhält es sich auch in unsrer Angelegenheit.
Wenn die Angeklagten atheistische Aufsätze verfasst
und zum Drucke befördert haben, so sollen sie gestraft
werden: — so viel, nur so viel und nicht mehr sagt
der fremde Staat, der an unsere Obrigkeit schreibt ;
nur so viel und nicht mehr kann er als Staat sagen.
Wir könnten auch dagegen manches vorbringen ; aber
wir sind nur Privatpersonen und unterwerfen uns
mit Ehrfurcht dem geheiligten Ausspruche. Dass die
Angeklagten atheistische Äusserungen vorgetragen
haben, sagt nicht der Staat; dies kann der Staat nicht
sagen : dieser Satz ist Resultat eines Räsonnements, aber
der Staat räsoniert nie, er deb etiert. Dies sagt irgend-
ein Verstand, der räsonieren zu können glaubt, und
dem wir keine andere Achtung schuldig sind, als die
er sich durch seine Gründe zu erwerben weiss. Wir sind
auch ein Verstand, der räsonieren zu können glaubt,
und insofern eine geistige Macht, die der uns gegen-
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
überstehenden geistigen Macht vollkommen gleich ist.
Wer es besser kann, das wird sich zeigen, und dadurch
allein wird die Obermacht bestimmt werden, welche
hier stattfindet.
Wir haben es sonach in Beantwortung der zweiten
Frage, ob die von uns, als Zensoren zum Drucke zu-
gelassenen Aufsätze wirklich atheistisch seien, und
in Widerlegung der Anklage, dass sie es seien, gar
nicht mit der Oberherrlichkeit zu tun : wir versichern
hierdurch dieser feierlichst unsre höchste Ehrfurcht, wir
deklarieren hierdurch ausdrucklich und feierlichst, dass
wir es hier mit derselben nicht zu tun haben, noch zu
tun zu haben glauben oder wollen, dass kein Tadel,
der etwa unsern Gegnei so wollen wir von nun an
den von aller Person abgesonderten Verstand nennen,
welcher gedacht hat, was in dem kursächsischen Re-
quisitionsschreiben steht — der, sage ich, unsern Geg-
ner trifft, die Heiligkeit des Staats treffe, treffen könne,
treffen solle; dass wir jede Deutung dieser Art verab-
scheuen, ihr widersprechen und ihr immer widersprechen
werden; wir deklarieren dieses hierdurch für einmal auf
immer und bitten, an diese Deklaration allenthalben in
der Folge zu denken, wo sie nötig scheinen könnte. Wir
verhüllen hiermit feierlich das heilige Haupt der Maje-
stät und wenden uns an den gegnerischen Verstand.
Also
2. sind denn nun die von uns zum Drucke beförderten
Aufsätze wirklich atheistisch, wie der Gegner vorgibt?
a) Was mag dem Gegner Atheismus heissen? Er
hat vergessen, einen Begriff des Atheismus ausdrück-
lich aufzustellen ; aus dem Zusammenhange aber, aus
der Art der Anklage, aus den zum Beweise unsers
Atheismus ausgehobenen Stellen können wir diesen
Gerichtliche Verantwortungsschrift
seinen Begriff unmöglich erraten ; dürfen wir es nicht
wagen, ihn zu erraten, ohne zu fürchten, dass wir
ihm unrecht tun möchten. So ist z. B. in der Beilage
zum Requisitionsschreiben die Stelle S. 14 in meiner
Abhandlung, als Beweisstück des Atheismus ausge-
hoben, folgende Stelle:
„Der wahre Atheismus, der eigentliche Unglaube,
und Gottlosigkeit besteht darin, dass man über die
Folgen seiner Handlungen klügelt, der Stimme seines
Gewissens nicht eher gehorchen will, bis man den
guten Erfolg vorherzusehen glaubt, so seinen eige-
nen Rat über den Rat Gottes erhebt und sich selbst
zum Gotte macht. Wer Böses tun will, damit Gutes
daraus komme, ist ein Gottloser. In einer moralischen
Weltregierung kann aus dem Bösen nie Gutes fol-
gen, und so gewiss du an die ersten glaubst, ist es dir
unmöglich, das letztere zu denken. — Du darfst nicht
lügen, und wenn die Welt darüber in Trümmer zer-
fallen sollte. Aber dies ist nur eine Redensart; wenn
du im Ernst glauben dürftest, dass sie zerfallen würde,
so wäre wenigstens dein Wesen schlechthin wider-
sprechend und sich selbst vernichtend. Aber dies
glaubst du eben nicht, noch kannst, noch darfst du
es glauben ; du weisst, dass in dem Plane ihrer Erhal-
tung sicherlich nicht auf eine Lüge gerechnet ist."
Also sollte wohl nach dem Gegner ein rechtgläubiger
Bekenner Gottes sich so ausdrücken:
„Der rechte Glaube, die wahre Gottseligkeit besteht
darin, dass man über die Folgen seiner Handlungen
klügle und der Stimme seines Gewissens nicht eher
gehorche, bis man den guten Erfolg sicher vorher-
sieht; so seinen eignen Rat zum Rate Gottes erhebe,
und sich selbst zum Gotte mache. Wer Böses tun will,
2 1 5 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
damit Gutes daraus komme, der ist der wahre Gott-
selige. In einer moralischen Weltregierung folgt aus
dem Bösen (dem moralisch Bösen, wie der Zusammen-
hang zeigt, dem Laster) Gutes, und so gewiss du an
die erstere glaubst, ist es dir schlechthin notwendig,
das letzere zu denken. Du musst immer lügen, und
wenn die Welt darüber in Trümmer zerfallen sollte.
Aber dies ist nur eine Bedensart. Wenn du im Ernste
glauben dürftest, dass sie zerfallen würde, so wäre
wenigstens dein Wesen schlechthin widersprechend
und sich selbst vernichtend. Aber dies glaubst du eben
nicht, noch kannst, noch darfst du es glauben; du
weisst, dass in dem Plane der Welterhaltung auf
kein wahres Wort gerechnet ist."
Dürfen, sollen wir etwa dies für die wahre Meinung
des Gegners halten? Und wenn nicht, was sollen wir
aus der Anklage machen, und wie können wir uns
auf sie einlassen?
Der Gegner mag in der Tat über den Begriff des
Atheismus mit uns so uneinig sein, dass gerade das-
jenige, was er für die wahre Beligion hält, uns als
Atheismus und Götzenlehre, und das, was er für Atheis-
mus hält, uns als die einig wahre Beligion erscheint.
Ist unsere Lehre ihm weder mit der natürlichen noch
christlichen Beligion übereinstimmend, so ist dagegen
die seinige für uns Verdrehung und Herabwürdigung
der christlichen Beligion. Die Gründe dieser Meinung
habe ich in der beigelegten Schrift (Fichtes Appella-
tion an das Publikum . . .) aufgestellt.
Wer von uns beiden hat denn nun in seiner Mei-
nung von dem andern recht, und wo ist der dritte,
der zwischen uns entscheide ? Wir können keiner des
andern Bichter sein, denn wir sind ja selbst die Parteien.
Gerichtliche Verantwortung88chrift 2 I 7
Ich kann hier mit dem Gegner nicht in das Innere
der Sache hineingehen, weil er keinen Begriff des
Atheismus aufgestellt hat, und wir schlechterdings
nicht wissen können, was er an unsrer Lehre zu tadeln
findet. Wir versichern aber hierdurch feierlich, dass,
wenn irgendein Gelehrter mit Gründen und logisch
sich als Verteidiger jener Anschuldigung unsrer Lehre
darstellen wird, wir ihm ganz sicher Rede stehen wer-
den. Vor jetzt vermögen wir nichts weiter als
b) den äussern Beweis zu fuhren, dass aus unsrer
Lehre mit keinem Grunde sich auf Atheismus schliessen
lasse.
Wir fuhren diesen Beweis so, dass wir von einigen
logischen Axiomen ausgehen, in der Hoffnung, dass
der Gegner diese verstehen und zugeben werde.
Erstes logisches Axiom. Wer gewisse Bestimmungen
einer Sache (in einem Begriffe) leugnet, hebt dadurch
nicht notwendig die Sache (den Begriff) selbst auf.
Nun werden in jenen Aufsätzen allerdings gewisse
Bestimmungen im Begriffe der Gottheit geleugnet.
Daraus aber folgt nach keiner Logik, dass dadurch
die Gottheit selbst aufgehoben werde und sonach jene
Aufsätze atheistisch seien.
Bloss den Untersatz unsers Syllogismus haben wir
zu erörtern. Es wird nämlich in jenen Aufsätzen ge-
leugnet.
I. Die Ausgedehnt heit Gottes im Raum oder seine
Körperlichkeit. — Dass in einigen Stellen, die dem
Gegner aufgefallen sind, nur diese geleugnet sei und
aus welchen Gründen sie geleugnet werden müsse,
kann ich nicht dartun, ohne ein wenig in das Innere
der Transcendentalphilosophie hineinzugehen. Ich
werde mich dabei der höchsten Klarheit und der
2l8
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
strengsten Präzision befleissigen. Sollte dennoch dem
gegnerischen Verstände dadurch nichts klar werden,
weil es ihm etwa gänzlich an Vorkenntnissen fehlt,
so wird wenigstens andern die Sache dadurch klarer
werden. Er, der Gegner, sei nur so billig, aus dem,
was er nicht versteht, mir nicht neue Ketzereien zu
machen, sondern sich zu bescheiden, dass er's nicht
verstehe, und dabei anzuerkennen, dass er von einer
Sache Notiz genommen, die ihn nichts angehen kann,
da er davon nichts versteht.
Ich werde die ausgemachten und anderwärts von
mir streng erwiesenen, obgleich bis jetzt den wenig-
sten Philosophen bekannten und von ihnen anerkann-
ten Wahrheiten, aus denen unsre Ableugnung der
Körperlichkeit Gottes hervorgeht, in einzelnen Sätzen
aufstellen.
1 . Alles unser Denken ist ein Schematisieren, d. h.
ein Konstruieren, ein Beschränken und Bilden einer
für unser Gemüt beim Denken vorauszusetzenden
Grundlage (Schema).
In der Geometrie z. B. wird durch die Entwerfung
eines Triangels, eines Zirkels u. dergl. der leere Raum
auf eine gewisse Weise eingeschränkt; und dies ist
allenfalls allgemeiner bekannt und zugestanden. Aber
diese Konstruktion des Objekts a priori gilt nicht et-
wa nur für die Geometrie; sie gilt für alles unser
Denken, auch dasjenige, was wir Erfahrung nennen.
Der Unterschied ist bloss der, dass wir im ersten Falle
des Akts dieses Konstruierens uns unmittelbar bewusst
werden können ; im zweiten aber erst vermittelst einer
Transcendentalphilosophie darauf schliessen.
2. Dergleichen Schemata gibt es zwei: — Handeln
(reines, selbständiges, schlechthin anfangendes, ledig-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 I Q
lieh in sich selbst gegründetes Handeln) und ausge-
dehnter Stoff. (Die Zeit liegt zwischen beiden, ist das
Vermittelnde von beiden, und die Erörterung dersel-
ben gehört nicht hierher.)
3. Das erstere Schema wird uns gegeben durch das
Pflichtgebot; durch den absoluten in keinem andern
Denken oder Sein begründeten Gedanken, dass wir
schlechthin etwas tun sollen. Dieser Gedanke, und
das durch ihn gegebne Schema : Handeln, ist die Basis
unsers Wesens; ist das, wodurch allein wir sind, und
worin einzig unser wahres Sein besteht.
4. Das zweite Schema entsteht uns vermittelst der
Auffassung des erstem durch unsei* sinnliches V orstel-
lungsvermögen\ Einbildungskraft genannt. Was wir
erblicken, ist immer das erste ; das Instrument, gleich-
sam das gefärbte Glas, durch welches hindurch wir
unter gewissen Bedingungen es allein erblicken kön-
nen, ist die Einbildungskraft; und in diesem gefärb-
ten Glase verändert es seine Gestalt und wird zum
zweiten.
5. Ich nenne das erstere das Uber sinnliche, das zweite
das Sinnliche : die Art des ersten unmittelbar sich be-
wusst zu werden, intellektuelle, die Art des zweiten
unmittelbar sich bewusst zu werden, sinnliche An-
schauung.
6. Es gibt eine Region des Bewusstseins, in welchem
die sinnliche Ansicht des einigen wahren Stoffs alles
unsers Bewusstseins, des Übersinnlichen, begleitet von
einem Gefühle (dem Sinnengefühle, dem Eindrucke)
sich uns schlechterdings aufdringt; in welcher Region
sonach, ohne die Erörterungen und Ableitungen einer
Transcendentalphilosophie das Sinnliche als Erstes,
Ursprüngliches, für sich Existierendes erscheint. Diese
220
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Region ist die gesamte äussere Erfahrung. Nur dem-
jenigen, was in dieser Region liegt, kommen diejenigen
Bestimmungen in unserm Denken zu, die wir in der
Sprache durch das Prädikat des Seins (Beharrens und Be-
stehens) bezeichnen ; nur ihm die weitern Bestimmun-
gen dieses Seins, Substantialität, Kausalität usw. —
Nur der Gegenstand der Erfahrung ist, und es ist
nichts, ausser der Erfahrung (welches schlechtweg
gebrauchte ist freilich etwas ganz anders bedeutet als
die logische Kopula: ist In dieser Bedeutung bedie-
nen wir uns in der Philosophie, für Philosophen, die-
ses Ausdrucks; und es ist nicht unsre Schuld, wenn
Leute, die unsern Sprachgebrauch nicht gelernt ha-
ben, doch unsre Schriften lesen und beurteilen) :
In dieser Region ist der Begriff Erkenntnis, und man
nennt diesen Boden den theoretischen.
7. Neben dieser versinnlich ten Ansicht des einigen
wahren Urstoffs alles unsers Bewusstseins, des Über-
sinnlichen, und mit derselben unzertrennlich verei-
nigt, gibt es noch eine andere Ansicht desselben, die
durch das blosse reine Denken. Diese Ansicht gibt das
unmittelbare Bewusstsein unsrer moralischen Bestim-
mung. Was in dieser Form, d. h. nicht durch Sinnen-
eindruck gegeben wird, ist, den Vernunftgesetzen ge-
mäss, nicht als Stoff im Räume nach dem zweiten
Schema zu konstruieren, und wer es so konstruiert,
denkt vernunftwidrig ; es ist als ein Handeln zu kon-
struieren ; nach dem ersten Schema ; und es kommt
ihm kein mögliches sinnliches Prädikat, nicht das des
Seins, der Substantialität usf. zu. Wer ihm ein sol-
ches Prädikat beilegt, verfährt vernunftwidrig. In
Rücksicht des einen Teils dessen, was in dieser Sphäre
liegt, anerkennt man jene Bemerkung als allgemein.
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 2 1
Niemand hat sich noch die Tugend als eine Kugel
oder als eine Pyramide gedacht ; man denkt sie als
eine Handelsweise.
Aber der andere Teil dieser Sphäre ist das, was wir
Gott nennen. Nur in dieser Sphäre entsteht uns die
Idee des wahren Gottes. Entsteht sie in der Sphäre
der sinnlichen Erfahrung, so ist sie ein Produkt des
Aberglaubens und der Unsittlichkeit. Sonach ist diese
Idee gleichfalls zu beschreiben nach dem ersten Sche-
ma; und Gott ist zu denken als eine Ordnung von Be-
gebenheiten, keineswegs aber als eine Form der Aus-
dehnung. Man kann von ihm nicht sagen: er ist Sub-
stanz, oder des etwas: denn dies heisst nach unserm
Systeme, und nach dem notwendigen Sprachgebrau-
che desselben, sagen : er ist eine ausgedehnte Materie
und lässt sich sehen, hören, fühlen usw.
Rein philosophisch müsste man von Gott so reden :
Er ist (die logische Kopula) kein Sein, sondern ein
reines Handeln (Leben und Prinzip einer übersinnli-
chen Weltordnung), gleichwie auch ich, endliche In-
telligenz, kein Sein, sondern ein reines Handeln bin :
— pflichtmässiges Handeln, als Glied jener übersinn-
lichen Weltordnung.
Aus diesem Zusammenhange des Denkens ist die
S. 1 7 meines Aufsatzes befindliche Stelle : de?* Begriff
von Gott, als einer besondern Substanz, sei unmöglich
und widersprechend, zu erklären. Sie heisst in der Spra-
che des Gegners soviel als : der Begriff von Gott, als
einem materiellen Dinge sei unmöglich und wider-
sprechend. Möchte wohl der gegnerische Verstand
das Gegenteil behaupten ?
Aus ihm ist die Forbergische Stelle zu erklären:
— „Ist ein Gott? Antw. : Es ist und bleibt ungewiss,
222
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
denn diese Frage ist (ich nämlich, der ich als Verf.
der beste Ausleger meiner Worte sein muss, verstehe
sie in dieser Stelle so und will sie hier so verstanden
wissen), sie ist aus spekulativer Neugierde (auf dem
Gebiete der theoretischen Philosophie, sonach auch in
der Bedeutung der Wörter, welche dieselben auf die-
sem Gebiete notwendig haben) aufgeworfen." Hr.
Forberg ist vorsichtig genug, für den Kenner hin-
länglich seinen Sprachgebrauch zu bestimmen. Seine
Worte bedeuten in der Terminologie des Gegners so-
viel als: Ist Gott Materie im Räume? Und da hat
denn, meines Erachtens, Forberg philosophisch un-
recht und neigt sich viel zu sehr auf die Seite des
Gegners, indem er dieselbe bloss mit einem : es ist unge-
wiss, beantwortet. Aber atheistisch ist denn doch wohl
dieser sein Skeptizismus nicht; und es kommt am we-
nigsten dem Gegner zu, Herrn Forberg darüber anzu-
klagen, dass er die Körperlichkeit Gottes halb und halb
zugibt, indem er mich darüber anklagt, dass ich sie
entschieden ableugne. — Ich verfasste die S. 1 7 mei-
nes Aufsatzes befindliche und als Beweis meines Atheis-
mus ausgehobene Stelle : „Es ist ein Missverständnis"
etc. lediglich in der Absicht, um jene Forbergische
Äusserung zu berichtigen, zu welcher Berichtigung
ja nach S. 2 mein Aufsatz überhaupt bestimmt war;
und diese Stelle würde, wenn ich bei meinem ersten
Entschlüsse geblieben und nicht der Bitte Forbergs,
seinen Aufsatz nicht mit Noten zu versehen, nachge-
geben hätte, als Note unter der erwähnten Forbergischen
Stelle stehen, wo vielleicht der Gegner ihre Tendenz
besser bemerkt haben würde. Ich hatte jene Forbergi-
sche Äusserung zu berichtigen in doppelter Bücksicht :
teils darin, dass die Frage : „Ist ein Gott?" auch noch in
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 23
einem andern, als in dem von Forberg angenommenen
Sinne, aufgeworfen werden könne ; und darauf gehen
die Worte: „Es ist gar nicht zweifelhaft" etc., teils
darin, dass sie in dem von Forberg angenommenen
Sinne schlechthin verneint werden müsse; und dar-
auf gehen die Worte: „Es kann ebensowenig von der
andern Seite" etc.
Ebenso ist die im Auszuge folgende Forbergische
Stelle anzusehen.
In diesem Sinne ist die S. i5 meines Aufsatzes be-
findliche Stelle zu erklären : „Es liegt kein Grund in
der Vernunft, aus jener moralischen Weltordnung
herauszugehen und vermittelst eines Schlusses vom
Begründeten auf den Grund noch ein besonderes We-
sen als die Ursache desselben anzuerkennen." — Die-
ser Schluss vom Begründeten auf den Grund wird
durch den ursprüglichen Verstand gemacht lediglich
auf dem Gebiete der sinnlichen Erfahrung, um das
fliessende Phänomen an ein bestehendes Substrat an-
zuknüpfen, welches stets körperlich ist. Hier soll bei
dem Fliessenden, dem reinen Handeln, stehengeblieben
werden; denn dies ist selbst das unmittelbare, ist das
hier allein gültige Schema, und wer jenen Schluss
macht, sucht und erhält unvermeidlich ein bestehen-
des, körperliches Substrat für das reine Handeln der
Gottheit.
Ist es denn nun in allem Ernste die wahre Meinung
des gegnerischen Verstandes, dass die Verfasser der
beiden angeklagten Aufsätze unrecht gehabt haben,
das Angezeigte zu behaupten ? Ist es sein wahrer Ernst,
dass sie durch die Ableugnung der Körperlichkeit
Gottes Gottesleugner überhaupt werden, so muss er
nicht nur behaupten, dass Gott unter andern auch
2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ausgedehnt sei, sondern, da nach ihm durch die Auf-
hebung dieses Prädikats die ganze Existenz Gottes auf-
gehoben sein soll, dass ihm nur diese Art der Existenz,
und schlechthin keine andere zukomme, und dass er
nichts als Materie sei. Soll ich's ihm mit klaren Worten
sagen, worein er seinen Gott verwandelt? Und ist
denn nun dies der orthodoxe, mit natürlicher und
christlicher Religion übereinstimmende Glaube über
Gott?
8. Nun wird es jedoch, wenn von jenem reinen
Handeln besonders geredet und ihm, als logischem
Subjekte, ich sage, als logischem Subjekte, gewisse Prä-
dikate beigelegt werden sollen (welches alles man,
meiner Meinung nach, schicklicher unterlässt, indem
es zur Erbauung nichts beiträgt und denn doch gar
zu leicht theoretische Irrtümer und Aberglauben her-
beiführen kann) — es wird, sage ich, dann durch die
Sinnlichkeit unsres Vorstellungsvermögens notwendig,
selbst jenes reine Handeln auf etwas, zwar nicht im
Raum, aber doch in der Zeit Ausgedehntes (auf eine
fixierte Zeitlinie) zu übertragen, um das, auch nur
durch die Sinnlichkeit unsers Vorstellungsvermögens
entstandene Mannigfaltige des Handelns darin, als in
seiner Einheit, zu fixieren. Dieses lediglich durch die
Zeit Ausgedehnte, diese fixierte Zeitlinie nennt die
Sprache einen Geist. Auf diesem Wege entsteht uns
der Begriff unsrer eignen Seele, als eines Geistes; in
demselben Zusammenhange des Denkens sagt man:
Gott sei ein Geist.
Nun ist ein Geist nicht, in der oben erklärten Be-
deutung des Worts; er ist kein Ding, aber nur das
Ding ist. Ein Geist ist ein blosser auf dem soeben be-
schriebenen Wege entstandener Begriff. Er ist ein
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 2 5
Notbehelf unsrer Schwäche, die, nachdem sie alles
eigentlich Existierende weggedacht hat, doch in die
leere Stelle des logischen Subjekts, von dem sie spricht
(und weit klüger nicht davon spräche), etwas hinein-
setzt, das nicht eigentlich sein soll und dann doch
sein soll.
Der Satz : Gott ist ein Geist, hat bloss als negativer
Satz, als Negation der Körperlichkeit, seinen guten,
triftigen Sinn. Insofern unterschreibe ich ihn und setze
ihn meinem Gegner entgegen, so wie ihn Jesus den
Juden entgegengesetzt, welche gleichfalls Gott eine
körperliche Gegenwart im Tempel zu Jerusalem bei-
massen. In dem angeklagten Aufsatze auf diese Be-
stimmung im Begriffe der Gottheit mich einzulassen,
gehörte nicht zur Sache, indem ich, wie ich in der
Einleitung ausdrücklich sagte, die Materie nicht er-
schöpfen, sondern lediglich den Aufsatz, dessen Mit-
herausgeber ich war, in einigen Punkten berichtigen
wollte. Hier gehört es zur Sache, indem ich dem Geg-
ner keine vernünftige Einwendung gegen uns übrig-
lassen will.
Derselbe Satz, als positiver, zur Bestimmung des
göttlichen Wesens dienende Satz ist ganz unbrauch-
bar; denn wir wissen ebensowenig, worin das Wesen
eines Geistes, als wir wissen, worin das Wesen Gottes
bestehe.
II. Es wird in jenen Aufsätzen geleugnet die Be-
greiflichkeit Gottes.
Auch zur Erläuterung dieses Punktes muss ich ei-
niges, auf die Gefahr, auch hier missverstanden zu
werden, aus dem Innern meines Systems beibringen.
i. Alles unser Denken ist ein Beschränken, sagte
ich oben : und eben in dieser Bücksicht heisst es be-
Fichte i 5
226
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
greifen ; zusammen greifen etwas aus einer Masse von
Bestimmbarem., so dass immer ausserhalb der gezoge-
nen Grenze noch etwas bleibe, das nicht mit hinein-
gegriffen ist und also dem Begriffenen nicht zukommt.
Ich fordere jeden, der dies liest, auf, zu versuchen,
ob er auf andere Weise begreifen könne. Alle Reali-
tät, die wir fassen, ist nur endlich, und sie wird es da-
durch, dass wir sie fassen. Alles, was für uns Etwas
ist, ist es nur, inwiefern es etwas anderes auch nicht
ist ; alle Position ist nur möglich durch Negation ; wie
denn das Wort bestimmen selbst nichts anderes be-
deutet als beschränken.
2. Es ist sonach klar, dass, sobald man Gott zum
Objekte eines Begriffs macht, er eben dadurch auf-
hört, Gott, d. h. unendlich zu sein, und in Schranken
eingeschlossen wird.
Das lehrt denn auch der Augenschein an allen Be-
griffen, die man von jeher von Gott aufgestellt hat.
Jener ausserweltliche Gott, den ich vielleicht dem geg-
nerischen Verstände zufolge hätte lehren sollen, ist
doch wohl die Welt nicht, da er ja ausser der Welt
ist. Sein Begriff ist sonach durch Negation bestimmt,
und er ist nicht unendlich, sonach nicht Gott.
Was sie darauf antworten, ist mir wohl bekannt.
Die Welt sei selbst nur eine Negation, welche aber
deswegen aus dem Begriffe des allerrealsten Wesens
weggelassen werden müsse. Im Ernste, ist ihnen denn
die Welt blosse Negation, und halten sie dieselbe in
irgendeiner andern Stelle ihres Systems^dafür, ausser
in dieser Verlegenheit?
Soll denn nun Gott — dürfte im Vorbeigehn je-
mand fragen, und ich will im Vorbeigehn diese Frage
beantworten — soll denn nun Gott gedacht werden
Gerichtliche Verantwortungsschrift 227
als eins mit der Welt? — Ich antworte: weder als
eins mit ihr noch als verschieden von ihr: er soll
überhaupt nicht mit ihr (der Sinnenwelt) zusammen-
gedacht und überhaupt gar nicht gedacht werden,
weil dies unmöglich ist. Wie ich über die Welt denke,
wird sich bald zeigen.
3. Auf diese entschiedene Ableugnung der Begreif-
lichkeit Gottes gründet sich dasjenige, was ich in je-
nem Aufsatze über die Unmöglichkeit, Gott Persön-
lichkeit zuzuschreiben und Bewusstsein, beigebracht
habe. Man übersehe ja nicht den Grund, aus welchem
ich diese Möglichkeit leugnete. Ich rede (S. 16) von
unserm eignen begreiflichen Bewusstsein, zeige, dass der
Begriff desselben notwendige Schranken bei sich führt,
und sonach dieser Begriff des Bewusstseins nicht für
Gott gelten kann.
Nur in dieser Rücksicht, nur in Rücksicht der Schran-
ken und der dadurch bedingten Begreiflichkeit habe
ich das Bewusstsein Gottes geleugnet. Der Materie
nach — dass ich mich bemühe, das Unbegreifliche aus-
zudrücken, so gut ich kann! — der Materie nach ist
die Gottheit lauter Bewusstsein, sie ist Intelligenz, rei-
ne Intelligenz, geistiges Leben und Tätigkeit. Dieses
Intelligente aber in einen Begriff zu fassen und zu be-
schreiben, wie es von sich selbst und andern wisse, ist
schlechthin unmöglich.
Auf ebendieselbe Wahrheit gründet sich die Stelle
im Forbergischen Aufsatze (S. 22): „Die Religion kann
ebensogut mit dem Polytheismus als mit dem Mono-
theismus, ebensogut mit dem Anthropomorphismus als
mit dem Spiritualismus zusammen bestehen." Wenn
Religion hier gleichbedeutend ist mit Religiosität, wie
es dem Zusammenhange zufolge unstreitig ist, so un-
i5*
228
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
terschreibe ich die ganze Stelle. Zwar ist sie philoso-
phisch nicht streng richtig: Gott ist weder einer, noch
viele, weder ein Mensch, noch ein Geist: alle diese Prä-
dikate passen nur für endliche Wesen, nicht aber für
den Unbegreiflichen, Unendlichen. Schreibt man ihm
aber einmal eins von jenen Prädikaten zu, so ist es
gleichviel, welches; der Irrtum ist bei allen derselbe,
dass man den Unbegreiflichen begreifen will. Es ist
jedoch nur ein theoretischer Irrtum, der mit der Recht-
gläubigkeit des Herzens sehr füglich beisammen be-
stehen kann.
In Summa: dadurch, dass etwas begriffen wird, hört
es auf, Gott zu sein; und jeder vorgebliche Begriff von
Gott ist notwendig der eines Abgotts. Wer da sagt:
du sollst dir keinen Begriff von Gott machen, sagt mit
andern Worten : du sollst dir keinen Götzen machen,
und sein Gebot bedeutet geistig dasselbe, was das ur-
alte mosaische sinnlich: Du sollst dir kein Bildnis
machen, noch irgendein Gleichnis etc. Bete sie nicht
an, und diene ihnen nicht!
Und nun — ist es denn Atheismus, ist es denn eine
Heterodoxie, ist es denn auch nur eine neue gewöhn-
liche Behauptung, dass Gott unbegreiflich sei? Sagt
nicht die Bibel, dass Gott ein Licht sei, zu dem nie-
mand kommen könne, dass ihn noch nie jemand er-
kannt habe u. dergl., steht es nicht fast in allen Kate-
chismen mit unsern eigenen Worten, dass Gott unbe-
greiflich sei ; weiss dies der Gegner nicht so wohl als
wir, und sagt er es nicht vielleicht selbst bei andern
Gelegenheiten ? Aber freilich, die Worte und das Ver-
fahren der Gegenpartei stehen nicht selten im Wider-
spruch; und indem sie noch sagen, Gott sei unbegreif-
lich, stellen sie einen sehr genau bestimmten Begriff
Gerichtliche Verantwortungsschrift 229
desselben auf und bezichtigen des Atheismus jeden,
der konsequenter ist, denn sie.
Zweites logisches Axiom. Wer gewisse Beweise für
eine Sache leugnet, leugnet nicht notwendig die Sache
selbst
Nun leugnen wir allerdings gewisse Beweise für
das Dasein Gottes.
Daraus aber folgt nicht, dass wir das Dasein Gottes
selbst leugnen.
Wir legen Rechenschaft ab über den Untersatz un-
sere Syllogismus.
I. Ein Beweis überhaupt ist die Aufzeigung des
Grundes, irgend etwas anzunehmen. Sonach bedürfen
der Beweise und sind der Beweise fähig lediglich ver-
mittelte Erkenntnisse, — lediglich dasjenige, was man
nur um einer andern Erkenntnis willen annimmt,
keineswegs aber unmittelbare, die man weiss dadurch,
dass man überhaupt weiss, und so, wie man auch nur
von sich selbst weiss.
Der Glaube an eine übersinnliche Welt gehört nach
unsrer Philosophie unter die unmittelbaren Wahr-
heiten ; ja er ist das Unmittelbare selbst vorzugsweise;
er ist sonach gar keines Beweises, gar keiner Vermitte-
lung durch andere Wahrheiten fähig. Dadurch ver-
liert er nun nicht etwa an seiner Gewissheit und Zu-
verlässigkeit ; er würde gewinnen, wenn es verschie-
dene Grade der Gewissheit geben könnte. Aber er
erhält dadurch eine ganz eigne Dignität und Würde. —
Führen mir doch einmal diese, die alles beweisen
wollen, recht ordentlich, wie man soll, durch Ver-
knüpfung der Begriffe, den Beweis, dass der Gegen-
stand da, den sie etwa rot erblicken, wirklich rot, dass
jener Gegenstand, den sie süss schmecken, wirklich
2 3o J. G. Fichte« Atheismus-Streit
süss ist. Ich denke, sie werden es unterlassen müssen,
ohne dass sie darum weniger an diese Aussagen ihres
äusseren Sinnes glaubten. Aber die übersinnliche Welt
wird dem moralischen Menschen gegeben durch den
inneren Sinn, dem er sogar mehr glaubt als dem
äussern, indem der letztere doch nur Erscheinungen,
der erstere aber das einzig mögliche „An sich" liefert.
2. Im Beweise von Gottes Dasein soll eine Existenz
bewiesen werden. Aber alle Schlüsse auf Existenz
gründen sich auf die Anknüpfung eines Bestehenden
und Ruhenden an ein Zufälliges und Fliessendes. —
Nun gibt mir entweder der Gegner das absolute Postu-
lat einer übersinnlichen Weltordnung, als ein un-
mittelbares, zu: und fordert bloss das von mir, dass
ich von dieser übersinnlichen Ordnung aus auf einen
selbständigen Urheber derselben schliessen soll, wie
es einige Freunde der neuen Philosophie getan haben.
Aber, wie könnte ich dies, da ich ja wahrhaftig jene
übersinnliche Ordnung keineswegs für ein Zufalliges
und Fliessendes, einer Erklärung durch ein anderes
Bedürfendes, sondern für das absolut durch sich selbst
Bestimmteste halte? Oder er gibt mir jenes Postulat
nicht zu und mutet mir sonach auch jenen Schluss
nicht an; und ich bin sehr überzeugt, dass das letztere
sein Fall ist. Einen anderen Schluss mag er mir wohl
anmuten: den von der Existenz der Sinneuwelt auf
einen vernünftigen Urheber derselben.
Er entschuldige mich; ich bin unfähig, einen sol-
chen Schluss zu machen; indem ich sogar dasjenige,
wovon dieser Schluss ausgeht, schlechthin nicht an-
nehme, die selbständige Existenz einer Sinnenwelt.
Ich habe dies in dem angeklagten Aufsatze sehr frei-
mütig erklärt. Ich habe sonach keinen Kausalschluss
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 3 I
zu machen, um eine Existenz zu erklären, die nach
mir gar nicht stattfindet. Auch über die Gründe die-
ser Behauptung habe ich soeben unter Nr. I des er-
sten Axioms dem Verständigen genug gesagt. Ist es
dem Gegner nicht genug, so kann ich ihm nicht hel-
fen. Halte er nach einem solchen Bekenntnis mich
immer für gestört; dies soll ihm freistehen: denke
er auf eine neue Benennung, nenne er mich etwa einen
A kosmisten, nur nenne er mich nicht einen Atheisten:
Das, was ich leugne, liegt ganz wo anders, als er denkt.
Will nun der Gegner nicht zugeben, dass ich durch
das Gesagte mich gegen die Beschuldigung des Athe-
ismus gerechtfertigt habe, so muss er auch das zweite
oben aufgestellte Axiom leugnen ; und es wird dadurch
klar, dass es ihm nicht um die Ehre Gottes zu tun ist,
sondern lediglich um die Ehre der Beweise, die er zu
fuhren pflegt.
c. So viel zu unserer Rechtfertigung gegen die direk-
te Beschuldigung des Atheismus. Man hat noch an-
dere Beschuldigungen vorgebracht. Unsre Grundsätze
gingen überhaupt auf die Ausrottung der religiösen
Denkart, sie stritten insbesondere gegen die christliche
Religion ; sie seien der Sicherheit der Staaten gefährlich.
Wahrheit und Unwahrheit der streitig gewordnen
Behauptungen gegenwärtig abgerechnet, kennt auch
wohl der Gegner den Geist und das Bedürfnis des
Zeitalters? Doch was frage ich erst; ich weiss, dass er
es nicht kennt, noch kennen kann; diejenigen allein
kennen es, welche Gelegenheit haben, die Geistesten-
denz derer zu erfahren, welche das Zeitalter machen
werden. Und da kann ich denn indessen versichern
und bitte indessen, dem, der's wissen kann, zu glauben,
dass in den denkenden Köpfen unter unsern Jüng-
2 32 J * Fichte« Atheismus-Streit
lingen, ohne alles äussere Zutun der Lehrer der ent-
schiedenste und freiste Prüfungsgeist über diesen Ge-
genstand des Nachdenkens rege ist. Möchten doch
diejenigen, die mir es etwa verübeln könnten, dass ich
mit der Sprache so frei herausgegangen, dass ich nicht
politisch klug verdeckt und bemäntelt habe, möchten
sie doch einmal in mein Konversatorium treten, wenn
die Rede auf diesen Gegenstand kommt. Ich kann sa-
gen, dass ich mit den Deduktionen, die man nun so
gedruckt liest, in sehr gründlich sein sollenden Schrif-
ten gedruckt liest, in meiner Schule schlechtes Glück
machen würde; im nächsten Konversatorio würde der
dialektische Schein gar klar an den Tag kommen. Ich,
der ich meine guten Gründe hatte, meine Philosophie
zu allerletzt über die Religionswissenschaft zu verbrei-
ten (meine erste Schrift hatte ich längst aufgegeben),
kann sagen, dass ich nur durch das lebhafte Interesse
meiner Zuhörer getrieben worden, auch auf diesen
Punkt mein Nachdenken zu richten ; kann sagen, dass
ich nur durch ihre gegründeten Einwendungen so bald
über alle Lücken und Erschleichungen der gewöhn-
lichen Deduktionen hinweg zu einem Resultate ge-
trieben worden, bei welchem es wohl sein Rewenden
haben wird. Auch andere meiner Herren Kollegen,
die sich über diesen Gegenstand auf Räsonnement ein-
lassen und ihren Zuhörern erlauben, Einwendungen
vorzubringen, werden erfahren haben, wie schwer es
heutzutage sei, über diesen Punkt zu befriedigen. Nie-
derschlagen durch Autorität, Seichtigkeit oder absicht-
liche Remäntelung über diesen Punkt des Nachden-
kens duldet das Zeitalter schlechterdings nicht mehr,
und dadurch würde das Übel, wenn freie Prüfung ein
Übel ist, nur ärger und eine Sache, die durch derglei-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 233
chen Mittel sich halten müsste, nur verdächtiger wer-
den. Es bleibt nichts übrig als Gründlichkeit und
Offenheit.
Was den Inhalt der genannten Beschuldigungen
selbst betrifft, habe ich in der beigelegten Appellation
etc. einleuchtend, wie ich hoffe, dargetan, dass es gerade
die Grundsätze unsrer Ankläger sind, die da offenbar
auf Vertilgung alles Sinnes für das Überirdische und
auf allgemeine Verbreitung fleischlicher Denkart, tieri-
scher Lüsternheit, Roheit und Zügellosigkeit abzie-
len, und dass nichts als unsere Grundsätze den aller-
dings in Verfall geratenen religiösen Sinn unter den
Menschen wiederherstellen können. Ich hoffe darge-
tan zu haben, dass es gerade unsre Ankläger sind, wel-
che die erhabne Lehre des Christentums verunedelt
und erniedrigt, sie um ihren wahren Sinn, ihren eigen-
tümlichen Charakter, alle ihre Kraft gebracht haben;
und dass es nur die Grundsätze unsrer Philosophie
sind, die das innere Wesen dieser Lehre wieder an das
Licht bringen können. Ich hoffe dargetan zu haben,
dass es gerade die Grundsätze unsrer Ankläger sind,
welche, indem sie den fleischlichen Sinn autorisieren
und heiligen und alles Gefühl für etwas Höheres un-
ter den Menschen ausrotten, zugleich die heilige Idee
des Rechts und der Unterwürfigkeit unter ein Gesetz
vertilgen und an die Stelle derselben blinde Willkür
in allen Ständen setzen; Gewalttätigkeit, Störrigkeit,
unbelehrbaren Sinn und den Wahn, dass jedes Amt
im Staate, das sie übertragen, ein Almosen von ihrer
persönlichen Milde sei, bei den Mächtigen; Nieder-
trächtigkeit, Ränkesucht, Angeberei und die ganze elen-
de Denkart des rechtlosen Sklaven bei dem Unterge-
benen, vereint mit dem Drängen, sich an einen Platz
2 34 3» G> Fichtes Atheismus-Streit
emporzuarbeiten, wo er andere ebenso drücken könne,
als er jetzt selbst gedrückt wird; welches alles nur
mit der allgemeinen Verzweiflung sich enden kann : —
dass es also gerade diese Grundsätze sind, welche nicht
die Sicherheit der Staaten, sondern die Möglichkeit,
dass überall einer sei, aufheben, indem sie alle Gesetz-
mässigkeit aufheben und die Nation in eine Kaste von
Herren und in einen Haufen von Sklaven teilen.
Unsre Lehre macht jedem Menschen sein eignes
Geschäft heilig durch die erhabne Idee der Pflicht
und lehrt ihn für dieses sorgen, ohne um andre sich
zu kümmern. Sie lehrt ihn Verzicht tun auf allen
Genuss, verschmähen das Ringen um die vermeinten
Güter, Freuden und Ehren anderer; und macht ihn
sonach sicher zum nützlichen, ruhigen, zuverlässigen
Bürger.
Ich habe in der beigelegten Schrift gezeigt, noch
ehe ich eine solche Anklage voraussehen konnte, dass
wir von der Lehre des Gegners nicht im mindesten
besser denken als er von der unsrigen. Ich habe für
die Verwerflichkeit derselben Gründe aufgestellt, wel-
che sie ohne Zweifel unbeantwortet werden lassen
müssen, während sie gegen uns auch noch nicht einen
winzigen Scheingrund vorgebracht haben ; nur gesagt
und versichert haben, wir hätten unrecht und sie
recht. Ihr gegenwärtiger Vorteil gründet sich sonach
nur darauf, dass sie das Glück haben, einer äussern
Macht anzuzeigen, und wir uns nur verteidigen. Wie,
w r enn die Rollen verwechselt würden und auch wir
unsrerseits etwa einmal zur Anzeige bei einer bestehen-
den Staatsgewalt gelangten? Wenn nicht zugleich auch
unsre Gesinnung der des Gegners ebenso entgegenge-
setzt wäre als unsre Lehre der seinigen und wir uns
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 35
einfallen lassen könnten, zur Verteidigung der Wahr-
heit ein anderes Mittel zu gebrauchen als ruhige Be-
lehrung; so würden dann wir mit Gründen, wie sie
ohne Gründe ihre Schriften konfiszieren lassen müssen
als atheistisch, abgöttisch, gotteslästerlich, verführe-
risch und von Grund aus verderblich ; so würden dann
wir mit Gründen, wie sie ohne Gründe im Requisitions-
schreiben, zu denen wir ihre eignen fast wörtlich brau-
chen könnten, auf die „ernstliche Bestrafung ihres
Frevels" zu dringen haben.
Kurz, nach dem Gesagten ist die wahre Schuld uns-
rer Lehre die, dass sie die Lehre der schwächern Par-
tei ist, wie es ihnen scheint — denn auf mögliche gei-
stige Stärke rechnen sie gar nicht, sie rechnen nur
auf Fäuste — dass sie durch keine bewaffnete Macht
unterstützt wird. Nach demselben Argumente war
ehemals auch die protestantische Lehre, zu welcher
Partei unsere Verfolger sich rechnen, falsch; sie ist
wahr geworden, seitdem sie dieses Argument auf ihre
Seite zu ziehen gewusst hat. Will man denn dieselben
Ausschweifungen der menschlichen Vernunft stets
wiederholen, und wird denn das Menschengeschlecht
auch nicht einmal durch Erfahrung klüger?
Nur eine neue in jener Appellation noch nicht ge-
hobne, für den Zweck derselben auch gar nicht ge-
hörige Befürchtung ist auf Veranlassung dieser An-
klage geäussert worden, auf welche ich hier mit weni-
gem Rücksicht nehmen will. Man befürchtet nämlich
von unsern Äusserungen Nachteil für die Ehre und
den guten JRuf unsrer lieben Universität Jena. Ich
untersuche die Gründe dieser Befürchtung.
Es hat von jeher gegeben und wird, solange Men-
schen sein werden, fortdauernd geben zwei Haupt-
a36
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
parteien : solche, die an dem Hergebrachten fest hangen,
nicht das mindeste daran verrückt wissen wollen, ja
wohl gar bemüht sind, wieder rückwärts zu kommen ;
und solche, die vorwärts zu schreiten und die mensch-
lichen Erkenntnisse und Verhältnisse zu vervollkomm-
nen streben. Man nennt die erstem neuerlich Obsku-
ranten, und ich werde um der Kürze willen mich hier
dieses Namens bedienen; besonders, da die Partei, wie
sie hier zum Vorschein kommt, diesen bei manchen
andern Gelegenheiten unbilligen Namen bei der gegen-
wärtigen nicht wohl verbitten kann : die letztern mögen
Freunde des Lichts heissen. Der Krieg dieser Parteien
ist ewig, so wie sie selbst, aber es gibt in diesem Kriege
Epochen, da er sich mit grösserer Hitze entzündet;
dann, wenn mit der Liebe der Finsternis, welche,
wenn sie rein ist, nicht mit dem höchsten Mute be-
geistert, noch die Liebe mancher andrer brauchbaren
Dinge sich zu verknüpfen scheint. Eine dieser Epochen
war z. B. die Zeit der Reformation; und die gegen-
wärtige Zeit, welche überhaupt mit jener grosse Ähn-
lichkeit hat, ist gleichfalls eine dieser Epochen. Der
gegenwärtige Politiker würde, meines Erachtens, wohl
tun, wenn er aus der Geschichte jener Zeit in be-
denklichen Fällen Verhaltungsregeln abstrahierte; und
hätte man dies eher und häufiger und allgemeiner
getan, so würden, wie es mir scheint, gewisse bedenk-
liche Fälle gar nicht eingetreten sein.
Da die beiden erwähnten Parteien von ganz ent-
gegengesetzter Denkart sind, so widersprechen sie sich
notwendig auch in ihren Begriffen über die Ehre. Was
der einen guter Ruf und Ruhm heis*t, ist der andern
sehr schlimmer Ruf und Schande; und so umgekehrt.
So ist es, und so muss es bleiben, denn es ist notwendig so.
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 3 7
Die schlimmste Politik, die jemand dabei ergreifen
könnte, wäre zu allen Zeiten, ganz besonders aber in
einer Epoche, da der Krieg heftiger entbrannt ist, die,
einen Mittelweg gehen, es beiden Parteien recht ma-
chen und bei beiden Ehre einlegen zu wollen. Man
verdirbt es dann sicher bei beiden, wird von beiden
gescholten und von keiner gelobt und gerät in den
allerschlimmsten Ruf. — Jede Aussöhnung, jede An-
näherung beider Parteien, als Resultat einer Unter-
handlung (nicht etwa als von selbst kommendes Re-
sultat der Zeit) ist unmöglich, und der ist ein Kind
an Erfahrung, der sie erwartet. Gehe nur, gutmütiger
Freund des Lichts, und demonstriere dem Obskuran-
ten sein Unrecht, das dir so leicht zu demonstrieren
scheint. Er gibt dir vielleicht deine ganze Demon-
stration zu ; aber schon darin, eben darin, dass du de-
monstrierst und räsonierst, liegt dein Unrecht; die
Waffen sogar, mit denen du streitest, sind verboten.
Du sollst glauben und gehorchen, Weisst du denn nicht,
dass diese Vernunft selbst, auf welche du fussest, ver-
derbt und vergiftet ist, und dass du die übernatürliche
Regel, wie du des natürlichen Lichts dich zu bedienen
habest, erst aus ihren Händen erhalten musst? (So
weiss ich z. B. sehr gewiss, dass ich durch diese meine
Verteidigung bei meinem eigentlichen Ankläger nichts
ausrichte. Wenn er sie zu Ende gelesen haben wird,
falls er dies ja tut, wird er sagen: Fichte soll nicht
räsonieren, sondern sich unterwerfen. Für ihn schreibe
ich sie auch nicht, sondern um denjenigen, die mich
vor seiner Gewalttätigkeit schützen können, zu zeigen,
dass ich dieses Schutzes wert bin.)
Das einzige Mittel, wohl durchzukommen und auf
einer Seite Ehre und guten Ruf zu haben, ist dies,
a38
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
dass man sich für eine Partei von beiden entschieden
erkläre und mit dieser es fest und unverrückt halte.
Wenn nun in der Wahl dieser Partei bloss und ledig-
lich auf Ehre und guten Ruf gesehen würde, und man
nur dies sich zum Zwecke machte, den ausgebreitet-
sten, und besonders den dauerndsten Ruhm zu er-
werben, so ist unstreitig, dass man sich an die Freunde
des Lichts anschliessen müsse.
Auf dieser Seite ist der ausgebreitetste gute Ruf. —
Ich will zwar nicht behaupten, dass es der Zahl nach
mehr Freunde des Lichts gebe als Obskuranten; aber
die ersteren übertreffen an Gewicht. Auf ihrer Seite
ist in der Regel das Talent, die Beredsamkeit, die gu-
ten und gründlichen Kenntnisse; auf der andern Seite
ist in der Regel Unbehilflichkeit in Wort und Sache,
Weitschweifigkeit und Plattheit, Unwissenheit oder
unnütze Kenntnisse. Die erstem vermögen auszu-
sprechen, was sie denken, und einen Ruf zu machen ;
die letztern haben grösstenteils keinen Vortrag und
können nur innerlich schmähen und verwünschen,
wo sie sich nicht einmal die Gelegenheit ersehen, ein
Konfiskationsreskript oder ein Requisitionsschreiben
schleichend zu veranlassen, dessen beabsichtigter Suk-
zess doch immer sehr zweifelhaft bleibt.
Auf dieser Seite ist ewig dauernder guter Ruf. Die
Obskuranten haben die Freunde des Lichts ihrer Zeit
und aller folgenden Zeitalter gegen sich. Ihre Schande
stirbt nie und wird im Fortgange der Zeiten nur
grösser. Wer kennt jetzt Joachim Langen anders, denn
als einen ketzermacherischen Verfolger; und wer
wird nur in der künftigen Generation Goezen anders
kennen? — Was mehr ist: die Obskuranten haben
sogar die Obskuranten der künftigen Zeitalter gegen
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 3 g
sich : sie überleben gemeiniglich ihren guten Ruf so-
gar bei ihrer Partei und verlieren ihn sicherlich
auch bei dieser nach ihrem Tode. Die Obskuran-
ten jeder künftigen Generation nennen die der vor-
hergehenden bei ihrem wahren Namen; denn auch
sie sind durch den Fortgang der Zeiten mit fortgerissen
worden. Es gibt sicherlich keinen einzigen Obskuran-
ten, der nicht diese Benennung sich verbäte und sich
denn doch auch für aufgeklärt hielte. Aufklärung
soll, nach ihnen, denn wohl sein, nur gehen die Geg-
ner darin zu weit. Wie aber ist es doch möglich,
dass sich diese für aufgeklärt halten? Nicht anders
als so, indem sie wieder höher stehen als andere:
und diese andern, diese sind nun für sie die Obskuran-
ten. Im Gegenteil dauert das Verdienst und der Ruhm,
in irgendeinem Zeitalter das Menschengeschlecht auf
eine höhere Stufe gebracht zu haben, durch alle Zei-
ten; wenn auch die Nachwelt wiederum viel weiter
vorgerückt wäre. Ohne Zweifel war die Universität
Wittenberg, als sie Luther und Melanchthon zu Lehrern
hatte, bei den Päpsten und ihrem Anhange und bei
dem Albertinischen Herzoge Georg in sehr üblem Rufe ;
dafür war sie bei den verständigen und aufgeklär-
ten Männern der damaligen Zeit in gutem Rufe; und
noch lebt ihr Ruhm unter uns und wird von Jahr-
hundert zu Jahrhundert fortleben. Dieses sah ohne
Zweifel der Ernestinische Kurfürst Friedlich der Weise,
der schon dadurch seinen Beinamen und seinen un-
sterblichen Ruhm verdiente; war stark genug, jenen
üblen Ruf zu verachten, und hinterliess seinen durch-
lauchtigsten Urenkeln ein Beispiel der wahren Ehre.
Unsre gute Universität Jena hat ihren Ruhm bei
den Freunden des Lichts; der gute Name ist ihr zu-
J * Fichte« Atheismus-Streit
gefeilen, und sie wird, wie mir es scheint, nichts zu
tun haben als zu arbeiten, dass sie hinter ihrem
Ruhme nicht zurückbleibe. Begnügen sich doch ge-
wisse andere Universitäten, die uns in Vormundschaft
nehmen zu wollen scheinen, mit dem ihrigen bei der
entgegengesetzten Partei. Diese Partei könnte mit
ihnen vollkommen zufrieden sein, wenn sie nur ein
wenig billig wäre. — Unsre gute Universität kann
nunmehro gar keinen andern Weg mehr zum Ruhme
einschlagen, als den sie bisher gegangen; wenn auch
ihre Lehrer, oder ihre Durchlauchtigsten Erhalter
dies wollen könnten. Eben in ihrem guten Rufe be-
steht ihr eigentliches Verbrechen; und dieses mag
auch wohl jetzt einen beträchtlichen Teil von der
Schuld der Beklagten ausmachen. Es ist nur eine Be-
dingung, unter welcher die Gegenpartei sich mit uns-
rer Universität aussöhnen könnte: die, dass sie in die-
selbe Obskurität und denselben üblen Ruf versinke,
durch den gewisse andere Universitäten bedeckt sind,
und, was in ihrer Lage aus dem ersten erfolgen muss,
völlig zugrunde gehe. Die Massregeln, die sie vorge-
schlagen haben, sind der sichere Weg, zu diesem
Ziele zu gelangen.
II.
Wenn man denn nun meine Verteidigung bis hie-
her gelesen, wenn man die beigelegte Appellation durch-
gelesen, und findet, dass, wie ich die Sache vorstelle,
jene Bezichtigung des Atheismus dann doch so durch-
aus ohne allen Grund, dass unsre Lehre vielmehr höchst
religiös sei; so muss man sich wundern, wie es denn
nur möglich gewesen, so ganz aus nichts jene Beschul-
digung zu ziehen, man muss bedenklich werden, es
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 1\ I
muss der Verdacht entstehen, dass ich wohl durch
allerlei Künste den wahren Gesichtspunkt verrückt
und eine ganz andere Materie untergeschoben. Ich
habe nicht gründlich geantwortet, wenn ich nicht auch
historisch die eigentliche Quelle dieser Beschuldigung
aufsuche und mit der wahren Beschaffenhenheit dieser
Quelle bekannt mache : hingegen ist mein Triumph
und die vollkommene Beschämung meiner Gegner ent-
schieden, wenn ich es tue. Ich bin mir und den Mit-
angeklagten schuldig, es zu tun.
Es ist vor mehreren Monaten eine Schrift erschienen,
die ich (Beil. C.) zu den Akten lege : Schreiben eines Vaters
an seinen Sohn über den Fichtischen und Forbergischen
Atheismus. Diese Schrift zeigt die innigste Animosität
gegen die Person des Verf. des ersten Aufsatzes : durch
das Motto; durch die zweimal wiederholte, nicht ein-
mal durch den eignen Witz des Sendschreibers, son-
dern durch den Buchhändler Fr. Nicolai ausgedachte
Schmähung: „ich hielte mich für den Aufseher des
Menschengeschlechts"; durch die S. 5 vorgebrachte
Verdrehung und darauf gegründete abscheuliche Be-
schuldigung (Es ist eine Verdrehung, sage ich; denn
ich habe nie gesagt, dass ich den dort gemeinten ach-
tungswerten Mann annihilieren wolle, in der Zukunft,
welches in der Studentensprache allenfalls heissen
könnte, dass ich ihn um seinen akademischen Applau-
sus bringen wolle; sondern ich habe es auf der Stelle
getan und erklärt, dass ich es auf der Stelle tue; d.h.
ich habe geurteilt, dass derselbe kein echtoriginell
spekulativer Kopf sei; in Ermangelung dessen man
doch andere unstreitige Verdienste und treffliche Kennt-
nisse haben und der studierenden Jugend grosse Vor-
teile gewähren kann, welches alles ich dem verdien-
Fichte 1 6
2^2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ten Manne nie habe absprechen wollen.) Sie zeigt Ani-
mosität noch durch eine Menge anderer Schmähun-
gen und Beschimpfungen, die ich hier nicht weiter
auszeichnen mag, die aber jeder, der sich überwinden
kann, diese Blätter durchzulesen, ohnstreitig bemer-
ken wird. Schon deswegen musste das Zeugnis dieses
Schriftstellers nichts gelten.
Diese Schrift zeigt ferner die auffallendste Ignoranz:
— über das Wesen der Spekulation sogar, indem sie
mich (S. i4) aus der Geschichte der Philosophie be-
lehren will, wie ich hätte räsonieren sollen; über die
neueste Geschichte derselben, indem sich der Verf. über
einige meiner Äusserungen, als über das absolute Sein
der Welt von dem Gesichtspunkte der Naturphiloso-
phie aus, über eine Ordnung, ohne einen Urheber der-
selben, und dergleichen gar nicht sattsam verwundern
kann; welche Sätze doch jedem, der nur einige Blicke
in die gemeine kritische Philosophie getan hat, geläu-
fig genug sind; indem er die Behauptung, dass die
Welt durch sich sei, der, dass ein Palast sich selbst
gebaut habe, gleichstellt — eine Parallele, die einen
Unmündigen täuschen mag, aber übel steht in einer
Schrift gegen einen kritischen Philosophen, welche
bekanntlich zwischen Natur- und Kunstprodukten ei-
nen sehr wesentlichen Unterschied machen.
Sie zeigt den mitleidswürdigsten Unverstand, Seich-
tigkeit und Unüberlegtheit; indem der Schreiber, wenn
es nun an die Widerlegung gehen soll, statt dieser
Widerlegung die Klage vorbringt, dass er den Verf.
nicht verstehe, dass es der Mühe nicht lohne, sich mit
seinen Philosophemen den Kopf zu zerbrechen, dass
er, wie sein Ferdinand bezeugen werde, nicht Zeit
habe u. dergl.; indem er bei dem wichtigen Einwurfe:
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2^3
aus nichts wird nichts, sich auf eine Beantwortung die-
ses Ferdinand, die derselbe schon in der Schule gegeben
habe, beruft, welche wir aber leider nicht erfahren,
da sie doch von der höchsten Wichtigkeit sein würde,
indem noch kein Philosoph eine solche Antwort ge-
funden, und durch dieselbe die ganze Gestalt der Phi-
losophie geändert werden würde; indem er auf folgende
Weise (S. 24) widerlegt : — „damit die wahre Reli-
gion des freudigen Rechttuns sich erhebe," hatte der
Verf. gesagt — „er wollte vielleicht, setzt der Schrei-
ber hinzu, sagen: damit allen Lastern Tor und Tür
geöffnet werde" ; indem er die Verdrehungen und den
skurrilischen Aberwitz desSempronius Gundibert wirk-
lich für bedeutend zu halten scheint, und ein Buch, das
nur dem niedrigsten Pöbel der Lesewelt erträglich sein
kann, unter wirklich Studierenden zu verbreiten bittet.
Sie trägt auch schon im Äussern das Gepräge eines
Skriblers an sich : sie ist in einer unbestimmten (z. B.
philosophische Geschichte, sagt er, statt Geschichte
der Philosophie) wässerigen, glatten, gedehnten Spra-
che geschrieben.
Sie ist ein Produkt, das das Licht scheut; weder der
Verfasser, noch sogar der Verleger haben es gewagt,
sich namentlich zu ihr zu bekennen.
Diese so beschaffene Schrift haben Leipziger Ge-
lehrte für ein Werk des berühmten und verdienten
Theologen, Herrn D. Gabler zu Altdorf, — ich weiss
nicht, ob wirklich gehalten, oder nur ausgegeben ; —
diese Alternative ist mir erlaubt, da für Gelehrte das er-
ste fast noch nachteiliger ist als das zweite. „Man hat
dieselbe", sagt Hr. D. Gabler in der gedruckten Erklä-
rung*) (Beil. B), auf welche ich sogleich mich weiter be-
*) Vgl. oben S. 89.
16*
2^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ziehen werde — „in Kursachsen mit Mühe in Umlauf
gebracht. Man hat zugleich sorgfältig verbreitet, ich
(der D. Gabler) sei der Verfasser dieser Schrift." In
einer hier zu Jena zensierten und soeben unter der
Presse befindlichen Druckschrift: Apologetischer Ver-
such etc. wird gesagt, dass man zu Leipzig Exemplare
jenes Schreibens unentgeltlich verteilt; immer mit der
Versicherung, dass D. Gabler der Verfasser desselben
sei, und dass sie auf seinen Auftrag ausgeteilt würden.
Manchen, die diese Nachricht über den Verfasser be-
zweifelten, bat man eigenhändige Briefe des D. Gab-
ler vorzuzeigen versprochen, die seine Autorschaft be-
weisen sollten; welches letztere ich durch Briefe be-
weisen kann. Man hat dieselbe Schrift nach Dresden
geschickt, ohne Zweifel gleichfalls mit der Versiche-
rung, dass jener auswärtige Theolog sie verfasst habe;
denn weiter gehen meine Nachrichten nicht über diese
geheimen Machinationen. Wenigstens hat der Konzi-
pient des Requisitionsschreibens offenbar sie vor sich
gehabt, denn dieselben Stellen, die der schreibende Va-
ter angeführt, hat auch der Konzipient ausgehoben.
Diese lichtscheue und so beschaffene Schrift also ist es,
welche die Gelehrten einiger Universitäten, welche die
höchsten Regierungskollegien von fünf angesehenen
Ländern, welche, seitdem die hannoverische Regierung
unsre Namen, als Namen von Menschen, die gefährli-
che, höchst anstössige und allgemeinschädliche Grund-
sätze hegen, öffentlich anschlagen, das sechste, und
seitdem auch der preussische Hof requiriert worden,
an der Verfolgung gegen uns teilzunehmen, das sieben-
te, in Bewegung gesetzt ; sie ist es, die durch die näch-
sten Folgen, welche man ihr gegeben, noch unabseh-
bare und nicht zu berechnende Folgen haben kann. Oh !
Gerichtliche Verantwortungsschrift
durch welche Geringfügigkeiten werden die mensch-
lichen Schicksale bestimmt!
Hr. D. Gabler protestiert im Intelligenzblatt der A. L.
Z. N. B. (Beil. B.) ernstlich gegen das Gerücht, dass er
der Verf. dieser Schrift sei, erklärt dieses Gerücht für
eine grobe Verleumdung, überlässt die Verbreiter die-
ser Verleumdung ihrer eignen Scham und Schande
und urteilt über die Schrift ohngefahr so, wie ich so-
eben auch über sie geurteilt habe.
Wer hat sie denn also geschrieben ? Vielleicht, dass
die äussern Verhältnisse des Verfassers, sein Charakter,
seine persönlichen Beziehungen ein neues Licht über
das Gewicht, das ihr zuzuschreiben sei, verbreiten.
Nichts hält mich ab, meine Überzeugung, welcher le-
diglich die juristische Erweisbarkeit abgeht, auch dar-
über zu sagen.
Es lebt ganz in meiner Nähe ein unglücklicher Mann,
der, ich weiss nicht, ob zur Strafe für etwas schon vor-
her Verübtes, oder durch ein unseliges Verhängnis,
sich mit Schande und mit dem allgemeinen Hasse be-
deckt hat, und welchem seitdem, sowie dem Orest, die
Furie zum steten Geleit gegeben ist. Da die Schande
sein eignes Element ist und er doch nicht immer auf
dem Katheder stehen kann, auf welchem der unsaubere
Geist aus ihm Possen reisst und Zoten ausstösst, wen-
det er seine übrige Zeit dazu an, in seiner Schande zu
wühlen, um andere zu bespritzen, damit er sich doch
in der menschlichen Gesellschaft nicht mehr so gar sehr
zu schämen habe. Es ist in seinem Umkreise wohl kaum
ein Mann oder eine Frau, die sich nicht schon über
ihn zu beklagen gehabt, gegen welche er nicht schon
schmutzige Verleumdungen ausgestossen habe. Er ist
schon häufig in Injurien-Prozesse, er ist in Untersu-
2^6 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
chung wegen einer auf dem Katheder ausgestossenen
Blasphemie verwickelt gewesen, hat sich aber, sagt
man mir, jedesmal durchgelogen. Er hat, indem ich
dieses schreibe, zwei Injurien-Prozesse, deren einen,
den aktiven, er ebenso plump und pöbelhaft führt, als
er den zweiten, den passiven, veranlasst hat. Sein böser
Geist treibt ihn, jeden Menschen, der nur ein wenig be-
merkt wird, anzufeinden : komme er mit demselben in
Kollision oder nicht, habe derselbe ihn beleidigt oder
nicht, sei es demselben auch nur möglich, ihm zu scha-
den oder nicht; wie denn z. B. ich mit demselben we-
der in schriftstellerischer, noch akademischer Rück-
sicht in Kollision kommen kann, indem wir ganz ver-
schiedene Fächer bearbeiten und ich sein Angesicht noch
nie gesehen habe, noch er, soviel mir bekannt ist, das
meinige. Er gab ehemals alljährlich unter seinem Na-
men Angriffe auf ehrliche Männer heraus. Dies Insti-
tut kam ins Stocken, und seitdem hat er das Lästern
im Intelligenzblatt der N. Deutschen Bibliothek getrie-
ben: dort hat er mehrere Pasquille auf unsern ver-
ehrungswürdigen D. Paulus, den er ganz besonders
anfeindet, eins auf H. R. Schnaubert, auf B. R. Scherer ',
u. a., soviel mir nur in dem kurzen Zeiträume bekannt
worden, den ich hier lebe, einrücken lassen. Gewiss
hat er dergleichen Taten in Menge ausgeübt, die mir
nur nicht bekannt worden; vielleicht gibt es hier kei-
nen namhaften Gelehrten, den er nicht einmal auf diese
Weise angegriffen.
Dieser Mann hat seit meiner Anstellung in Jena ganz
besonders mich zum Ziele seiner literarischen Läste-
rungen ersehen ; welches mir zur Ehre gereicht, da ich
darin gewissermassen in die Stelle des ehrwürdigen
D. Paulus trete, mit welchem gleiche Feinde zu haben,
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 ^
ich für Ruhm halte. Er hat, als jenes jährliche Läste-
rungsinstitut noch bestand, kein Jahr vergehen lassen,
ohne mich, genannt und ungenannt, auf die in unserm
Zeitalter gefährlichste Weise, als Feind der Religion
und der Staaten zu verschreien. Er hat seitdem zu ver-
schiedenen Malen die gröbsten ihm selbst als solche
bekannten Unwahrheiten über mich in das Itg.-Bl. der
N. D. B. einrücken lassen. Dem Verleger dieser Pas-
quille ist es durch einen anderen Verleumdeten in
einem Privatbriefe, und da dieses nicht half, von mir
öffentlich verwiesen worden ; seitdem wird nichts mehr
von diesem Manne Herkommendes in jenem Itg.-Bl.
aufgenommen, und es bleibt ihm nichts übrig, als
namenlose, lichtscheue Broschüren in das Publikum zu
werfen.
Er hat insbesondere gleich nach meiner Ankunft in
Jena, nachdem er den nichtverstandenen Satz meiner
Philosophie : alles im Ich, und ausser dem Ich nichts,
irgendwoher erlauscht, sogleich gemerkt, was sich dar-
aus gelegentlich machen Hesse, und gegen eine Person,
aus deren Munde ich es habe, geäussert : oh, mit diesem
w T ird es hier nicht lange währen; seine Prinzipien müs-
sen ihn auf den Atheismus führen, und dann wird ihn
kein Fürst im Lande dulden. Er mag seit diesen fünf
Jahren sorgsam geharrt haben, ob denn nicht endlich
eine Äusserung erscheine, die sich für eine Erfüllung
jener Weissagung ausgeben Hesse. Er hat endlich ge-
glaubt, sie in jenem Aufsatze meines Journals gefun-
den zu haben, und freudig die Gelegenheit ergriffen.
Wie wäre es, wenn — dieser Mann der Verfasser
jenes Schreibens wäre? — Der Mann von diesem all-
gemein bekannten Charakter, von dieser gleichfalls
allgemein bekannten Feindschaft gegen mich, dieser
2^8 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Ignorant der ersten Klasse, als welchen er sich in jener
Schrift darstellt. (Er hat zwar in seinem Fache eine
ausgebreitete Zelebrität, und es mag sein, dass er eine
Menge Büchertitel und andere Dinge, die sich auswen-
dig lernen lassen, auswendig weiss; aber Beurteilung
und wahre Geschicklichkeit und Verstand kann ein
Mann, dem es an Verstände fehlt, einzusehen, wovon
er nichts verstehe, in keinem einzigen Fache haben,
wenn nicht die Vernunft selbst eine Lügnerin ist.)
Alles vereinigt sich, auf die Vermutung zu führen,
dass dieser Mann der Verf. sei. Seine Denkart, sein
Stil, ganz besonders seine Logik und einige charak-
teristische Eigenheiten, z. B. seine unaufhörliche Klage
über Unverständlichkeit alles desjenigen, was er nicht
schon mit diesen Worten auswendig gelernt hat, sind
einzig im gelehrten Deutschland. Diese Schrift so schrei-
ben konnte, wie ich im Herzen überzeugt bin, kein an-
derer Mensch. Ich brauchte nur wenige Seiten durch-
zulaufen, um ihn sogleich zu erkennen. Ich mache
mich anheischig, wenn es irgend jemandem die Mühe
lohnen könnte, den Beweis dieser Behauptung nach
den Regeln der höhern Kritik so zu führen, wie nach
diesen Regeln noch kein Beweis geführt worden.
Einen vor Gericht gültigen Beweis habe ich nicht, und
darum schreibe ich den Namen des Mannes nicht her,
und darum äussere ich hier meine Überzeugung als
Vermutung. Jedoch kann ich, wenn jemand eine ge-
richtliche Untersuchung veranlassen wollte, einen
Anfangspunkt derselben anweisen. Die Felseckerische
Buchhandlung zu Nürnberg hat den Debit dieser Schrift ;
und von ihr ist das Exemplar, welches ich zu den Ak-
ten lege, nebst andern, an die Gablerische Buchhand-
lung allhier gesendet worden. — Untersuche man nur
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 49
recht und gründlich; und ich zweifle keinen Augen-
blick, dass meine Vermutung sich nicht vollkommen
bestätigen werde. Wenn man recht untersucht, habe
ich gesagt. Denn dass die Mittelspersonen, dass jener
Mann selbst leugne, dass ein anderer für den Verf.
ausgegeben werde, dass etwa ein anderer sogar sich
wirklich dazu bekennt, würde mich meines Irrtums
nicht überführen. Selbst der letzte Fall ist in unserm
Zeitalter dagewesen. Zu der Schrift: Bahrdt mit der
eisernen Stirn, bekannte sich ein gewisser Schlegel na-
mentlich; der doch, nach dem später erfolgten eignen
Geständnisse des wahren Verfassers, sie keineswegs
geschrieben hatte.
Ein solcher Mann also konnte es sein, ein solcher
Mann war es wahrscheinlich, der durch ein solches
Mittel sechs Regierungen gegen mich in Bewegung
setzte. Man kann nicht vermeiden, bei diesem Anblicke
gerührt zu werden und das Schicksal der Hohen zu
beklagen. Es bedarf eines kleinen Zufalls, und der erste
beste verächtliche Mensch macht sie zum Werkzeuge
seiner niedrigsten Leidenschaft, seines pöbelhaftesten
Mutwillens I
III.
Nun wussten freilich diese Regierungen nicht und
eben so wenig, wie ich zu ihrer Ehre glauben will,
die ersten Anstifter und Veranlasser, was ich soeben
über den Verf. jener Schrift gesagt habe. Aber das
wenigstens wussten die letzteren, wenn sie auch nur
gelehrte Zeitungen lasen, dass ich schon oft ver-
leumdet worden und mich auf eine den Verleumdern
unmöglich angenehme Weise verteidigt, dass so man-
cher literarische Angriff auf mich geschehen, die ich
25 o J - G. Fichtes Atheismus-Streit
gleichfalls rüstig abgewehrt. Sie konnten sonach er-
achten, dass es mir an literarischen Gegnern und per-
sönlichen Feinden nicht fehlen könne. Wie in aller
Welt ging es doch zu, dass sie auch nicht auf eine
entfernte Ahnung gerieten, ob nicht diese Schrift aus
solch einer unreinen Quelle messen möge; besonders,
als sie die durch Scheu vor einem politisch ohnmäch-
tigen Professor gar nicht zu erklärendeVerheimlichung
des Verfassers und sogar des Verlegers bemerkten?
Sie, die als Gelehrte denn doch etwas wissen sollten, ,
wie kam es, dass sie die Seichtigkeit und die Ignoranz
des schreibenden Vaters so wenig bemerkten, dass sie
sogar seine Meinungen zu den ihrigen; seine Art zu
argumentieren, seinen Geschmack, seine Lieblings-
schriften zu den ihrigen machten? — indem unter
andern ein, übrigens um seiner Aufgeklärtheit willen
dem kursächsischen Kirchenrate verdächtiger Theolog
(so sagen gedruckte Schriften) das kleine Verdienst,
welches (S. 5) dem Ferdinand des Schriftstellers an-
getragen wird, sich wirklich gemacht und Zuhörern
von mir, die ihn auf einer Reise besucht, den Sem-
pronius Gundibert als ein treffliches Buch empfohlen.
Wie kommt es, dass sie, die denn doch wenigstens
das theologische Journal von D. Gabler lesen und den
schriftstellerischen Charakter dieses Mannes ein wenig
kennen sollten, jene Arbeit für die seinige halten konn-
ten? Haben sie wirklich so wenig Kritik, oder Hess
sie nur für diesmal ihre Leidenschaft dieselbe nicht
gebrauchen? In der Tat, soll ich den Stützen und
Repräsentanten der Wissenschaften in einem der er-
sten Staaten des protestantischen Deutschlands eine
Seichtigkeit und eine Ignoranz zutrauen, die noch sehr
tief unter der des Briefstellers stehen müsste, den sie
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 5 I
zu ihrer Autorität gemacht; oder soll ich vielmehr
glauben, dass sie durch Leidenschaft geblendet, ihren
sonstigen Scharfsinn nur diesmal nicht anwenden konn-
ten ? Sie gewinnen bei der letztern Voraussetzung. Wie
kam es doch, dass sie Mittel gebrauchten, deren sich
an keinem andern Orte der Welt Gelehrte bedienen
würden; der hartnäckigen Versicherung jedem Wider-
spruche zu Trotz, dass D. Gabler der Verf. jener Schrift
sei, welches sie denn doch, wie nun die Erfahrung
lehrt, so gewiss nicht wissen konnten ; der unentgelt-
lichen Verteilung jener Schrift, als ob D. G. sie ver-
anstaltet hätte; des Anerbietens, ein Schreiben von
ihm vorzuzeigen, das seine Autorschaft ausser Zweifel
setzte; welches entweder eine Lüge, oder die Vorbe-
reitung zu einem Falsum war? Dadurch ist ja ihr
persönlicher Hass gegen mich klar erwiesen.
Und wodurch habe ich sie beleidigt? Ich habe mit
manchem Schriftsteller gelehrte Streitigkeiten gehabt;
nicht, dass ich's wüsste, mit einem unter ihnen. Man
müsste es künstlich anfangen, um gegen sie zu schrei-
ben. Ich darf nicht sagen : es ist eine gelehrte Eifer-
sucht, literarischer Neid überhaupt, ohne mir eine
Wichtigkeit anzumassen zu scheinen, die ich vielleicht
sogar bei ihnen nicht habe. Aber was ist es? Mögen
dies andre ermessen ; dieser Punkt ist überhaupt nicht
von Bedeutung.
Aber — und dieser Punkt ist von Bedeutung —
wie ist denn dies zugegangen, dass diese so höchst
verdächtigen Insinuationen solche Schritte der kur-
sächsischen Regierung veranlassen konnten? — ich
nenne nur diese Regierung; denn das später erfolgte
Verbot der hannövrischen Regierung ist ohne Zweifel
auf das Ansuchen der erstem ergangen, wie dieselbe
2Ö2
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
um ein ähnliches Verbot an dem preussischen Hofe
angesucht. Was wäre es doch, das die Weisheit dieser
Regierung hätte verblenden können, da jene Trieb-
federn lediglich in gelehrten Gemütern stattfinden?
Hier bedarf es keiner Mutmassungen und keines
Ratens. Die Triebfeder ist klar; sie ist notorisch; nur
dass keiner den Namen des Dinges aussprechen will.
Ich bin überhaupt nicht gemacht, um hinter dem
Berge zu halten ; und ich will es besonders hier nicht ;
indem ich dieser Angriffe nunmehro müde bin, und
für dieses Mal entweder mir Ruhe verscha ffen will für
mein ganzes übriges Leben, oder mutig zugrunde gehen.
Ich also will es sein, der den Namen dieses Dinges
ausspricht. Ich bin ihnen ein Demokrat, ein Jakobiner;
dies ist's. Von einem solchen glaubt man jeden Greuel
ohne weitere Prüfung. Gegen einen solchen kann man
gar keine Ungerechtigkeit begehen. Hat er auch dieses
Mal nicht verdient, was ihm widerfährt, so hat er es
ein andermal verdient. Recht geschieht ihm auf jeden
Fall; und es ist politisch, die das wenigste Aufsehen
erregende, die populärste Anklage zu ergreifen, um
seiner habhaft zu werden.
Dass ich ihnen das bin, dieser sträfliche Demokrat
und Jakobiner, und dass ich ihnen deswegen unaus-
sprechlich verhasst bin, ist notorisch. Es bedarf nicht
der Indiskretion, welche in dieser gerechtesten Selbst-
verteidigung doch keine Indiskretion sein würde, an
gewisse Äusserungen zu erinnern, welche gegen ver-
ehrungswürdige Männer geschehen, die diese Schrift
als meine Richter lesen werden, die selbst gegen diese
Äusserungen mich verteidigt haben, die sich derselben
bei dieser Stelle meiner Verantwortung ohne Zweifel
erinnern werden. Es bedarf dieser Erinnerung an ver-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 53
gangene Dinge nicht; denn es ist mir ein bei der ge-
genwärtigen Gelegenheit geschriebner Brief eines kur-
sächsischen Ministers bekannt, in welchem vonunserm
vermeintlichen Atheismus geradezu gesprochen wird,
als von einer neu erfundenen Massregel dieser Demo-
kraten.
Also — das Resultat alles bisher Gesagten — diese
Anklage ist erfunden durch den charakterlosen un-
ruhigen Mutwillen eines an seiner Ehre gekränkten
Mannes; fortgepflanzt durch literarische Eifersucht;
ergriffen und gebraucht von dem Hasse gegen meinen
vermeinten Demokratismus, um mich zu verderben.
Es ist nicht mein Atheismus, den sie gerichtlich ver-
folgen, es ist mein Demokratismus. Der erstere hat nur
die Veranlassung hergegeben. Verteidige ich mich nun
nur gegen das, was man wirklich hören lässt, so ist
das Verfahren gegen mich nur aufgeschoben; man
fährt fort, mich zu hassen und zu verwünschen, und
ergreift die nächste Gelegenheit, um mich noch fester
zu fassen. Ich muss, wenn ich auch für die Zukunft
mir Ruhe erfechten will, geradezu auf den wahren
Sitz der Anklage losgehen ; ich muss mich vorzüglich
verteidigen gegen das, was sie bloss im Herzen denken.
Ich bin also ein Demokrat. Was ist denn nun dies,
ein Demokrat? Etwa ein solcher, der die demokra-
tische Regierungs Verfassung als die einzig rechtmässige
aufstellt und deren Einführung empfiehlt. Ich sollte
meinen, wenn er dies, selbst unter einer monarchischen
Regierung, bloss in gelehrten Schriften tut, so könnte
man die Widerlegung dieser Meinung, wenn sie un-
recht ist, andern Gelehrten überlassen. Solange er nicht
eine äussere Handlung vollzieht, um die bestehenden
Regierungsverfassungen wirklich zu stürzen und die
2 54 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ihm gefallige an die Stelle derselben zu setzen, sehe ich
nicht ein, wie seine Meinung vor den Richterstuhl der
Regierung auch nur gelangen könne, vor welchen
nur Taten gehören. Jedoch ich weiss, dass über diesen
Punkt die Gegner anders denken denn ich. Denken
sie, wie sie wollen ; passt denn jene Anklage auf mich,
und bin ich denn ein Demokrat im oben angegebenen
Sinne des Worts? Sie mögen freilich, seitdem sie ih-
ren Begriff von mir festsetzten und über mein Bild
in ihrer Phantasie Demokrat schrieben, nichts mehr
von mir gehört oder gelesen haben. Nun, so lassen sie
sich jetzo einen Auszug aus meiner Grundlage des Na-
turrechts I. T. S. 189 geben. Man wird ihnen keinen
Schriftsteller nennen können, der sich entscheidender
und mit stärkeren Gründen gegen die demokratische
Regierungsform als eine absolut rechtswidrige Ver-
fassung erklärt habe. Lassen sie sich überhaupt einen
ehrlichen Auszug aus jenem Buche machen. Sie wer-
den finden, dass ich eine Unterwürfigkeit unter das
Gesetz und eine Aufsicht desselben über die Handlun-
gen der Bürger fordere, wie sie noch von keinem ih-
rer Staatsrechtslehrer versucht worden. Die meisten
Klagen, die ich über dieses System gehört, waren dar-
über, dass es der Freiheit (der Ungebundenheit und
Gesetzlosigkeit) der Menschen so grossen Abbruch
täte. Ich bin sonach weit entfernt, Anarchie zu pre-
digen.
Doch, es ist wohl weit gefehlt, dass sie mit diesem
Worte einen bestimmten Sinn und den wissenschaft-
lich richtigen Sinn verknüpfen sollten. Es wäre mir
vielleicht möglich, wenn alle die Gelegenheiten, bei
denen sie sich dieses Ausdrucks bedienen, zusammen-
genommen würden, zu sagen, welchen Begriff sie ei-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 55
gentlich damit verbinden; und es ist sehr möglich, dass
ich in diesem Sinne ein entschiedner Demokrat bin;
es ist wenigstens so viel gewiss, dass ich lieber gar'nicht
sein möchte, als der Laune unterworfen sein, und nicht
dem Gesetze. — Jedoch, es bedarf dieser Erörterung
nicht; ich kann mich wohl ohne dieselbe verteidi-
gen.
Wenn denn nun auch ein junger Mensch, der sein
Vaterland aufgegeben hatte, und an keinem Staate hing,
und damals als Gast in einer kleinen nordischen Repu-
blik lebte, von welcher aus er in den Tagen, da sie ver-
schlungen wurde, nach einer südlichen Republik ab-
reiste; wenn dieser junge Mensch, von Unwillen hin-
gerissen über die Übertreibungen, die sich damals die
Verteidiger der gesetzlichen Willkür der Mächtigen
erlaubten, gleichfalls von seiner Seite ein wenig über-
trieben hätte, um das Gleichgewicht herzustellen;
wenn sogar dies noch unausgemacht wäre, ob er wirk-
lich übertrieben, und ob selbst diese scheinbaren Über-
treibungen seine damaligen wahren Meinungen ge-
wesen, indem er nur ein Fragment geliefert, nur ei-
nen Teil der einen Seite gezeigt und man ihn zur Er-
örterung der zweiten Seite auf seinem damaligen Wege
nie fortgehen lassen ; wenn derselbe, seitdem zum Man-
ne geworden, in einer reifern durchdachten Schrift
über denselben Gegenstand alle Einseitigkeit vermie-
den, und hoffentlich jeden Politiker zufriedengestellt,
der nur laut sagen darf, was er möchte: — wäre es
dann billig und gerecht, jenen jugendlichen und un-
vollendeten Versuch des Jünglings noch immer zum
Massstab der politischen Grundsätze des Mannes zu ge-
brauchen? — wenn ja zugegeben werden müsste, dass
der Gelehrte, als Rürger, dem Staate für seine theo-
2 56 J * Fichte» Atheismus-Streit
retischen Meinungen verantwortlich sei, welches kein
wahrer Gelehrter je zugeben wird.
Dieser verhasste Demokrat, was hat er denn sogar
damals, als er jene literarische Sünde begangen haben
soll, als er allenthalben nur Gast, keine Verbindlich-
keit als die des Gastes gegen irgendeinen Staat hatte,
was hat er denn auch damals getan, um sein e vermeinten
demokratischen Grundsätze zu realisieren? Wen es
interessiert, noch jetzt die peinlichste, genaueste Un-
tersuchung darüber anzustellen, dem will ich selbst
mit den bestimmtesten Nachrichten, wo und mit wem
ich zu jeder Zeit gelebt habe, an die Hand gehen; und
findet sich die geringste Schuld an mir, wird mir auch
nur ein verdächtiger Schritt in meiner Lebensgeschichte
nachgewiesen, so will ich mich aller Sünden schuldig
geben, deren meine ärgsten Feinde mich nur beschul-
digen können. Was es ist in meinem Charakter, das
sie an mir nicht kennen, welches über allen Verdacht
mich absolut wegsetzen muss, und mich in die Lage
setzt, sie kühn zur strengsten Prüfung meines ganzen
Lebens aufzufordern, werde ich tiefer unten noch be-
stimmter bezeichnen; es ist meine entschiedene Liebe
zu einem spekulativen Leben.
Seit fünf Jahren habe ich unverrückt an einem Orte
gelebt. Ich bin daselbst dem Anblicke des Publikums
ausgesetzter ; und ohne Zweifel hat man mich genau
beobachtet, indem es das Interesse des Hasses und der
Erbitterung vieler erforderte, mich zu beobachten. Man
hat mich auf allerlei Weise versucht: was hat man
denn nun an mir gefunden?
Ich habe mich selbst zu verteidigen ; es wird sonach
nötig sein, von mir selbst zu reden. Die Not entschul-
dige mich, wenn ich unbescheiden scheine.
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 5 7
Habe ich in meinem Wirkungskreise Unruhe, Un-
ordnung, Gesetzwidrigkeit je gebilligt, unterstützt,
erregt? Ich habe vielmehr, wie den Durchlauchtigsten
Erhaltern der Universität und dem ganzen Publikum
der Herzoglich Sächsischen Lande bekannt ist, mich
selbst aufgeopfert, um die Hauptquelle aller Gesetz-
losigkeit auf dieser Akademie zu verstopfen. Es ist
mir freilich nicht gelungen, und ich hatte in der Tat
unrecht, es zu unternehmen. Ich sollte von einer Seite
wissen, dass ich in dieser kurzen Zeit das Vorurteil
der beleidigten Partei gegen mich noch nicht habe
ausrotten können, dass diese von mir nichts Gutes er-
warte, und dass es ihr hinlänglich sei, zu wissen, dass
ein Plan von mir herkomme, um ihn zu hintertreiben ;
ich sollte von der andern wissen, dass Obereden Plan des
Niedern nie unverändert befolgen werden. Leider lernt
man gewisse Wahrheiten nur durch Erfahrung ; dann
aber behält sie denn auch der nicht ganz^Unverstän-
dige für sein ganzes Leben. Genug, darüber ist bei den
Unterrichteten jetzt nur eine Stimme, dass ich es gut
gemeint hatte.
Hat man mich je wegen irgendeiner Vergehung
gegen die Gesetze zur Verantwortung zu ziehen ge-
habt? Es ist wahr, ich bin einmal angeklagt gewesen,
aber zu meiner Ehre und nicht zur Ehre der Anklä-
ger losgesprochen worden ; mit dem allgemeinen Bei-
fall des Publikums, nachdem es durch den ohne mein
Zutun geschehenen Abdruck der Akten über die wahre
Beschaffenheit der Sache unterrichtet worden.
Es ist wahr, ich bin auf mannigfaltige Weise ver-
leumdet worden, über Äusserungen, die ich auf dem
Katheder gemacht haben solle. Ich trage nichts aus
dem Katheder vor, dessen Inhalt nicht gedruckt vor
Fichte 1 7
258
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
dem Publikum liege. Ich habe besonders diejenigen
Vorlesungen (über die Bestimmung des Gelehrten),
welche diese Verleumdung am heftigsten traf, durch
den Druck bekanntgemacht; und die mir schuld ge-
gebenen Äusserungen haben sich in denselben nicht ge-
funden. Es ist keine Kunst, hinter dem Rücken zu
verleumden; und in der Tat nicht freundschaftlich,
diese heimlichen Verleumdungen dem zu verbergen,
den sie treffen. Sei man unbesorgt für mich ; ich stehe
dafür, ich werde jede Verleumdung widerlegen, wenn
sie mir nur bekannt wird; denn ich werde sicherlich
nie etwas Unrechtes tun.
Im Innern sonach hat man keine Schuld an mir
gefunden; aber vielleicht führe ich verdächtige aus-
wärtige Korrespondenz? — Das sollte ja bekannt \
worden sein ; denn man hat in den ersten Jahren mei-
nes hiesigen Aufenthalts nicht ermangelt, Briefe von
mir und an mich zu unterschlagen oder erbrochen an-
kommen zu lassen: Seit geraumer Zeit finde ich nicht
mehr, dass man sich diese vergebliche Mühe nimmt.
Und man hat recht daran; denn meine Briefe sind
für den Dritten gewöhnlich der Mühe des Öffhens
nicht wert. i
Oder habe ich seit meinem hiesigen Aufenthalte
bedenkliche anonyme Schriften geschrieben? Es ist
hierüber auch nicht einmal ein leiser Verdacht auf
mich gefallen. Ich kann sagen, was ich nur bei dieser
Gelegenheit sagen darf, dass ich Zeugen dafür habe,
unüberlegte Schriften, die mir zur Beförderung für
den Druck zugesandt worden, unterdrückt zu haben ;
bis man nun endlich auch darüber meine Grundsätze
zu wissen scheint und diese vergebliche Mühe sich
nicht mehr macht.
Gerichtliche Verantwortungsschrift ^9
Ist denn endlich mein persönlicher und bürger-
licher Charakter, ist meine Lage von der Art, dass
mit einem Anschein von Vernunft der Wunsch einer
Staatsumwälzung bei mir vorauszusetzen wäre? Nur
diejenigen pflegen eine Revolution zu wünschen, die
von einer steten Unruhe umgetrieben werden, die
kein Geschäft oder keinen Wohlgefallen an ihrem Ge-
schäfte haben, die mit ihren Mitbürgern in Hass und
Streit verflochten sind ; die im Hause Unfrieden und
Mangel, ausser dem Hause Unehre und Schulden
haben; die das Ihrige durchbringen und darum das
Fremde begehren, welche, da sie nichts zu verlieren
haben, bei Unruhen nur gewinnen können, unruhige
Bürger, schlechte Wirtschafter, üble Gatten und Haus-
väter. Diejenigen, welche mich kennen, unter denen
ich seit fünf Jahren lebe, mögen antworten, ob in je-
nem Bilde ein Zug ist, der auf mich passt. Der aka-
demische Senat hat schon vor vier Jahren mir ein
rühmliches Zeugnis der Unbescholtenheit gegeben;
ich bin sehr sicher, dass er es gegenwärtig nicht zu-
rücknehmen würde. — Ich kann mit Freude sagen,
dass ich in diesen fünf Jahren den grössten Teil mei-
ner Feinde in meinem nächsten Umkreise mit mir
versöhnt habe: lasse man mich noch fünf Jahre un-
ter ihnen leben, und sie werden mich lieben.
Aber ich bin denn doch nun einmal Gelehrte? und
nach der Meinung angesehener Politiker sollen, ausser
dem eigentumslosen und rechtslosen Pöbel, mehrere
unter diesen, unzufrieden damit, dass sie nicht selbst
die ersten Stellen im Staate bekleiden — diese nebst
dem Pöbel allein sollen es sein, die eine Revolution
in den bestehenden Staatsverfassungen wünschen. —
Ich weiss nicht und kann nicht wissen, ob es über-
»7
260 J. G. Ficlites Atheismus-Streit
haupt dergleichen Gelehrte, wie sie dieselben be-
schreiben, gibt oder nicht; aber jene Politiker erlau-
ben mir, ihnen ein untrügliches Kriterium anzugeben,
welche Individuen nicht zu dieser Klasse gehören.
Es sind diejenigen, welche ihre Wissenschaft lieben und
zeigen, dass sich dieselbe ihres ganzen Geistes bemächtigt
hat. Die Liebe der Wissenschaft und ganz besonders
die der Spekulation, wenn sie den Menschen einmal
ergriffen hat, nimmt ihn so ein, dass er keinen andern
Wunsch übrig behält, als den, sich in Ruhe mit ihr
zu beschäftigen. Von aussen bedarf er nur der Stille,
darum sind revolutionäre Zeiten gerade gegen seinen
Wunsch; den innern Frieden trägt er in sich selbst.
Diejenigen, welche meine Lebensweise und die
Anwendung meiner Zeit kennen, mögen urteilen, ob
ich mir einen Platz unter der letztern Klasse nicht
mit Recht anmassen dürfte; und selbst das grosse
Publikum, vor welchem meine Arbeiten der letzten
fünf Jahre liegen, vor welchem sie denn doch bei
weitem noch nicht alle liegen, und ebensowenig die
Zeit, die ich auf meine Vorlesungen wende — mag
mit urteilen! Wer mich und meine Lage näher kennt,
ermesse, wen ich wohl beneiden möge, was es wohl
sein möge, das ich lieber zu sein wünschen könnte,
als das, was ich bin, was es wohl sein möge, das ich
durch eine Staatsveränderung gewinnen könne. Mei-
nen Unterhalt gibt mir das Publikum ; noch nie ha-
ben meine Wünsche sich weiter erstreckt, als die
Mittel, sie zu befriedigen; und ich beneide hierüber
keinen und weiche keinem. Wollte ich herrschen, so
treibt mich meine Neigung weit mehr, es im Reiche
der Begriffe zu tun, diesen zu gebieten, sich aufzu-
klären und sich in Reihe und Glieder zu stellen, was
Gerichtliche Verantwortungsschriften 2 6 I
ich verstehe, als eigenwilligen, schwer zu lenkenden
und so selten der Vernunft sich fügenden Menschen
zu befehlen, was ich nie gelernt, noch geübt habe.
Könnte mich der Ruhm reizen — oh, ich lebe unter
einer Nation und in einem Zeitalter, in welchem der
Name eines seine Wissenschaft nicht unglücklich be-
arbeitenden Gelehrten wohl so oft genannt wird, als
andrer Namen.
Ich kann keine Revolution wünschen, denn meine
Wünsche sind befriedigt. Ich kann keine Revolution
herbeiführen und unterstützen wollen ; denn ich habe
dazu nicht Zeit; meine Zeit ist für ganz andre Dinge,
die der Ruhe bedürfen, bestimmt. Es wäre etwas völlig
Neues und Unerhörtes in der Menschengeschichte, dass
der Urheber eines neuen ganz spekulativen Systems
sich auch an die Spitze einer politischen Revolution
stellte. — Es ist denn doch wohl zu erwarten, dass
ein nicht ganz Unverständiger sich, sowie er nur aus
dem Jünglingsalter heraustritt, einen Plan für sein
Leben entwirft. Einen solchen Plan habe ich längst
entworfen. Zuvörderst habe ich mein philosophisches
System deutlich darzustellen und zu vollenden; und
es ist darüber noch sehr viel zu tun. Von ihm aus
bieten sich mir andere neue Entdeckungen dar, wel-
chen ich dann nachgehen werde. Es zeigt sich mir ein
Übergang zu andern Wissenschaften und eine gänz-
liche Umschaffung mehrerer, welches mir nach Voll-
endung jener Aufgaben Arbeit geben wird. Und sähe
ich ein Leben von Jahrhunderten vor mir, ich wüsste
dieselben schon jetzt ganz meiner Neigung gemäss so
einzuteilen, dass mir nicht eine Stunde zum Revolutio-
nieren übrigbleiben würde.
Schon der literarische Gang eines Mannes ent-
262
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
hüllt seinen Charakter. Wer mit einer unruhigen
Tätigkeit heute in diese Wissenschaft, morgen in eine
andre sich wirft, allenthalben sich um treibt und nir-
gends etwas endet, sorgsam in jedem Fache dasjenige
aufsucht, was unmittelbar Aufsehen erregt, in die
Augen fallt und glänzet, wer an die Grossen nnd Be-
deutenden sich hängt und ihnen schmeichelt — auf
den könnte allenfalls ein Verdacht revolutionärer Ab-
sichten fallen. Auf mich wohl nicht, der ich von al-
lem diesem das gerade Gegenteil tue. Dass ich früher,
als ich erwartete, einem grossen Teile des Publi-
kums bekannt worden, haben ganz allein meine Geg-
ner durch ihre Angriffe und durch die Art derselben
bewirkt. Mein Ich und Nicht-Ich hatte nicht das An-
sehen, die Aufmerksamkeit anderer Personen, als die
wenigen vertrauten Kenner der Spekulation, an sich
zu ziehen; und sogar diese nur spät. — So viel wird
jeder, der mich kennt, gestehen müssen, dass, wenn
ich ehrgeizige Absichten hätte, ich mich sehr verkehrt
benehme, um sie auszuführen.
Wenn denn nun dies alles notorisch ist, was beab-
sichtigt man denn durch jenen Ausruf: er ist ein De-
mokrat, durch jenen unauslöschlichen Verdacht, durch
jenen bittern Hass, mit welchem man — denn ich
bin müde, von mir allein zu reden — eine Menge ver-
dienter Gelehrter und Schriftsteller in Deutschland
verfolgt, an denen man ebensowenig Schuld finden
wird, als an mir? Was beabsichtigt man durch jenes
terroristische Verleumdungssystem, welches man mit
so viel Wohlgefallen aufnimmt, so kräftig unterstützt,
so fürstlich belohnt? Wenn es denn wirklich wahr
wäre, dass einige dieser Schriftsteller einigen der be-
stehenden Regierungen nicht gute Absichten zuge-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 263
traut, dass sie sie im Verdachte der Illegalität und
der Gewalttätigkeit gehabt hätten, werden dieselben
denn nun dadurch widerlegt, dass man gegen sie wirk-
lich gewalttätig verfahrt — und mit den Waffen, de-
ren sich sonst nur die Niedrigsten im Volke bedienen,
mit den Waffen der Verleumdung? Wenn es wahr
wäre, dass einige unter diesen Schriftstellern den be-
stehenden Regierungen abgeneigt wären; werden sie
ihnen denn dadurch versöhnt werden, dass diese Re-
gierungen sie in beständigem Schrecken erhalten und
jede Gelegenheit ergreifen, sie zu verderben? Jedoch,
das will man auch wohl nicht, sie aussöhnen; denn
dass in der Brust des Menschen auch eine Macht ruhe,
die sich durch keinen Mechanismuss fesseln und durch
keinen Mechanismus ersetzen lasse, und dass das Ta-
lent ein nicht zu verachtender Alliierter sei, will man
noch nicht anerkennen. Will man sonach etwa nur
Rache nehmen ? Dieser Zweck wäre zu klein für Re-
gierungen; nur beleidigte Subalternen können ihn
haben ; aber die Regierungen werden leider oft un-
wissentlich zu Werkzeugen dieser niedern Leiden-
schaften gemacht.
Ich erkläre hierdurch mit der entschiedensten Frei-
mütigkeit, dass gegenwärtig kein anderes Land in
Europa ist, in welchem ich lieber leben möchte, als
Deutschland ; und keine Lage, die ich mehr wünsche,
als die, in welcher ich wirklich mich befinde. Ich be-
darf nur der Ruhe um mich herum und persönlicher
Sicherheit ; alles übrige will ich mir selbst verschaf-
fen. Jene beiden Güter haben bis jetzo die teutschen
Gesetze mir gewährt. Aber, wenn es denn nunmehro
wirklich dahin kommen sollte und der Plan gemacht
wäre und seine Ausführung bei uns anheben sollte,
2 64 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
dass in Deutschland keine Ruhe und bürgerliche
Sicherheit mehr für den Schriftsteller wäre, dass alle
durch das Gesetz geschützt würden, nur er nicht, so
bleibt ja nichts übrig, als zu gehen, wohin man uns
ausstösst. Wo drauf zu rechnen ist, dass nur Gewalt
gelte, da kann man ja hoffen, selbst einen Teil der-
selben an sich zu ziehen, um sich dadurch zu schüt-
zen. Ganz unleidlich ist nur der Zustand, da uns das
Gesetz beschränkt, aber nicht beschützt. Und so wer-
den hoffentlich noch mehrere rechtliche Deutsche
denken.
Ich übertreibe nicht ; ich male nicht ins Schwarze.
Meine Regierungen wollen nicht, dass ich klage, dass
ich Verfolgung befürchte; edle Mitglieder derselben
sind schon durch das, was ich in meiner (nicht gegen
die Anklage, die mir damals noch gar nicht bekannt
war, sondern gegen die Anschuldigung des Atheis-
mus im Konfiskationsreskripte gerichteten) Appellation
gesagt, verwundet worden. Sie wollen, dass ich mich
dem Schutze ihres gerechten, ihres aufgeklärten, ihres
grossmütigen Regiments ruhig überlasse, mir nicht
selbst helfe, mich so gelind verteidige, als möglich.
Gott behüte meinen Verstand vor der Verwirrung,
dass ich diesen Regierungen nicht vertraute! Durch
diese ganze Verteidigungsschrift weht ja der Geist des
reinsten Vertrauens. Sie werden mich sicher schützen,
wogegen sie schützen können, und wogegen sie zu
schützen haben.
Sie werden meinen Leib schützen; in den Ernesti-
nischen Landen wird mir denn wohl nicht, wie dem
V anini, der Scheiterhaufen gebaut. Sie werden mich
nicht mit Schimpf meines Amtes entsetzen, mich nicht
des Landes verweisen; mir auch wohl nicht eine, als
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 65
Ausnahme und in diesem Zusammenhange strafende
und entehrende Beschränkung meiner Lehr- und
Schreibefreiheit zufügen; mir auch wohl keinen ge-
richtlichen Verweis geben lassen, tätig nichts gegen
meine Ehre und guten Namen, die ich höher schätze
als das Leben, vornehmen.
Aber können sie, kann irgendeine Macht der Erde
wieder gutmachen, was mir schon wirklich zugefügt
ist? Können sie das Brandmark auswaschen, das man
vor den Augen der Nation auf meine Stirn gedrückt
hat?
Dem Gelehrten, besonders dem akademischen, der
nicht von einem engen Kreise, sondern von der ganzen
Nation abhängt, geht Ehre, guter Ruf und Zutrauen der
Nation über alles ; denn diese sind die ausschliessende
Bedingung aller seiner Wirksamkeit, er besteht nur
durch sie : und ich insbesondere kann hinzusetzen, —
was für mich das allerletzte ist, worauf aber wahr-
scheinlich meine Richter Rücksicht nehmen werden, —
dass ich auch kein Brot mehr habe, wenn ich keine
Ehre mehr habe. Diese Ehre aber kann durch nichts
unwiederbringlicher angegriffen werden, als gerade
durch die gegen mich vorgebrachte Beschuldigung
des Atheismus. Diese Beschuldigung ist's, welche un-
mittelbar verpestet und vergiftet. Diese muss ich
selbst von mir abwehren, soweit ich kann. Aber
ganz abwehren werde ich sie nie können. Es gibt
Hunderte in Deutschland, und dies nicht in niedrigen
Ständen, die sich auf die Verteidigung gar nicht ein-
lassen ; die, indem man ihnen noch beweist, und zehn-
mal bewiesen hat, dass man Gott und Religion
schlechterdings nicht leugne, sondern vielmehr drin-
gend einschärfe, zum alten Spruche zurückkehren:
266
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
aber man muss dem Volke (der wirkliche Unglaube
ist eine Auszeichnung für sie) Gott nicht nehmen;
es gibt Tausende, die die Beschuldigung gar wohl
verstehen, aber nicht die Verteidigung; es gibt viele
Tausende, denen die Beschuldigung bekannt wird,
aber in ihrem ganzen Leben kein Wort davon, dass
auch nur eine Verteidigung erfolgt sei. In den Seelen
dieser aller bleibt der ihnen eingeprägte Abscheu un-
erschüttert. Und auf welche mannigfaltige Weise
können doch sie alle Einfluss haben auf meine Wirk-
samkeit. Es gibt z. B. unter ihnen ganz gewiss meh-
rere Lehrer der Jugend, die ihren Abscheu vor mei-
nem Namen in die zarten Gemüter unauslöschlich ein-
prägen werden; in Gemüter, deren Denkart ins Künf-
tige Folgen für mich haben kann, mit denen ich, dem
Laufe der Natur gemäss, noch werde zu leben haben,
unter denen künftige Vorgesetzte, Kollegen, Unter-
gebene von mir sein können ; aus denen ich Schüler,
Leser, Freunde hätte machen können. Ich erinnere
mich aus meiner frühsten Jugend, die Namen Voltaire
und Rousseau zuerst dadurch kennen gelernt zu haben,
dass ein übrigens verdienter Lehrer in der Schul-
stunde die göttliche Barmherzigkeit um die Bekeh-
rung dieser bösen Menschen anflehte. Ich habe erst
spät den Abscheu überwinden gelernt, der mich seit-
dem bei Nennung dieser Männer, aus deren Schriften
ich doch nachher sehr viel Gutes gelernt habe, zu er-
greifen pflegte; und ich bin überzeugt, dass noch eine
Menge Personen leben, die den ihnen durch diese fei-
erliche Anrufung eingepflanzten Hass noch nicht
überwunden haben und nie überwinden werden. Wer
weiss, welcher Zelot, indem ich dieses schreibe, vor
seinen Schülern gleichfalls die göttliche Barmherzig-
Gerichtliche Verantwortungsschrift 267
keit um meine Bekehrung anfleht und dadurch mei
nen Namen der Verabscheuung der nächstkommen-
den Generation übergibt. — Kurz, was ich auch tun
mag, und was andere tun mögen; — und wenn die
kursächsische Regierung selbst einen feierlichen Wi-
derruf ihrer Beschuldigung und ein Belobungsschrei-
ben für mich durch das ganze Deutsche Reich an al-
len öffentlichen Orten affigieren Hesse, — das meiner
Ehre und meinem guten Namen zugefügte Brand-
mark ist nie völlig auszulöschen, solange ich lebe.
Nur auf die Nachwelt werde ich es nicht mitnehmen ;
mit meinem Tode wird es auf die Urheber und Ver-
breiter dieser Beschuldigung, die so gern auch eine
persönliche Verfolgung gegen mich erregt hätten,
fallen und ihre Namen neben den Namen der Alba
und der Joachim Langen der unsterblichen Schande
überliefern, wenn sie nicht noch beizeiten wider-
rufen und alles tun, was sie vermögen, um den mir
zugefügten Schaden wieder gutzumachen.
Dieser unersetzliche Angriff auf meinen guten Na-
men ist denn doch wohl offenbar eine ungerechte Ge-
walttätigkeit gegen einen Unschuldigen. Jedermann
soll in einem wohleingerichteten Staate aller Ehre
und alles guten Namens teilhaftig bleiben, den er sich
zu erwerben weiss, und den er nicht selbst durch
seine Taten verwirkt. Ich habe einleuchtend bewie-
sen, dass ich nichts getan habe, um der Nation als ein
Gottloser angekündigt zu werden. Die kursächsische
Regierung hat inzwischen dieses getan, und die han-
noversche hat es nachgeahmt.
Man wird nicht widerrufen; so urteilt jedermann.
Nun wohlan, so muss ich ertragen, was eine Macht,
mit der ich nicht rechten kann, mir zufügt. Aber lasse
2 68
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
man mich wenigstens etwas dadurch gewinnen: will
man nicht gerecht sein, so sei man wenigstens billig.
Ich hatte ihnen missfallen ; man glaubte dafür Bache
nehmen zu müssen. Man hat sie genommen, mehr als
hinlänglich ; ich bin sattsam gestraft ; ich bin verschrien
für mein übriges Leben : lasse man sich an dieser Rache
genügen.
Unterzeichne man von Stund' an eine allgemeine
Amnestie. Ich und meinesgleichen wollen nimmer-
mehr wieder die bekannten Punkte berühren, deren
Berührung sie so sehr scheuen. Wir haben durch un-
sern Schaden gelernt, dass gegenwärtig nicht der Zeit-
punkt der ruhigen Diskussion ist, da man für Gründe
Gehör und allenfalls Gegengründe erwarten dürfte,
dass die Leidenschaft, die irrigerweise glaubt, jeder
ihr missfällige Satz solle alsbald im Leben realisiert
werden, auf der Stelle Anteil am Disput nimmt. Las-
sen sie uns dagegen in Buhe bei unsern andern Ge-
schäften, die ihnen schlech terdings nichts verschlagen
können, bei unsern Untersuchungen über die Substanz,
über die Anwendbarkeit des Satzes der Kausalität, über
den gegebenen oder nicht gegebenen Stoff und der-
gleichen; lassen sie sich, wenn sie wollen, von Nicolai
und Konsorten über diese Untersuchungen einen Spass
machen, denn dieses dürfte wohl der einzige Gebrauch
sein, den dieselben für sie haben können ; nur verbie-
ten sie diese Untersuchungen nicht, unter Androhung
einer ernstlichen Bestrafung. Sie haben auch noch
einen andern Gebrauch ausser dem zum Spasse.
Gewähren sie uns, wenn wir sonst als ruhige ordent-
liche Bürger leben, bürgerliche Sicherheit; und lassen
sie uns die Ehre und den guten Namen, den jeder sich
erwerben kann, ungekränkt. Begünstigen sie nicht
Gerichtliche Verantwortungsschrift 2 69
ferner die Verleumdung der Hofmänner, der Eudämo-
nisten und dergleichen gegen uns ; lassen sie noch weni-
ger sich selbst verleiten, ehrenrührige Edikte gegen
uns ergehen, in allen Zeitungen abdrucken, an allen
öffentlichen Orten affigieren zu lassen. Gewähren sie
uns diese billige Bitte, und wir geben ihnen unser Wort,
dass wir sie nie mit einer andern Bitte beschweren
werden.
Legen Eure Magnifizenz diese unsre Verteidigung,
diese unsre Wünsche und Hoffnungen, worauf die Ruhe
unsers Lebens beruht, nebst der Bezeugung unsrer
tiefsten Ehrfurcht, zu den Füssen oder eigentlicher, an
den weisen Verstand und das edle grossmütige Herz
der durchlauchtigsten Herzoge, welche die göttliche
Vorsehung, da sie die Verfolgungen und Bitterkeiten
unsers Lebens bestimmte, als Entschädigung dafür uns
zu Obrigkeiten gab; vor denen wir alle jene Klage
laut werden lassen dürfen, da keine derselben sie trifft,
und die wir mit freier freudiger Verehrung zu ver-
ehren vermögen.
[Es folgen eine Nachschrift, Fr. J. Niethammers als
Mitherausgebers des Philosophischen Journals Verant-
wortungsschrift und einige Beilagen.]
vwwvvvvvvvvvvvvvvvvvmvvvvvvvmvvw»v^
XII.
WEIMARISCHES RESKRIPT*)
"W7"0N Gottes Gnaden, Carl August, Herzog zu Sach-
▼ sen, Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und
Westfalen . . .
Unsern gnädigsten Gruss zuvor. Würdige Hoch-
und Wohlgelahrte, liebe Andächtige und Getreue!
Wir geben Euch aus dem in Abschrift beiliegenden
von des Herrn Kurfürsten zu Sachsen Liebden an Uns
erlassenen Schreiben des mehreren zu ersehen, aus
welchen Gründen Uns der Antrag geschehen, die Her-
ausgeber des Philosophischen Journals, Professor
Fichte und Niethammer, zur Verantwortung zu zie-
hen und nach Befinden ernstlich bestrafen zu lassen.
Wir begehren daher hiermit gnädigst, Ihr wollet
obgedachte Professoren um so mehr, als Wir zu besor-
gen Ursache haben, dass der Inhalt jener im Druck
erlassenen Aufsätze auch ein Gegenstand ihrer Vorle-
sungen sein möge, mit ihrer Verantwortung verneh-
*) Abgedr. in Karl Hase: Jenaisches Fichte-Büchlein, i856*
S. 89. Vgl. oben S. 1 4 ff.
Weimarisches Reskript 2 7 I
men und von dem Erfolg, mit Beischluss der Akten,
Bericht erstatten.
An dem geschiehet Unsere Meinung, und Wir sind
Euch mit Gnaden gewogen.
Geben, Weimar, den 27. December 1798.
Carl August.
vvwvvvvvwwwvvvvvvwivwvvv^^
XIII.
GOTHAISCHES RESKRIPT*)
VON Gottes Gnaden Ernst Herzog zu Sachsen etc.
Die von den Professoren Fichte und Niethammer
geforderte Verantwortung wegen Einrückung in das
Philosophische Journal zweier Abhandlungen, wel-
che die bekannte Rüge der Atheisterei gegen sie ver-
anlasst hat, war bereits bei Uns eingegangen, als Wir
Euern Bericht**) vom 18. vorigen Monats erhielten.
Da Wir aus solcher ungern ersehen müssen, dass die
gedachten Professoren die ihnen gemachte Anschul-
digung auf keine andere Weise, als durch einen neu
gewählten wissenschaftlichen, dem grossen Haufen der
Leser unverständlichen Sprachgebrauch von sich ab-
zulehnen gewusst haben, mithin diese Verteidigung
dieselben von dem Vorwurfe nicht befreien kann, durch
die Herausgabe jener Abhandlungen eine nicht ge-
ringe Unvorsichtigkeit begangen zu haben, so können
*) Abgedr. in Hases Fichte- Büch lein S. 89 ft.
**) Gemeint ist nur die Anzeige, dass die Beklagten erklärt
hatten, ihre Verantwortung unmittelbar an die Höfe zu senden.
Gothaisches Reskript 2"] 3
Wir Uns nicht entbrechen, ihnen durch Euch verwei-
sen zu lassen, dass sie mit so weniger Behutsamkeit
über einen so wichtigen Gegenstand, als die Lehre und
Verehrung Gottes ist, Grundsätze und Äusserungen
in das Publikum zu verbreiten sich entsehen haben,
welche, wie der Erfolg zur Genüge gezeigt hat, der
anstössigsten Auslegung und Bedeutung unterworfen
sind.
Wir versehen Uns zu Euch, dass Ihr nicht allein
den Professoren Fichte und Niethammer dieses, so-
gleich nach Erlangung konformer Reskripte von den
übrigen Höfen, eröffnen werdet, sondern auch zu den
akademischen Lehrern ohne Ausnahme, dass sie in
allen ihren auf die Gottheit sich beziehenden Vorträ-
gen nie die geziemende Klugheit ausser Augen setzen
werden, deren Vernachlässigung für das gemeine We-
sen, so wie für sie selbst, da ihnen die Erhaltung des
Flors und guten Rufs der Akademie, und die Unter-
weisung der lehrbegierigen Jugend in allen nützlich
und heilsam allgemein anerkannten Wissenschaften
die erste Pflicht sein muss, von den nachteiligsten
Folgen sein würde.
Friedenstein, den 3. April 1799.
Postscriptum.
Auch sind Wir von des Herrn Herzogs zu Sachsen-
Weimar Liebden von dem sonderbaren Schritt des
Professors Fichte benachrichtigt worden, dass er an
ein Mitglied des dasigen Geheimen Consilii die aus-
drückliche Erklärung gelangen lassen, er werde in
dem Falle, dass ihm von den fürstlichen Erhaltern
ein Verweis wegen der von ihm zum öffentlichen Druck
gebrachten anstössigen Äusserungen zukommen sollte,
solchen durch Abgebung seiner Dimission beantworten.
Fichte 1 8
2 >y 4- J. G. Fichte» Atheismus-Streit
Da Wir nun denselben, wie Ihr aus Unserm Haupt-
reskript vom heutigen Tage ersehen habt, mit dem
durch seine Unvorsichtigkeit verdienten Verweis zu
verschonen nicht vermögen: so können Wir die von
ihm gegen den Herzoglich Weimarischen Hof getane
voreilige und äusserst ungebührliche Erklärung nicht
anders, als wenn sie auch gegen Uns geschehen wäre,
betrachten, und Wir wollen in dieser Rücksicht, in
anhoffender Konformität der andern fürstlichen Er-
halter, dem gedachten Professor hiermit durch Euch
seine Dienstentlassung erteilt haben ; wie Wir denn
nicht weniger denjenigen, welche ihm, wie er in sei-
nem Schreiben nach Weimar geäu sserst hat, zu folgen
gemeinet sind, auf ihr desfalliges Ansuchen damit nicht
entstehen werden.
Ut in Rescripto.
vwwvwvvvvvvvvvvvvwvvvvvvw
XIV.
ERSTE PETITION DER STUDENTEN*)
Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Fürst und Herr !
DEM gnädigsten Schutze und der väterlichen Für-
sorge Ew. H. D. verdankt die Universität Jena
den grössten Teil ihres blühenden Ruhms und Wohl-
standes. Sie erhielt durch Höchstderselben eignen tä-
tigen Eifer für die wahre Ausbildung und Veredlung
der hier Studierenden Lehrer, um die bald die berühm-
testen Akademien sie beneiden mussten. Der Professor
Fichte, ein Mann, dessen grosse Verdienste um die
Philosophie jeder Freund der Wahrheit anerkennt,
der einst der Stolz unsres Jahrhunderts sein wird, er-
höhte vorzüglich den Glanz dieser Universität, auf die
man ihn rief. Wir alle verehren und lieben in ihm
einen Lehrer, dessen Führung wir uns mit ganzer
Zuversicht anvertrauen durften. Sein weitverbreiteter
Ruf zog auch in diesen Tagen noch aus den entfern-
testen Gegenden Deutschlands eine beträchtliche An-
*) Abgedruckt a. a. O. S. 92 fr.
18*
2 *y 6 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
zahl Studierende nach Jena, und die für das nächste
halbe Jahr in dem Lektions-Katalog versprochenen
Vorlesungen dieses Lehrers bestimmten bei so vielen
unter uns allein unser Hierbleiben.
Ein allgemein sich verbreitendes Gerücht von einer
dem Professor Fichte zuerkannten Dimission lässt uns
fürchten, ihn zu verlieren. Allein sein Verlust wäre
für uns unersetzlich. Wir sind dann in unserer sicheren
Hoffnung auf den fernem Unterricht dieses Lehrers
— in dem Lektions-Katalog öffentlich uns gegebenen
Versprechungen — getäuscht, wir verlieren in ihm
einen Hauptzweck unsers Hierseins.
So leidet durch seine Entfernung die ganze Akade-
mie, so liegt uns insbesondere alles an das [sie] Hier-
bleiben dieses Mannes, und wir kommen im festen
Vertrauen auf Ew. D. gnädigsten Schutz mit der unter-
tänigen Bitte, uns die Erhaltung dieses geschätzten
Lehrers zu sichern und ihm die Fortsetzung seiner
Vorlesungen, auch in diesem nächsten halben Jahre
schon, aufzugeben, weil darauf einmal unser Studien-
plan genau berechnet ist.
Wir werden in Erhörung dieser Bitte mit der auf-
richtigsten Dankbarkeit ein zu verehrendes Merkmal
fürstlicher Huld und väterlicher Fürsorge erkennen,
die wir in den treusten Gesinnungen und mit innigster
"Ehrfurcht verharren
Jena, den 20. April 1799
Durchlauchtigster Gnädigster Fürst und Herr
E. H. D.
untertänigste
[Es folgen über zweihundert Unterschriften.]
vvvvvvvvvvvwvvvvvvvvvvvvvvvvvvvww
XV.
ANTWORT VON CARL AUGUST
~\/ON Gottes Gnaden Carl August etc. Unsern gnä-
▼ digsten Gruss zuvor : Würdige Hoch- und Wohl-
gelahrte etc. Es hat zwar bei Uns der Studiosus Her-:
mann Baier, Euers Orts, wegen der Dimission des
Professors Fichte und der Zulassung dessen ferneren
Vorlesungen für sich und andere Studenten wieder-
holte Vorstellung getan.
Da Wir es aber bei der in dieser Sache gefassten
Entschliessung lediglich bewenden lassen: So begeh-
ren Wir hiermit gnädigst, Ihr wollet besagten Studio-
sum Baier auf dessen Gesuch nochmals abschlägig
bescheiden, mit dem Bedeuten, dass Wir Uns dieser
Angelegenheit wegen nicht weiter behelliget wissen
wollen.
An dem geschiehet Unsere Meinung, und Wir sind
Euch mit Gnaden gewogen.
Geben, Weimar, den ^4- April 1 799-
Carl August.
XVI.
ZWEITE PETITION DER STUDENTEN
P. P.
DIE Durchlauchtigsten Herren Erhalter der Uni-
versität Jena haben bisher noch nicht die durch
die Dimission des gewesenen Professor Fichte erledigte
Lehrstelle wieder besetzen zu lassen geruhet.
Da nun hierdurch für eine, dem Geiste, zu welchem
sich in unserm Zeitalter die Philosophie erhoben hat,
angemessene Befriedigung unsers literarischen Bedürf-
nisses, eine wesentliche Lücke offen gelassen worden
ist, so lässt die Vorsorge der Durchlauchtigsten Herren
Erhalter für das Wohl der Akademie Jena voraus-
sehen, dass man jene Lücke wieder auszufüllen suchen
wird.
Aber niemand besitzt als Führer zu dem, was wir
suchen, zur Wahrheit, in so hohem Grade das Zu-
trauen und die Anhänglichkeit aller Studierenden,
niemand kann unsere Wünsche auf eine so völlig be-
friedigende Art und der Höhe, worauf jetzt die Philo-
Zweite Petition der Studenten 2 7 9
sophie steht, entsprechende Weise erfüllen, als Fichte.
Es ist daher allgemeiner Wunsch der hiesigen Stu
dierenden, dass es ihnen vergönnt sein möchte, wie-
derunter Fichtes Anleitung zur Erreichung des Zwecks
ihres Hierseins hinarbeiten zu können.
Diesem unserm allgemeinen Wunsche zufolge wa-
gen wir es, Ew. D. unsere untertänigste Bitte vorzu-
legen, dass der gewesene Professor Fichte wieder an
einer philosophischen Lehrstelle angestellt werden
möchte.
Der Schutz, welchen Ew. D. den Wissenschaften
angedeihen lassen, unter dessen Begünstigung uns hier
in jeder andern Absicht so vortreffliche und mannig-
faltige Veranlassungen zu unserer szientifischen Aus-
bildung dargeboten werden, berechtigt uns zu der
Hoffnung, dass Ew. D. uns jene untertänigste Bitte zu
gewähren geruhen werden. Mit dieser untertänigsten
Bitte verharren in tiefster Ehrfurcht
Ew. D.
untertänigste
[Es folgen die Unterschriften.]
XVII.
ANTWORT VON CARL AUGUST
p. p.
NACH Inhalt der abschriftlichen Beilage haben
die Studiosi Baiser und Konsorten nachgesucht,
dass der vormalige Professor der Philosophie, Fichte,
in einer philosophischen Lehrstelle Euers Orts ander-
weit angestellt werden möchte.
Da Wir aber Unsersteils aus erheblichen Ursachen
hierunter nicht willfahren können : So begehen Wir
gnädigst, Ihr wollet dieses den Supplikanten zur Re-
solution bekanntmachen.
Geben, Weimar, den 10. Januar 1800.
Carl August.
XVIII.
RÜCKERINNERUNGEN, ANTWORTEN,
FRAGEN*)
Eine Schrift, die den Streitpunkt genau anzugeben
bestimmt ist, und auf welche jeder, der in dem neu-
lich entstandenen Streite über die Lehre von Gott mit-
sprechen will, sich einzulassen hat oder ausserdem
abzuweisen ist.
(Aus dem Jahre 1799.)
„Das Wort sie sollen lassen stahn
Und kein'n Dank dazu haben."
Luther.
I.
Deklaration.
WER meine Religionslehre bis zum Vermögen
eines Urteils verstehen will, der muss das System
des transzendentalen Idealismus und den damit unzer-
trennlich verknüpften reinen Moralismus genau ken-
nen und, wie ich glaube, besitzen.
Ich sage : er muss es besitzen, d. h. des transzenden-
*) Abgedr. in Band V der von Immanuel Hermann Fichte her-
ausgegebenen Sämtlichen Werke Fichtes ( 1 845).
282
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
talen Standpunkts überhaupt fähig sein. Soviel ich
nämlich absehen kann und bisher in der Erfahrung
an anderen bemerkt habe — aber ich enthalte mich,
darüber definitiv zu entscheiden — , reicht die bloss
historischeKenntnis jenes Systemes nicht hin, deswegen,
weil man sie, wenn es zur einzelnen Anwendung kommt,
immer wieder vergisst, auf den realistischen Stand-
punkt herabgezogen wird, und so herumschwankt und
nur schwankende Resultate erhalten kann.
Wer sie bis zum Vermögen eines Urteils verstehen
will, — sage ich. Man kann an allen Teilen des tran-
szendentalen Idealismus sich üben, von jedem aus in
den Gesichtspunkt desselben einzudringen suchen : hat
man aber nicht die vollständige Reihe der Gründe er-
kannt, den ganzen Umfang desselben geschlossen, so
versteht man es wohl halb oder historisch, findet sich
etwa dadurch angezogen, findet es nicht ganz uneben
u. dgl. ; aber ein entschiedenes Urteil dafür oder da-
gegen ist in diesem Zustande nicht möglich.
2.
Dazu kommen noch die verschiedenen philosophi-
schen Voraussetzungen, von denen jeder Beurteilende
ausgeht. Der Akritiker muss sich zuerst über die Prin-
zipien mit uns verständigen; dann mag er streiten. Der
Kritiker, der über jene mit uns einig ist, kann hier
erst einen Kampfplatz haben, inwiefern er über die
Folgerungen streitet.
Erst, wenn dies gehörig auseinandergehalten wird,
kann ein wissenschaftlicher Streit beginnen : sonst fasst
uns die Klinge des Gegners nie, sondern kämpft statt
unserer mit einem selbstgemachten Gespenste, weil er
nicht weiss, wo er uns zu treffen hat.
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 283
3.
Bedurfte es nun, dies ausdrücklich zu sagen, oder
versteht es sich von selbst, wo von einem Teile des
philosophischen Systems die Rede ist, welchen man
nicht ohne das Ganze beurteilen kann? Ist es vernünftig,
über diesen aus dem Zusammenhang gerissenen Teil
abzuurteilen, ohne die Sätze, die diesem Teile zu Prä-
missen dienen, ohne den Sprachgebrauch, der im Gan-
zen herrscht, ohne den Zweck, der nur durch das Ganze
bestimmt wird, im geringsten zu kennen ? Ist es vernünf-
tig, diesen Teil in ein ganz anderes, gerade entgegen-
gesetztes System zu setzen, seine Ausdrücke im Sinne
dieses entgegengesetzten Systems zu deuten und nun
— zu urteilen? Oder über leidige Unbestimmtheit,
absichtliches Sich verstecken zu klagen, weil man den
einfachen Sinn, aus Unbekanntschaft mit dem Ganzen,
nicht finden kann?
Ist es wahr oder nicht, dass die ersten Anstifter des
Handels nur diesen Aufsatz und vorher in ihrem Leben
vielleicht gar nichts von mir gelesen, viel weniger stu-
diert hatten, dass sie grossenteils ganz andere Systeme
zur Beurteilung desselben mit hinzubrachten ? Ist nun
das Grundmissverständnis, das ihn betroffen — wie
gross dies sei, wird sich zeigen — noch zu verwundern?
Aber wessen ist die Schuld? —
Rückerinnerungen.
4-
Was offenbar keiner, der in dieser Sache gegen mich
geschrieben, besessen hat, und was denn doch allein
entscheidet, ist die Kenntnis des wahren Wesens und
2 8^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
der Tendenz der kritischen oder der Transzendental-
philosophie. (Beide Ausdrücke bedeuten hier ganz
dasselbe; indem in diesem Punkte Kant und die bes-
seren Kantianer unstreitig mit mir eins sind.) Ich
muss an diese Tendenz der Transzendentalphilosophie
wieder erinnern und ersuche das philosophische Pu-
blikum, diese Erinnerung die letzte sein zu lassen.
5.*)
Es gibt zwei sehr verschiedene Standpunkte des
Denkens : den des natürlichen und gemeinen, da man
unmittelbar Objekte denkt, und den des vorzugsweise
sogenannten künstlichen, da man mit Absicht und
Bewusstsein sein Denken selbst denkt Auf dem ersten
steht das gemeine Leben und die Wissenschaft (ma-
terialiter sie dicta) ; auf dem zweiten die Transzen-
dentalphilosophie, die ich eben deswegen Wissen-
schafts/eAre, Theorie und Wissenschaft alles Wis-
sens — keineswegs aber selbst ein reelles und objek-
tives Wissen — genannt habe.
Die philosophischen Systeme vor Kant erkannten
grossenteils ihren Standpunkt nicht recht und
schwankten hin und her zwischen den beiden soeben
angegebenen. Das unmittelbar vor Kant herrschen-
de Wolffisch-Baumgartensche stellte sich mit seinem
guten Bewusstsein in den Standpunkt des gemeinen
Denkens und hatte nichts Geringeres zur Absicht, als
*) Der folgende Abschnitt (von § 5 — 8) wurde von Fichte, mit
Abkürzungen, einem Privatschreiben an Jacobi einverleibt,
und ist als solches bereits in seinem „Leben und literarischen
Briefwechsel", 2. Aufl., Bd. II. S. 171 — 175, abgedruckt
worden.
(Anmerk. von Imm. Herrn. Fichte.)
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 285
die Sphäre desselben zu erweitern und durch die
Kraft seiner Syllogismen neue Objekte des natürlichen
Denkens zu erschaffen. (Dies System wird mir we-
nigstens nicht vorrücken können, dass ich es miss-
deute; denn es ist, gleichsam wie aus den Vollende-
ten, unter denen es schon hier lebte, hinter dem Vor-
hange hervor ganz neuerlich gegen mich auf den
Kampfplatz getreten, hat sich über diesen Punkt sehr
entscheidend erklärt und mir es ernstlich verwiesen,
dass ich von den Erkenntnissen, welche es hervor-
gebracht hat, so geringschätzig spreche*).)
6.
Diesem Systeme ist das unsrige darin gerade ent-
gegengesetzt, dass es die Möglichkeit, ein für das Le-
ben und die (materielle) Wissenschaft gültiges Objekt
durch das blosse Denken hervorzubringen, gänzlich
ableugnet und nichts für reell gelten lässt, das sich
nicht auf eine innere oder äussere Wahrnehmung grün-
det. In dieser Rücksicht, inwiefern die Metaphysik
das Svstem reeller, durch das blosse Denken hervor-
gebrachter Erkenntnisse sein soll, leugnet z. B. Kant,
*) Eberhard „über Fichtes Gott" (Halle bei Hemmerde und
Schwetschke, 1799), S. 20 ff., besonders S. a3: „Didicisse fi-
deliter artes, emollit mores, nec sinit esse feros! Der ent-
gegengesetzte Gang führt zu — dumpfer Schwärmerei und zu
einer Verachtung der Wissenschaft" (seil, die sich erräsonie-
ren lässt), „die allen Schwärmern gemein und der vornehm-
ste Bestandteil ihres Charakters ist." Ich hatte im Gegenteil
bisher geglaubt, die Schwärmerei bestehe darin, seinen Er-
dichtungen Wahrheit beizulegen, während der gesunde Ver-
stand nur das für wirklich hält, was sich auf innere oder
äussere Wahrnehmung bezieht.
2 86
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
und ich mit ihm, die Möglichkeit der Metaphysik
gänzlich ; er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel aus-
gerottet zu haben, und es wird, da noch kein ver-
ständiges und verständliches Wort vorgebracht wor-
den, um dieselbe zu retten, dabei ohne Zweifel auf
ewige Zeiten sein Bewenden haben.
Unser System, indem es die Erweiterungen ande-
rer zurückweist, lässt sich ebensowenig einfallen, selbst
an seinem Teile das gemeine und allein reelle Den-
ken erweitern zu wollen: sondern es will dasselbe le-
diglich erschöpfend umfassen und darstellen. — Un-
ser philosophisches Denken bedeutet nichts und hat
nicht den mindesten Gehalt ; nur das in diesem Den-
ken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser
philosophisches Denken ist lediglich das Instrument,
durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist
das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz
weggeworfen.
Wir setzen vor den Augen der Zuschauer das Mo-
dell eines Körpers aus den Modellen seiner einzelnen
Teile zusammen. Ihr überfallt uns mitten in der Ar-
beit und ruft: seht da das nackte Gerippe; soll nur
dies ein Körper sein? — Nein, gute Leute, es soll kein
Körper sein, sondern nur sein Geripp. — Nur dadurch
wird unser Unterricht verständlich, dass wir einzeln
Teil an Teil, einen nach dem anderen, anfügen; und
deswegen allein haben wir die Arbeit unternommen.
Wartet ein wenig, so werden wir dieses Gerippe mit
Adern und Muskeln und Haut bekleiden.
Wir sind jetzt fertig, und ihr ruft: nun so lasst doch
diesen Körper sich bewegen, sprechen, das Blut in
seinen Adern zirkulieren; mit einem Worte: lasst ihn
leben ! Ihr habt abermals unrecht. Wir haben nie vor-
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 287
gegeben, dies zu vermögen. Leben gibt nur die iVatar,
nicht die Kunst ; das wissen wir sehr wohl und glau-
ben gerade dadurch vor gewissen anderen Philo-
sophien zu unserem Vorteile uns auszuzeichnen, dass
wir es wissen. — Wenn wir irgendeinen Teil anders
bilden, als er in der wirklichen Natur ist, irgendeinen
hinzutun, irgendeinen mangeln lassen, dann haben
wir unrecht; und darauf müsst ihr sehen, wenn ihr
uns einen verständigen Tadel oder Lob erteilen wollt.
*
7.
Der lebendige Körper, den wir nachbilden, ist das
gemeine reelle Bewusstsein. Das allmähliche Zusammen-
fügen seiner Teile sind unsere Deduktionen, die nur
Schritt für Schritt fortrücken können. Ehe nicht das
ganze System vollendet dasteht, ist alles, was wir vor-
tragen können, nur ein Teil. Die Teile, auf welche
dieser letztere sich stützt, müssen freilich schon vor
euch liegen ; sonst haben wir keine Methode ; aber es
ist nicht notwendig, dass sie in derselben Schrift vor
euch liegen, die ihr jetzt eben lest; wir setzen euch
als bekannt mit unseren vorherigen Schriften voraus ;
wir können nicht alles auf einmal sagen. — Was aber
auf den jetzt eben euch vorgelegten Teil folge, das
habt ihr zu erwarten ; falls ihr nicht etwa es selbst zu
finden versteht.
Wenn wir aber auch, und wo wir vollendet haben,
und bis zum vollständigen reellen und gemeinen Den-
ken fortgerückt sind (wir haben es in mehreren Re-
gionen des Bewusstseins, nur noch nicht in der Reli-
gionsphilosophie), ist dasselbe, so wie es in unserer Phi-
losophie vorkommt, doch selbst kein reelles Denken,
2 88
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sondern nur eine Beschreibung und Darstellung des
reellen Denkens.
Ausdrücklich und ganz bestimmt durch das Nicht-
philosophieren, das heisst dadurch, dass man zur philo-
sophischen Abstraktion sich entweder nie erhoben
hat oder von der Höhe derselben sich wieder in den
Mechanismus des Lebens herablässt, entsteht uns alle
Realität ; und umgekehrt, sowie man sich zur reinen
Spekulation erhebt, verschwindet diese Realität not-
wendig, weil man sich von dem, worauf sie sich grün-
det, dem Mechanismus des Denkens, befreit hat. Nun
ist das Leben Zweck, keineswegs das Spekulieren ; das
letztere ist nur Mittel. Und es ist nicht einmal Mittel,
das Leben zu bilden, denn es liegt in einer ganz an-
deren Welt, und was auf das Leben Einfluss haben
soll, muss selbst aus dem Leben hervorgegangen sein.
Es ist nur Mittel, das Leben zu erkennen.
8.
Worin man befangen ist, was man selbst ist, das
kann man nicht erkennen. Man muss aus ihm heraus-
gehen, auf einen Standpunkt ausserhalb desselben sich
versetzen. Dieses Herausgehen aus dem wirklichen
Leben, dieser Standpunkt ausserhalb desselben ist die
Spekulation. Nur inwiefern es diese zwei verschiedenen
Standpunkte gab, diesen höheren über das Leben ne-
ben dem des Lebens, ist dem Menschen möglich, sich
selbst zu erkennen. Man kann leben, und vielleicht
ganz gemäss der Vernunft leben, ohne zu spekulieren ;
denn man kann leben, ohne das Leben zu erkennen;
aber man kann nicht das Leben erkennen, ohne zu
spekulieren.
Kurz — die durch das ganze Vernunftsystem hin-
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 289
durchgehende, auf die ursprüngliche Duplizität des
Subjekt-Objekt sich gründende Duplizität ist hier auf
ihrer höchsten Stufe. Das Leben ist die Totalität des
objektiven Vernunftwesens; die Spekulation die Tota-
lität des subjektiven. Eins ist nicht möglich ohne das
andere : das Leben, als tätiges Hingeben in den Me-
chanismus, nicht ohne die Tätigkeit und Freiheit (sonst
Spekulation), die sich hingibt; kommt sie auch gleich
nicht bei jedem Individuum zum deutlichen Bewusst-
sein ; — die Spekulation nicht ohne das Leben, von wel-
chem sie abstrahiert. Beide, Leben und Spekulation,
sind nur durcheinander bestimmbar. Leben ist ganz
eigentlich Nicht-Philosophieren; Philosophieren ist ganz
eigentlich Nicht-Leben; und ich kenne keine treffen-
dere Bestimmung beider Begriffe als diese. Es ist hier
eine vollkommene Antithesis, und ein Vereinigungs-
punkt ist ebenso unmöglich als das Auffassen des X,
das dem Subjekt-Objekt, Ich, zugrunde liegt; ausser
dem Bewusstsein des wirklichen Philosophen, dass es
für ihn beide Standpunkte gebe.
9-
Also — kein Satz einer Philosophie, die sich selbst
kennt, ist in dieser Gestalt ein Satz für das wirkliche
Leben, sondern er ist entweder Hilfssatz für das System,
um von ihm aus weiter fortzuschreiten, oder, wenn
die Spekulation über einen Punkt des Nachdenkens
geschlossen ist, ein Satz, zu dem erst die Empfindung
und Wahrnehmung hinzukommen muss, als in ihm
begriffene, um im Leben brauchbar zu sein. Die Phi-
losophie, selbst vollendet, kann die Empfindung nicht
geben, noch ersetzen; diese ist das einige wahre, in-
nere Lebensprinzip. Dies hat ihnen schon Kant ge-
Fichte I Q
2go J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sagt, und es ist der Begriff und innige Geist seiner
Philosophie, ist das, worauf er immer zurückkommt.
Dies hat Jacobi ganz unabhängig von ihm und glau-
bend, dass er mit ihm uneins sei, dass diese Philoso-
phie gleichfalls Lebensweisheit sein wolle, gesagt im
Streite gegen Mendelssohn, der auch ein Parteiführer
dieser erschaffenden Philosophie war. Dies habe end-
lich ich gesagt, so vernehmlich als möglich, schon seit
den ersten Erklärungen über den Begriff meines Sy-
stems.
Gehört müssen sie's daher wohl haben ; aber sie kön-
nen es sich nicht angewöhnen. Historischer Satz mag
es ihnen geworden sein, Regulativ ihrer Beurteilung
aber nicht; denn wenn sie es anwenden sollen auf
das Verständnis des einzelnen, so ist es vergessen. Sie
kommen von einer Philosophie her, die sich neue Wahr-
heiten erräsoniert ; sie können daher keinen philoso-
phischen Satz hören, ohne ihn darauf anzusehen, was
etwa durch ihn Neues räsoniert sein solle, um ihn da-
nach zu beurteilen.
So sind alle verfahren, die als meine Gegner auf-
getreten sind.
10.
Was soll denn nun die Philosophie und wozu be-
darf es der spitzfindigen Zurüstungen derselben, wenn
sie gesteht, dass sie für das Leben nichts Neues sagen,
ja dasselbe nicht einmal als Instrument bilden kann, dass
sie nur Wissenslehre, keineswegs Weisheitsschule ist?
Zunächst wäre es genug, dass sie ein möglicher
Zweig der Geistesbildung ist, um sie zu üben, gesetzt
auch, dass schlechthin kein anderer Wert in ihr liege.
Es genügt, dass sie möglich ist, um sie auch zu ver-
Rückerinneningen, Antworten, Fragen 2 g 1
wirklichen, denn der Mensch soll den ganzen Umfang
seiner Vernunft und seines Bewusstseins vollziehen.
Ihr Hauptnutzen dagegen, wie oft schon erinnert,
ist negativ und kritisch. In dem, was man gewöhn-
lich für Lebensweisheit hält, liegt es nicht daran, dass
sie zuwenig, sondern dass sie zuviel enthält. Man
hat eben die erräsonierten Schätze der oben beschrie-
benen erschaffenden Me taphysik hineingetragen inj ene
allgemeine Denkweise und Bildung; diese sollen von ihr
wieder abgesondert werden. Die Transzendentalphilo-
sophie hat die Bestimmung, die allgemeine Erkennt-
nis von dieser fremden Zutat zu reinigen, sie wieder
zurückzuführen auf ihren wahrhaft menschlichen, dar-
um notwendigen und unvertilgbaren Bestand. Auch
Kant wollte nichts anderes.
Mittelbar, d. i. inwiefern ihre Kenntnis mit der
Kenntnis des Lebens sich vereinigt, hat sie aber auch
einen positiven Nutzen : sie ist für das unmittelbar
Praktische pädagogisch in weitester Bedeutung dieses
Worts. Sie zeigt aus den höchsten Gründen, eben
weil sie den ganzen Menschen begreifen lehrt, wie
man die Menschen bilden müsse, um moralische und
religiöse Gesinnungen auf die Dauer in ihnen zu bil-
den und nach und nach allgemein zu machen. Für
die theoretische Betrachtung, Erkenntnis der Sinnen-
welt, Naturwissenschaft ist sie regulativ: sie zeigt,
was man von der Natur erfragen, und wie man sie
fragen müsse. — Ihr Einfluss auf die Gesinnung des
Menschengeschlechts überhaupt aber ist darin zu fin-
den, dass sie ihm Kraft, Mut und Selbstvertrauen bei-
bringt, indem sie zeigt, dass es und sein ganzes Schick-
sal lediglich von ihm selbst abhänge, — indem sie
den Menschen auf seine eigenen Füsse stellt.
>9*
2 g 2 J * Fichtes Atheismus-Streit
II.
So ist Philosophie über die Religion nicht die Re-
ligionslehre, noch weniger soll sie an die Stelle des
religiösen Sinnes treten ; sie ist allein die Theorie des-
selben. Ihr Zweck ist auch hier kritisch und päda-
gogisch. Sie ist bestimmt, unverständliche, unnütze,
verwirrende, eben dadurch aber der Irreligiosität
Blossen darbietende Lehren über Gott wegzuschaffen,
indem sie eben zeigt, dass sie nichts sind, und dass
schlechterdings nichts davon in des Menschen Hirn
passt. Sie muss zeigen, wie in des Menschen Herzen
der religiöse Sinn sich erzeuge, ausbilde und verstär-
ke, und wie sonach die Menschheit zu demselben zu
bilden sei — nicht vermittelst der Philosophie, diese
bildet nicht das Leben, sondern lehrt nur es einsehen,
sondern durch Erweckung der wahren übersinnlichen
Triebfedern des Lebens.
Die Tendenz eines philosophischen Systems über
Religion lässt sich daher nicht eher genügend beur-
teilen, bis es nicht vollendet, erschöpfendes Bild ist
des ganzen Umfangs der menschlichen Vernunft. Erst
dann kann es auch pädagogisch werden.
12.
Ich habe Philosophie über Religion vorgetragen in
dem oben angegebenen Sinne des Wortes, wie teils
aus meinen zur Genüge über Philosophie aufgestell-
ten Begriffen, teils aus der Ankündigung meines Vor-
habens selbst hervorgehen musste, dass die Philoso-
phie nur die Kausalfrage zu beantworten habe: wo-
her der religiöse Sinn unter den Menschen komme. *)
*) Über den Grund unsers Glaubens usw. S. 4 [oben S. 2 3].
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 29 3
Hätten denn die Zensoren, Verbieter, Lästerer jenes
Aufsatzes, wenn sie ihn wirklich lasen, ehe sie ihn
verboten, nicht wenigstens durch diese Stelle sich
warnen lassen sollen? Fiel ihnen nicht ein, dass, da
ich hier den Begriff der Philosophie völlig anders be-
stimmte denn sie, ich wohl von etwas ihnen Unbe-
kanntem reden möchte? Es ist zu fürchten, dass sie
nicht einmal diesen Anfang gelesen!
Ausserdem habe ich die Religionsphilosophie mit
ihm nicht vollendet, sondern nur den Grundstein der-
selben gelegt, wie ich gleichfalls sagte. — Wer alle
oben ( 1 .) angegebenen Eigenschaften besitzt, der kann
diesen Grundstein beurteilen; die Folgen und An-
wendungen noch nicht so ohne weiteres; er müsste
denn des Prinzips selbständig mächtig sein und rich-
tig aus ihm folgern. Wo ist einer unter meinen Geg-
nern mit diesen Eigenschaften?
Nach ihrem populären Werte, in Absicht ihres Ein-
flusses auf Erbauung und Religiosität kann sie voll-
ends nicht beurteilt werden, bis sie vollendet ist. Dies
ist jetzt mein angelegentlichstes Geschäft, und ich
hoffe, mit der nächsten Messe das Publikum befriedi-
gen zu können.
i3.
Die Transzendentalphilosophie hat die Bestimmung,
sagte ich oben, das wirkliche, allgemeine Wissen sy-
stematisch aufzustellen ; aber sie lässt nichts für wirk-
liches, allgemeines gelten, was sich nicht auf eine
Wahrnehmung gründet : — sie verschmäht alles Errä-
sonierte. Die Realität eines solchen schöpft sie daher
immer aus dieser; aber sie hat es in seiner Notwen-
digkeit zu begreifen und abzuleiten; darin beruft sie
2g 4 J. G. Fichte« Atheismus-Streit
sich nicht auf Fakta, denn damit hörte sie auf, Tran*
szendentalphilosophie zu sein.
Sie ist daher nimmer im Streite und kann nicht in
Streit geraten mit dem gemeinen, natürlichen Bewusst-
sein ; sie berührt dasselbe gar nicht, denn sie befindet
sich in einer andern Welt. Sie ist nur im Streite mit
einer, neue Tatsachen erdenkenden Philosophie, und
alles, dem sie widerspricht, ist gerade dadurch, dass
sie ihm widerspricht, indem sich zeigt, dass es nicht
im Systeme der allgemeinen Vernunft sich findet, als
Teil einer solchen Philosophie erwiesen.
14.
Meine Religionsphilosophie ist nun im Streite mit
jener Philosophie teils über den Ursprung der Religion :
nach jener liegt er in einer Empfindung; nach dieser
wird er erräsoniert : — teils über den Inhalt und Um-
fang derselben, was gleichfalls in der ersten Frage liegt.
Nach ihnen gehören zur Religion Kenntnisse und Leh-
ren: nach mir nichts dergleichen.
Ein grosser Teil unserer Theologie ist solche Philo-
sophie, und ein grosser Teil unserer Bücher für den
religiösen Volksunterricht,Katechismen, Gesangbücher
u. dgl. ist Theologie. Ich bin sonach mit ihnen, insofern
sie dies sind, im Streite, nicht, soweit sie Religion sind; —
über jenen theoretischen Inhalt eben, auf dessen De-
duktion sie übrigens in der Regel sich nicht einlassen;
und dies wenigstens ist, bei den übrigen Unzweck-
mässigkeiten, ein zweckmässiges Verhalten derselben.
Meine Religionsphilosophie kann sonach auch nicht
im Streite liegen mit dem religiösen Sinne des Men-
schen im Leben; denn sie steht auf einem ganz ande-
ren Felde. Allein die pädagogischen Resultate derselben
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 29 5
(11. 12.) könnten mit ihm in Widerstreit geraten:
dies hätte man abzuwarten; denn bis jetzt sind sie
noch gar nicht vollständig und systematisch gezogen.
Was ich in meiner Appellation darüber gesagt, war
bloss bestimmt, um vorläufig den durch die öffentliche
Beschuldigung, dass meine Lehre atheistisch sei, er-
schreckten Sinn guter Menschen zu beruhigen, nicht
um die Theologen zu befriedigen.
Es ist daher absolut vernunftwidrig, mein System
als Lebensweisheit zu beurteilen und mit Lebensweis-
heit zu bestreiten, die sich auf die beleuchteten Prä-
missen gründet. Aber die meisten meiner Gegner haben
dies getan.
i5.
Dahin gehört das Gerede von einem Fichtischen
Gotte, oder einem Jacobischen, einem Spinozischen u.
dgl. Fichte, Jacobi, Spinoza sind etwas anderes als
ihre Philosophie. Der Philosoph hat gar keinen Gott
und kann keinen haben ; er hat nur einen Begriff vom
Begriffe oder von der Idee Gottes. Gott und Religion
gibt es nur im Leben : aber der Philosoph, als solcher,
ist nicht der ganze vollständige Mensch, sondern im
Zustande der Abstraktion, und es ist unmöglich, dass
jemand nur Philosoph sei. Was durch die Vernunft
gesetzt ist, ist schlechthin bei allen vernünftigen Wesen
ganz dasselbe. Die Religion und der Glaube an Gott
ist durch sie gesetzt, sonach in gleicher Weise gesetzt.
Es gibt in dieser Rücksicht nicht mehrere Religionen,
noch mehrere Götter; es ist schlechterdings nur ein
Gott. Nur dasjenige im Begriffe Gottes, worüber alle
übereinstimmen und übereinstimmen müssen, ist das
Wahre: dasjenige in ihrem Begriffe von Gott (nicht
2gß J. G. Fichtes Atheismus-Streit
etwa in dem Begriffe vom Begriffe), worüber sie strei-
ten, — darüber haben notwendig alle unrecht, eben
darum, weil sie darüber streiten können. Das, worüber
dergestalt gestritten werden kann, ist nur durch eine
falsche Philosophie erräsoniert, oder aus einem auf
falsche Philosophie gegründeten Katechismus auswen-
dig gelernt : die wahre Religiosität enthält gar nichts
darüber; hier ist für sie eine leere Stelle; denn sonst
könnte nicht gestritten werden.
16.
Ebenso gehört dahin, dass man meine Philosophie
dem Christentum gegenübersetzen und das eine aus
dem andern widerlegen will. Freilich ist es von jeher
so gehalten worden, dass der Philosoph das Christen-
tum mit seiner Philosophie in Übereinstimmung set-
zen, der Christ seinen Glauben mit dem philosophischen
Denken in Eintracht hat bringen wollen ; aber es be-
weist weiter nichts, als dass die, welche dergleichen
unternehmen, weder Philosophie, noch Christentum
kannten. Unserer Philosophie fällt dies gar nicht ein.
Das Christentum ist Lebensweisheit, im wahren und
höchsten Sinne Popular-Philosophie ; es kann gar
nichts anderes sein wollen, ohne seinen Rang zu ver-
lieren und in das Gebiet des Räsonnements, des nicht
mehr Ursprünglichen, herabzusinken, damit zugleich
aber der Forderung sich auszusetzen, dass es Demon-
strationen gebe, wodurch es dem Streite der philo-
sophischen Systeme sich preisgäbe. Mit ihm, in sol-
cher Ursprünglichkeit gefasst, kann unsere Philosophie
nicht in Streit geraten, denn sie soll nur Theorie der
Lebensweisheit sein, nicht an ihre Stelle treten. —
Nur die Resultate unserer Philosophie und das Chri-
Rücker inner ungen, Antworten, Fragen 297
stentum könnten, wie gezeigt (i4 )> streitig werden:
aber wo sind denn diese Resultate, und — könnte ich
hinzusetzen — wo ist denn das wahre Christentum?
Ist es nicht überall, wo es an uns gelangt, schon hin-
durchgegangen durch jenen räsonierenden Verstand?
Dahin gehören auch voreilige Erinnerungen der Art :
Gott solle nicht Schöpfer, nicht Regierer und Erhal-
ter der Welt sein nach diesem Systeme, keine gött-
liche Vorsehung bleibe in ihm übrig! — Ihr lieben,
guten Unphilosophen ! Für euch ist die ganze Distink-
tion, der gesamte Gegensatz nicht vorhanden, nach
welchem von Gott nach der einen philosophischen
Ansicht dies alles gilt, nach der andern schlechthin
nicht gelten kann. Wenn ihr wirklich gut und religiös
seid, so nehmt ihr es immer in dem Sinne, in welchem
es wahr ist. Ich hatte es bisher gar nicht mit euch,
sondern mit Philosophen zu tun, denen diese Distink-
tion anzumuten ist, und die jene Sätze auch in dem
Sinne nehmen, in welchem sie nicht gelten. Risher
habe ich nur diesen widersprochen und sie wenigstens
hätten mich verstehen sollen. Wartet noch eine kurze
Zeit, so werde ich zur andern Seite der Tafel kommen,
die rein religiöse Redeutung jener Lehren zeigen und
euch, mit denen ich nie im Streite war, gerade recht
geben.
17-
Dahin gehört es endlich, wenn man den Einfluss
dieser Philosophie auf das Herz und die Gesinnung
der Menschen beurteilen und vorausprophezeien will.
Eigen tlichePhilosopheme einer transzendentalenTheo-
rie sind an sich tot und haben gar keinen Einfluss in
das Leben, weder guten, noch bösen, ebensowenig als
I
2g8 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ein Gemälde lebt und sich bewegen kann. Auch ist
es ganz gegen den Zweck dieser Philosophie, sich den
Menschen, als solchen, mitzuteilen. Der Gelehrte, als
Erzieher und Führer des Volks, besonders der Volks-
lehrer, soll sie allerdings besitzen, als pädagogisches
Regulativ, und nur in ihm wird sie insofern praktisch.
Wenn er aber sie selbst mitteilen wollte — was die
Menge weder verstehen noch richtig beurteilen könn-
te — , so würde er dadurch nur beweisen, dass er
selber ihren Geist gar nicht verstanden habe. Dass er
sie aber mit Eifer und Treue anwende, dieser gute
Wille wird schon vorausgesetzt, nicht etwa durch sie
erst hervorgebracht, ebenso wie bei dem Philosophen
von Profession Unparteilichkeit, Wahrheitsliebe, Fleiss
schon vorausgesetzt, nicht aber durch sein Philo-
sophieren erzeugt wird.
18.
Eine solche gänzliche Vermischung zweier Sphären
haben sich, mehr oder minder, alle zuschulden kom-
men lassen, die gegen mich geschrieben: durchaus
aber tut es ein ungenannter Appellant an den gesun-
den Menschenverstand.*) Der gesunde Menschenver-
stand, an den er appelliert, ist das Christentum mit
jener Verbrämung (i 5.), oder noch eigentlicher, der
hannoversche Katechismus. Auf ihn kann man nicht
zürnen oder ihn widerlegen wollen ; denn er ist offen-
bar ein Unphilosoph und Ungelehrter, wahrscheinlich
nicht einmal ein Studierter im gewöhnlichen Sinne
des Wortes, sondern etwa ein Kanzlist, den man
höheren Ortes veranlasst hat, das Verbot derhannöver-
*) „Appellation an den gesunden Menschenverstand" usw.
Hannover bei Hahn, 1799.
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 99
sehen Regierung gegen mein Journal durch Wider-
legung der Apellation bei dem gläubigen hannover-
schen Publikum zu rechtfertigen. Die Widerlegung
meiner Philosopheme für Gelehrte wird schon einem
anderen und rüstigeren Streiter übertragen werden.
19-
In Summa: Meine Religionsphilosophie lässt sich
nur aus dem transzendentalen Gesichtspunkte beur-
teilen, bestreiten oder bestätigen. Dem Leser, welcher
trotz allem, was ich soeben darüber beigebracht habe,
nicht einmal versteht, was der transzendentale Ge-
sichtspunkt selber sei, werde klar, dass er zur Teil-
nahme an diesem Streite nicht berufen sei!
Religion zwar ist Angelegenheit aller Menschen,
und jeder redet da mit Recht hinein und streitet: es
ist Bestimmung des Menschen, Anlage und Wunsch,
um hierüber allmählich Übereinstimmung, den grossen
Zweck der Vernunft, hervorzubringen. Aber Religions-
philosophie ist nicht Religion und nicht für alle und
aller Urteil : die Religion ist wirkend und kräftig, die
Theorie ist tot an ihr selber; die Religion erfüllt mit
Gefühlen und Empfindung, die Theorie spricht nur
von ihnen ; sie zerstört sie weder, noch sucht sie neue
zu erzeugen.
20.
Der wahre Sitz des Widerstreites meiner Philosophie
und der entgegengesetzten Lehren, welche letztere sich
dieses Umstandes mehr oder weniger deutlich bewusst
sind, ist über das Verhältnis der (blossen, auf Objekte
gehenden) Erkenntnis zum wirklichen Leben (zum
Gefühle, Begehrungsvermögen und Handeln). Die ent-
3oo J. G. Fichte« Atheismus-Streit
gegengesetzten Systeme machen die Erkenntnis zum
Prinzipe des Lebens: sie glauben, durch freies will-
kürliches Denken gewisse Erkenntnisse und Begriffe
erzeugen und dem Menschen durch Räsonnement ein-
pflanzen zu können, durch welche Gefühle hervorge-
bracht, das Begehrungsvermögen affiziert und so end-
lich das Handeln des Menschen bestimmt werde. Ihnen
also ist das Erkennen das Obere, das Leben das Nie-
dere und durchaus von jenem Abhängende (Eberhard
a. a. O., S. 20 — 26).
Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben,
das System der Gefühle und des Begehrens zum Höch-
sten und lässt der Erkenntnis überall das Zusehen.
Dies System der Gefühle ist durchaus bestimmt im
Bewusstsein, und es enthält eine unmittelbare, nicht
durch Folgerungen erschlossene, durch freies, auch
zu unterlassendes Räsonnement erzeugte Erkenntnis.
Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist
daher auch und ist allein, als aus dem Leben stam-
mend, ein das Leben Bewegendes. Wenn daher durch
Philosophie oder Räsonnement die Realität einer Er-
kenntnis erwiesen werden soll, so muss ein Gefühl —
so will ich es vorläufig nennen und werde über den
Gebrauch dieses Wortes sogleich bestimmtere Rechen-
schaft ablegen — aufgezeigt werden, an welches diese
Erkenntnis unmittelbar sich anschliesst. Das freie Rä-
sonnement kann den Inhalt desselben nur durchdrin-
gen, läutern, das Mannigfaltige desselben trennen und
verknüpfen und den Gebrauch desselben sich erleich-
tern, es in die Gewalt des Bewusstseins bringen; aber
sie kann es nicht vermehren, seinen Stoff vergrössern
oder anders machen. Unsere Erkenntnis ist uns mit
einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, wir können
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 O I
daher in alle Ewigkeit sie nur weiter entwickeln, wie
sie ist. — Nur das Unmittelbare ist daher wahr, das
Vermittelte nur, insofern es sich auf jenes gründet;
darüber hinaus liegt das Gebiet der Schimären und
Hirngespinste.
21.
Was sagt nun darüber der neueste Verteidiger des
entgegengesetzten Systemes, Herr Eberhard? Er sagt:
„Ist das sittliche Gefühl von der Bildung der Vernunft
nicht abhängig?" Als ob darüber nur eine Antwort
sich verstände, und ich diese Antwort gutwillig nur
in seinem Sinne geben könnte ! Überhaupt bedürfte es
eines ausführlicheren Werkes, als ich hier zu schrei-
ben vorhabe, um alle die Verirrungen, die in jenem
scheinbar so einfachen und plausiblen Satze enthalten
sind, hinreichend aufzuklären. — Was heisst über-
haupt, das Gefühl von Begriffen abhängig zu machen?
Es heisst, sich jenes Unmittelbare (20.) erräsonieren,
was man ursprünglich nicht fühlt, noch besitzt, sich
und andern durch Syllogismen aufnötigen wollen. Dann
mag man sich einbilden, durch Vernunftbeweise sich
und andere zum Lachen oder Weinen bringen zu kön-
nen!
Ich antworte sonach ohne weiteres auf jene Frage
in dem Sinne, wie er die Begriffe nimmt : Keineswegs :
die Vernunft, von der er hier redet, ist die theoreti-
sche des Erkenntnisvermögens. Diese sagt aus nur,
dass und wie etwas sei; von einem Handeln und
^inem Handeln-*Sb//en, von einem Postulate liegt in
ihr schlechterdings nichts, und ich möchte den Künst-
ler sehen, der mir so etwas herausanalysierte, wenn
er es nicht hineingelegt oder gefunden hat.
3o2
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
22.
Herr Eberhard fahrt fort : „Warum ist das sittliche
Gefühl in dem ungebildeten Menschen roh und in
dem gebildeten und aufgeklärten richtig, frei und
weitumfessend? Ist es nicht, weil der erstere an Be-
griffen leer und der letztere an richtigen, hellen,
wirksamen Begriffen reich ist?"
Was heisst: das Gefühl ist roh? Herr Eberhard
verzeihe mir! Nach meinen Begriffen von Gefühl
weiss ich dies Beiwort nirgends unterzubringen und
bitte um die Erlaubnis, bis zu einer näheren Erklä-
rung mich darauf nicht einlassen zu dürfen. —
„Es ist bei dem Gebildeten richtig." Hier kann ich
doch erraten, was Herr E. meine. Das Urteil über
einen Gegenstand der Sittlichkeit nämlich kann rich-
tig sein oder unrichtig, — nie das Gefühl, welches
ein absolut Einfaches, gar keine Beziehung Ausdrük-
kendes ist. Aber was ist denn das Kriterium der Rich-
tigkeit dieses Urteils? Etwa wiederum ein logisches,
aus früheren Prämissen folgerndes? Kann sein, dass
Herr E. es so meint. Was ist dann aber hier die erste
ursprüngliche Prämisse? Auch nur eine logische?
Ich habe nicht Zeit, die Sache hier auseinanderzu-
wirren, und verweise ihn an meine Sittenlehre.
Sein Gefühl ist ferner „fein". — Man kann allen-
falls in populärer Sprache, wo es auf Bestimmtheit
der Begriffe nicht so sehr ankommt, sagen: der mo-
ralische Takt ist fein, d. i. der Mensch hat sich durch
Übung eine Fertigkeit erworben, über sittliche Gegen-
stände schnell und richtig zu urteilen; aber nimmer-
mehr: das ursprüngliche, eigentlich sittliche Gefühl,
das ein absolutes, keiner Vermehrung oder Vermin-
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3o3
derung fähiges ist, das allemal positiv aussagt: dies
soll sein, dies soll nicht sein — könne sich verfeinern.
Aber jene Fertigkeit, wird sie erworben durch das
Leben oder durch müssiges Spekulieren, und ist das
Kriterium, an welches sie zu halten sich gewöhnt hat,
ein theoretischer, durch Räsonieren erst gefundener
Satz? Herr Eberhard würde wohl ohne Bedenken
mit Ja antworten; ich aber sage nicht Ja, aus Grün-
den, die bei mir am eben angeführten Orte nachzu-
lesen sind, und auf die man sich einlassen sollte.
Das Gefühl soll ferner weitumfassend sein. Das sitt-
liche Gefühl ist alle Menschen gleich umfassend und
geht auf alle Objekte des freien Handelns. Der theo-
retisch Gebildete — denn von einer solchen Bildung
kann nach dem ganzen Zusammenhange hier nur die
Rede sein, nicht von der praktischen Bildung durch
Übung der Tugend — ist von dem in dieser Hinsicht
Ungebildeten nur durch die Ausbreitung des Wir-
kungskreises verschieden, nicht aber, als solcher, an
Intensität des Gefühls oder Stärke des sittlichen Wil-
lens. Herr Eberhard müsste sonst erweisen, dass theo-
retische Kultur den guten Willen hervorzubringen
und zu erhöhen vermöge. Freilich liegt dies in seiner
Konsequenz; dennoch nehmen wir Anstand, ihm die-
se Behauptung zuzutrauen, bis er nicht sich ausdrück-
lich zu ihr bekennt.
23.
„Warum haben die Greuel des Aberglaubens die
Sitten/eAre verunstaltet?" fährt Herr Eberhard fort.
Hat er wirklich so schreiben wollen, so sagt seine
Frage soviel als : warum ergeben sich doch aus un-
richtigen Vordersätzen, wenn man konsequent fol-
3 o 4- J. G. Fichtes Atheismus-Streit
gert, unrichtige Folgesätze? Hat er aber schreiben
wollen: Sittlichkeit, wirkliche Moralität, so frage ich
zurück : Warum hat doch der Aberglaube den Begriff
von Gott verdunkelt und verunreinigt, was auf das
sittliche Urteil — nicht auf das ursprüngliche Ge-
fühl — nicht anders als mitbestimmend wirken konn-
te? Doch wohl bloss ein falsches theoretisches Rä-
sonnement über jenen Begriff!
Wenn daher ein schwachsinniger, dumpfer Andächt-
ler einen Ketzer verbrennen hälfe und sich dabei auf
sein Gefühl beriefe, würde man ihm nicht richtigere
Begriffe geben müssen, nicht ein anderes oder rich-
tigeres sittliches Gefühl? Dies letztere ist das richtige,
es kann, so gewiss es nur in seiner Reinheit gelassen,
nicht durch falsches Räsonnement irre gemacht wird,
gar nicht anders als richtig, ursprünglich sein. — Oder
glaubt Herr Eberhard im Ernste, dass es mehrere sitt-
liche Gefühle für besondere Individuen gebe, wie er
allerdings insinuiert, wo denn etwa ein sittliches Ge-
fühl die Ketzerverbrennerei bestätigen würde?
Herr Eberhard argumentiert aus gleichen Voraus-
setzungen weiter und schärft ein und treibt sich fort
in demselben Zirkel. Wir haben das falsche Prinzip
aufgedeckt; es wäre verlorene Mühe, den Irrtum an
allen Folgerungen daraus nachzuweisen.
24.
Welches ist nun das Gefühl, worauf unser Glaube
an die Gottheit sich gründet, und wodurch derselbe
als reell bewährt wird?
Zuvörderst über einen doppelten Sinn des Wortes
Gefühl, der auch Herrn Eberhard meiner Meinung
nach irre gemacht hat. Das Gefühl ist entweder sinn-
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3o5
lieh — des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., - —
oder intellektuell. Herr Eberhard, und mit ihm alle
Philosophen seiner Schule, scheint die letztere Art
ganz zu ignorieren, nicht zu beachten, dass auch die
letztere Gattung angenommen werden muss, um das
Bewusstsein begreiflich zu machen.
Ich habe es hier mit dem ersteren nicht zu tun, son-
dern nur mit dem letzteren. Es ist das unmittelbare
Gefühl der Gewissheit und Notwendigkeit eines Den-
kens. — Wahrheit ist Gewissheit : und woher glauben
nun die Philosophen der entgegengesetzten Schule in
einem bestimmten Falle zu wissen, dass sie gewiss
sind? — Etwa durch die allgemeine theoretische Ein-
sicht, dass ihr Denken mit den logischen Gesetzen über-
einstimmt? Aber diese theoretische Einsicht ist selbst
nur eine Gewissheit in höherer Potenz: wie sind sie
sicher, dass sie sich in der Gewissheit über jene Über-
einstimmung nicht abermals irren? Etwa durch eine
andere, noch höhere theoretische Einsicht? Aber wo-
her deren Gewissheit ? Kurz, sie werden ins Unend-
liche getrieben. Auf diesem Wege ist Gewissheit zu
erreichen ebenso unmöglich, als eben auch das Ge-
fühl der Gewissheit zu erklären unmöglich ist. Über-
dies — ist denn jene Gewissheit ein Objektives oder
ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich solchen
wahrnehmen, ausser durch ein schlechthin ursprüng-
liches, durch nichts anderes vermitteltes Gefühl?
Aber was ist dies? Es ist klar, dass dieses Gefühl
nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne die-
ses und einen besonderen Inhalt desselben. Dass es
aus sich selbst einen solchen Inhalt oder eine Wahr-
heit haben sollte, ist unmöglich und würde keinen
klaren Sinn zulassen. Das Gefühl der Gewissheit oder
Fichte
20
3o6
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Wahrheit begleitet nur, wie gesagt, ein gewisses Den-
ken und dessen Inhalt.
Es ist offenbar, dass, wenn das Gefühl der Gewiss-
heit von einem gewissen Denken und seinem Inhalte
unabtrennlich ist, wenn daher dies Denken die Bedin-
gung aller mittelbaren Gewissheit oder Vernünftig-
keit in sich enthält, alle Menschen über dieses Gefühl
übereinkommen müssen, und es jedem anzumuten ist,
wenn es ihm auch nur zum Bewusstsein zu bringen,
nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des
Unmittelbaren überhaupt nicht möglich ist.
Es ist daher dies Gefühl nicht nur intellektuelles
überhaupt, sondern das erste und ursprünglichste in-
tellektuelle Gefühl, Grund aller Gewissheit, aller Re-
alität und Objektivität.
Es begleitet das Denken, dass zu der Realisation
des durch unsere moralische Natur uns schlechthin
gesetzten Zweckes, der absoluten Selbständigkeit der
Vernunft, stete Annäherung möglich sei, und dass die
Bedingung derselben in der absoluten Erfüllung un-
serer Pflicht in jeder Lage, lediglich um der Pflicht
willen beruhe. Es begleitet dies Denken notwendig^
indem es einen integrierenden Teil jenes Zwecksetzens
selber ausmacht, davon, dass man jenen Zweck schlecht-
hin sich setzen muss, unabtrennlich und eigentlich
nur der unmittelbare Ausdruck dieses Bewusstseins ist.
Wir analysieren näher, was darin enthalten.
Ich denke: es ist möglich, dass die Vernunft stets
ihrem Zwecke entgegengehe und sich ihm annähere.
Dies möchte etwa als ein willkürliches Denken, ein
bloss problematisches Setzen, das weiter nichts für
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3o*y
sich hat, als die blosse Denkmöglichkeit, erscheinen.
So ist es nun nicht: sondern es zeigt sich in einem
gewissen Zusammenhange, als ein notwendiges, im
Bewusstsein unabweisbares. — Ebenso notwendig
und unabweisbar wäre daher auch, was zufolge der
logischen Notwendigkeit des Denkens (vermittelt) in
ihm liegt.
Setze ich nun einen Zweck in meinem Handeln, so
setze ich ihn in irgendeiner zukünftigen Zeit auch als
verwirklicht. Dies ist eine notwendige logische Folge.
Aber ich kann, die Sache bloss in ihrer logischen
Konsequenz betrachtet, beide Sätze, wie es scheint,
ebensogut auch in das umgekehrte Verhältnis brin-
gen. Ich soll und kann mir den Zweck der Sittlichkeit
nicht vorsetzen, wenn ich nicht schon von seiner Aus-
führbarkeit überzeugt bin, hat man schon häufig ge-
sagt und so das erste vom letzteren abhängig ge-
macht. — Ich kann ihn nicht für ausführbar halten
und werde es nicht, wenn ich mir ihn nicht schlecht-
hin setze, kann man ebensowohl sagen. Warum soll
ich ihn mir aber überhaupt setzen?
Kurz, im blossen logischen Verhältnisse ist beides
nur unter Bedingung gewiss, an sich keineswegs; wir
werden von jedem Gliede aufs andere verwiesen ; die
ursprüngliche Gewissheit jenes Bewusstseins ist nicht
erklärt.
Diese kann daher nur liegen in der Unmittelbar-
keit eines Gefühls, und in diesem sind auch jene bei-
den Glieder ursprünglich eins. Ich soll schlechthin
den sittlichen Zweck mir setzen und ihn schlechthin
für ausführbar halten; ich soll ihn für ausfuhrbar hal-
ten und darum ihn setzen. Keines ist in Wahrheit die
Folge vom anderen, sondern beides ist eins ; es ist ein
20*
3o8
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Gedanke, nicht zwei; und es ist wahr und gewiss,
nicht zufolge jenes erschliessenden Denkens, sondern
einer Notwendigkeit, die ich nur fühle.
26.
Da es nur unmittelbare, nur fühlbare Gewissheit
ist, so kann man sie keinem andemonstrieren, aber
bei jedem sicher voraussetzen, indem diejenigen, die
sie haben, und die ausserdem über den Zusammen-
hang des menschlichen Wissens nachdenken, erken-
nen müssen, dass jedes andere Wissen sich nur dar-
auf gründet, und dass jeder, der etwas mit Gewissheit
weiss, unvermerkt und ihm selbst vielleicht unbe-
wusst, von jenem Wissen ausgegangen ist. Es lässt sich
jedem anmuten, dass er sich — was freilich von sei-
ner Freiheit abhängt — mit sich selbst gehörig be-
kannt mache und in sich einkehre, wo er es dann
ohne Zweifel also in sich finden wird.
Man bemerke: es wird ihm nicht angemutet, es in
sich zu erzeugen, sondern nur, es in sich zu finden.
Jede vermittelte Gewissheit setzt eine ursprüngliche
voraus: in jedes Bewusstsein, der überhaupt von ir-
gend etwas überzeugt ist, ist auch jene Gewissheit,
und er kann sich von jedem Wissen aus, das nur be-
dingt und vermittelt ist, zu ihr erheben.
27.
Hier kann ich eines Missverständnisses erwähnen,
das mir in eben jener „Appellation an den Menschen-
verstand" vorgekommen ist. Unter mehreren völlig
unverständigen Dingen behauptet der Verfasser : nach
mir finde Gott nur für den moralischen Menschen,
nicht für den unmoralischen, statt. — Richtig: nur
Riickerinnei ungen, Antworten, Fragen 3o9
für den Menschen, inwiefern er überhaupt moralisch
ist, ist der Glaube richtig und wahr; aber nicht ge-
rade nur für denjenigen, der moralisch ist, ist solcher
Glaube überhaupt vorhanden. Ich sehe hier wieder
nur eine Folge jener trennenden Klassifikationen. Wo
ist denn die personifizierte, absolute Unmoralität ? Sie
ist nicht möglich. Der Mensch besteht überhaupt nur
und kann nur seiner bewusst sein, indem er auf dem
Boden der Vernunft steht. Ohne alle Moralität ist er
auch in seinem theoretischen Wissen nur Tier, nur
Organisationsprodukt .
28.
Resultat.
Die absolute Gewissheit und Überzeugung — (nicht
blosse Meinung, Dafürhalten, Wünschen) — von der
Möglichkeit, — nicht sich selbst, d. i. seinen Willen,
durch den Begriff der Pflicht zu bestimmen, denn dies
erkennen wir als möglich dadurch, dass wir es wirk-
lich tun, — sondern durch diese pflichtmässige Be-
stimmung unseres Willens den Zweck der Vernunft
auch ausser unserem Willen zu befördern, ist das Un-
mittelbare der Religion und ist auf die angeführte
Weise im Gemüte des Menschen begründet.
29.
Hier muss ich nun sogleich eine Bemerkung über
den Sprachgebrauch einschalten, die ich nicht länger
verschieben kann, ohne undeutlich zu werden und
alte Einwürfe von neuem zu befahren.
Das Wort Sein bedeutet unmittelbar immer ein Ob-
jekt des Denkens, ein Gedachtes. Nun kommt ihm
entweder auch eine Existenz, ein Bestehen und Dauern,
3 i o J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ausser dem Denken zu, in der sinnlichen Wahrneh-
mung: dann ist ein reelles Sein bezeichnet, und man
kann vom Gegenstande sagen : er ist. Oder es kommt
ihm ausser dem Denken kein anderes Sein zu; dann
ist die Bedeutung des Seins bloss die logische. Dann
bezeichnet das Wort „ist" nur die logische Kopula,
in welcher das Mannigfaltige der Prädikate in einer
Einheit des logischen Subjekts durch das Denken fi-
xiert wird : man kann sodann nicht sagen : das Objekt
ist, sondern es ist als dieses oder jenes zu denken.
Hier sind wieder mehrere Fälle zu unterscheiden, von
denen ich tiefer unten reden werde.
Ebenso werden andere, mit dem Ausdrucke des
Seins verwandte Worte in diesen zwei verschiedenen
Bedeutungen gebraucht. „Prinzip" — ein Ausdruck,
dessen ich mich auch hier bedient habe — ist im Sy-
steme des reellen Seins ein erstes, daraus ich ein zwei-
tes und drittes usf., auch ohne wirkliche Wahrneh-
mung, vorausberechnen, der Erfahrung antizipieren
kann, mit kategorischer Gewissheit, wodurch ich in
der Tat also etwas als reell erkenne. In dieser Be-
deutung des Wortes ist das intelligible Prinzip, die
Freiheit, nie Prinzip einer realen Erkenntnis, Er-
klärungs- und Antizipationsgrund: d. h. es lässt sich
nicht voraussehen, was durch sie werde wirklich wer-
den. Nur durch die Wahrnehmung wissen wir, was
wirklich ist ; und eben weil wir das Produkt der Frei-
heit schlechthin nicht als das Glied einer begreiflichen
Kette von Ursachen und Wirkungen anerkennen, weil
es ein absolut erstes ist und nur faktisch erkennbar
wird in der Wahrnehmung: eben darum sagen wir,
die Freiheit sei Prinzip, aber nicht in realem Sinne,
als Grund einer unmittelbaren und notwendigen fak-
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 I I
tischen Bestimmtheit, sondern in logischer Bedeutung,
als Prinzip von Möglichkeiten ; aber eben darum sind
wir genötigt, sie also zu denken. — Auf ähnliche
Weise verhält es sich mit dem Worte Gesetz für die
Welt der Vernunft und Freiheit. In der Sinnenwelt
bedeutet es eben die Bestimmung der Kraft, aus wel-
cher, als dem Prinzipe, die Folgen auf die eben be-
schriebene Weise abgeleitet werden können. Von den
endlichen, schon als frei in der empirischen Bedeutung
des Wortes, als lediglich bestimmbar, aber nicht be-
stimmt, gedachten Wesen gebraucht, bedeutet es al-
lein ein Sollen, d. h. eine Bestimmtheit der Freiheit
durch Freiheit, die eben darum keine mechanische
unmittelbare Bestimmtheit ist. Von dem Unendlichen
oder von der Vernunft xax' i^ofr^t gedacht, welcher
die empirische Freiheit, als selbst Resultat der End-
lichkeit, nicht zugeschrieben werden kann, bedeutet
„Gesetz" lediglich die Notwendigkeit, ein, nicht ma-
terialiter — denn insofern ist es uns schlechthin un-
bekannt und a priori unableitbar, — sondern forma-
liter, durch seinen Zweck, den Endzweck der Ver-
nunft, Bestimmtes stets von ihr zu erwarten, einen
unendlichen, nie zu erschöpfenden Freiheitsinhalt für
die vernünftigen Individuen, ohngeachtet man dafür
keine daliegende Bestimmtheit, aus welcher es me-
chanisch erfolgte, annehmen kann, da man sich hier
ja nicht in der Sphäre des Objektiven befindet, son-
dern an der schlechthin ideellen Quelle des Geistes
steht. Das Wort Gesetz hat daher hier ebenso keine
reelle Bedeutung, aus welcher man äussere und not-
wendige Erfolge ableiten könnte, sondern nur logi-
sche, indem es jenen unendlichen Freiheitsinhalt in
einen Begriff zusammenfasse
3 i 2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Ebenso verhält es sich mit dem Gebrauche des
Wortes Welt. In der reellen Bedeutung ist es ein ge-
schlossenes Ganzes von daseienden Objekten, die in
Wechselbestimmung ihres Seins stehen, wo jedes ist,
wieesist, weil alle andern das sind, was sie sind, und um-
gekehrt, und wo man bei vollkommner Kenntnis der
Weltgesetze aus der Natu reines jeden auf die aller übri-
gen würde schliessen können. Von vernünftigen Wesen
gebraucht, bedeutet jenes Wort gleichfalls eine Ge-
samtheit, einen Einfluss aller auf jeden und eines je-
den auf alle, dessen Art und Weise aber nicht, wie
bei den Naturgesetzen, erraten und vorausbestimmt
werden kann, weil er in der Freiheit aller seinen Grund
hat, weshalb der Ausdruck W elt hier gleichfalls nur
eine logische, keineswegs reelle Bedeutung hat.
Man hat auch — und ich selbst habe mich oft dieses
Ausdrucks bedient, — von der Ordnung einer über-
sinnlichen Welt gesprochen. Man versteht dies un-
richtig — und freilich kann man nicht allen Missver-
ständnissen vorbauen, — wie wenn die übersinnliche
Welt sei, ehe sie geordnet worden, und wie wenn
„Ordnung" erst ein Akzidens derselben sei. Nein : sie
selbst wird Welt nur dadurch, dass sie geordnet wird.
Wenn man sonach von dem lediglich Intelligibeln
redet, ist der Gebrauch dieser und aller verwandten
Begriffe, d. h. aller, die vom Sein herkommen und
dasselbe weiter bestimmen, nur der logische, nicht der
reelle.
Dies wird erinnert, um dem schon oft mir gemach-
ten Vorwurfe ein Ende zu machen, dass ich mich der-
selben Worte bediene, deren Gebrauch ich bei ande-
ren missbillige. Aber ich muss mich derselben wohl
bedienen, um überhaupt sprechen zu können, und
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 I 3
muss sie aus der Sprache aufnehmen in ihrer gegebe-
nen Bedeutung. Aber ich bediene mich derselben in
anderem Sinne als meine Gegner, wie aus der Ab-
leitung der mit ihnen bezeichneten Begriffe selber
klar sein sollte. Hier habe ich den Gegensatz auf eine
allgemeinere Unterscheidungzurückgebracht: wer sich
ihrer bedient, um durch Folgerung eine reelle Existenz
zu behaupten oder dieselbe näher zu bestimmen, be-
dient sich ihrer reell; wer nur bei einer allgemeinen
Begriffsverbindung stehenbleibt, bedient sich ihrer
ideell.
3o.
In jener aufgestellten allgemeinen Formel (28.) fasst
die Religion nur der Philosoph — hier nicht gerade
als transzendentaler Philosoph, sondern überhaupt als
abstrakter Denker, ebenso wie auch nur erden Pflicht-
begriff, den der reinen Moralität u. dgl. in seiner Ab-
straktion fasst. Dem Menschen im wirklichen Le-
ben (und wie sich versteht, auch dem, der Philosophie
treibt, inwiefern er handelt) kann das Pflichtgebot nie
überhaupt, sondern immer nur in konkreter Willens-
bestimmung erscheinen. Insofern er nun wirklich und
jedesmal seinen Willen also bestimmt, handelt und
ist er moralisch.
Ebensowenig erscheint ihm die Religion jemals über-
haupt, sondern nur inwiefern er in jedem bestimmten
Falle seines Handelns fest überzeugt ist (und diese
Überzeugung findet sich eben durch die moralische
Willensbestimmung), dass das von ihm Gewollte und
Gehandelte auch ausser seinem Willen der absolute
Zweck der Vernunft sei, dass es sein und geschehen
solle schlechthin um deswillen, und dass der eigene
3 i J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Wille nur Werkzeug jenes absoluten Zweckes sei : so
glaubt er religiös. Wer daher in allen Lagen seines
Lebens unverrückt und ohne Ausnahme so handelte
und dächte, wenn er sich auch nie weiter, als bis zu
dem einfachen Gedanken erhöbe: dadurch befördere
ich, was schlechthin sein soll — ohne das Mannigfal-
tige dessen, was da sein soll, zu kombinieren und in
der Einheit der absoluten Vernunft zusammenzufas-
sen, der wäre ein vollkommen Tugendhafter und Re-
ligiöser; denn er besässe das Wesen dieses Begriffes.
3i.
Aber schon das gewöhnliche Handeln des Lebens
nötigt die Menschen, das Gemeinschaftliche in ihrer
Erfahrung zusammenzufassen und aus allgemeinen
Begriffen allgemeine Regeln sich zu bilden. Sobald dies
in irgendeiner Region der Erkenntnis geschieht, ge-
schieht es in allen und, wenn dem Menschen Morali-
tät und Religion am Herzen liegt, daher gewiss vor-
zugsweise in Sachen der Religion und Moralität.
Aber es ist nicht notwendig, dass er sich zur höch-
sten Abstraktion erhebe, zu einem Begriffe, der alle
übrigen dieser Art in sich fasse, und aus dessen Ein-
heit sie erschöpfend abzuleiten wären, wozu ein nach
den höchsten Prinzipien geleitetes, systematisch philo-
sophisches Denken gehören würde ; — sondern er be-
gnügt sich,, das Mannigfaltige etwa auf mehrere For-
meln und Grundbegriffe zurückzuführen.
Die Basis des religiösen Glaubens war die Überzeu-
gung einer Ordnung oder eines Gesetzes (über den
Gebrauch dieser Worte, die nur in unvollkommenem
Masse passen, später!), nach welchem aus der pflicht-
mässigen Gesinnung auch wirklich der absolute Ver-
Rückerinner ungen, Antworten, Fragen 3 I 5
nunftzweck hervorgeht, wonach in der Tat erreicht
und verwirklicht wird, was der einzelne in seinem
pflichtmässigen Handeln bloss erstreben kann.
32.
In diesem Gedanken ist nun eine Mannigfaltigkeit
von Gliedern, und zwar zuerst : dasjenige, was schlecht-
hin und allein von mir abhängt, die pflichtmässige Be-
stimmung meines Willens ; sodann etwas, das meinem
religiösen Glauben zufolge aus dieser Willensbestim-
mung folgen soll, was über den Bereich des eigenen
sittlichen Willens hinausliegt, dennoch aber schlecht-
hin angenommen werden muss, um ihm selber nur
Zweck und Bedeutung zu geben. Es ist der religiöse
Glaube, der das zweite an das erste anknüpft: die
moralische Gesinnung ist durch das erste vollendet;
aber sie kann zum vernunftmässigen, vertrauensvol-
len Wirken nur kommen durch das zweite, wie sich
bald zeigen wird; und in diesem zweiten beruht die
Religion. Es ist sonach ein ungerechter, aus der Luft
gegriffener Vorwurf, wenn man unserer Theorie vor-
gerückt hat, dass sie die Religion ganz aufhebe und
nur ihren Namen stehenlasse, während bloss Sittlich-
keit übrigbleibe, mithin wenigstens heuchle, bemäntle,
hinter dem Berge halte.
Ich kann überhaupt nicht wollen, ohne, zufolge des
Gesetzes meiner Endlichkeit, etwas Bestimmtes, Be-
grenztes zu wollen, d.h. mein an sich unendliches Ver-
mögen in eine Reihe endlicher Willensbestimmungen
zu zerlegen (dies ist in der Sittenlehre aus der allge-
meinen Form des Wollens, wie ich glaube, mit hin-
reichender Klarheit abgeleitet worden). In der Forde-
rung, pflichtmässig zu wollen, liegt sonach zugleich
3i6
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
die Forderung, etwas Bestimmtes also zu wollen. Dass
dieses Bestimmtwerden des Willens durch die Stimme
des Gewissens (nicht durch Räsonnement über die Fol-
gen — auch darüber sehe man meine Sittenlehre) un-
trüglich sei, wird geglaubt : — abermals nicht aus Rä-
sonnement oder irgendwelchen allgemeinen Begriffen,
sondern ursprünglich und unmittelbar. Es tritt schon
hier Religon ein; oder eigentlicher, hier ist das erste
Verbindungsglied zwischen reiner Moral und Religion,
Nun erfolgt jedoch ferner aus jener Willensbestim-
mung eine Handlung : aus dieser entspringen andere,
mir selbst unübersehbare Folgen in der Welt der ver-
nünftigen Wesen (denn auf diese allein sehe ich, und
die Sinnenwelt ist mir überall nur Mittel). Diese Fol-
gen kann ich nicht berechnen ; sie stehen schlechthin
nicht mehr in meiner Gewalt : dennoch glaube ich,
dass sie gut sind und dem Vernunftzwecke gemäss,
glaube es mit derselben ursprünglichen Gewissheit, die
mich zum ersten Handeln veranlasste, könnte sogar
nicht handeln, wenn mich nicht auch dieser Glaube
überall begleitete. Dies ist nun Religion. Ich glaube,
wenn ich es mir auch nicht so deutlich und nicht in
dieser begriffsmässigen Formel denke, an ein Prinzip,
zufolgedessen ausjederpflichtmässigen Willensbestim-
mung die Beförderung des Vernunftzweckes im allge-
meinen Zusammenhange der Dinge sicher erfolgt. Aber
dies Prinzip ist schlechthin unbegreiflich der Art und
Weise seines Wirkens nach, doch wird es seinem Vor-
handensein nach (auch hier fehlen Sprach- und Be-
griffsbestimmungen) absolut gesetzt, mit derselben Ur-
sprünglichkeit des Glaubens, wie an die Stimme des
Gewissens geglaubt wird. Beides ist nicht eins, aber
schlechthin unabtrennlich voneinander.
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 I
33.
Wir analysieren weiter, was darin enthalten ist. —
Die Willensbestimmung ist stets nur das Gegenwärtige
und enthält, was allein von uns abhängt. Aber es wird,
für ihre eigene Möglichkeit in dieser Bestimmtheit,
etwas Weiteres vorausgesetzt : es wird mit ihr zugleich
gedacht etwas Vergangenes, und dass aus ihr etwas
durch sie modifiziertes Zukünftiges erfolgen werde,
wird postuliert.
Es wird in ihr Etwas vorausgesetzt. — Nicht, dass ich
überhaupt Pflicht habe und nach ihr meinen Willen
bestimmen soll — denn dies ist Resultat der Vernunft
an sich, der reinen Vernunft, — sondern dass gerade
dieses Bestimmte meine Pflicht ist, ist Resultat meiner
Lage in der gesamten Vernunftwelt. Wäre ich über-
haupt nicht da, oder wäre ich — was der Strenge nach
freilich nichts gesagt ist — ein anderer, oder wäre ich
in einer anderen Gemeine vernünftiger Wesen, so träte
eine solche Pflicht gar nicht ein; ebenso wie eine ge-
wisse Bestimmung der Natur nicht einträte, wenn nicht
dies bestimmte Individuum auch sinnlich da wäre. Ich
soll in dieser Lage schlechthin nur nach Massgabe
des Ausspruchs meines Gewissens handeln; aber ich
kann dies nicht (32.), ohne zugleich anzunehmen,
dass gerade diese Lage, auf den Vera unftz weck be-
rechnet, Resultat von der Wirkung jenes absoluten
Prinzips sei. Daher liegt in jenem Glauben ferner, dass
die dem freien Handeln jedes Individuums vorauszu-
setzende Vernunftwelt durch jenes Prinzip hervorge-
bracht und geordnet sei. Populär, oder den Analogien
unseres endlichen Bewusstseins angenähert, kann dies
3i8
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
nur heissen : sie ist erschaffen, wird erhalten und re-
giert durch das absolute Prinzip.
Es wird in derselben etwas Zukünftiges postuliert:
— die fortgesetzte Kausalität unserer Willensbestim-
mung zur Beförderung des Vernunftzweckes; daher
die Erhaltung und gleichmässige Entwicklung aller
vernünftigen Wesen in der Identität ihres Selbstbe-
wusstseins ; stetes Fortschreiten aller zum Endzwecke
der Vernunft : — also Erhaltung der Vernunftwesen
in ewiger Fortdauer, Leitung der Schicksale dersel-
ben zu ihrer Beseligung, d. i. zu ihrer Befreiung durch
reine Moralität.
34.
Man sieht, dass hier nur Akte, nur Begebenheiten,
etwas Fortfliessendes, kein Sein und starres Bestehen
gedacht wird: ein Schaffen, Erhalten, Regieren, kei-
neswegs ein Schöpfer, Erhalter Regierer. Aber jener
Glaube erörtert nicht solche theoretischen Fragen: kurz
es ist so; es lässt sich darauf mit der vollsten Sicherheit
rechnen. Auf diesem Punkte steht die Überzeugung
fest, und aus ihm herauszugehen ist, um der Sicherheit
und Gewissheit willen, nicht der mindeste Grund.
Das Glaubensbekenntnis heisst nun: Ich und alle
vernünftigen Wesen und unsere Verhältnisse zuein-
ander — inwiefern wir uns unterscheiden, und soweit
nur erhebt sich der gemeine Verstand, — sind durch
ein freies, intelligentes Prinzip erschaffen, werden durch
dasselbe erhalten und unserem Vernunftzwecke ent-
gegengeführt, und alles, was nicht von uns abhängt, um
jenen höchsten Zweck zu erreichen, geschieht, ohne
all unser weiteres Zutun, durch die weltregierende
Macht desselben ohne allen Zweifel.
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 I
35.
Das Prinzip, auf welches jene mannigfaltigen Prä-
dikate bezogen werden, soll denn doch nur eins sein.
Ich kann — dies liegt in meinem Denken — von dem
einen Prädikate zu dem andern nicht fortgehen, sie
nicht zueinander zählen und in sich zusammenfassen,
ohne etwas Dauerndes, dem diese Prädikate insgesamt
zukommen, vorauszusetzen, es eben gerade durch die-
ses Denken zu erzeugen : ob ich gleich, eben weil ich
es den Gesetzen und dem Zusammenhange des Den-
kens nach mit Notwendigkeit erzeuge, nicht für mein
Produkt ansehe. Jenes, die Mannigfaltigkeit und den
Unterschied der Prädikate zusammenfassende Denken
des einen Prinzips dieser Prädikate ist selbst das Fort-
dauernde und Bestehende, und es sind in diesem Akte
eigentlich zwei Bestimmungen zu unterscheiden, die
als entgegengesetzte nebeneinander herlaufen, beide
aber nur durcheinander sind und in ihrem Gegensatze
eben den Denkakt ausmachen: ein gleichförmiges Den-
ken, das der Einheit des Prinzips, — ein messendes
und veränderliches, das Fortgehen von Prädikat zu
Prädikat jenes einen Prinzipes. Die Prädikate sind mir
unmittelbar mit meinem moralischen Entschlüsse und
mit der ursprünglichen Gewissheit, die ihn begleitet
(32. 33.), entstanden. Die Einheit des Prinzips ent-
steht mir erst dadurch, dass ich, mit Abstraktion von
jenem moralischen Bedürfhisse, welchem an der Ge-
wissheit jener Prädikate genügt und das überhaupt
nicht theoretisiert, auf sie in ihrer Absonderung von
jener moralischen Beziehung (theoretisch und dogma-
tisch) reflektiere.
320 Fichtes Atheismus-Streit
Man übersehe nicht jenes unmittelbar und dieses
vermittelst: es kommt darauf eben alles an.
36.
Das einzige passende und im Systeme zunächst lie-
gende Beispiel zu jenem unmittelbaren und vermit-
telnden Denken liefert das Denken unserer Seele (un-
seres Geistes, oder wie man will). Mein Fühlen, Be-
gehren, Denken, Wollen usw. erkenne ich unmittelbar,
indem ich jene Akte vollziehe. Durch keinen Akt von
Vermittlung, sondern nur dadurch, dass ich in ihnen
bin, sie setze, kommen sie mir zum Bewusstsein: sie
sind das Unmittelbare xax 4£oxV- Solange ich in die-
sem Bewusstsein stehenbleibe, ganz praktisch, d.i. ganz
Leben und Tat bin, weiss ich nur mein Fühlen, Begeh-
ren, Wollen u. dgl., in ihrem sich ablösenden Wechsel,
aber ich weiss nicht mich ausdrücklich als die Einheit
und als das Prinzip dieser verschiedenen Bestimmun-
gen. Erst wenn ich über die Wirklichkeit dieser unter-
schiedenen Akte mich erhebe, und, mit Abstraktion
von ihrer Verschiedenheit, sie überhaupt nur als ge-
meinsame in mir zusammenfasse, entsteht das Bewusst-
sein der Einheit, als des Prinzips jener mannigfaltigen
Bestimmungen überhaupt : und dies Produkt unseres
abstrahierenden und zusammenfassenden Denkens ist
es, was wir unsere Seele, Geist u. dgl. nennen.
3 7 .
Jenes eine Prinzip kann nun, wenn ich nur über-
haupt zu jener Abstraktion reif war, d. i. wenn sie
aus mir selbst unternommen worden ist und ich sie
nicht durch blosse Tradition überliefert erhalten habe,
lediglich als ein für sich Bestehendes und Wirkendes,
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 32 1
nicht selbst nur als Eigenschaft oder Prädikat, wel-
ches irgendeinem Substrate inhäriert, gedacht werden.
Es feilt nicht aus als Geistigkeit, welche einer Sub-
stanz beigelegt wird, die, als selbst nicht geistig, nur
unter der Bestimmung der Materie gedacht werden
könnte, sondern als reiner Geist \ nicht als eine sub-
stantiierte Weltseele, sondern als ein für sich bestehen-
des, lauteres Wesen, nicht als ein Schaffen, Erhalten,
Regieren überhaupt, sondern als Schöpfer, Erhalter
Regent. Und dies ganz mit Recht und den Gesetzen
unseres Denkens gemäss, wenn man sich einmal über
die Unmittelbarkeit des Lebens und Handelns in das
Gebiet der theoretischen Abstraktion erhoben hat.
Man vergesse nicht: beide Begriffe (35. 36.) sind
nur durch Denken, und zwar durch ein an sich nicht
notwendiges, nicht konkretes, sondern abstraktes
Denken entstanden : sie beziehen sich deswegen auch
nicht auf die Wahrnehmung, sie sind daher ein lo-
gisches Subjekt, keineswegs reelles, in der Wahrneh-
mung zu belegendes, oder Substanz (29.).
Nur die Prädikate beider kommen in der Wahr-
nehmung vor, enthalten daher ein notwendiges, re-
elles Denken, nicht aber die Subjekte : d. i. in der sinn-
lichen Wahrnehmung kommen mehrere Prädikate
vereinigt vor in einer sinnlichen, objektiven Verbin-
dung. In dieser Hinsicht ist zu sagen, dass auch das
Subjekt oder Substrat jener sinnlichen Prädikate in
den Bereich des reellen Denkens feilt. Nicht so mit
jenen übersinnlichen Subjekten der Seele und des
schöpferischen geistigen Prinzips.
Fichte
322
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
38.
Was kann nun in diesen Begriffen liegen? Offenbar
nichts anderes als die Prädikate der Wahrnehmung,
aus welcher sie durch abstrahierendes Denken ent-
standen sind (35.). Deine Seele ist nichts als dein Den-
ken, Begehren, Fühlen selbst. Gott ist nichts als das
notwendig anzunehmende Schaffen, Erhalten, Re-
gieren selbst.
Aus dem Begriffe der reellen Substanz lässt sich
schliessen, aus dem des logischen Subjektes nimmer.
Durch das erstere lässt sich die Erkenntnis erweitern,
durch das letztere nicht. Ist etwas reelle Substanz, so
lallt es unter die Bedingungen der sinnlichen Wahr-
nehmung, ist irgendwo und irgendwann, ist mit sinn-
lichen Prädikaten versehen. Keine dieser Bestimmun-
gen kann auf jene Begriffe angewendet werden.
Auch der Begriff des reinen Geistes (37.) vermöchte
nicht zu solchen weiteren Folgerungen zu verhelfen.
Selbst die von unserer Seele entlehnten Bestimmungen
passen nicht für jeden Begriff. Unserer Seele werden
sie zugeschrieben, nicht durch Folgerung, sondern
durch unmittelbares Bewusstsein. • Über Gott sagt das
unmittelbare (sittliche) Bewusstsein nur das oben An-
gegebene aus. Schlüsse aber daraus zu machen über
den bezeichneten Inhalt hinaus, dazu fehlt der Grund
und schlechterdings auch die Möglichkeit.
39.
Das bisher Gesagte ist Transzendentalphilosophie,
nicht Lebensphilosophie. Aus ihr sollen erst die Re-
gulative hervorgehen, um eine Lebensweisheit zu
bilden. — Nur was aus dem Leben hervorgeht, wirkt
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 323
in das Leben, in Denkart, Gesinnung und Handels-
weise zurück. Aus dem Leben hervor geht nur jener
unmittelbare Glaube (33.), nicht aber jenes logische
Subjekt und die Weise, wie man sich es etwa, stets
irrig, weiter bestimmt.
Dieser also ist vorzüglich auszubilden und für die
Hauptsache zu halten. Das Logische findet sich wohl
von selbst und ist richtig und angemessen, unschäd-
lich, nur inwiefern es sich von selbst bildet. Es ist nicht
zu bilden durch Räsonnement, sondern durch Übung
im Leben und durch Erziehung zur Moralität, — wo
dann auf das sicher zu rechnen ist, was in unserem
Innern von jenen ursprünglichen, moralischen und
religiösen Wahrheiten ohne alles weitere theoretische
Bemühen sich einfinden wird.
40.
Auf dem angezeigten Wege, und nur auf ihm,
kommen alle Menschen zum religiösen Glauben, wenn
sie es auch nicht wissen sollten ; denn nur jenes ist sein
wahrer und gemeingültiger Ursprung, was freilich
erst die Untersuchungen einer gründlichen Transzen-
dentalphilosophie zeigen können.
Andere Ableitungen, welche die Philosophie, über-
haupt die reflektierende Wissenschaft macht, sind
zwar richtig in Absicht des Gegenstandes selbst, wel-
chen sie schon auf jenem Wege erlangt haben, nicht
aber in Absicht des Grundes der Annahme. — Mit
ihnen ist der Streit nicht über die Sache selbst, sondern
über die Ableitung und, wenn man von Anwendun-
gen absieht, die sie davon auch für die Bildung im
Leben machen wollen, rein philosophisch.
4 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
41.
Die pädagogischen Regeln zur religiösen Volkser-
ziehung, die daraus hervorgehen, sind folgende:
Die religiöse Bildung kann nicht angehoben wer-
den vom Unterrichte in der Religion, welcher ohne
Moralität ganz unverständlich ist und, da doch ein
Sinn ihm untergelegt werden muss, unvermeidlich
in Aberglauben ausartet, sondern von der Bildung des
Herzens zur reinen Tugend und Sittlichkeit.
Durch tugendhafte Gesinnung erzeugt sich die Re-
ligion von selbst, und man hat eben nur die Auf-
merksamkeit auf diesen notwendigen, das moralische
Bewusstsein begleitenden Glauben hinzuleiten, der
keines Beweises bedarf und keines fähig ist, weil er
als das Ursprünglichste sich ankündigt, und das darin
Enthaltene zu entwickeln. Man hat die religiöse Bil-
dung überhaupt nicht zu betrachten als etwas, das
in den Menschen hineingebracht werden solle, — denn
was in ihn hineingebracht wird von solchen Dingen,
ist sicher falsch — sondern das schon in ihm liegt,
und was nur entwickelt, woran er nur erinnert werden
soll, was nur in ihm zu verklären und zu beleben ist.
Es soll daher überhaupt kein Unterricht in der Re-
ligion, sondern nur eine Entwicklung jenes ursprüng-
lichen religiösen Bewusstseins stattfinden.
Am allerwenigsten aber kann dieser Unterricht mit
vermeinten Lehren vom Dasein Gottes angehoben
werden. Seine Beziehungen zu uns sind es, die sich
unmittelbar ergeben, und von diesen muss angefangen
werden. Das „Dasein" findet sich dann ganz von
selbst, und« nur inwiefern es sich von selbst auf jenem
Wege uns entwickelt hat, wird es wirklich geglaubt.
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 32 5
Ebensowenig ist das Sein Gottes zu bestimmen, zu
charakterisieren, die spezifische Art seines Daseins an-
zugeben: denn dies kann unser Denken nicht, wie
sattsam nachgewiesen: sondern es ist nur von seinen
Taten zu reden, und der Glaube an diese zu beleben,
zu stärken, im stets gegenwärtigen Bewusstsein zu
erhalten. Der Begriff Gottes lässt sich überhaupt nicht
durch Existentialsätze, sondern nur durch Prädikate
eines Handelns bestimmen.
42.
Dies ist nun ganz genau meine Lehre, in ihrer Aus-
dehnung und in ihren Folgen. Staatsmänner und die
Kirche haben es nur mit den Folgen zu tun: — nicht
die gelehrten Theologen, welche sich übrigens in die-
ser Angelegenheit zu ihrer Ehre betragen und den
Vorwurf ausgelöscht haben, der seit langer Zeit über
ihnen geschwebt hat. — Jene haben sich sonach nur
an § 4 1 zu halten und zu untersuchen, ob sie meinen,
mit gutem Gewissen meinen können, dass ein solcher
Volksunterricht von schädlichen Folgen begleitet sein
werde.
Um diese Frage ganz zu entscheiden, bitte ich sie,
zuvörderst selbst zu untersuchen, und dann auch öf-
fentlich zu sagen : welche Bedeutung dogmatische
Kenntnisse über das Wesen Gottes an sich, wenn sie
auch möglich wären, zur Befestigung des sittlich-re-
ligiösen Glaubens haben dürften?
Auf alles dieses hat sich noch niemand eingelassen;
darauf aber muss man sich einlassen, um mit mir
auch nur in Streit zu geraten. Bis jetzt kämpft man
mit einem selbstgeschaffenen Phantom, nicht mit
mir.
326
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Man hat mir den Vorwurf der Unbestimmtheit ge-
macht: es ist eigentlich der, nicht das Ganze haben
geben zu können. — Man erinnert mich oft daran:
nonum prematur in annum, und hat mir Kants Bei-
spiel vorgehalten. Man sollte mir's danken, dass ich
anders verfahre. Dadurch wird die Philosophie so-
gleich Produkt des Zeitalters, nicht eines einzelnen
Kopfs : ich werde dadurch höchstens das Organ, durch
welches das Publikum in sich selbst zurückkehrt. Und
so verhält es sich schon wirklich: — man wird es
mit der Zeit wohl erkennen. —
Dass mein Ton die Gegner so beleidigt, kommt eben
daher, dass sie so beschränkt und unverständig sind,
um nicht einsehen zu können, in welchem Grade sie
es sind. Die Beschränktheit kann sich nicht selbst kon-
trollieren, die Finsternis nicht selbst sich durchleuch-
ten. Lessing redete wohl noch anders als ich; und es
hat, trotz des Geifers der Goeze und ihres Anhanges,
ihm nichts geschadet. — So tief vielleicht die Nach-
welt mich unter diesen grossen Mann setzen wird, so
darf ich doch in Bücksicht des Hasses gegen Seichtig-
keit, Halbheit, Wahrheitsscheu kühn an seine Seite
treten. — Sie haben mich der Intoleranz beschuldigt
wie ihn.
Heisst dies aber Intoleranz, wenn man sich des je-
dem zugestandenen Bechtes bedient, sich für seine An-
sicht Platz zu machen, wenn diese zufällig auch nicht
den Beifall der Mehrheit hat? Dies ist mein Fall von
Anfang an gewesen, und Gott weiss es, dass ich, auch
den Angriff erwidernd, meinen Gegnern gewöhnlich
neun Zehntel ihrer Taten erlassen habe.
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen 3 2 7
Derselbe Tadel, dem ich schon in meiner Appel-
lation zu begegnen suchte, dass ich einer an sich ge-
ringfügigen Sache zu grosse Wichtigkeit beilege, oder,
um mich des Ausdrucks eines witzigen Schriftstellers
zu bedienen: dass ich eine Fliege mit einer Batterie
groben Geschützes mir abwehre, wird, wie ich vor-
aussehe, auch diese Verantwortungsschrift treffen. Die-
jenigen, welche so urteilen, die auch bei anderen, rein
literarischen Angelegenheiten so geurteilt haben, er-
lauben mir, ihnen zu bemerken, dass ich dies für das
grösste Lob erachte, das sie jemand erteilen können.
Ein gründlich widerlegter Irrtum erscheint nach der
Widerlegung allemal als ein Nichts, und so muss es
sein, denn nur dann ist er widerlegt. Aber daraus folgt
nicht, dass er vor der Widerlegung in aller Augen auch
nur ein Nichts gewesen wäre ; und ich kann mich der
Vermutung nicht erwehren, dass selbst manchen, die
sich jetzt also vernehmen lassen, die Fliege als ein Ele-
fant, wenigstens als eine stattliche Waffe gegen mich,
erschienen wäre, wenn ich mich nicht geregt hätte*).
(Die Schrift ist unvollendet geblieben.)
*) Die letzten Absätze dieses Fragments sind dem Konzept einer
Vorrede entlehnt, mit welcher der Verfassser, nach Vollen-
dung der ganzen Schrift, dieselbe ins Publikum einfuhren wollte.
(Anmerk. von Imm. Herrn. Fichte.)
XIX.
AUS EINEM PRIVATSCHREIBEN
(Im Jänner 1800.^
[Philosophisches Journal Bd. IX (1800), S. 358 — 390.]
% %TARUM ich den Verdrehungen, die man auf eine
Y Y wahrhaft beispiellose Weise mit meiner Religi-
onstheorie vornimmt, so ruhig zusehe: fragen Sie mich.
Ich antworte : Gewaltige haben ja erklärt, dass meine
Lehre Atheismus sei. Diese müssen recht behalten mit
ihren Worten, und jene Erklärer müssen sowohl ihren
eignen Eifer für Rechtgläubigkeit, als ihre unbegrenzte
Devotion gegen die Gewaltigen bezeugen. Daher deuten
sie — vor denen mein Aufsatz gegen ein halbes Jahr
lang lag, ohne dass sie das mindeste von Atheismus
witterten, — seit der Zeit meine Worte so, dass doch
auch ein merklicher Atheismus aus ihnen hervor-
gehe.
„Diese Schrift also ist eine atheistische Schrift;"
war der erste Satz, von dem sie ausgingen, und über
Aus einem Privatschreiben
dessen Richtigkeit ihnen nicht der geringste Zweifel
entstand ; „sie muss mithin so verstanden und erklärt
werden, dass sie atheistisch sei;" war der sehr natür-
liche Schluss, den sie machten. Es ist ihnen nach Wunsch
gelungen. Was sie als meine Lehre herumbieten, ist
allerdings, meinem eigenen Geständnisse nach, der ent-
schiedenste Atheismus, — und überdies seichtes, grund-
loses und unvernünftiges Gewäsch.
Ich will sie in diesem ihnen so angelegenen Geschäfte
vorderhand nicht stören. Ich habe für mich die allge-
waltige Zeit. Sie werden zuletzt finden, dass sie nun
völlige Genüge geleistet haben. Ich werde späterhin
dasselbe, was ich wirklich vorgetragen habe, mit an-
deren Ausdrücken und in andern Wendungen wieder
vortragen ; wie ich dies mit allen meinen Philosophe-
men so gehalten habe und es so fort halten werde.
Man wird endlich kühn genug werden, dem gefürch-
teten Dinge in die Augen zu sehen und es bei weitem
so arg nicht finden, als man erst gedacht hatte. Dem
einen wird es in dieser, dem andern in einer andern
Wendung eingehen; und allmählich wird jedermann
es sich recht wohl gefallen lassen. Dann wird von
meinen werten Mitbrüdern in der Literatur der eine
Teil rufen : ist es nichts weiter denn das? Was hat der
Mann für ein Wesen erhoben ! Das haben wir längst
gewusst — ohne uns jemals das Geringste davon mer-
ken zu lassen. Wir haben — Kant nie anders verstan-
den. Ein anderer Teil: seht, das ist doch noch ein
Mann, der folgt, den die Kritik bessert. Seht, wie er,
durch uns belehrt, seine alten Irrtümer zurücknimmt.
Das ist freilich nicht recht von ihm, dass er es so zu
tun sucht, dass es niemand merken soll, und dass er
uns die gebührende Ehre zu entziehen denkt. Aber
33o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
siehe, wir ehren uns selbst. Ehemals war er ein Atheist,
und wir behalten recht in unsern Worten. Jetzt aber
haben wir ihn glücklich bekehrt. — Ich habe noch
nichts darüber beschlossen, mein Freund, ob ich nicht
den guten Leuten die fromme Freude gönne und ihnen
den Star ungestochen lassen werde.
Aber man müsse diese Prophezeiung ja nicht im
voraus verlauten lassen, werden Sie sagen : denn dann
komme es nicht so. — Oh, mein Freund, ich habe es
da mit Leuten zu tun, denen man sehr unbefangen
voraussagen kann, wie sie handeln werden : die sich dann
mächtig ereifern, dass man so Arges von ihnen denkt
in seinem Herzen; und von Stund 1 an hingehen und
tun, wie man gesagt hat. So habe ich in meiner Appella-
tion ausführlich auseinandergesetzt, wie man mir mit-
spielen werde. Es war nur ein Geschrei, dass ich über-
trieben, dass ich in das Grelle und Schwarze gemalt
hätte : aber ehe ein Jahr verging, war alles buchstäb-
lich erfüllt, durch dieselben, die jenes Geschrei erho-
ben hatten. Das wäre sonach aus dem Gröbsten über-
standen, und jetzt lebe ich in Hoffnung besserer Zeiten.
Ich war bei meinen ersten und bis jetzt einzigen
Verteidigungen gegen die Anschuldigung des Atheis-
mus in der Tat übel daran; und es wundert mich hin-
terher nicht im geringsten, dass die mehrsten behaup-
ten: ich habe durch dieselben mich nur noch mehr
angeschuldigt, keineswegs aber verteidigt. Es wurde
mir nur so schlechtweg zugerufen: du bist ein Atheist;
in dieser Stelle und in dieser, und in dieser hast du
den Atheismus gelehrt; ohne dass irgend jemand mir
angab, wie er denn nun aus diesen Stellen einen Athe-
ismus herausbrächte. Ich war in das Blaue hin ange-
klagt, ich konnte mich nur in das Blaue hin verteidi-
Aus einem Privatschreiben
gen, indem ich selbst herumsänne, worin wohl das
Missverständnis beruhen möchte. Liegt es etwa in dem
Begriffe der Persönlichkeit, oder in dem der Substanz,
des Daseins u. dgl. ? dachte ich und brachte dabei nur
noch neue Punkte zur Sprache, die vor ihnen wohl
Ruhe gehabt hätten. Ich war weit davon entfernt, das
Rechte zu treffen. — Oh, mein Freund, es fehlt mir
ganz an Geschick, die Inkonsequenzen und Wider-
sprüche, die sich in den Köpfen unserer Halbdenker
unaufhörlich herumtummeln und untereinander ge-
duldig vertragen, zu wittern und es mir stets gegen-
wärtig zu erhalten, dass man durch keine allgemeine
Erinnerung bei ihnen etwas ausrichtet, wenn man nicht
in jedem einzelnen Falle ihrer Anwendung sie aber-
mals wiederholt, und vor ihren Augen die Anwendung
davon macht. Es fehlt mir an diesem Geschick, und
ich befürchte, dass ich es durch keine Erfahrung er-
halten und immer fortfahren werde, mit dem Publi-
kum zu sprechen, als ob es einige Konsequenz hätte
und aus allgemeinen Sätzen einige Folgerungen selbst
abzuleiten vermöchte. Nach der Tat weiss ich immer
recht gut, wie ich diesem Missverständnisse hätte vor-
beugen können, — welche andern man nun auf die
Bahn bringen wird, muss ich den guten Göttern über-
lassen, — wer mir es aber vor der Tat sagt, und wer
überhaupt die Kunst entdeckt, so zu schreiben, dass
man wirklich etwas sage und dennoch gar nicht miss-
verstanden werden könne, der soll mir der grosse
Apollo sein.
Jetzt habe ich freilich gehörige Auskunft erhalten.
Der erste Ge/eAr£en-Tadel, der mir über jenen ver-
rufenen Aufsatz (im ersten Hefte des laufenden Jahr-
ganges dieses Journals) zu Gesichte kam, war der eines
332 J - G - Fichte» Atheismus-Streit
Rezensenten in der Oberdeutschen Literaturzeitung.
Der rechtliche Verfasser — unerachtet man in jenem
gelehrten Blatte zuweilen auf derbe Verstösse trifft,
wie in anderen gelehrten Tageblättern gleichfalls, so
herrscht doch in demselben im ganzen ein Ton der
Redlichkeit, der Wahrheitsliebe und der Unbefangen-
heit, den man in anderen Blättern häufig vermisst —
der rechtliche Verfasser, sage ich, äussert: wenn die
moralische Weltordnung, von welcher ich rede, nicht
nur in und an den endlichen moralischen Wesen, son-
dern ausser ihnen sein solle, so sei mein System gegen
den Vorwurf des Atheismus zu verteidigen; und er
fordert mich auf, mich über diesen Punkt nur recht
laut zu erklären. Ehrlicher Mann, dachte ich, du
liesest wohl etwa meinen Aufsatz noch einmal, und
du wirst dann keine weitere Erklärung nötig finden
über einen Punkt, der meines Wissens klarer dar-
gelegt ist denn der Tag. Wer weiss, wie sauer man
dir es in irgendeiner einsamen Zelle gemacht hat, zu
dem Lichte durchzudringen, das du dir doch wirklich
erworben hast, und dir den Gebrauch der gewöhn-
lichsten literarischen Hilfsmittel, die dich darüber be-
lehren würden, zu verschaffen. Wie du mich miss-
verstanden hast, missversteht mich wohl nicht leicht
ein Zweiter! — So dachte ich noch nicht ganz vor
einem Jahre. Ich denke so nicht mehr und tue jetzt
in meinem Herzen jenem Manne Ehrenerklärung. Wie
er mich missverstanden, bin ich nun beinahe allge-
mein missverstanden worden. Ich konnte aus dem
mancherlei verworrenen Zeuge, das gegen mich ge-
schrieben wurde, wenig oder nichts Klares heraus-
lesen; bis ich endlich — in mündlichen Unterredun-
gen — durch Frage und Antwort von wackeren Män-
Aus einem Privatschreiben
333
nern, denen man freilich Bekanntschaft mit der neu-
eren Spekulation nicht anmuten darf — bis ich von
diesen Männern so viel herausgebracht :
„Meine Lehre sei, — wenn man auch aus Toleranz
mich mit dem gehässigen Ausdrucke Atheismus ver-
schonen wolle — denn doch wenigstens Pantheismus.
Nach mir (Seite i5) sei die moralische Weltordnung
selbst Gott, und wir bedürfen keines anderen Gottes.
Nun seien ja sie und ich und wir alle, die diese mo-
ralische Welt konstituierenden Glieder, und unser
V erhältnis zueinander (ob das ohne unser Zutun vor-
handene oder das durch unsere Sittlichkeit hervor-
zubringende, möge indessen unausgemacht bleiben)
sei die Ordnung dieser Welt; mithin seien wir ent-
weder selbst oder machen wir selbst alle Tage —
Gott, und es bleibe überall nichts einem Gotte Ahn-
liches übrig denn — wir selbst." — So berichtet,
wurde mir es auch leichter, aus obenerwähntem ver-
worrenem Zeuge ungefähr dasselbe herauszulesen, und
es wundert mich seitdem nicht im mindesten mehr,
nicht nur bei den geringsten unter den philosophi-
schen Rezensenten und Gelegenheitsschriftlern, son-
dern sogar bei Männern, die unstreitig in die inner-
sten Tiefen der Spekulation eingedrungen sind, zu le-
sen, dass ich — einen lebendigen, kräftigen und täti-
gen Gott leugne (unerachtet meine Worte Seite 1 5
ausdrücklich lauten : Jene lebendige und wirkende mo-
ralische Ordnung ist Gott); dass mein Gott Durch-
und-durch-Begriff sei, u. dgl.
Mit diesem Missverständnisse verhält es sich nun
so. Jene haben zum nächsten Gegenstande ihres Philo-
sophierens nichts denn Begriffe, fertig vorhandene
und in sich tote Begriffe; und was sie Philosophieren
334 J< G> Ficbte8 Atheismus-Streit
nennen, ist, wenn es hoch kommt, ein Entwickeln
dieser Begriffe. Sie hören das Wort Ordnung nennen.
Nun — diesen Ausdruck verstehen sie wohl. Er be-
deutet ein gemachtes, schon fertiges — bestimmtes
Nebeneinandersein und Nacheinandereem eines Man-
nigfaltigen, wie z. B. der Hausrat in ihrem Zimmer
in einer gewissen Ordnung steht (ordo ordinatus). Dass
dieses Wort noch eine höhere Bedeutung haben könne,
feilt ihnen nicht bei, denn für diese höhere Bedeutung
mangelt es ihnen gänzlich am Organ. Hören sie nun
sagen: Gott sei die moralische Weltordnung, so ist
das oben aufgestellte Räsonnement fertig ; und es ist
für sie richtig, unausweichbar und unwiderlegbar.
Sie können aus ihren Vordersätzen nicht anders schlies-
sen denn auf diese Weise.
Dagegen kann nun in den Umkreis dessen, was ich
Philosophie nenne, etwas Stehendes, Ruhendes und
Totes gar nicht eintreten. In ihr ist alles Tat, Be-
wegung und Leben; sie findet nichts, sondern sie
lässt alles unter ihrem Auge entstehen: und das geht
so weit, dass ich jenem Umgehen mit toten Begriffen
den Namen des Philosophierens ganz abspreche. Das
ist, nach mir, blosses Räsonieren für das wirkliche Le-
ben, dessen Geschäfte der Spekulation gerade ent-
gegengesetzt sind : man geht durch Begriffe hindurch,
um sich den Weg zu verkürzen und schneller beim
Ziele anzugelangen, welches letztere denn doch wie-
der irgendein Handeln sein muss, sofern nicht unser
ganzes Denken ein leeres Spiel gewesen sein soll. Wenn
ich sonach in Rede und Schrift, die ich für philo-
sophisch ausgebe, des Ausdruckes Ordnung mich be-
diene, so ist ohne weiteres klar und soll ohne weiteres
klar sein, dass ich darunter nur ein tätiges Ordnen
Aus einem Privatschreiben
335
(ordo ordinans) verstehe. In diesem Sprachgebrauche
bin ich so befestigt, dass ich kein auf ung endendes
Wort anders nehme und z. B. unter Wirkung stets den
Akt des Wirkens selbst, nie aber, wie es wohl bei an-
deren Philosophen geschieht, den Effekt verstehe, für
welchen letzteren ich das Bewirkte sage. Ich bin darin
so befestigt, dass, wenn ich unbefangen fortphilo-
sophiere, jene andere Bedeutung mir gar nicht in die
Gedanken kommt; und dass man mir vielleicht noch
zehn Jahre lang hätte vorschreien können : du bist ein
Atheist, ohne dass ich von selbst darauf gefallen wäre,
dass der Grund des Missverständnisses wohl hier lie-
gen möge.
Habe ich denn aber ein Recht, zu fordern, dass
man diesen meinen Sprachgebrauch kenne? Ohne
Zweifel; denn ich habe sie jener Eigenschaft meiner
Philosophie, dass sie nur mit Lebendigem und keines-
wegs mit Totem umgehe, laut und sattsam, auch in
demselben Philosophischen Journale, bedeutet; die
geringe Folgerung aber, dass, da es sich mit allen
meinen Philosophemen so verhalte, es auch wohl mit
dem über eine moralische Weltordnung derselbe Fall
sein werde, lässt sich vernünftigen Lesern ohne Zwei-
fel anmuten. Aber, da lesen und urteilen und richten
und schreiben über einen einzelnen Aufsatz eines sy-
stematischen Philosophen — Männer, die übrigens
keine Zeile von ihm gelesen haben, und die sich dessen
wohl gar noch rühmen !
Aber warum bleibe ich nicht bei dem gewöhn-
lichen Sprachgebrauche? Ich wünschte, mein Freund,
dass Sie Gelegenheit fanden, denen, die so fragen, zu
sagen, dass ich für meine Person diese Rede für eine
der „formalen Unvernunften" unseres Zeitalters an-
336
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sehe, welche hoffentlich nur einer dem anderen nach-
sagt, jeder auf die Verantwortung seines Vorderman-
nes, ohne dass ein einziger bedenkt, was er redet.
Dem Denker, der wirklich etwas Neues auf die Bahn
zu bringen meint, gebieten, dass er bei dem gewöhn-
lichen Sprachgebrauche bleibe, ist — lediglich die
Hyperbel abgerechnet — ganz dasselbe, als ob man
einem geböte, den Pescherähs europäische Künste,
Wissenschaften und Sitten beizubringen, jedoch in
den Worten und Wortbedeutungen ihrer bisherigen
Sprache. Erzeuge ich in mir einen neuen Begriff, so
bedeutet freilich das Zeichen, wodurch ich ihn für
euch bezeichne (denn für mich selbst bedürfte es über-
all keines Zeichens), für euch etwas Neues, das Wort
erhält eine neue Bedeutung, da ihr bisher das Bezeich-
nete gar nicht besessen habt. Wenn jemand sagt: ihr
habt bisher noch gar keine rechte Philosophie gehabt;
ich will sie euch machen : so sagt dieser ohne Zweifel
zugleich mit : ihr habt auch noch keinen rechten philo-
sophischen Sprachgebrauch gehabt; ich muss schon
nebenbei euch auch diesen machen. Solltet ihr Hän-
del an ihm suchen, so rate ich euch wohlmeinend,
nur geradezu seine Philosophie, nicht aber seinen
Sprachgebrauch anzugreifen. Gelingt es euch, über
die erstere den Sieg davonzutragen, so geht der Sprach-
gebrauch derselben ohne weiteres mit zugrunde. Könnt
ihr aber der erssteren nichts anhaben, so werdet ihr
ihren Sprachgebrauch vielmehr lernen müssen, um
in sie selbst einzudringen. — Ihr sollt bei dem ge-
wöhnlichen Sprachgebrauche bleiben, heisst im Grun-
de: ihr sollt bei der gewöhnlichen Denkart bleiben
und keine Neuerungen auf die Bahn bringen. Wohl
möglich, dass einige, die diese Rede vorbringen, sie
Aus einem Privatschreiben 3 3 7
wirklich auf diese Weise verstehen : dann aber könn-
ten sie ihre wahre Meinung weit direkter ausdrücken*).
Ich hatte das Recht zu fordern, sagte ich, dass man
mich nicht beurteile, ohne meinen Sprachgebrauch zu
*) Zu diesen formalen Unvernunften gehört auch der Spott
und die Verbetzungen gegen die Allein- Philosophen, welche
man noch bis diesen Augenblick vernehmen muss. — Sage
mir, du ehrlicher Mann, mit dem ich mich darüber ins Ge-
spräch setzen will, — wenn du unaufgerufen hintrittst vor
alles Volk und eine Behauptung machst, in welchem Sinne
tust du dies? Etwa in dem Sinne, dass du für deine Person —
du Cajus, dieser unmassgeblichen Meinung bist? Dann hättest
du nur schweigen können, denn es ist unter allem Uninter-
essanten das Alleruninteressanteste, welcher unmassgeblichen
Meinung irgendein einzelner sei, und es ist von deiner Seite
eine Arroganz ohne ihresgleichen, vorauszusetzen, dass wir
begierig gewesen wären, zu vernehmen, welcher Meinung du
seist, du Cajus. Wer bist du denn, du Cajus? Wenn du Ehre
haben sollst, zu reden, so musst du einen Ausspruch der all-
gemeinen Vernunft vorzutragen meinen, nicht aber den dei-
nigen; und du musst mit deiner ganzen inneren Würde und
Moralität dafür stehen können, dass in der Stunde, da du re-
dest, du von der absoluten Allgemeingültigkeit deiner Be-
hauptung innigst überzeugt bist. Solange du dies nicht kannst,
zwingt dich ja nichts, den Mund zu öffnen. So gewiss du aber
das erstere annimmst, so gewiss musst du auch annehmen, —
es ist da kein Ausweg — du musst annehmen, dass alle, die
von Anbeginn der Welt an etwas anderes behauptet haben
als du und alle, die bis an das Ende der Welt etwas anderes
behaupten werden, schlechthin unrecht haben, und dass du
und die, welche mit dir übereinstimmen, allein recht haben,
und das soll und muss alles Fleisch sich gefallen lassen, so
lange, bis sie dich widerlegt haben. — Du musst nur, indem
du redest, schlechthin nicht anders wissen, als dass du allein
recht habest, ausserdem hättest du nicht reden dürfen. Das
Fichte 2 2
338
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
kennen: dann aber, und dies ist bei weitem die Haupt-
sache, sollte man aus dem Zusammenhange ersehen,
was bei mir der Begriff einer moralischen Weltord-
nung bedeute. Sie, mein Freund, haben Gelegenheit,
mit Gegnern von mir zusammenzutreffen. Legen Sie
ihnen doch den Zusammenhang und die Übersicht
meines Räsonnements in jenem verrufenen Aufsatze
vor, welche ich in dieser Absicht jetzt Ihnen selbst vor-
legen will.
bleibt dir unbenommen, dass eigenes reiferes Nachdenken oder
die Zurechtweisung anderer in der Zukunft dich eines Besseren
belehre. Sollte dies erfolgen, so wirst du dann deine erste Be-
hauptung zurücknehmen und so ehrlich sein als zuvor.
Nicht nur die Philosophie, sondern alle Wissenschaft ist
ihrem Wesen nach Allein- Wissenschaft : ein jeder Philosoph
ist notwendig ein ^//em-Philosoph, denn wenn er dies nicht
ist, so hat er unrecht und ist gar kein Philosoph, und wo das
Allein ein Ende hat, da hat auch die Philosophie und alle Wis-
senschaft ein Ende, und da hebt an Dünkel, Wahn und loses
Geschwätz. — Warum spottet man denn nicht der Allein-
Mathematiker? dieser — intolerantesten unter den Gelehrten?
Gehe nur hin und äussere einem : es sei doch vermessen, zu
behaupten, dass nicht irgend einmal ein geradliniger Triangel
gefunden werden sollte, dessen Winkelsumme grösser oder
kleiner sei denn zwei rechte Winkel ; du wirst sehen, wie er
sich herumdrehen und dich stehenlassen wird.
Ich frage hierdurch diese Tadler ernstlich : was wir denn
nun tun sollen, um ihrem Tadel zu entgehen? Sollen wir
wirklich mit unseren auf gut Glück gewagten Einfallen, ohne
Untersuchung noch Überzeugung über die objektive Gültig-
keit derselben, zu Markte eilen? oder sollen wir bei wirk-
licher innerer Überzeugung von der Allgemeingültigkeit un-
serer Behauptungen nur äusserlich tun, als ob wir meinten
zu meinen, was wir doch meinen zu wissen; dadurch vor uns
Aus einem Privatschreiben
Zuvörderst beteuerte ich ja — und dass man mich
über diesen Haupt- und charakteristischen Punkt mei-
nes Systems noch nicht vernimmt, ist in der Tat selt-
sam — ich beteuerte, dass meine Religionsphilosophie
ebensowenig als irgendein Teil meiner Philosophie
etwas Neues in die Gemüter der Menschen bringen
wolle. (Sie will dieselben vielmehr von allen den un-
nützen Bereicherungen, mit denen sie durch andere
Systeme beladen werden, befreien.) Für den Unphilo-
sophen — und im Leben sind wir notwendig alle Un-
philosophen, — ist etwas da und bleibt da und dringt
sich ihm unwiderstehlich auf, und er kann es durch
keine Mühe wegbringen. Dies genügt ihm für sein Ge-
schäft. Der Philosoph aber hat die Verbindlichkeit,
dieses Etwas aus dem genannten System unsers Den-
kens abzuleiten und damit zu verknüpfen ; — den Ort
desselben in jenem notwendigen Systeme aufzuzeigen.
Es bleibt in diesem Geschäfte, wie es ist, jenes Etwas,
selbst zu Lügnern und Heuchlern werden und vor der mensch-
lichen Gesellschaft uns als lächerliche Gecken preisgeben, die
sich einbilden, ihre individuelle Meinung bedeute etwas: —
und dies alles, damit es nicht scheine, wir wollten rechtlicher
sein als die Unrechtlichen? Sollten sie mir auf diese Frage
nichts Vernünftiges antworten können, so ersuche ich sie, je-
ner Äusserung sich hinfiiro gänzlich zu enthalten.
Wohl ist eine grosse Verschiedenheit unter den Menschen!
So verwundert sich neuerlich der Buchhändler Dyk — auch
deutscher Philosoph und Gegner der Wissenschaftslehre —
in einem fliegenden Blatte wider mich: wie doch irgendein
Mensch von seiner eigenen Lehre sagen könne, sie sei wahr.
Ich hingegen würde mich wundern, wenn jemand lehrte, wo-
von er glaubte und sagte, es sei nicht wahr.
[Anmerk. des Verf.]
22*
3^o J. G. Fichte« Atheismus-Streit
und wird nicht verändert. Müsste es der Philosoph
verändern, um es ableiten zu können, so wäre dies ein
Beweis, dass er sein Handwerk nicht verstände, und
dass seine Philosophie falsch wäre. — (Dies sagte ich
Seite 2 ff. „Was den Gesichtspunkt — wie kommt der
Mensch zu diesem Glauben ?") Also — und sagen Sie
doch das meinen Gegnern recht laut — an der Reli-
gion, wie sie vom Anfange der Welt an in den Herzen
aller gutgesinnten Menschen gewohnt hat und fort-
wohnen wird bis an das Ende der Tage, wird durch
meine Philosophie nichts verändert; und so gewiss
durch sie etwas geändert würde, wäre meine Philo-
sophie falsch. Ich habe ein Geschäft, das in seiner gan-
zen Bestimmtheit keiner vor mir übernommen hat,
und das insofern etwas Neues ist: ich habe es mit der
Ableitung (Deduktion) jener Religion aus dem Wesen
der Vernunft zu tun; und zwar keineswegs, um den
Menschen dadurch die Religion beizubringen, sondern
nur bloss und lediglich in wissenschaftlicher Absicht;
über welche Absicht keiner mit mir disputieren kann,
der nicht schon in das Innere meiner Philosophie ein-
gedrungen ist. In der Theologie aber (inwiefern dieses
Wort nicht die Religionslehre, die Lehre von den Be-
ziehungen Gottes auf endliche Wesen, sondern, wie es
eigentlich soll, die Lehre von dem Wesen Gottes an und
für ihn selbst, ohne Beziehung auf endliche Wesen be-
deutet)*) soll durch diese Philosophie etwas verän-
*) Herr Eberhard sagt : aber um die Beziehungen eines Dinges
auf mich zu erkennen, muss ich doch erst einen Begriff (ver-
mutlich von dem inneren Wesen dieses Dinges) haben. Es
scheint sonach, dass nach ihm die Beziehungen lediglich er-
schlössen, also nur gedacht, keineswegs aber empfanden werden,
Aus einem Privatschreiben 3 4 I
dert, — ja, sagen Sie ihnen nur gerade heraus — die-
se Theologie soll gänzlich vernichtet werden, als ein
alle endliche Fassungskraft übersteigendes Hirnge-
spinst.
Jener Ort des religiösen Glaubens nun — welcher
Ort dem gemeinen Religiösen nicht nur füglich ver-
borgen bleiben kann, sondern beinahe verborgen blei-
und da ersuche ich ihn denn, das von ihm selbst gegen mich
angeführte Beispiel noch einmal zu bedenken:
Ich sage: umgekehrt, erst durch die Erkenntnis der Be-
ziehungen auf mich erhalte ich einen Begriff; und der letztere
ist überall nichts anderes, als die durchs Denken zusammenge-
fassten, aber ganz anders als durch ein blosses Denken erkann-
ten Beziehungen selbst. — Es mag wohl geschehen, dass ich
diesen nun einmal in mir erzeugten Begriff auf irgendeine
Veranlassung in meinem Bewusstsein erneuere (in diesem Akte
sonach ihn schon fertig vorfinde), ihn entwickle, ein Merkmal
besonders, diesmal durch blosses Denken, ohne wirkliche un-
mittelbare Wahrnehmung, hervorhebe usw. ; und allein auf
dieses Geschäft der Analyse scheint die Philosophie des Herrn
Eberhard zu reflektieren, und ich gebe ihm für diesen Akt al-
les zu. Nur gibt mit diesem Akte meine Philosophie sich über-
all nicht ab, sondern tut die höhere Frage: wie ist denn nun
jener Begriff selbst, den du vorfindest, erst entstanden, und
wie ist denn das Merkmal, dass du gegenwärtig aus ihm her-
ausentwickelst, erst in ihn hineingekommen? — Und auf diese
ursprüngliche Genesis des Begriffs muss Herr Eberhard sich ein-
lassen. Sagen: er sei (als Begriff) angeboren, heisst meines Er-
achtens bloss behaupten, um der ungelegenen Frage zu ent-
gehen : keineswegs aber erklären und noch weniger beweisen.
Wie nach mir der Begriff von Gott ursprünglich erzeugt werde,
darüber hoffe ich durch das oben folgende mich ihm deut-
licher zu machen, als es mir bis jetzt gelungen ist.
[Anmerk. des Verf.]
3^2 J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ben muss, dem Volkslehrer aber bekannt sein soll, da-
mit er danach seinen Plan der religiösen Leitung ein-
richten könne, — jener Ort, — jenes Etwas im Systeme
des notwendigen Denkens, an welches der religiöse
Glaube sich anschliesst und daraus hervorgeht, — ist
nach meiner Philosophie der notwendige Zweck des Men-
schen bei seinem Gehorsam gegen das Pflichtgebot.
Seite 8 wird der Begriff des Übersinnlichen so auf-
gestellt: I. „Ich finde mich frei von allem Einflüsse
der Sinnenwelt, absolut tätig in mir selbst und durch
mich selbst. 2. Diese Freiheit ist nicht unbestimmt (in
Rücksicht eines Zweckes), sie hat ihren Zweck."
Fragen Sie nun den Gegner — denn dies ist der ent-
scheidende Punkt, den man bei jenem Missverständ-
nisse gänzlich übersehen hat, — fragen Sie ihn, ob
denn nun jene Freiheit (Nr. 1) und dieser Zweck der
Freiheit (Nr. 2) ein Stück sei, oder ob es zwei Stücke
seien ? Machen Sie ihm dies durch ein sinnliches Bei-
spiel klar, wenn Sie nämlich von ihm zu erhalten sich
getrauen, dass er dieses Beispiel nicht über den Ver-
gleichungspunkt ausdehne, welcher hier lediglich die
Verschiedenheit der Handlung und des ausser der
Handlung liegenden Zweckes derselben betrifft. — Sa-
gen Sie ihm: du gehst etwa und säest deinen Samen,
und dies mag indessen für deine Handlung gelten. Nun
säest du aber ohne Zweifel nicht bloss, um zu säen,
sondern damit dein Same aufgehe und Früchte trage.
Das letztere, die künftige Ernte, ist nicht mehr deine
Handlung, sondern der Zweck deiner Handlung, und
du wirst ohne Zweifel einsehen, dass dies nicht einer-
lei sei, sondern zweierlei.
Nun fragen Sie ihn weiter: enthält denn nun dein
Säen, dein Hinwerfen des Samens in die Erde den
Aus einem Privatschreiben 343
letzten zureichenden Grund des Aufgehens und Früchte-
tragens ? — So viel ist freilich klar, dass, wenn du die-
sen Acker nicht besäet und nicht mit dieser Getreide-
art besäet hättest, du auf demselben nimmermehr
diese Getreideart ernten würdest ; und sonach ist dein
Säen allerdings die ausschliessende Bedingung der künf-
tigen Ernte. Gäbe es aber nicht ausser deinem Säen,
und unabhängig von ihm, eine befruchtende Kraft
in der Natur, so würde dein Same nie Früchte brin-
gen. Diese befruchtende Kraft ist der letzte zureichende
Grund der Ernte, keineswegs dein Aussäen. Auf diese
Kraft, auf diese Ordnung der Natur, nach welcher
du nicht ernten kannst, wenn du nicht gesäet hast,
in dem ordentlichen Wege der Natur aber von deiner
Aussat dir allerdings eine Ernte versprechen darfst,
rechnest du bei deinem Säen; durch diese Rechnung
allein wird dein Verstreuen des Saatkorns zu einem
zweckmässigen Geschäfte, welches ausserdem entwe-
der ein zweckloses Spiel oder ein zweckwidriges Weg-
werfen einer sehr brauchbaren Sache wäre ; du rech-
nest auf diese Ordnung so sicher, dass du im Glauben
an sie wirklich die Körner, die du, wie sie sind, zu
deiner Nahrung brauchen könntest, daranwagst.
Sollte er Sie noch nicht begreifen, so tragen Sie es
ihm ein wenig strenger und begriffsmässiger vor; et-
wa so : beides, Saat und Ernte, ist in deinem Begriffe
verknüpft, und wird beides von dir beabsichtigt, das
zweite als die Folge vom ersten, und das erste nur um
des zweiten willen. Wo liegt denn nun das Ver-
knüpfende, das die Ernte, als Folge, mit der Saat, als
Vorausgehendem, Vermittelnde? Liegt es in deiner
Handlung des Säens, in dem, was du bei dem Säen tust,
oder setzest du es ausser dasselbe ? Ich denke ja doch,
3^ J. G. Fichtes Atheismus-Streit
wenn du nur meine Unterscheidung wirklich gemacht
hast, dass du es ausser dich setzest. Das ausser dir aber
wird nur angeregt und in die Bedingung seiner Tätig-
keit gesetzt durch etwas in dir, durch deine freie Tat.
So rechnest du also bei deinem Säen, aus dem eine
Ernte folgen soll, auf ein Doppeltes; auf eines, das
ganz rein und lediglich dein Produkt ist, und auf ein
zweites, das ganz und gar unabhängig von dir vor-
handen ist und wirkt und dir bloss — bekannt ist,
auf eine ewige Naturordnung ; und so tust du bei allen
deinen sinnlichen Handlungen. Du kannst nicht Hand
noch Fuss bewegen, ohne dieses Doppelte, vielleicht
ohne dein Bewusstsein, vorauszusetzen: dein absolut
von dir abhängendes, reines und leeres Wollen, dass
die Hand sich bewege, und die Gesetze der Organisa-
tion und Artikulation deines Körpers, nach welchem
aus jenem Wollen die wirkliche Bewegung der Hand
erfolgt und nicht mehr erfolgen wird, sobald jene
Artikulation verletzt und etwa deine Hand gelähmt
werden wird.
Können Sie dem Gegner über diesen Punkt begreif-
lich werden, so haben wir gewonnen ; und es kann
von jener verworrenen, bis zum Überdrusse wieder-
holten Äusserung, dass die moralische Oi*dnung durch
das blosse Sittengesetz sattsam garantiert sei, nicht wei-
ter die Rede sein. In welchem Sinne bedient man
sich denn da des Ausdruckes Sittengesetz? Für das Ge-
setz, das selbst Gottes Wirksamkeit bestimmt? Dann
kann von diesem Satze kein Gebrauch gegen meine
Theorie gemacht werden. Oder für die Stimme des
Gewissens in dem endlichen Wesen? Von der mo-
ralischen Ordnung, die dadurch begründet (nicht ga-
rantiert) werden kann, ist wohl in einer Sittenlehre,
Aus einem Privatschreiben 345
keineswegs aber in einer Religionstheorie die Rede.
Ich redete von etwas anderm. — Können Sie hierüber
begreiflich werden, sagte ich; aber ich fürchte, dass
Sie es den wenigsten werden ; denn hier gerade ist für
die Begriffe so vieler der Schlagbaum gezogen. Ich
wenigstens habe mehrere getroffen, die es, und wenn
man sie im Mörser zerstiesse, nicht anders wissen noch
begreifen können, als dass sie, sie ganz allein durch
ihre eigene Kraft, ohne alles fremde Zutun, Ordnung
oder Gesetz, allerdings ihre Zunge und ihre Hand
und ihren Fuss bewegen und welche vermutlich auch
durch ihr blosses Hinwerfen des Saatkorns das Aus-
wachsen und Fruchttragen desselben hinreichend zu
begründen meinen. Mit diesen lässt sich nun nichts
weiter anfangen; ausser dass man sie mit aller Höf-
lichkeit bitte, nicht länger mitzusprechen über das,
wovon sie sichtbar nichts verstehen, und diese höfliche
Bitte nicht übelzunehmen. — Der Grund ihres Un-
vermögens ist der, dass sie dasjenige, was da wirklich
und in der Tat in ihrer Gewalt steht und ihr einziges
wahres Selbst ausmacht, ihren Willen, überall nicht
bemerken; sonach freilich keine zwei Stücke zählen,
kein A und kein B unterscheiden können, wo, für sie
in der Tat nur ein Stück da ist, und eines, das A,
gänzlich mangelt. Sie sind nunmehr freilich genötigt,
ihre Persönlichkeit, die ihnen doch nicht verloren
gehen kann, in das B, in das, was uns (in diesem
Standpunkte) Natur ist, zu versetzen, und müssen fest
und steif glauben und durch das innigste Bewusstsein
wahrnehmen und gar nicht anders wissen, als dass sie
selbst tun, wovon wir andern sehr wohl wissen, dass
wir es nicht selbst, sondern dass die Natur es tue.
Mit diesen ist nicht zu disputieren; man musssiekul-
346
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ti vieren, wenn sie noch jung genug sind, oder wenn
sie dies nicht sind, sie in ihrem Irrtume wegsterben
lassen.
Nachdem schon in dieser ersten Probe neun Zehn-
teile der Gegner nicht bestanden, und von Rechts
wegen zu einem ewigen Stillschweigen verurteilt sein
werden, fragen Sie das übrige Zehnteil folgender-
massen :
Was ist es denn, das in Absicht der Moralität rein
und lediglich in eurer Gewalt steht, wie es denn auch
ganz allein euch geboten ist und ihr nur dafür ver-
antwortlich seid? Sie müssen, wenn sie nur Ihre
Frage verstehen, antworten: das blosse Wollen, als
innere Bestimmung meiner Gesinnung, und schlecht-
hin nichts weiter; wie es sich bei der sinnlichen Hand-
lung gleichfalls verhält : jedoch mit dem Unterschiede,
dass bei der letztern ein materieller, ausser dem Wol-
len liegender Zweck, bei der erstem aber die innere
Reinheit und Rechtschaffenheit des Wollens selbst
beabsichtigt wird. — In jedem sinnlichen Geschäfte
ist das Wollen lediglich Mittel für irgendeinen ge-
wollten Zweck; bloss erstes Bewegendes und Auf-
regendes, was nun die Naturkraft fortsetzt; und die
Willensbestimmung würde nicht beschlossen, wenn
nicht jener Zweck gewollt würde. In der sittlichen
Bestimmung ist der Wille selbst letzter Zweck des
Wollens; er soll in einer gewissen Verfassung sein,
schlechterdings damit er in derselben sei.
Nun fragen Sie weiter, nachdem Sie um verdop-
pelte Aufmerksamkeit gebeten haben: könnte denn
nun, unerachtet der sittliche Wille selbst als solcher
der letzte Zweck unseres Wollens sein muss, nicht
doch etwa auch aus ihm, freilich nicht durch unsere
Aus einem Privatschreiben
Wirksamkeit, etwas erfolgen sollen? D. h. der gute
Wille ist freilich das einzige, was in unserer Gewalt
steht, und wofür wir unseresteils zu sorgen haben,
und was für uns das letzte Glied sein muss : es könnte
aber doch wohl sein, dass er überhaupt (für irgend-
einen anderen Willen) nicht das letzte Glied sei, son-
dern dass auf ihn noch ein weiteres folgen solle, frei-
lich ohne unser Zutun. — So soll aus dem Wollen,
dass meine Hand sich bewege, allerdings die wirk-
liche Bewegung der Hand erfolgen, und dies zwar
nicht durch die blosse Kraft meines Willens, rein und
an sich gedacht, sondern durch eine Natureinrichtung,
welcher zufolge erst aus jenem Wollen die Bewegung
erfolgt. Aber ich brächte jenes Wollen in mir gar
nicht hervor, wenn ich nicht auf diese Natureinrich-
tung rechnete, nach der es diese Folge hat : ich will
diesmal nur um der Folge willen. Meine Pflicht hin-
gegen will ich nicht um irgendeiner Folge, sondern
um ihrer selbst willen ; und nur inwiefern ich so will,
will ich wirklich die Pflicht.
Es könnte aber doch sein, dass sie, gleichfalls nach
irgendeiner Ordnung, Folgen hätte, um deren willen
ich sie freilich nicht wollen kann; denn wollte ich sie
um derselben willen, so wollte ich überhaupt nicht
die Pflicht, und die Folgen könnten nun nicht eintre-
ten. Die Folge der Moralität endlicher Wesen ist not-
wendig von der Art, dass sie nur unter der Bedingung
eintritt, dass sie nicht eigentlich gewollt (obwohl postu-
liert) werde, d. i. dass siekein Motiv des Wollens abgebe.
Wenn es sich nun etwa so verhielte — ich hatte
das behauptet und werde sogleich von den Gründen
dieser Behauptung reden — wie weit ginge denn nun
meine Kraft und die Kraft aller endlichen Wesen, und
3^8 J * G - Fichte» Atheismus-Streit
wo höbe denn das Gebiet einer fremden, ausserhalb
aller endlichen Wesen liegenden Kraft an? Die erstere
ginge doch ohne Zweifel nur bis zur Willensbestim-
mung — A, und dasjenige, wodurch an diese Willens-
bestimmung sich eine Folge derselben = B notwendig
anknüpfte, wäre nicht meine Kraft, läge ausserhalb
meiner Kraft und meines Wesens. Wenn nun jemand
das Gesetz, nach welchem B auf A notwendig folgt,
eine Ordnung, — und zum Unterschiede von der Na-
turordnung, eine moralische oder intelligible Ordnung
nennte, wodurch ein moralischer oder intelligibler Zu-
sammenhang, oder System, oder W elt erwüchse, so setzte
dieser doch ohne Zweifel die moralische Ordnung nicht
innerhalb der endlichen moralischen Wesen selbst,
sondern ausserhalb derselben und nähme sonach ohne
Zweifel noch etwas ausser diesen Wesen an.
Diese Beurteiler haben doch grösstenteils die Kan-
tische Religionstheorie vernommen und diesen Philo-
sophen des Atheismus nicht bezichtigt. Er lehrt, dass
aus der Moralität eine derselben angemessene Glück-
seligkeit erfolgen müsse: und ihm ist der Grund die-
ser Folge, das die letztere mit der ersteren Vermit-
telnde, Gott. Warum haben sie denn hier das, was den
endlichen Wesen, und das, was einer fremden Kraft
ausserhalb der endlichen Wesen zugeschrieben wird,
sehr wohl unterscheiden können, und können es nun
nicht mehr, nachdem ich rede?
Nachdem Sie, mein Freund, auf diese Weise jenen
Beurteilern die Scheu benommen und ihnen Mut ge-
macht haben werden, dem gefurchteten Dinge unter
die Augen zu sehen, so erheben Sie das bis hierher
nur Vorausgesetzte zur Gewissheit. Sagen Sie Ihrem
Manne: Wenn du bloss und lediglich Wille wärest
Aus einem Privatschreiben
und so etwas sich denken Hesse, so möchtest du etwa
sittlich wollen, und damit wäre alles zu Ende und dein
Wesen beschlossen : und auf diese Weise sollst du auch
wirklich die Pflicht wollen. Nun bist du zugleich Er-
kenntnis; du betrachtest und beobachtest dich selbst
und hier insbesondere dein sittliches Wollen. Dadurch
fällt dir dasselbe unter die Gesetze deines objektivieren-
den und diskursiven Denkens ; es wird dir zu einer Be-
gebenheit und kommt in einer Reihe zu stehen. Nicht
dass es vor demselben ein vorderes Glied gäbe, weder
theoretisch begründend, noch praktisch motivierend:
denn im ersten Falle wärest du nicht frei, im zweiten
Falle wäre dein Entschluss nicht moralisch gut; dein
Wille ist schlechthin erstes, anhebendes Glied der
Reihe : sondern dass es nach demselben ein zweites Glied
gebe — dass dein guter Wille Folgen habe. Diese not-
wendig hinzuzudenkende Folge heisst hier Zweck; nicht
als den Entschluss motivierend, aber wohl als die
Erkenntnis befriedigend. Gehorchen sollst du schlecht-
hin, ohne alle Rücksicht auf irgendeinen Zweck, in-
wiefern ich dich als wollend setze. Wenn du nun aber
dieses dein Wollen betrachtest, so wird es dir als ver-
nunftwidrig erscheinen, wenn es dir als zwecklos und
folgenlos erscheint, und zugleich wird das Gebot die-
ses Wollens dir als vernunftwidrig erscheinen. So er-
scheint es dir vielleicht auch wirklich, und du leug-
nest es darum ab und suchst als Eudämonist empiri-
sche Bestimmungsgründe eines materiellen Wollens;
dann aber hast du weder teil noch Anfall an diesem
Worte, und es ist weder von dir noch mit dir die Rede ;
du bist entlassen. So gewiss du aber diesem Gebote
glaubst und dich entschliessest, ihm zu gehorchen, so
gewiss hältst du es nicht für vernunftwidrig, d.i. den
35o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Gehorsam nicht für zweck- und folgenlos : du denkst,
freilich ohne willkürlichen Entschluss, durch die blos-
sen Gesetze des Denkens genötigt, eine Folge zur Mo-
ralität hinzu — und so tut schlechthin jeder Mensch,
der sich nur zur Moralität der Gesinnung erhebt, viel-
leicht ohne sich desselben je bewusst zu werden, noch
über den Zusammenhang seines Denkens sich Rechen-
schaft abzulegen. Wer aber dem Gebote nicht glaubt,
weil er ihm zu gehorchen nicht entschlossen ist, der
glaubt auch nicht, was aus demselben folgt, sondern
plaudert etwa gedankenlos die auswendig gelernte Lan-
desreligion nach, vermag es nicht, eine durchgreifen-
de Theorie der Religion zu verstehen, lästert sie und
verschreit sie als Atheismus. — Diesen Hauptpunkt
habe ich Seite 9 f. sorgfältig auseinandergesetzt, um
einer Menge im Schwange gehender irriger Meinungen
über den Glauben, als ob er ein Hilfsmittel der faulen
und verzweifelnden Vernunft sei, welche auch in dem
Aufsatze ihr Wesen trieben, zu dessen Berichtigung
der meinige geschrieben wurde, zu begegnen ; und ha-
be die lügenhaften Verdrehungen, die z. B. Herr Heu-
Singer mit dem Gesagten vornimmt, weder verdient,
noch veranlasst.*)
*) Ich sage (Seite 9), um die notwendige Ronsequenz beider
Gedanken auszudrücken : „Ich muss, wenn ich nicht mein eignes
Wesen verleugnen will, die Ausführung jenes Zwecks (der Mo-
ralität) mir vorsetzen habe diesen Satz zu analysieren, wie-
derhole ihn daher auf der folgenden Seite verkürzt mit Hin-
weglassung der Merkmale, die keiner Analyse bedürfen, so:
„ich muss schlechthin den Zweck der Moralität mir vorsetzen,
heisst: usw." — Die Rede ist sonach gleich der folgenden: In
einem rechtwinkligen Triangel ist das Quadrat der Hypotenuse
gleich dem Quadrate der beiden Katheten. In einem Triangel
Aus einem Privatschreiben
35i
Dies ist nun nach mir der Ort des religiösen Glau-
bens; dieses notwendige Denken und Fordern einer
intelligiblen Ordnung, Gesetzes, Einrichtung, oder wie
man will, nach welcher die wahre Sittlichkeit, die
innere Reinheit des Herzens notwendig Folgen hat.
Aus diesem — unter Voraussetzung der frei erzeugten
moralischen Gesinnung — notwendigen Denken, be-
haupte ich, entwickelt sich und hat sich von jeher
entwickelt in den Gemütern aller guten Menschen
aller Glaube an einen Gott und an ein Göttliches : und
ihr Glaube ist überall nichts anderes als der Glaube
an jene Ordnung, deren Begriff sie nur, ihnen selbst
unbewusst, auch durch den Unterricht in der Gesell-
schaft getrieben, weiter entwickelt und bestimmt haben,
ihn erst nach dieser weiteren Entwicklung in ihrem
Bewusstsein vorgefunden und seitdem nie wieder auf
jene ursprüngliche Einfachheit, deren zuletzt nur der
Philosoph und der Volkslehrer bedarf, zurückgeführt
ist das Quadrat der Hypotenuse etc. heisst: usw. — Herr
Heusinger aber hält sich an den letzten Ausdruck des Satzes,
als an den direkten, erklärt nieine ganze Theorie aus diesem
unbedingt gesetzten Muss, um mich eines Fatalismus zu be-
zichtigen (da doch jedem, der nur eine Silbe von mir gelesen,
bekannt sein muss, dass auf die Freiheit des Willens mein
ganzes Denken aufgebaut ist) und es recht klar darzulegen, wie
nach mir die moralische Ordnung sich von selbst mache, und
wie ich mit meinem guten Bewusstsein ein offenbarer Atheist
sei. — Im gemeinen Leben nennt jeder Ehrliebende ein sol-
ches Benehmen Schurkerei, Büberei, Lüge. Wie soll man es
in der Literatur nennen ?
Nun tritt hinzu ein Rezensent in der Erlanger Literatur-
Zeitung, der mir seit langem mit Verachtung aller möglichen
Sitten gute Sitten predigt, preist dieses Heusingersche Mach-
werk an als eine höchst wichtige Schrift, beschwört mich
35 2
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
haben — kurz, in allem menschlichen Handeln wird
gerechnet auf ein Doppeltes: auf etwas vom Menschen
selbst Abhängendes, seine Willensbestimmung, und
auf etwas von ihm nicht Abhängendes. Beim sinnlichen
Handeln ist dieses letztere die Naturordnung, und wer
nur sinnlich handelt, bedarf nichts anderes, worauf er
rechne, und hat nichts anderes, wenn er konsequent
ist. Beim sittlichen Handeln, dem rein guten Willen,
ist das letztere eine intelligible Ordnung.
Jeder Glaube an ein Göttliches, der mehr enthält
als diesen Begriff der moralischen Ordnung, ist inso-
fern Erdichtung und Aberglaube, welcher unschädlich
sein mag, aber doch immer eines vernünftigen Wesens
unwürdig und höchst verdächtig ist. Jeder Glaube, der
diesem Begriffe einer moralischen Ordnung wider-
spricht (der eine unmoralische Unordnung y eine gesetz-
lose Willkür durch ein übermächtiges Wesen ver-
mittelst sinnloser Zaubermittel einfuhren will), ist ein
feierlich, dasselbe ja gründlich zu widerlegen, hat aber nicht
das geringste Arge aus jener Verfälschung, sondern referiert
sie ganz getrost dem Leser hin. — Nämlich dieser Heusinger
bildet sich noch überdies nichts Geringeres ein, als dass er
dem ganzen Systeme der Wissenschaftslehre mit einem Streiche
ein Ende machen könne, indem er versichert, jenes Ich, wor-
auf dieses System baue, in seinem Bewusstsein gar nicht vor-
zufinden : es sei dasselbe eine psychologische Täuschung. Psy-
chologie eben lehrt — von Tatsachen des Bewusstseins eben,
— von dem, was man nur so vorfindet, wenn man sich fin-
det, redet die Wissenschaftslehre! — Ich versichere Herrn
Heusinger und seinen unmündigen Rezensenten, dass sie sehr
gern ihre wirkliche und eingebildete Weisheit darum geben
könnten, dass sie nur wüssten, wovon eigentlich in jenem Sy-
stem die Rede ist. —
[Anmerk. des Verf.]
Aus einem Privatschreiben
353
verwerflichen* und den Menschen durchaus zugrunde
richtender Aberglaube.
Über diesen Punkt nun, der lediglich die Deduktion
betrifft, habe ich es nur mit dem Philosophen zu tun,
und zwar mit dem von mir ausschliessend so genannten
Transzenrfenta/philosophen. Und wollte der Himmel,
dass ich es mit diesen zu tun bekäme, und dass doch end-
lich mehrere vernehmen möchten, was in meinem
Sinne des Worts eine Deduktion sei, und dass das
Wesen meiner Philosophie und nach mir aller wirk-
lichen Philosophie lediglich im Deduzieren bestehe!
Mit dem populär Religiösen und seinen Vormündern,
der Kirche und dem Staate, habe ich es hier noch gar
nicht zu tun; dieser besitzt den Glauben, ohne viel
nach einer Deduktion desselben zu fragen. Auch wird
ihm der Begriff einer inte Iiigib len moralischen Ordnung,
in dieser philosophischen Reinheit, Einfachheit und
Präzision nämlich, keineswegs angemutet ; wohl aber,
dass alles, was er glaubt (etwa durch seinen Religions-
lehrer oder durch einen andern Philosophen), sich auf
jenen Begriff zurückführen lasse. Der populär Reli-
giöse wird seines Interesses erst dann wahrzunehmen
und seine Überzeugung mit unseren Grundsätzen zu-
sammenzuhalten haben, wenn wir die letzteren weiter
bestimmen und entwickeln werden. Das tat ich in jenem
Aufsatze nicht und hatte es meinem nächsten Zwecke
nach nicht zu tun : es hätten sonach über ihn nur die-
jenigen mitsprechen sollen, die einigen Grund gehabt
hätten, sich für Transzendentalphilosophen zu halten ;
und deren Zahl ist bekanntlich" in Deutschland noch
nicht so gross als die Anzahl derer, die da wirklich
mitgesprochen und mitunter geschrien haben. Die
Entwicklung und Ableitung selbst in meine Seele zu
Fichte 2 3
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
machen, ist der bisherigen Erfahrung nach ein miss-
liches Geschäft, das meinen Gegnern noch nie recht
gelingen wollen und sobald noch nicht gelingen wird;
denn wenn sie auch meine Vordersätze verständen,
welches wenigstens diesmal der Fall nicht gewesen,
so werden sie doch noch lange zu tun haben, ehe sie
sich meiner synthetischen Methode bemächtigen. Ge-
rade fortschliessen mögen sie können; aber dies ist's
nicht, dessen es hier bedarf.
Ich habe gegenwärtig diese Entwickelung am wei-
testen fortgeführt in meiner Bestimmung des Menschen,
die Sie wahrscheinlich bald nach diesem Briefe er-
halten werden. Aber ich spreche fest lieber mit Ihnen,
wo ich frei vom Herzen herunter sprechen darf, als
mit dem grossen weitschichtigen Publikum. Seien Sie
daher nur immer gefasst, einen der nächsten Posttage
eine in meiner Briefmanier geschriebene Entwickelung
jenes Grundbegriffes, d. h. eine Untersuchung der
Frage, welches denn nun jene Folge der Moralität sei,
und wie dieselbe erfolgen solle, zu erhalten.
vvvvvvvtvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvvv^^
XX.
ÄUSSERUNGEN GOETHES AN UND ÜBER
FICHTE
An Johann Gottlieb Fichte.
FÜR die übersendeten ersten Bogen der Wissen-
schaftslehre danke ich zum besten ; ich sehe darin
schon die Hoffnung erfüllt, welche mich die Einlei-
tung fassen Hess.
Das Übersendete enthält nichts, das ich nicht ver-
stände oder wenigstens zu verstehen glaubte, nichts,
das sich nicht an meine gewohnte Denkweise willig
anschlösse.
Nach meiner Überzeugung werden Sie durch die
wissenschaftliche Begründung dessen, worüber die
Natur mit sich selbst in der Stille schon lange einig
zu sein scheint, dem menschlichen Geschlechte eine
unschätzbare Wohltat erweisen und werden sich um
jeden Denkenden und Fühlenden verdient machen.
Was mich betrifft, werde ich Ihnen den grössten Dank
schuldig sein, wenn Sie mich endlich mit den Philo-
23*
356
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
sophen versöhnen, die ich nie entbehren und mit denen
ich mich niemals vereinigen konnte.
Ich erwarte mit Verlangen die weitere Fortsetzung
Ihrer Arbeit, um manches bei mir zu berichtigen und
zu befestigen, und hoffe, wenn Sie erst freier von drin-
gender Arbeit sind, mit Ihnen über verschiedene Ge-
genstände zu sprechen, deren Bearbeitung ich auf-
schiebe, bis ich deutlich einsehe, wie sich dasjenige,
was ich zu leisten mir noch zutraue, an dasjenige an-
schliesst, was wir von Ihnen zu hoffen haben.
Da ich mit Freuden teil an der Zeitschrift nehme,
die Sie in Gesellschaft würdiger Freunde herauszu-
geben gedenken, so wird auch dadurch eine wechsel-
seitige Erklärung und Verbindung beschleunigt wer-
den, von der ich mir sehr viel verspreche. Leben Sie
recht wohl.
Weimar, den 24. Juni 1794. Goethe.
An Charlotte v. Kalb.
. . . Fichte ist noch nicht gekommen, sobald seine
Einladungsschrift, die er vorausschickt, abgedruckt
ist, erhalten Sie solche. Aus seinen Briefen scheint es,
er habe vor, in ein sonderbares Horn zu stossen.
[Weimar, d. 29. April 1 794-]
An dieselbe [28. Juni 1794].
. . . Von Fichtes philosophischen Blättern sende ich
nichts, wenn Sie von dem Inhalt irgend Notiz nehmen
wollten, so wird ein mündlicher Vortrag höchst nötig
sein. Seine Nachbarschaft ist mir sehr angenehm und
bringt mir manchen Nutzen ; es konversiert sich auch
mit ihm sehr gut, und da er uns verspricht, den Men-
Äusserungen Goethes an und über Fichte 3 5 7
schenverstand mit der Philosophie auszusöhnen, so
können wir andre nicht aufmerksam genug sein.
An F. H. Jacobi [8. Sept. 1794].
Fichtens Bogen hat Max Dir gesammelt und bringt
sie mit, ich wünschte sehr, Deine Gedanken gelegent-
lich über Gehalt und Form dieser sonderbaren Pro-
duktion zu hören. Ich bin zu wenig oder vielmehr gar
nicht in dieser Denkart geübt und kann also nur mit
Mühe und von ferne folgen.
An denselben [2. Februar 1796].
Dass Dir Reinhold nicht behagt, gibt mich nicht
wunder, er konnte nie aus sich herausgehen und
musste, um etwas zu sein, sich in einem sehr engen
Kreise halten. Ein Gespräch war nicht mit ihm zu
fuhren, ich habe nie etwas durch ihn oder von ihm
lernen können.
Dagegen ist Fichte, obgleich auch ein wunderlicher
Kauz, ein ganz andrer Mensch für Gespräch und Mit-
teilung. Er hat bei einem sehr rigiden Sinne doch
viel Behendigkeit des Geistes und mag sich gern in
alles einlassen. Leider geht er auch nur meist mit
jungen Leuten um, die zu sehr unter ihm sind, daher
entsprang auch Reinholds Unglück.
An C. G. Voigt [10. April 1795].
Sie haben also das absolute Ich in grosser Verlegen-
heit gesehen, und freilich ist es von den Nicht-Ichs,
die man doch gesetzt hat, sehr unhöflich, durch die
Scheiben zu fliegen.*) Es geht ihm aber wie dem Schöp-
fer und Erhalter aller Dinge, der, wie uns die Theo-
*) Vgl. unten S. 365.
358
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
logen sagen, auch mit seinen Kreaturen nicht fertig
werden kann. . . .
An Schiller [16. Mai 1796].
Im Moniteur steht, dass Deutschland hauptsäch-
lich wegen der Philosophie berühmt sei, und dass ein
Mr. Kant und sein Schüler Mr. Fichte den Deutschen
eigentlich die Lichter aufsteckten.
An denselben [a5. Nov. 1795].
. . . Der Weisshuhnische Aufsatz im 6. Hefte des
Niethammerischen Journals hat mir sehr wohl ge-
fallen.*) Diese Art zu philosophieren liegt mir viel
näher als die Fichtische, wir wollen den Aufsatz doch
einmal miteinander lesen, ich wünschte, über einiges
Ihre Gedanken zu hören. Bei Zusammenstellung mei-
ner physikalischen Erfahrungen ist es mir schon, wie
ich finde, von grossem Nutzen, dass ich etwas mehr als
sonst in den philosophischen Kampfplatz hinuntersehe.
An J. H. Meyer [18. März 1797].
. . . Sodann gibt Fichte eine neue Darstellung sei-
ner Wissenschaftslehre stückweise in einem philo-
sophischen Journal heraus, die wir denn abends zu-
sammen durchgehen, und so überschlägt sich die Zeit
wie ein Stein vom Berge herunter, und man weiss
nicht, wo sie hinkommt und wo man ist. Bei manchen
dieser Verhandlungen werden Sie recht lebhaft ge-
wünscht, wie noch Schiller gestern abend tat, indes-
sen ich mich herzlich zu Ihnen sehne, um durch An-
schauung so mancher herrlicherFormen mich wieder zu
beleben. Denn für uns andere, die wir doch eigent-
*) Sätze und Gegensätze zur Grundlegung eines neuen Systems
der Philosophie.
Äusserungen Goethes an und über Fichte 359
lieh zu Künstlern geboren sind, bleiben doch immer
die Spekulation sowie das Studium der elementaren
Naturlehre falsche Tendenzen, denen man freilich
nicht ausweichen kann, weil alles, was einen umgibt,
sich dahin neigt und gewaltsam dahin strebt.
An C. v. Knebel [Jena, 28. März 1797].
. . . Nimmst Du nun dazu, dass Fichte eine neue
Darstellung seiner Wissenschaftslehre im Philosophi-
schen Journal herauszugeben anfängt, und dass ich,
bei der spekulativen Tendenz des Kreises, in dem ich
lebe, wenigstens im ganzen Anteil daran nehmen
muss, so wirst Du leicht sehen, dass man manchmal
nicht wissen mag, wo einem der Kopf steht, beson-
ders wenn noch reichliche Abendessen die Nacht ver-
kürzen und die Studien so nötige Mässigkeit nicht be-
günstigen. Ich freue mich daher, bald wieder nach
Weimar zu kommen, um mich wieder in einem an-
dern Kreise zu erholen. Unglaublich aber ist's, was
für ein Treiben die wissenschaftlichen Dinge herum-
peitscht, und mit welcher Schnelligkeit die jungen
Leute das, was sich erwerben lässt, ergreifen. Lebe
indessen wohl in Deinem ruhigen Garten, wo ich
Dich zu Ende der Woche wiederzusehen hoffe.
An Schiller [5. Mai 1798].
Fichte hat mir den zweiten Teil seines Naturrechts
geschickt, ich habe aus der Mitte heraus einiges gele-
sen und finde vieles auf eine beifallswürdige Art dedu-
ziert, doch scheinen mir praktischem Skeptiker bei
manchen Stellen die empirischen Einflüsse noch stark
einzuwirken. Es geht mir hier, wie ich neulich von den
Beobachtungen sagte: nur sämtliche Menschen erken-
36o
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
nen die Natur, nur sämtliche Menschen leben das
Menschliche. Ich mag mich stellen, wie ich will, so sehe
ich in vielen berühmten Axiomen nur die Aussprüche
einer Individualität, und gerade das, was am allge-
meinsten als wahr anerkannt wird, ist gewöhnlich nur
ein Vorurteil der Masse, die unter gewissen Zeitbe-
dingungen steht, und die man daher ebensogut als ein
Individuum ansehen kann. Leben Sie wohl und lieben
mein liebendes Individuum trotz allen seinen Ketze-
reien!
An denselben [29. August 1798].
Nutzen Sie das neue Verhältnis zu Fichten für sich
so viel als möglich und lassen es auch ihm heilsam
werden. An eine engere Verbindung mit ihm ist nicht
zu denken, aber es ist immer sehr interessant, ihn in
der Nähe zu haben.
An denselben [3i. Juli 1799].
. . . Doch mag das bis zur mündlichen Unterredung
aufgehoben sein, sowie die Reinholdischen Erklä-
rungen über den Fichtischen Atheismus.
Den Brief an Lavatern hierüber habe ich angefangen
zu lesen. Reinholds Ausführung scheint mir überhaupt
psychologisch sehr unterrichtend und läuft, wie mir
scheint, am Ende auf das alte Diktum hinaus : dass sich
jeder seine eigne Art von Gott macht, und dass man
niemand den seinigen weder nehmen kann und soll.
An J. G. Schlosser [3o. August 1799].
Was Fichten betrifft, so tut mirs immer leid, dass
wir ihn verlieren mussten, und dass seine törige An-
massung ihn aus einer Existenz hinauswarf, die er auf
Äusserungen Goethes an und über Fichte 36 I
dem weiten Erdenrund, so sonderbar auch diese Hy-
perbel klingen mag, nicht wieder finden wird. Je älter
man wird, je mehr schätzt man Naturgaben, weil sie
durch nichts können angeschafft werden. Er ist ge-
wiss einer der vorzüglichsten Köpfe ; aber, wie ich selbst
furchte, für sich und die Welt verloren. Seine jetzige
Lage muss ihm zu seinen übrigen Fratzen noch Bitter-
keit zufügen. Übrigens ist es, so klein die Sache scheint,
ein Glück, dass die Höfe in einer Angelegenheit, wo
eine unverschämte Präokkupation, wie Du weisst, so
weit ging, einen Schritt tun konnten, der, wenn er von
der einen Seite gebilligt wird, von der andern nicht
getadelt werden kann. Und ich für meine Person ge-
stehe gern, dass ich gegen meinen eignen Sohn votie-
ren würde, wenn er sich gegen ein Gouvernement eine
solche Sprache erlaubte.
An Wilhelm von Humboldt [Konzept, 16. Sept.
1799]-
Dass Fichte von Jena abgegangen ist, werden Sie
schon wissen. Erst machten sie im Philosophischen
Journal einen albernen Streich, indem sie einen Auf-
satz, der nach dem hergebrachten Sprachgebrauch
atheistisch genug war, einrückten. Da Fichte nun un-
recht hatte, wurde er zuletzt auch noch grob gegen
das Gouvernement, und so erhielt er seinen Abschied.
Er hält sich jetzo in Berlin auf.
Übrigens scheint mir aus dieser Schule, wenigstens
für die Gegenwart, wenig Freude und Nutzen zu hof-
fen. Diese Herren kauen sämtlich ihren eignen Narren
beständig wieder, ruminieren ihr Ich. Das mag denn
freilich ihnen und nicht andern geniessbar sein.
Kant hat sich nun auch gegen Fichte erklärt und
362
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
versichert, dass die Lehre unhaltbar sei. Darüber ist
denn diese Schule auf den alten Herrn äusserst übel
zu sprechen.*)
Herder hat sich in einer Metakritik auch gegen
Kanten aufgemacht, wodurch denn, wie billig, aller-
lei Händel entstehen.
Viel anderes habe ich nicht zu sagen, und Sie sehen
wohl, dass die Deutschen verdammt sind, wie vor al-
ters in den cimmerischen Nächten der Spekulation
zu wohnen. Wenigstens fallt mir nicht leicht ein
Kunstwerk von Bedeutung ein, das in dieser Zeit er-
schienen wäre.
Ich beneide Sie um Ihre Abende im französischen
Theater und um den Anblick so manches guten alten
und neuen Kunstwerks.
Zu uns verirrt sich allenfalls einmal ein guter ge-
schnittner Stein an dem Finger eines Reisenden.
Übrigens müssen wir uns mit dem Literarischen und
Historischen begnügen . . .
An F. H. Jacobi [2. Jan. 1800].
Den Brief an Fichte hatte ich schon im Manuskript
gesehen, im Drucke war er mir, gehaltvoll wie er
ist, schon wieder neu, besonders erhält er durch die
Beilagen seine völlige Rundung.
Der Anblick einer von Hause aus vornehmen Na-
tur, die an sich selbst glaubt und also auch an das
Beste glauben muss, dessen der Mensch auf seinen
höchsten Stufen sich fähig halten darf, ist immer
wohltätig und wird entzückend, wenn wir Freund-
schaft und Liebe gegen uns in ihr, zugleich mit ihren
Vorzügen, mitempfinden.
*) S. Erläuterung 5.
Äusserungen Goethes an und über Fichte 363
Seit der Zeit wir uns nicht unmittelbar berührt
haben, habe ich manche Vorteile geistiger Bildung
genossen. Sonst machte mich mein entschiedener Hass
gegen Schwärmerei, Heuchelei und Anmassung auch
gegen das wahre ideale Gute im Menschen, das sich
in der Erfahrung nicht wohl ganz rein zeigen kann,
oft ungerecht. Auch hierüber, wie über manches an-
dere belehrt uns die Zeit, und man lernt, dass wahre
Schätzung nicht ohne Schonung sein kann.
Seit der Zeit ist mir jedes ideale Streben, wo ich
es antreffe, wert und lieb, und Du kannst denken,
wie mich der Gedanke an Dich erfreuen muss, da Deine
Richtung eine der reinsten ist, die ich jemals gekannt
habe.
An C. G. Voigt [12. März 1800].
Beiliegenden Brief erhalte ich von Fichten, wahr-
scheinlich ist ein ähnlicher bei Ihnen eingelaufen.
Dass doch einem sonst so vorzüglichen Menschen im-
mer etwas Fratzenhaftes in seinem Betragen ankleben
muss. Ich denke ihm heute zu antworten, dass es mir
ganz angenehm sein soll, ihn bei seiner Anherkunft
zu sehen. Übrigens halte ich es unverfänglich, dass
man ihm den Titel als Professor gebe ; doch habe ich
mir vorher Ihr gefalliges Sentiment in dieser Sache
erbitten wollen, damit man bis zum Schluss hierin
einstimmig handle.
An Zelter [29. August i8o3].
Fichte hat einen sehr schönen und liebenswürdigen
Brief über die Eugenie an Schiller geschrieben. Dan-
ken Sie ihm dafür und sagen Sie ihm zugleich, dass
wir seine Angelegenheit bestens beherzigen . . .
364
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
An Schiller [23. Sept. i8o3].
Möchten Sie wohl beikommendes Blatt an Fichten
abgehen lassen? Leider steht die ganze Sache nicht
erfreulich, Fichte steht bei seinem grossen Verstände
noch im Wahn, als könnte man vor Gericht auf seine
eigene Weise recht behalten, da es doch daselbst
hauptsächlich auf gewisse Formen ankommt . . .
An Eichstädt [19. Juli 1804].
Die Reinholdische Rezension halte ich wohl für
admissibel, ob wir gleich nie erleben werden, dass ein
Philosoph gegen den andern einen guten Willen habe.
Fichtes Ernst verdiente wenigstens ernstlich behan-
delt, nicht persifliert zu werden.
An J. v. Müller [25. Januar i8o5].
Sehen Sie manchmal Herrn Tralles ? Wie geht es
dem guten Mann, dem ich empfohlen zu sein wünsche,
wie auch Herrn Fichte, von dessen didaktischer Tätig-
keit mir manches Gute zugekommen ist.
[Tages- und Jahres-Hefte (um 1820 ff.) 60 ff. 121 —
124. 167. 366—368.]
Nunmehr gegen Jena und die dortigen Lehrbühnen
die Aufmerksamkeit lenkend, erwähne ich folgendes:
Nach Reinholds Abgang, der mit Recht als ein
grosser Verlust für die Akademie erschien, war mit
Kühnheit, ja Verwegenheit an seine Stelle Fichte be-
rufen worden, der in seinen Schriften sich mit Gross-
heit, aber vielleicht nicht ganz gehörig über die wich-
tigsten Sitten- und Staatsgegenstände erklärt hatte.
Es war eine der tüchtigsten Persönlichkeiten, die man
je gesehen, und an seinen Gesinnungen in höherm
1
Äusserungen Goethes an und über Fichte 365
Betracht nichts auszusetzen ; aber wie hätte er mit der
Welt, die er als seinen erschaffenen Besitz betrachtete,
gleichen Schritt halten sollen?
Da man ihm die Stunden, die er zu öffentlichen
Vorlesungen benutzen wollte, an Werkeltagen ver-
kümmert hatte, so unternahm er Sonntags Verlesungen,
deren Einleitung Hindernisse fand. Kleine und grös-
sere daraus entspringende Widerwärtigkeiten waren
kaum, nicht ohne Unbequemlichkeit der oberen Be-
hörden getuscht und geschlichtet, als uns dessen
Äusserungen über Gott und göttliche Dinge, über die
man freilich besser ein tiefes Stillschweigen beobach-
tet, von aussen beschwerende Anregungen zuzogen.
In Kursachsen wollte man von gewissen Stellen der
Fichteschen Zeitschrift nicht das Beste denken, und
freilich hatte man alle Mühe, dasjenige, was in Wor-
ten etwas stark verfasst war, durch andere Worte
leidlich auszulegen, zu mildern und, wo nicht geltend,
doch verzeihlich zu machen.
[121 ff.] (An einer späteren Stelle heisst es:)
. . . Ausser den gedachten Unbilden brachte der
Versuch, entschiedene Idealisten mit den höchst realen
akademischen Verhältnissen in Verbindung zu setzen,
fortdauernde Verdriesslichkeiten. Fichtens Absicht,
Sonntags zu lesen und seine von mehreren Seiten ge-
hinderte Tätigkeit freizumachen, musste den Wider-
stand seiner Kollegen höchst unangenehm empfinden,
bis sich denn gar zuletzt ein Studentenhaufen vors
Haus zu treten erkühnte und ihm die Fenster ein-
warf*), — die unangenehmste Weise, von dem Da-
sein eines Nicht-Ichs überzeugt zu werden.
*) Die Missstimmung der Studenten bezog sich nicht auf die
366
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Aber nicht seine Persönlichkeit allein, auch die
eines andern machte den Unter- und Oberbehörden
viel zu schaffen. Er hatte einen denkenden jungen
Mann namens Weisshuhn nach Jena berufen, einen
Gehilfen und Mitarbeiter an ihm hoffend; allein die-
ser wich bald in einigen Dingen, das heisst für einen
Philosophen in allen, von ihm ab, und ein reines Zu-
sammensein war gar bald gestört, ob wir gleich zu
den Hören dessen Teilnahme nicht verschmähten.
Dieser Wackere, mit den äusseren Dingen noch
weniger als Fichte sich ins Gleichgewicht zu setzen
fähig, erlebte bald mit Prorektor und Gerichten die
unangenehmsten persönlichen Händel; es ging auf
Injurienprozesse hinaus, welche zu beschwichtigen
man von oben her die eigentliche Lebensweisheit her-
einbringen musste.
Wenn uns nun die Philosophen kaum beizulegende
Händel von Zeit zu Zeit erneuerten, so nahmen wir
jeder günstigen Gelegenheit wahr, um die Angelegen-
heiten der Naturfreunde zu befördern. . .
[i6 7 .]
Die Universität Jena stand auf dem Gipfel ihres
Flors; das Zusammenwirken von talentvollen Men-
schen und glücklichen Umständen wäre der treuesten
lebhaftesten Schilderung wert. Fichte gab eine neue
Darstellung der Wissenschaftslehre im Philosophischen
Journal. . .
Sonntagsvorlesungen, sondern auf Fichtes Bemühungen um Auf-
hebung der Studentenverbindungen. Vgl. Biedermanns Er-
klärung in der Hempelschen Goethe- Ausg. Bd. 27, S. 383.
Äusserungen Goethes an und über Fichte 36"
[366 ff.]
; Fichte hatte in seinem Philosophischen Journal über
Gott und göttliche Dinge auf eine Weise sich zu
äussern gewagt, welche den hergebrachten Ausdrük-
ken über solche Geheimnisse zu widersprechen schien;
er ward in Anspruch genommen, seine Verteidigung
besserte die Sache nicht, weil er leidenschaftlich zu
Werke ging, ohne Ahnung, wie gut man diesseits für
ihn gesinnt sei, wie wohl man seine Gedanken, seine
Worte auszulegen wisse, welches man freilich ihm
nicht gerade mit dürren Worten zu erkennen geben
konnte und ebensowenig die Art und Weise, wie
man ihm auf das gelindeste herauszuhelfen gedachte.
Das Hin- und Wiederreden, das Vermuten und Be-
haupten, das Bestärken und Entschliessen wogte in
vielfachen unsichern Reden auf der Akademie durch-
einander, man sprach von einem ministeriellen Vor-
halt, von nichts Geringerem als einer Art Verweis,
dessen Fichte sich zu gewärtigen hätte. Hierüber ganz
ausser Fassung, hielt er sich für berechtigt, ein hef-
tiges Schreiben beim Ministerium einzureichen, worin
er, jene Massregel als gewiss voraussetzend, mit Un-
gestüm und Trotz erklärte: er werde dergleichen nie-
mals dulden, er werde lieber ohne weiteres von der
Akademie abziehen und in solchem Falle nicht allein,
indem mehrere bedeutende Lehrer, mit ihm einstim-
mig, den Ort gleichzeitig zu verlassen gedächten.
Hiedurch war nun auf einmal aller gegen ihn ge-
hegte gute Wille gehemmt, ja paralysiert; hier blieb
kein Ausweg, keine Vermittelung übrig, und das Ge-
lindeste war, ihm ohne weiteres seine Entlassung
zu erteilen. Nun erst, nachdem die Sache sich nicht
mehr ändern liess, vernahm er die Wendung, die man
368
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
ihr zu geben im Sinne gehabt, und er musste seinen
übereilten Schritt bereuen, wie wir ihn bedauerten«
Zu einer Verabredung jedoch, mit ihm die Akade-
mie zu verlassen, wollte sich niemand bekennen. AI
les blieb für den Augenblick an seiner Stelle; doch
hatte sich ein heimlicher Unmut aller Geister so be-
mächtigt, dass man in der Stille sich nach aussen um
tat und zuletzt Hufeland, der Jurist, nach Ingolstadt,
Paulus und Sendling aber nach Würzburg wanderten.
vvvvvvvvvvvvvwvvvvvvvvvvvw/wvvvvvv^
ERLÄUTERUNGEN
i. Zu Seite 92 f. und 210.
Das dem Kursächsischen Reskripte vom 19. November
1 798 vorangegangene Schreiben des Dresdener Ober-Konsi-
storiums an den Kurfürsten vom 29. Oktober 1798 ist in
den Kant-Studien Bd. 1 1 (1906) S. 235ff. von E. Sülze aus
den Akten veröffentlicht worden. Es wird hier nur der For-
bergische Aufsatz des Atheismus geziehen, aber vorgeschla-
gen, überhaupt gegen die Universität Jena vorzugehen.
Später sind der Belastung noch Stellen aus Fichtes Aufsatz
hinzugefügt worden.
Der von Treitschke verunglimpfte Friedrich August III.
(geb. 1750, seit 1769 Kurfürst, später König), dem strenge
Rechtlichkeit und Pflichttreue den Beinamen des „Gerechten"
verschafften, ist so verdienstreich, dass es schwer ist, heraus-
zufinden, auf welches besondere Verdienst um sein Land
Fichte (S. 2 1 o) anspielt. (Vgl. etwa Böttigers Geschichte von
Sachsen Bd. 2 2 (1 870) S. 556 — 699, Christian Ernst Weisse :
Geschichte Friedrich Augusts. 1 8 1 1 u. a.) Dass die politi-
sche Haltung des Kurfürsten, der damals bereits deutsch
patriotisch wirkte, gemeint sein könne, ist in dem gegebenen
Zusammenhange nicht ganz wahrscheinlich, und auch die
von andrer schätzenswerter Seite geäusserte Vermutung,
dass es sich vielleicht um eine Geldbewilligung für das
Fichte 24
3 »y o J. G. Fichte« Atheismus-Streit
Leipziger Paulinum handeln dürfte, wage ich nicht für voll-
kommen innerlich wahrscheinlich zu halten.
i. Zu Seite 240 ff*.
Christian Gottfried Gruner hat auf die Beschuldigung,
das „Schreiben eines Vaters" verfesst zu haben und auf die
so sehr vernichtende Kritik seiner Persönlichkeit in einer
ziemlich ausführlichen Schrift geantwortet, die den Titel
trägt: „Ein paar Worte zur Belehrung, Beherzigung und Bes-
serung an den Herrn Ex- Professor Fichte". Die paar Worte
füllen loa Seiten, und es kommen dazu noch 7 Beilagen
auf weiteren 63 Seiten. Gruner stellte bereits in Nr. 104
des Reichsanzeigers (S. 121 o) [abgedr. a. a. O. S. 6 1 f.] die
Verfasserschaft des anonymen Pamphlets entschieden in Ab-
rede. Auch Carl Felsseckers Söhne, die den Debit dieser
Schrift übernommen hatten, bezeugen, mit dem Geh. Hof-
rat und Professor der Medizin, Herrn Christian Gottfried
Gruner in Jena, nicht in Briefwechsel oder sonsten in einem
Verkehr gestanden zu haben. Angesichts dieser Erklärungen
fallt es schwer, die belastende Aussage, ohne einen stich-
haltigen Indizienbeweis, aufrechtzuerhalten.
3. Zu Seite 281 ff., 328ff., 35of., 36o.
Der Untertitel der „Rücker in nerungen, Antworten, Fra-
gen" : „Eine Schrift, die den Streitpunkt genau anzugeben
bestimmt ist" dürfte besonders auf die Schrift von Johann
August Eberhard anspielen: „Versuch einer genauen Be-
stimmung des Streitpunkts zwischen Herrn Professor Fichte
und seinen Gegnern". Halle 1 799. Als Freunde Fichtes hat-
ten sich kurz vor dem Erscheinen dieser Abhandlung der
Verfasser der „Kosmopolitischen Bedenken über Herrn
Fichtes Anklage, Verteidigung und Gegner" im „Genius
der Zeit" (Julius 1799. S. 459 ff.) und Reinhold in seinem
„Sendschreiben an Herrn J. C. Lavater und J. G. Fichte"
vernehmen lassen. Es fehlte nicht an Verteidigern Fichtes. Vgl.
darüber die „Vertrauten unparteiischen Briefe über Fichtes
Aufenthalt in Jena, seinen Charakter als Mensch, Lehrer und
Erläuterungen 3 7 I
Schriftsteller betreffend ; nebst einer durchgängigen Kritik
aller für und gegen ihn erschienenen Schriften . . ." 1799.
Auf Fichtes „Privatschreiben" hat Johann Heinrich Gott-
lieb Heusinger, der bereits „über das idealistisch-atheistische
System des Herrn Professor Fichte in Jena einige Aphoris-
men philosophischen Inhalts" (Dresden und Gotha 1799)
geäussert hatte, noch einmal scharf geantwortet: „Meine
Antwort auf Herrn Fichtes Erwiderung . . ." (Gotha 1800).
4. Zu Seite 355 ff.
Ich habe mich nur auf die schriftlichen Äusserungen
Goethes beschränkt und Vollständigkeit nicht erstrebt, son-
dern nur die wichtigsten Züge in einem kleinen Bilde ver-
einigen wollen. In Biedermanns Gesprächen mit Goethe ist
auch an einigen Stellen (1 10, 125, i58, 177, 187, m6,
1227 der alten Ausgabe) von Fichte die Rede, doch hat es
keinen Wert, diesen JNotizenkram hier vollständig auszu-
breiten. So allerliebst die gelegentlichen Äusserungen Goe-
thes mit ihren schönen Zufälligkeiten uns wiederum die
Persönlichkeit des Dichters spiegeln, zu einer Verstärkung
des Zufälligen durch Erschliessung neuer Fehlerquellen liegt
meines Erachtens kein Grund vor. Schliesslich ist es ja doch
tief bedauerlich, dass der Liebling der Götter jenes „Fratzen-
hafte", das man lieber das Knabenhafte und Einfaltige in Fich-
tes Wesen nennen möchte, sich so stark hat verdriessen lassen.
5. Zu Seite 362.
Zweimal hat eine Erklärung Kants in Fichtes Leben ein-
gegriffen. Die erste vom 3 1. Juli 1792 (Akademie- Ausgabe,
Briefwechsel III, S. 385 f.) verhalf dem unbekannten Schrift-
steller zum Ruhme eines „geschickten" Mannes; die zweite
sollte diesem Ruhme einen jähen Todesstoss versetzen, Kant
erklärte Fichtes Wissenschafts-Lehre für ein gänzlich un-
haltbares System (7. August 1799, Intelligenzblatt Nr. 109
zur Allg. Lit. Ztg. 1799; abgedr. a. a. O. S. 396 f.). Aber
der entlassene Schüler ging unbeirrt seinen Weg zu Ende.
REGISTER
Aberglaube XXIII, 54, 56 f.,
ii 3, ii 8, i4<>, 190 f., 2 2 I,
224«) 3o3 f., 352 f.
Abgötterei 1 26 f., 1 9 1 , A. mit
dem Adjectivo 190.
Abhängigkeit und Erklären
2 5 ff., A. und Niedrigkeit
147.
Ableitung 34<>.
Absetzung 1, 96, 273 f., 277,
36 7 .
Absolutes bei den andern, nach
Fichte nur Erscheinung 137,
a. Ich XXIII.
Abstraktion 169, 295, 3 14?
32off.
Ahnung des Wahren (Jacobi)
176 f., des an sich Guten
178 f.
Akosmismus 2 3 1.
Alba 267.
All, unermessliches A. und
Erhabenheit darüber 148,
A. begriff und Gottesidee
i83f.
Alleinphilosophie 162 f., 337 f.
Alleinwissenschaft 338.
Allgegenwart 192.
Allgemeingültigkeit des Mo-
ralsystems 179 f., Anspruch
auf A. 337 f.
Allgemeinverbindlichkeit ei-
ner Denkart 104 f.
Allmacht 71.
Analyse 341.
Anarchie XIV.
Anbetung 83.
Anmassung 363.
Anschauung, intellektuelle u.
sinnliche 219.
Anstrengung i33.
Anthropomorphismus 7 5 ,
227.
Anti-Goezc 202 f.
Apathie und transzendentaler
Idealismus 195.
Ärgernis und Gewissen 200 ff.
Aristoteles XXI.
Arithmetik 160.
Atheismus 93 ff., 99, 101 ff.,
179, 184 f., 190, 202, 2o5f.,
2i3ff., 222 f., 228 (F., 247,
2 65f., 328ff., 348, 35of.,
36o, 369, typische Fälle XV,
A. u. Religion (Forberg) 5 5 f.,
praktischer und theoreti-
scher A. 85.
Aufgabe (vgl. Pflicht) XXII,
29, 37, systematische Ver-
folgung i33.
Aufklärung XXIX.
August i i3.
Augustin 157.
Ausdehnung und Handeln
219^, 223 f., A. u. Gottes-
idee 217, 221, 2 23 ff.
Ausserweltlichkeit Gottes
nicht allumfassend genug
Autonomie XV. [226.
Autorität XIV, 202.
Axiome und Individualität
(Goethe) 359 f.
* * * *
Bahrdt I 00.
Baier, Hermann 277.
Baumgarten 284.
Bayle, Pierre 4 1 •
Bedeutung der Erscheinung
1 76.
Bedürftigkeit und Abhängig-
keit 147.
Begehren 32 2.
Register 3^3
Begehrungsvermögen 299 f.
Begierde i25f., i3i, 147.
Begreifen (Jacobi) 167 fr.
Begreif liehkeit Gottes 2 25 ff.
Begriffe 25, 65 f., 3oo, 3o4,
333, 34 1 , B. u. Bezeichnun-
gen 336.
Begriffsdichtung XIX.
Beobachtungen und einzelne
Beobachter 359 f.
Berkeley 67.
Berlin (Fichtes neue Heimat
XIII.
BeschreibungdesDenkens2 88.
Beschuldigung (des Atheis-
mus) zurückzunehmen 1 44 ^
Beseligung 3 18.
Besinnung und Philosophie
i65.
Bestehen und Dauern 309 f.
Bestimmen und beschränken
226.
Bestimmtheit, mechanische B.
und Freiheit 3 1 1 , B. und Be-
grenztheit desWollens 3 1 5 ff.
Bestimmung, sittliche B. des
Menschen 83, 1 1 5 f., 220,
299-
Bewegung 160.
Beweise für das Dasein Gottes
s. Gottesbeweis.
Bewusstsein und Persönlich-
keit 69 f., B. und Dinge 104,
das Übersinnliche als Urstoff
unseres B.s 220, notwendige
Schranken 227, natürliches
3 7 4
J. G. Fichte8 Atheismus-Streit
ß. und Transzendentalphilo-
sophie 294, B. und Folgerung
322.
Bibel 228.
Biedermann 366, 371.
Bildung zur Religion 292,324«
Bitterkeit 36 1.
Bolingbroke 70.
Böttiger 369.
Braunschweig XII.
Bretschneider XI.
« « «r * «
Carl s. Karl.
Chimaerismus 1 83.
Christentum 59, 85, 118,
129fr., 137, 142,233,296 fr.
Christus 201, 2 2 5, 2 35,
2 39 f., C. und seineZeitgenos-
sen 98.
Cicero 192.
Crusius i3o.
* * * * *
Darstellung des Denkens 288.
Dasein Gottes 324 f.
Dauer und Sein 309 f.
David 83, 179.
Deduktion 287,340,353,359.
Demokratismus a5 1 (F.
Denkart 102, io4f., i93f.,
323, 336.
Denken und Wollen XXI, 27,
io5, D. u. Herz 1 38, Worte
u. Bilder 191, D. u. Schema
218 ff., D. u. Beschränken
2 25 f., D. u. Gottesidee 227,
Beschreibung und Darstel-
lung 288, D. 11. Willkür
3o6f., D. u. Sein 3o9f., D.
u. Seele 3 2 o, 3 2 2 , originelles
D. u. Sprache 336.
Denkfreiheit 212.
Desdcmona 179.
Deutschland (Zeitschr.) i63.
Dimission 1, 96, 273 f., 277,
36 7 .
Ding und Geist 224.
Dinge, unabhängig von uns
1 04.
Dogmatismus XV, 123.
Dresden XI f.
Dualismus 171.
Durch-und-durch- Begriffe
191, 333.
Dyk 339.
* « * « «
Eberhard 285, 3oi ff., 34of.,
370.
Egoismus 159.
Ehrbarkeit, äussere 84, 1 17,
128, 140.
Ehre 236 ff., 2 65.
Eichstädt 364-
Einbildungskraft i63, 168 ff.,
219.
Einfalt des Glaubens unersetz-
lich 192.
Einflüsse der Zeit 359 f.
Einheit in sich allein nicht das
Wahre, nur im Begriffe das
Höchste 180.
Einkehr 3o8.
Einstimmigkeit 180, 182.
Einzelne Beobachter und Be-
obachtungen der Menschheit
überhaupt. (Goethe) 359 f.
Empfindungen 191, religiöse
E. u. Begierde 1 25 f., E. als
Lebensprinzip 289, 294, E.
u. Religion 299.
Endlichkeit 34, 1 1 i,3i i,3i5.
Enkratie XVI.
Enthusiasmus, logischer 162,
1 72 f., 1 95.
Entlassung 1, 96, 273 f., 277,
36 7 .
Epaminondas 179.
Epikuräer 129.
Erbauung 293.
Erfahrung und Glaube (For-
berg) 38 ff., 76, äussere E.
220.
Erfolg XXIII f., 3n.
Erhebung zur Sittlichkeit 147,
E. und Erniedrigung 1 5o,E.
des Geistes und des Herzens
i85 f.
Erkenntnis 1 04, E. und Wille
XX f., 27, 349, Genughaben
an wissenschaftlicher E. (Ja-
cobi) 174, theoretische E.
220, E. und Leben 3oo.
Erkenntnissphäre und Herz
123.
Erscheinung und Sein 176.
Ertötung des Fleisches 118,
1 29.
Erziehung 32 3.
Ethik, heroische XV.
Register 3^5
Eudämonismus XV, 1 23, 1 3o,
269, 349, verseichtender
Einfluss i33ff.
Eugenie (Natürliche Tochter)
363.
Involution creatrice (Bergson)
XXIII.
Ewiges als Ziel der Absicht
117. Ewigkeit 148.
Existenz 309 f., selbständige
E. 2 3o f.
*****
Fatalismus 35 1.
Faust (Bakkalaureus) XXIV ff.
Felssccker 248, 370.
Fenelon 167, 1 85.
Fertigsein mit der Wahrheits-
forschung 98 f.
Fichte, Imm. Herrn. VII, if.,
7, 10, i3, i54<> 281, 284*
327, 387.
Fichte, Johann Gottlieb, Ap-
pellation XII, 4> 9? 9 2 ^">
i5iff., 190, 233, 295,
327, 33o, Bestimmung des
Menschen 354, Bestimmung
des Gelehrten 182, 258,
Grund unseres Glaubens
VII ff., 21 ff., 60, 62 ff., 90,
92 f., 1 o5, 1 1 5 f., 1 1 8,
122, 198 f., 292 f., Natur-
recht 254, 359, Privat-
schreiben 328 ff., Rücker-
innerungen 281 ff, Sitten-
lehre 1 1 8, 3o 2, 3 1 5 f., Ver-
antwortungsschrift 7, 9,
1
3 7 6
1 96 ff., Wissenschaftslehre
XVII, XXIV, a5ff., i59ff.,
193, 284, 352, 355, 358 f.,
366 — Amtsentsetzung 6,
16,96, 273f., 277, 367, Ent-
lassungsforderung 1, 8, 12,
16, 18, reine« Rechtsurteil
gefordert 6 f., Religiosität
VIII, XXVIII.
Fischer, Kuno VII, 387.
Flammentod für Ketzerei 210.
Folgen der Moralität, unge-
wollte 347.
Folgerung und Bewußtsein
322.
ForbergVIII,XVff.,XX,XXII,
21 f., 3 7 ff., 60, 65, 74 ff.,
8 9 f ^ >99> 2 °7> 221 ff., 227,
369, Lebenslauf eines Ver-
schollenen XVI.
Freihafen 10.
Freiheit XXIII, 26, 3o, 33,
3o8, 3iof., 35 1, Geheimnis
182, F. und Zeit 186, ge-
setzlose F. 2 5 4 , F. und Zweck
342.
Freundschaft 194.
Friedrich der Weise 239.
Friedrich August, der Gerech-
te, Kurfürst (später König)
von Sachsen XI f., 92 f., 1 32,
210 ff., 369.
Friedrich Wilhelm III., König
von Preussen XII f.
Frivolität XVII.
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
Fühlen 322.
Furchtlosigkeit 1 47«
* * * « «
Gabler XI, 89 ff., 243 ff.
Gedächtnis, Oberfläche i33.
Gefängnisstrafe io3.
Gefühl, sittliches 1 1 2, 3o2 ff.,
G. und Religion 299 ff., sinn-
liches u. intellektuelles G.
3o4ff.
Gehorsam .180, 237.
Geist 224, 32o ff.
Geistesbildung i33.
Geistesfreiheit 98, 210.
Geldstrafe to3.
Gelehrter, Fichtes Charakte-
risierung i33.
Gelingen des Guten (Forberg)
3 7> 3 9i 49* 53, 75, 77.
Geliert 192.
Genuss 107, 109, 1 1 4<> >^4,
128, i33, 137, 139, 141?
234.
Geometrie 160, 218.
Georg, Herzog der Albertini-
schen Linie 239.
Gerechtigkeit Gottes 70 f.
Gericht, Formen 364.
Geschichte, Überwindung der
Irrationalitäten XXIX.
Gesetz 3i 1, 3i4, G. u. Trieb-
feder 80 ff., G. u. Willkür
204, positives G. u. Religion
2o5ff.
Gesetzlosigkeit 254, 257.
Gesinnung XXIX, 1 1 o, 1 1 3,
Register
3 77
122, i38, 291, 297, 3 1 4 f.,
323 f., 345, 35of.
Gestalt zur Sache machen 190,
G. und Vorstellungen 191.
Gewissen 83 ff., 94, 108 f.,
i38, i8o,3i6f.,344,G.und
Glaube (Forberg) 38, 41 ff.,
76.
Gewissensfreiheit 98, 200 ff.
Gewissheit XXII, XXIV, 28,
34 f., 71 f., 1 1 5 f., 229 f.,
3o5ff., 3i8f.
Glaube 31,97, 7 9^t 3o4, 309,
3i 5, 317, 32 3, 325, 35 1 ff.,
G. u.Räsonnement 2 3, G. u.
Gewissheit XXII, 28, G. u.
Begriffe 34, G. u. theoreti-
sches Fürwahrhalten (For-
berg) 5 4, praktischer G. (For-
berg) 37 ff., 56, 58, 74, Wich-
tigkeit 80 ff., G. u. Liebe
178, unersetzliche heilige
Einfalt 192.
Glaubensfreiheit 98.
Glaubensgrund, sittlicher (J.
G. Fichte) 21 ff., 122.
Glück, wahres 1 36.
Glückseligkeit (vgl. Eudämo-
nismus) 87, i25f., 129 f.,
1 35 f., 141.
Goethe XXIII ff., XXIX, 35 f.,
1 5 1, 157, 1 79, 355 ff., 37 1 .
Goeze io3, 202 f., 238, 326.
Gotha 2.
Gott als Wohltäter und Ge-
setzgeber 85 f.
Götter 295.
Gottesbeweis 76, 229^ onto-
logisch 39 f., kosmologisch
XIX, 24, 4°? physikoteleo-
logisch XIX, 24.
Gottesfurcht u. Tugend 1 87 f.
Gottesidee und Sittlichkeit
82 f., G. u. räumliche Aus-
dehnung 2 1 7 ff., G. u. sinn-
liche Erfahrung 221.
Gotteslehren, kritische Reini-
gung 292.
Gottesleugner, nur des Na-
mens, nicht des Wesens 1 85,
190.
Gottheit u. lebendige Ord-
nung XXIII f., (Forberg) 3 7 f.,
53, G. u. Furcht 56, G. als
Allerhöchstes über und aus-
ser uns 178, Lebendigkeit
192, Begreif lichkeit 2 25 ff.,
Persönlichkeit 227, göttli-
ches Leben und Gottes inne
werden 142.
Gottlosigkeit, 32, 94 vgl.
Atheismus.
Götzendienst (vgl. Aberglau-
be) I26f., 186, 188 ff.
Götzenfurcht 191.
Grammatik u. Souveränität
2l3.
Grossmut, Eingeständnis des
eignen Irrtums den Mächti-
gen zugemutet 1 44
Gründlichkeit, nichtzu ruhen,
bis Grund gefunden 1 33.
3 7 8
Grundsätze XX, 35f., 98 f.,
101, i33.
Gruner XI, a45ff., 370.
Gundibert, Sempronius 61,
343, a5o.
Gut 11. Gattung XXIII, das
Gute 1 04, Ursprung und Ge-
walt 178, Güte 71, 128 f.
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Handeln 399, H. u. Ausdeh-
nung 3 1 9 f., 3 3 3, H. u. Theo-
rie 3a 1, H. u. Denken 334*
Handelsweise 3 a 3.
Hannover XII, a5i, 398 f.
Harmonie XXI, 37, io5.
Hase, Karl VII, XXVII, 370,
373, 375, 387.
Heilsordnung 1 10.
Heldensinn 137.
Helmstadt XII.
Herder 10, 363.
Herz u. Denken 1 38, 397, Be-
ziehung auf das H. des Lesers
■ 46 f., H. als Vermögen der
nicht leeren Ideen 180 f.,
Bildung 334.
Herren u. Sklaven 3 34.
Heuchelei 363.
Heusinger 35ofF., 371.
Hexerei 190 f.
Hilss, Julius XI. 387
Hochmut 181.
Hoffnung s3.
Hören 366.
Hufeland, Christ. Wilh. i3.
— Gottlieb i3, 368.
Humboldt, W. v. 36 1 f.
Hume, David 64 f.
Huygens 175. "
* * * «
Jacobi, H. F. 143, i54n c .,
284, 390, 295, 357 36a f.
Ich, absolutes XXIII, I. und
Erklärung s5, I. als Wissen-
schaft an sich (Jacobi) 169,
Ichheit ohne Selbst 1 79.
Ideal des Reichs der Wahrheit
(Forberg) 43 ff., 5o, 56, I.
des Reichs des Rechts (For-
berg) 45 ff., 56.
Idealismus XV, 67, 1 1 4, 1 2 3,
i58f., dogmatischer u. kri-
tischer 90, transzendentaler
159, 195, 381 f., I. u. Mate-
rialismus, Vereinigung 161,
I. und Nihilismus i83.
Ideenassoziation, blinder Hang
zu überwinden i33.
Identität des Selbstbewußt-
seins 3 18.
Jena XI, XIII, 90, 369, Studen-
tenorden 3, 357, 365 f.
Jerusalem 87.
Jesus Christus 98, 301, 2 2 5,
235, 339 f.
Ilgen i3.
Imperativ, kategorischer 16 a,
18a.
Individualität u. Axiome 359f.
Infallibilität u. Souveränität
3l3.
Intellektualsystem 175.
Register
379
Intelligenzbestimmungen u.
Welterklärung 1 58 f.
Intelligible, das 3 12.
Intoleranz 3 2 6, 338.
Intrigen 95.
Jonas 161.
Journal, philosophisches
VII (F., 14 f., 21 ff., 60 (F., 90,
92 ff., i45, i53, 196 ff., 270,
272, 328ff., 358f., 36i,
365 ff.
Irrationalismus XXIX.
Irreliftion 52, 55, 190, 2o5,
2 1 2, 292.
Irrtum, widerlegter 327.
Islam XXIX.
Jugend, Umgang mit jungen
Menschen 357, lebhaftes
Treiben in den Wissenschaf-
ten 359.
« * * * *
Kalb, Charlotte v. 356.
Kant XVII, 80 ff., 87, 160 f.,
i 7 5, 182, 284ff., 289fr.,
326, 329, 348, 358, 36i f.,
371, K.-Studien XI, 369.
Karl August, Herzog v. Wei-
mar XIII, 2,5, i4"% <^2,
270^, 277, 280.
Katechismus i35, 294, 296,
298.
Kausalität 220, 268, K. der
Willensbestimmungen 3 18.
Ketzer 202, K.verbrennung
3o4.
Kilian i3.
Kirche 46, 32 5, 353.
Kirchenväter 202, 2o5.
Klügeln 32 f., 117, i34»
Knebel, C. v. 359.
Konfiskationsreskript 2 38,
264, Konfiszierung schädli-
cher Bücher 20 3.
Konkordienformel 99.
Konsistorium,sächsisches 1 53.
Konstruieren 2 1 8, 2 2o,K. und
Begreifen (Jacobi) 167.
Kopula 220, 3i o.
Körper, mathematischer 160.
Körperlichkeit Gottes 222 fr.
Kraft durch Selbstüberwin-
dung erworben l32.
Kritizismus 284.
Kühn, Carl Gottlieb 93.
Kunst 359.
* * * * «
Langen, Joachim 2 38, 267.
Lavater 36 o, 370.
Leben und Spekulation 288 f.,
292, 295 ff., 334, L. u. Theo-
rie 32 1.
Lebensweisheit 291, 295 f.,
322 f., 366.
Leere, das 1 83.
Legalität 140.
Lehrfreiheit 18, 1 52 f., 212.
Lehrtätigkeit, akademische
102.
Leib nicht unser Ich 148 f.
Leibniz 2o3.
Leidenschaft 139.
Leipzig, Paulinum 370.
38o
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Lessing io3, 19a, 202 fi% 326*
Lichtfreunde 2 36 ff.
Liebe und Glaube 178, Ab-
hängigkeit der L. 181.
Lindau, H. XI, 38 7 .
Loder i3.
Logik XXII, 28, 323, Mangel
an L* nicht bürgerlich straf-
bar 2o5, L. u. Souveränität
2l3f.
Lucinde i63.
Lügen 32, 7^ 21 5.
Luther XIX, 2 00 f., 239, 281.
« « « * *
Macht und Allmacht 7 1 .
Märtyrer 97 f.
Masse, die grosse M. u. Zeit*
bedingungen (Goethe) 36 o.
Massigkeit 359.
Mathematik 160, 338.
Materialismus XV, 1 58 ff., Ver-
einigung von M. und Idealis-
mus 161.
Materie, ewig? 2 5, 66.
Mechanik, höhere M. des Gei-
stes (Jacobi) 175.
Mechau i45.
Medicus, Fritz VII. 387.
Meiningen (Hersog) 2.
Meinung u. Überzeugung 3 09,
individuelle M. 339.
Melanchthon 239.
Mendelssohn 142, i85, 290.
Menstruum, Ich als Auflö-
sungsmittel (Jacobi) 169.
Messias 161.
Metakritik 10,362.
Metaphysik XIX, 69, i58f.,
174, 285 f., 291.
Methode, synthetische 354*
Meyer, J. H. 358 f.
Monotheismus XIX, 38, 75,
227, 295.
Moral und Religion (Kant)
80 ff., (Fichte) 1 1 2 f.
Moralität 1 10, 1 2 3, 1 28, i36,
281, 309, 3i3f., 3 18, 35o,
M. u. Denkzwang XXII, 28.
Motiv XXIII, 347.
Mühe i33.
Müller, J. v. 364.
Mut 291.
Mystizismus 186.
* * * * *
Nathanael 161.
Natur als Gebieterin und als
folgsames Instrument 1 47-
Naturgaben 36 1.
Naturgesetze 206, 3 12.
Naturlehre 359.
Naturrecht 359.
Naturordnung 352.
Naturwissenschaft 24, 63 f.,
291.
Neumann, R. 387
Newton 175.
Nichts, das i83, N. oder Gott
1 89. Nichtswollen 1 79.
Nichtwissen (Jacobi) 1 58, 1 6 1 ,
176, i83f., 193.
Nicolai, Fr. 162, 241.
Niethammer, Friedrich Im-
Register
38i
manuel i3, i5, 60, 90, 93,
197, 199, 269 f., 358.
Nihilismus i83.
Notwendig u. zufällig 39 f.
Notwendigkeit 3o5, 307 f.,
N. u. Vernunftbegründung
XIX, 2 3 f., N. u. Denken 3 1 9.
* * * * «
Objektivität 3o6.
Obskuranten 2 36 ff.
Ödcmachen den Ort des Wah-
ren (Jacobi) 191.
Orden, akademische 3, 257,
365 f.
Ordnung des Sternenhimmels
192, übersinnliche O. 3 12,
O. als tätiges Ordnen 334 f.,
naturgesetzliche O. 343 f.,
intelligible O. 348, 35 1 ff.
Ördo ordinans 334 f., O. ordi-
natus 334.
Orest 179.
Ort, heiliger O. in jeder Phi-
losophie (Jacobi) 1 93, O. im
Systeme 339.
Otho 1 79.
* * * * *
Pädagogik 291 f., 294, 324.
Pantheismus 333.
Päpste 239.
Patriarchalische Gesinnung
XIV.
Paulsen, Friedrich VII. 387
Paulus XXVII, 10, 246 f., 368.
Person und Sache 97.
Persönlichkeit 33 1, 345, P. u.
Endlichkeit 34, 69 ff., P.Mit-
tel, Vernunft Zweck 178,
unpersönliche P. 179, P.
Gottes 227.
Pessimismus XV.
Pestalozzi 188.
Pflicht 3i, 95, 106 ff., i3i,
148, 219, 221, 234, 3o6,
309, 3i3ff., 342, 347, 349,
P. zu handeln, als ob man
glaubte 5 1 , 7 7, P. gegen Gott
57, P. u. Genuss 137, P.en-
lehre 180, P.erkenntnis 80 f.
Philosophie u. Wissen 1 58,
P. u.Lcben 289, 292, 295 ff.,
P. u. Religiosität 292.
Plato 178, 1 83.
Polytheismus 38, 75, 227,
295.
Popularisierung i34f.
Popularphilosophie 90, 296.
Pragmatismus XXIII.
Praxis u. Theorie XXI, Primat
der praktischen Vernunft
XXII, 29.
Prinzip 3 1 o, 3 1 6, 3 1 8 ff.
Privilegium und Religion
201 f.
Protestanten 201, 2 35.
Prüfung u. fertige Wahrheit
98 f.
Psychologie XV, 352.
Pylades 179.
♦ * * « *
Rationalismus XV.
Räsonnement XXI, 27, io5,
38a
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
296, 3oo, 3o4, 3i6, 334,
K. u.Herz 1 38, R. u. Staats-
souveränität 2 1 3 f., R. u. Ge-
horsam 2 3;, R. u. Übung
3a3.
Realismus 282.
Realität u. Endlichkeit 226.
Rechenschaft ablegen i33.
Recht u. Religion 2o5ff.
Rechtgläubigkeit 2o3, 328,
R. des Herzens u. theoreti-
scher Irrtum 228.
RechtschafFenheit 55, 117,
345.
Reflexion 323, R. u. Abstrak-
tion (Jacobi) 169.
Reformation 236.
Regel ohne Ausnahme 180.
Reichsfiskal 96, io3.
Reichstag 96.
Reimarus, Sam. 87.
Reinhard 142.
Reinheit der Vernunft 167,
R. des Wollens 345.
Reinhold XXVII, 1,161, 195,
357, 36o, 364«
Religion 1 83 ff., (Forberg)
73 fF., 77, (Kant) 80 ff., R.
als Pflicht (Forberg) 5i, R.
als Willensmaxime 54, R. u.
Tugend (Forberg) 56, R. u.
Redefreiheit 1 99 ff., alles
ü6erR. zugleich gegen jeman-
des R. 202, R. u. Souveräni-
tät 21 3, R. u. Religiosität
227 f., Ursprung 294, R. u.
Sittlichkeit 3i 5 f., 324, R. u.
Philosophie 34o, R.sphilo-
sophie 287, 292 ff., 339 f.,
R.stheorie 281, 328, 345,
348, 35o, R. 8 Wissenschaft
232
Religiosität VIII, 227 f., 292,
294t 2 9 6 -
Requisitionsschreiben 4? 197?
201, 210, 212, 235, 238,
244.
Reskript XII, 4f^ 100 ff., 369.
Revolution XIV, XXIV, 259,
261 .
Rhapsodie 193.
Rickert, Heinrich VII. 387.
Rousseau 266.
Ruhe u. Heldensinn 137.
* * * * *
Sanktion, sittliche XXIII.
Schaffen (vgl. Schöpfung) u.
Vernichten (Jacobi) 169.
Schätzung u. Schonung (Goe-
the) 363.
Scheiterhaufen 96 f.
Sendling XXIV, 368.
Schema 218, 220, 2 23.
Scherer, R. R. 246.
Schiller 4? 36, 149? 1 5 1 (F.,
358 ff., 363 f.
Schlegel, Friedr. i63.
Schlosser, J. G. 36o f.
Schnaubert 246.
Schöpfung 25, 65 f., 83, 120,
schöpferisches Prinzip 32 1.
Schuldigkeit (vgl. Pflicht) 1 06.
Register
383
Schwärmen 176, 186.
Seele 224, 3 20, 322.
Seichtigkeit als Mangel an
Selbsttätigkeit 1 3 2 ff.
Sein 3 09 f., 3 18, 324 f., wah-
res S. i36, S.u. Schein 176,
S. u. Handeln 221.
Selbständigkeit 291.
Selbstbeobachtung 108.
Selbstbestimmung XVIII.
Selbstbewußtsein 3 1 8.
Selbstdenken 98 f., 1 33.
Selbstgötterei 189.
Selbsthervorbringen des Ge-
genstandes 164 ff.
Selbsttätigkeit 148, einem
Hange zuwider i32.
Selbsttäuschung io3.
Selbstüberwindung i32.
Selbstvertrauen 291.
Seligkeit 1 09 f., 1 1 6, S. aller
Mo-
Shakespeare (Othello) 1 79.
Sicherheit der Staaten 98.
Sieg, Glaube an den S. der
Tugend (Forberg) 49.
Sinn, innerer 2 3o, religiöser
227 f., 292, 294, 296.
Sinnenwelt und Sittengesetz
XXIII, S. u. sittliche Welt-
ordnung 26, 3i, S. u. Ur-
heber 63, 65, S. u. Gottheit
122 f., S. u. übersinnliche
W. 137, Produkte der S.
147, S. ein Nichts gegenüber
unserm ewigen Descin 148,
S. u. Gesetz 3 1 1 , S. nur Mit-
tel 3 16.
Sinnlichkeit u. Übersinnliches
XX, 26, S. u. höheres Seh-
nen 1 06 f., S. u. Sittlichkeit,
kein stetiger Übergang 140.
Sittengesetz XXII f., 29k, 182,
344.
Sittlichkeit 3o4, 307, S. u.
Belohnung 128, S. u. Sinn-
lichkeit 140, Erhebung zur
reinen S. 1 47«i S. u. Religion
56, 3i5 f., 324.
Skeptizismus io5, 1 1 4^ 222,
35 9 .
Sklaven u. Herren 234.
Sokrates 162.
Sollen XXII, 29,31, 3oi, 3 1 1.
Sonntagsvorlesungen 365.
Souveränität u. Räsonncmcnt
2l3 f.
Spalding, J. J. 87, 1 4 1
Spekulation 5i, 54, 77 ff.,
io5, 120, i32, 1 38 f., 141,
35 9 , 362, S. u. Wille XX f.,
S. u. Glaube (Forberg) 38 ff.,
57, 76, Tendenz 1 58, höch-
ster Standpunkt 171 f., Lie-
be zurS. 256, 260, S.U.Re-
alität 288, S. u. Leben 334«
Spinoza XX, 10, 142, i5g,
162, 181 f., 184 f., 295.
Spiritualismus 75, 227.
Sprache u. Vernunft 187, S.
u. Bedeutungen 3 1 1 ff., 3 1 6,
S. u. originelles Denken 336.
384
J. G. Fichte« Atheismus-Streit
Sprachgebrauch 335 ff.
Staat 98, 353, S. räsonniert
nicht, sondern dekretiert
2i3.
Sterne (astror um ordines) 19a.
Streben, ideales 363.
St rickstrumpf,Jacobis Gleich-
nis 1 70 ff.
Strohhalm, Gottesbeweis 96.
StudentenkundgebungenXIII,
2 7 5 ff., 35 7 , 365 f.
Studentenorden 3, 257, 365 f.
Substanz 122 ff., 159, 220 f.,
268, 32i f., 33 1.
Sülze, E. 369.
System, Ortsaufzeigung 339.
* * * * «
Terminologie i5, 19, 272,
3i 1 ff.
Tertullian 200.
Teufel, mit dem T. um die
Wette hexen 190.
Theismus 5i, 77.
Theodicee XI, 41.
Thcokratie XV.
Theologie 90 f., 294 f., 34of.
Theonomie XV.
Theorie u. Praxis XXI, T. u.
Religion 292, 299, T. 11. Le-
ben 32 1.
Timaeus (Pia ton) 178.
Timoleon 179.
Tod u. Geburt 149.
Ton 326, 332.
Trägheit 53, i3i.
Tralles 364.
Transzendentalismus XXIII,
25, 3of., 66 f., 160, 2176^.,
284, 291, 293 f., 297, 3i3,
322 f., 353.
Treitschke, Heinrich v. 369.
Triebfeder u. Gesetz 80 ff.
Trotz 191, 367.
Tugend 221, 3 3 4, Unsterb-
lichkeit 55, T. u. Religion
(Forberg) 56, T. u. Glück-
seligkeit 87.
*****
Übereinstimmung 299.
Übersinnliches 26, noff.,
i4^, 342, Ü. u. Sinnliches
2 1 9 ff., 229 f., übersinnliche
Weltordnung 127, i3o f.,
137, 1 49,3 12, 3 1 4, ü. Trieb
federn 292, übersinnliches
Subjekt. 32i.
Übertreibung 194.
Überzeugung 309, 3 18, 337 f.
Übung 323.
Unabhängigkeit 291.
Unbegreifliche, das 178.
Unbestimmte, das i83.
Unendlichkeit 34, 70, i83.
Unergründlichkeit des
menschlichen Wesens 188.
Unglaube 32, 56, 21 5.
Unmögliche, das im Regriffe
U. als Gegenstand des Glau-
bens 1 78.
Unsittlichkeit 221.
Unsterblichkeit 55, 80, 114«.
«47-
Register
385
Unterricht, nicht U., sondern
Entwickelung der Religion
324.
Untersuchungsfreiheit 90 f.,
1 00, 232 f.
Unvergänglich, Streben nach
dem U.en 142*
Unvernunft 191, 335, 337.
Unzerstörbarkeit 192.
w * » » »
Vaihinger, H. XVII.
Vanini 96, 264.
Vater, Schreiben eines V.s
VIII ff., 5 9 ff., 241 ff.
Verantwortlichkeit u. Zensur
206 ff.
Veredlung, sittliche V. u. Re-
ligion 187.
Verfolgung i53.
Vermessenheit 1 34-
Vernunft, praktische 80 f.,
(Primat) XXII, 29, V. u.
Vernehmen (Jacobi) 167,
175 fr., V. Zweck, Persön-
lichkeit Mittel 1 78, Umfang
292, absolute Selbständig-
keit 3o6, absolute V. 3 14,
Anspruch auf Allgemeingül-
tigkeit 337 f.
Vernunftbegründung 2 3.
Vernunftgesetze 220.
Vernunftglaube XV, XXII.
Vernunftherrschaft 83 f.
Vernunftwelt 317.
Vernunftwesen, Erhaltung
3i8.
Fichte
Vernunftzweck 3 06 f., 3 09,
3n, 3i4ff.
Verstand u. Sinne 176 f.
Verweis 7 f., 1 1 f., 14, 274,
36 7 .
Verwunderung 147.
Verzichtleistung auf Genuss
i3g, 141.
Voigt XXVI f., 8 (F., 16 (F.,
35 7 f., 363.
Volksunterricht 294, 32 5.
Vollkommenheit 71.
Voltaire 266.
Vorsatz u. Willkür 1 33.
Vorsehung 80, 86 f., 297.
Vorstellungen u. Individuel-
les 191.
Vorurteile, eingefleischte 1 32.
*****
Wahre, das 104,137, 1 74 ff-
Wahrheit, Wille zur XX f.,
W. als fertiger Besitz ange-
nommen 98 f., W.en u. das
Wahre (Jacobi) 174 fr., W.
u. Gewissheit 3o5 fF., gelten-
de W.en u. Zeitbedingungen
ihrer Geltung 36 o.
Wahrnehmung 3 10, 32 1 f.,
34i, W.u. notwendige Ein-
bildung 1 7 1 , 1 76 f., Wunder
182.
Weimar, Herzog Karl August
XIII, 2, 5, 14 ff-, 1 52, 2 70 f.,
277, 280.
Weise, Christian Ernst 369.
Weishaupt, Adam 69.
25
386
J. G. Fichtes Atheismus-Streit
Weisheit 70 f.
Weisshuhn 358, 366.
Welt als absolut seiend 24,
63 f., W. u. Gott i3i, W.
nicht unsere Heimat i36,
W. u. Nichts i83f., W. u.
Gottheit 226 f., Bedeutung
3l2.
Weltordnung, sittliche XXII,
XXIV, 26, 3of., 35, 221,
223, 229 f., 3l2, 332 f.,
335, 338.
Wert u. Vernunft (Jacobi)
i 7 5f.
Wesen, wahres (Jacobi) 1 76.
Wichtigkeit des Glaubens 8 off.
Wie, das W. der Lebensfüh-
rung, nicht die Rolle wich-
tig 1 36.
Wille (vgl. Wollen) u. Ein-
sicht XXI, W. u. Erfolg
XXIII f., W. Gottes 70 f.,
i35ff., Befreiung von der
Sinnlichkeit 1 07, W. u. Gott-
heit 149, W., der nichts
will 179, W. u. Vernunft-
zweck 309, konkrete W.ns-
bestimmung 3 1 3, pflicht-
mässige 3i5, W.nsbestim-
mung und etwas nicht vom
W.n Abhängiges 352.
Willkür i33f., 233, 352.
W T issen 338, W. u. Philoso-
phie i58, W. u. Wesen (Ja-
cobi) 1 69, W. u. Gewissheit
3o8.
Wissenschaft 323, W.en i32,
W. des Wahren i58, Begriff
des W. (Jacobi) 164 ff., W.
als Mittel zu andern Zwek-
ken 1 74
Wissenschaftslehre XVII,
XXIV, 2 5 ff., i59ff., i 9 3,
284, 352, 355, 358 f., 366.
Wissensfreiheit 100.
Wit, Joh. de 1 79.
Wittenberg 239.
Wolff 284.
Wollen (vgl. Wille) 345 ff.,
W. u. Denken XXI, 27, 1 o5,
Bestimmtheit u. Begrenztheit
3 1 5 ff., W. u. Wirkung 344,
W. u. Zweck 346.
Wortgebrauch 272, 3oi ff.,
335 ff.
Wunder u. Philosophie 193.
Wünschen 23, 4 2 ^ 5o, 77,
309.
Würde 109, 111, 114.
Wurmb, Heinr. Ludw. v. 11.
« « * * «
Zauberei 190.
Zaubermittel 352.
Zedtwitz, Heinr. Ferdin. v. 93.
Zensur 5, 206 ff., 214«
Zeitalter, Charakteristik 1 34 f.
Zeitbedingungen u. geltende
Wahrheiten 36o.
Zeitlichkeit u. Freiheit 186.
Zeitlinie, fixierte 224.
Zelter 363.
Zufall 107, zufällig u. not-
Register 387
wendig 397, Jacobi ein zu- Zweck ii3f., 117, 1 35 f.,
fälliger Schriftsteller i63. 3o6f., 3 1 4 f., 342,346,349.
Zusammenhang, intelligibler Zweifeln u. bewusstes Nicht-
348. wissen 184.
LITERATURNACHWEIS
(Vgl. S.XI, 10 u. 3 7 o f.)
FICHTE, Immanuel Hermann: Joh. Gottlieb Fichtes Leben u.
literarischer Briefwechsel. 1862.
FISCHER, Kuno: Geschichte der neueren Philosophie.
HASE, Karl: Jenaisches Fichtebüchlein.
HILSS, Julius: Worte Fichtes. [Bibliographie.]
LINDAU, Hans: Die Theodizee im 18. Jahrhundert. Ent-
wicklungsstufen des Problems vom theoretischen Dogma
zum praktischen Idealismus. [Zeittafel.]
MEDICUS, Fritz: J. G. Fichte. Dreizehn Vorlesungen.
— : (Fichte und Forberg.) Die philosophischen Schriften zum
Atheismusstreit. [Besonders wertvolle Einleitung.]
NEUMANN, R.: Goethe und Fichte.
PAULSEN, Friedrich: J.G.Fichte im Kampf um die Freiheit
des philosophischen Denkens. Philosophia militans.
RICKERT, Heinrich : Fichtes Atheisntusstreit und die Kantische
Philosophie.
Gedruckt für Georg Müller Verlag in München
in Dido? sehen Schriften von Mänicke j* Jahn in
Rudolstadt. Buchausstattung von Paul Renner. Ge-
bunden von Hübet Denck in Leipzig. Hundert-
fünfzig Exemplare wurden auf holländisch Büt-
tenpapier abgezogen und in Ganzleder gebunden.